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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist testamentarischer Alleinerbe der 1914 geborenen
und im September 2010 verstorbenen A. Diese schloss zusammen mit
ihrem damals noch lebenden Ehemann als Treugeber am 5.3.1998 mit
dem Prozessbevollmächtigten einen Treuhandvertrag. Gegenstand
des Vertrags war die Verwaltung des den Treugebern gehörenden
Einfamilienhauses, verschiedener einzeln bezeichneter Konten und
Sparbücher sowie der bestehenden Rentenansprüche. Die
Vergütung bestand in einem Pauschalhonorar von 14.000 DM zzgl.
Umsatzsteuer je Kalenderjahr sowie einem zusätzlichen
Stundenhonorar für besondere Maßnahmen, Aufwendungs- und
Auslagenersatz. Für die Erstellung der jährlichen
Steuererklärungen wurde die Vergütung gemäß
der Steuerberatergebührenverordnung vereinbart. Seit dem Jahr
2000 lebte A in einem Pflegeheim.
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Nachdem zwischenzeitlich ihr Ehemann
verstorben war, erteilte A dem Prozessbevollmächtigten im
November 2004 eine General- und Vorsorgevollmacht, die auch die
Vertretung in Steuerangelegenheiten umfasste. Am 16.11.2004 wurde
der Treuhandvertrag geändert und ein höheres
Pauschalhonorar sowie eine zusätzliche Sondervergütung
vereinbart. Das Einfamilienhaus wurde im Jahr 2006
veräußert.
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In der im März 2010 beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) eingegangenen
Einkommensteuererklärung 2009 erklärte A neben
Renteneinkünften Einnahmen aus Kapitalvermögen in
Höhe von 30.238 EUR. Zu diesem Zeitpunkt war A 95 Jahre alt
und litt an einer dementen Störung, weshalb sie in die
Pflegestufe II eingestuft wurde. Der Prozessbevollmächtigte
verwaltete aufgrund des Treuhandvertrags ihr Vermögen und
betreute sie. In der Steuererklärung wies der
Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass im
Veranlagungszeitraum 2009 eine Zusammenballung von Einnahmen aus
Kapitalvermögen vorliege. Im Folgejahr 2010 sei lediglich mit
Zinseinnahmen von 12.800 EUR zu rechnen, was zu einer Steuerschuld
von 0 EUR führe. Im Einkommensteuerbescheid 2009 vom 8.4.2010
berücksichtigte das FA die Kapitaleinnahmen in der
erklärten Höhe und zog lediglich den Sparer-Pauschbetrag
von 801 EUR ab. Von der im Veranlagungszeitraum 2009 aufgrund des
Treuhandvertrags von A gezahlten Vergütung von insgesamt
10.647,64 EUR berücksichtigte das FA einen Teilbetrag von
3.549,21 EUR als außergewöhnliche Belastung für die
allgemeine Betreuung durch den
Prozessbevollmächtigten.
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Mit der form- und fristgerecht erhobenen
Sprungklage begehrte der Kläger (als Rechtsnachfolger der A)
den Abzug von Werbungskosten aus Kapitalvermögen in Höhe
von insgesamt 7.375 EUR (nicht berücksichtigte
Treuhand-Vergütung 7.098 EUR und Steuerberatungskosten
für die Kapitaleinkünfte 277 EUR). Diese Aufwendungen
seien bei der Berechnung der Einkünfte aus
Kapitalvermögen nicht berücksichtigt worden. Dies
verstoße gegen das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes
abgeleitete Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen
Leistungsfähigkeit und das objektive Nettoprinzip.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
seinem in EFG 2013, 1041 = SIS 13 06 13 veröffentlichten
Urteil insoweit statt, als die geltend gemachten Werbungskosten den
Sparer-Pauschbetrag von 801 EUR gemäß § 20 Abs. 9
Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG) überstiegen.
Zur Begründung verwies es darauf, § 32d Abs. 6 Satz 1
EStG sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die
tatsächlich entstandenen Werbungskosten jedenfalls dann
abziehbar seien, wenn der individuelle Steuersatz bereits unter
Berücksichtigung nur des Sparer-Pauschbetrags unter 25 %
liege.
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Mit der - vom FG zugelassenen - Revision
rügt das FA die Verletzung von § 32d Abs. 6 EStG. Der
Wortlaut der Vorschrift sei mit der vom FG vorgenommenen
verfassungskonformen Auslegung nicht vereinbar; der Ausschluss des
Abzugs der tatsächlich entstandenen Werbungskosten durch
§ 20 Abs. 9 Satz 1 2. Halbsatz EStG sei verfassungsrechtlich
unbedenklich.
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Der Beigetretene, das Bundesministerium der
Finanzen (Beigetretener - BMF - ), schließt sich der
Auffassung des FA an und macht ergänzend geltend, selbst nach
den Feststellungen des FG hätten 80 % der Steuerpflichtigen
keine über den Sparer-Pauschbetrag hinausgehenden
Aufwendungen; nach einer wissenschaftlichen Untersuchung des
X-Instituts gelte das sogar für mehr als 95 % der
Steuerpflichtigen. Die vom Gesetzgeber vorgenommenen
pauschalisierenden und typisierenden Regelungen hielten den
verfassungsrechtlichen Anforderungen damit stand.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
Baden-Württemberg vom 17.12.2012, 9 K 1637/10 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision des
FA zurückzuweisen.
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Das BMF hat keinen Antrag gestellt.
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Auf mündliche Verhandlung haben die
Beteiligten übereinstimmend verzichtet.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die Auffassung des FG, § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG sei
verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die
tatsächlich entstandenen Werbungskosten abzugsfähig
seien, wenn der individuelle Steuersatz bereits unter
Berücksichtigung nur des Sparer-Pauschbetrags unter 25 %
liege, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des §
32d Abs. 6 EStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
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1. Nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG werden
auf Antrag des Steuerpflichtigen anstelle der Anwendung der
Absätze 1, 3 und 4 der Norm die nach § 20 EStG
ermittelten Kapitaleinkünfte den Einkünften i.S. des
§ 2 EStG hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer
unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer
einschließlich Zuschlagsteuern führt
(Günstigerprüfung). Für diesen Ausnahmefall kommt
dann nicht der für die Besteuerung der Einkünfte aus
Kapitalvermögen grundsätzlich anzuwendende
Abgeltungsteuersatz von 25 % zur Anwendung (vgl. § 32d Abs. 1
Satz 1 EStG), sondern der progressive Regelsteuersatz. Die
Ermittlung der Kapitaleinkünfte ist indes auch bei der
Günstigerprüfung - und damit auch im Streitfall - nach
§ 20 EStG vorzunehmen (vgl. § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG).
Damit findet auch im Falle der Günstigerprüfung die
einschränkende Regelung zum Verbot des Abzugs der
tatsächlich entstandenen Werbungskosten (vgl. § 20 Abs. 9
Satz 1 2. Halbsatz EStG) Anwendung.
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2. Gegen die Verfassungsmäßigkeit
des § 32d Abs. 6 EStG hat der Senat keine Bedenken. Die
Vorschrift beinhaltet eine begünstigende Sonderregelung
für bestimmte Steuerpflichtige, bei denen ausnahmsweise von
der Anwendung des proportionalen Sondertarifs für die
Einkünfte aus Kapitalvermögen von 25 % abgesehen wird und
stattdessen der Regelsteuersatz Anwendung findet, sofern das zu
einer niedrigeren Einkommensteuer führt. Da auch für
diejenigen Steuerpflichtigen, die dem Abgeltungsteuersatz
unterliegen, das in § 20 Abs. 9 EStG verankerte Abzugsverbot
für die tatsächlich entstandenen Werbungskosten gilt,
werden die Steuerpflichtigen, für die nach § 32d Abs. 6
EStG aufgrund der Günstigerprüfung der Regelsteuersatz
zum Tragen kommt, gegenüber den vom Abgeltungsteuersatz
Betroffenen insoweit nicht schlechter gestellt.
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3. Der Senat hat auch keine Bedenken, dass das
Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 20 Abs. 9 EStG
verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält. Zur Vermeidung
von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit Bezug auf die
Gründe seiner Entscheidung vom 1.7.2014 VIII R 53/12 (BFHE
246, 332, BStBl II 2014, 975 = SIS 14 27 73).
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4. Die Regelung stellt sich auch im Vergleich
zu Steuerpflichtigen, die kraft Gesetzes oder aufgrund eigenen
Antrags gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 EStG
mit den dort geregelten Einkünften aus Kapitalvermögen
aus der Abgeltungsteuer ausgeschlossen sind und gemäß
§ 32d Abs. 2 Satz 2 EStG ihre Einkünfte aus
Kapitalvermögen unter Abzug der tatsächlich entstandenen
Werbungskosten ermitteln können, als
verfassungsgemäß dar. Im Fall des § 32d Abs. 6 EStG
werden die Einkünfte aus Kapitalvermögen ohne den Abzug
der tatsächlichen Werbungskosten ermittelt, gehen mit dieser
pauschalierten Bemessungsgrundlage in den Gesamtbetrag der
Einkünfte ein (vgl. § 2 Abs. 5b EStG) und unterliegen der
tariflichen Einkommensteuer gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1
EStG. Steuerpflichtige werden im Rahmen der
Günstigerprüfung somit im Hinblick auf den Umfang
abziehbarer Werbungskosten im Ergebnis schlechter gestellt als die
Bezieher tariflich besteuerter Einkünfte aus
Kapitalvermögen, wenn ihnen höhere tatsächliche
Werbungskosten als der anzuwendende Sparer-Pauschbetrag entstanden
sind.
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Diese Differenzierung ist sachlich
gerechtfertigt. Denn mit den vorstehend genannten Ausnahmen vom
Abgeltungsteuersatz will der Gesetzgeber
„Mitnahmeeffekte“ bzw. eine Überbesteuerung
vermeiden (vgl. dazu auch die Senatsentscheidung vom 28.1.2015 VIII
R 8/14, zur Veröffentlichung vorgesehen, m.w.N.). Die
Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG hat indes
weniger den Charakter einer nach der Intention des Gesetzes
zwingenden sachlichen Ausnahme von der Anwendung des
Abgeltungsteuersatzes, sondern ist eher als
Billigkeitsmaßnahme zu verstehen, mit der Steuerpflichtige,
deren Steuersatz noch niedriger liegt als 25 %, eine weitere
Begünstigung erfahren. Diese soll aber nicht dazu führen,
dass die derart Begünstigten vollumfänglich aus dem
System der Abgeltungsteuer ausscheiden.
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Diese Ungleichbehandlung innerhalb des Systems
der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist
aber auch durch den Vereinfachungs- und Pauschalierungszweck der
Regelung in § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG gerechtfertigt, der
für den typischen Fall des Kleinanlegers über den Abzug
des Sparerpauschbetrags auch im Fall der Günstigerprüfung
zu einer realitätsgerechten Berücksichtigung der
Aufwendungen führt (Senatsentscheidung in BFHE 246, 332, BStBl
II 2014, 975 = SIS 14 27 73).
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Im hier zu entscheidenden Fall beruhten die
hohen Aufwendungen der verstorbenen A im Streitjahr auf einem mit
dem Prozessbevollmächtigten geschlossenen Treuhandvertrag,
welcher diesem trotz nicht sonderlich hoher Kapitaleinnahmen eine
nicht unbeträchtliche Treuhandvergütung zugestand, welche
mit vertraglicher Ergänzung aus dem Jahr 2004 sogar noch
einmal deutlich erhöht wurde. Allein daraus wird erkennbar,
dass es sich im Fall der verstorbenen A um eine atypische
Konstellation handelte, die der Gesetzgeber bei der von ihm
vorgenommenen verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung
weder berücksichtigen musste noch konnte. Die
Verfassungsmäßigkeit der typisierenden
Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG auch in
Fällen der Günstigerprüfung wird somit durch den
Streitfall nicht in Frage gestellt.
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Dies gilt auch deshalb, weil der Klägerin
die Möglichkeit einer Billigkeitsmaßnahme
gemäß §§ 163, 227 der Abgabenordnung (AO)
verbleibt. Die Möglichkeit einer Billigkeitsmaßnahme
flankiert in besonderen Einzelfällen die Typisierungsbefugnis
des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu
treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität
der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen
Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden
können (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 20.9.2012 IV R 36/10,
BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498 = SIS 12 32 51, Rz 57; vom
24.6.2014 VIII R 35/10, BFHE 245, 565 = SIS 14 21 85, Rz 28). Der
Senat hat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden, ob es sich
insoweit um einen atypischen Extremfall handelt, für den eine
Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO in
Betracht zu ziehen ist, verweist jedoch darauf, dass es keinen
Anspruch auf „Meistbegünstigung“ selbst
gewählter Gestaltungen gibt (Blümich/Werth, § 32d
EStG Rz 163).
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5. Danach besteht weder die Notwendigkeit noch
- entgegen der Auffassung des FG - die Möglichkeit, § 32d
Abs. 6 Satz 1 EStG verfassungskonform derart auszulegen, dass die
tatsächlich entstandenen Werbungskosten jedenfalls dann
abzugsfähig sind, wenn der individuelle Steuersatz bereits
unter Berücksichtigung nur des Sparer-Pauschbetrags unter 25 %
liegt. Eine solche „verfassungskonforme“
Auslegung widerspricht sowohl dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes
als auch den mit Einführung der Abgeltungsteuer vom
Gesetzgeber bezweckten Zielen. Ist das FG der Auffassung, ein
absolutes und unumkehrbares Abzugsverbot von Werbungskosten sei in
derartigen Konstellationen verfassungswidrig, hätte es die
Sache dem Bundesverfassungericht (BVerfG) zur Prüfung vorlegen
müssen.
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a) Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hat
die Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen auch bei
der Günstigerprüfung gemäß § 20 EStG zu
erfolgen. Das folgt bereits daraus, dass es in § 32d Abs. 6
Satz 1 EStG lautet, dass „die nach § 20 ermittelten
Kapitaleinkünfte“ den Einkünften i.S. des
§ 2 EStG hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer
unterworfen werden, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer
führt. Die Nichtanwendung des § 20 Abs. 9 EStG bei der
Ermittlung der Kapitaleinkünfte im Rahmen der
Günstigerprüfung stellt daher einen Verstoß contra
legem dar.
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b) Das FG begründet seine
verfassungskonforme Auslegung des § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG
letztlich damit, dass es das Werbungskostenabzugsverbot
gemäß § 20 Abs. 9 EStG als verfassungswidrig
erachtet; die Regelung stelle einen Verstoß gegen das
objektive Nettoprinzip dar, verletze den allgemeinen
Gleichheitssatz, verletze das Prinzip der Folgerichtigkeit und sei
auch durch außerfiskalische Förderungs- und
Lenkungszwecke nicht gerechtfertigt. Eine verfassungskonforme
Auslegung könne die Verfassungswidrigkeit vermeiden.
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aa) Der revisionsrechtlichen Prüfung
halten diese Überlegungen nicht stand. Nach ständiger
Rechtsprechung des BFH ist maßgebend für die
Interpretation eines Gesetzes der in ihm zum Ausdruck kommende
objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss
vom 9.11.1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106 = SIS 89 07 02, unter
B.II.1. der Gründe, m.w.N.; BFH-Urteile vom 1.12.1998 VII R
21/97, BFHE 187, 177 = SIS 99 04 83, unter II.2.a der Gründe;
vom 21.10.2010 IV R 23/08, BFHE 231, 544, BStBl II 2011, 277 = SIS 11 01 51). Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen
objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus
dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem
Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck
(teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der
Entstehungsgeschichte (historische Auslegung); zur Erfassung des
Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen
Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen (z.B.
BFH-Urteil in BFHE 187, 177 = SIS 99 04 83, m.w.N.). Gegen seinen
Wortlaut ist die Auslegung eines Gesetzes allerdings nur
ausnahmsweise möglich, wenn nämlich die wortgetreue
Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom
Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
1.8.1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12 = SIS 75 00 07; vom 7.4.1992 VIII R 79/88, BFHE 168, 111, BStBl II 1992, 786 =
SIS 92 19 04; vom 17.2.1994 VIII R 30/92, BFHE 175, 226, BStBl II
1994, 938 = SIS 94 22 43; vom 17.1.1995 IX R 37/91, BFHE 177, 58,
BStBl II 1995, 410 = SIS 95 10 06; vom 12.8.1997 VII R 107/96, BFHE
184, 198, BStBl II 1998, 131 = SIS 98 03 77; vom 17.5.2006 X R
43/03, BFHE 213, 494, BStBl II 2006, 868 = SIS 06 27 06; vom
17.6.2010 VI R 50/09, BFHE 230, 150, BStBl II 2011, 43 = SIS 10 23 35; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 380) oder wenn sonst
anerkannte Auslegungsmethoden dies verlangen (z.B. BFH-Beschluss
vom 4.2.1999 VII R 112/97, BFHE 188, 5, BStBl II 1999, 430 = SIS 99 12 33).
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bb) Im Streitfall führt eine wortgetreue
Auslegung der Vorschrift indes nicht zu einem sinnwidrigen
Ergebnis, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann,
vielmehr entspricht diese gerade den vom Gesetzgeber beabsichtigten
Zielen. Wie vorstehend bereits ausgeführt, hat der Senat keine
Zweifel, dass § 20 Abs. 9 EStG verfassungsrechtlichen
Anforderungen standhält (vgl. dazu II.3.). Die Vorschrift ist
entgegen der Auffassung des FG auch im Rahmen der
Günstigerprüfung anzuwenden. Das gebietet bereits der
Gesetzeswortlaut des § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG, der von
„nach § 20 EStG ermittelten
Kapitaleinkünften“ spricht.
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cc) Ebenso wenig streiten die historische und
die teleologische Auslegung der Vorschrift für die Auffassung
des FG. Wie sich bereits aus dem Gesetzentwurf zum
Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (BTDrucks 16/4841, S. 35)
ergibt, sollte mit der Abgeltungsteuer nicht nur eine erhebliche
steuerliche Entlastung, sondern auch eine deutliche Vereinfachung
des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften erreicht
werden. Dem entspricht auch die Gesetzesbegründung zu §
20 Abs. 9 EStG (vgl. BTDrucks 16/4841, S. 57), in der es lautet:
„Der Ansatz der tatsächlichen Werbungskosten ist
grundsätzlich ausgeschlossen. Dabei wird sowohl eine
Typisierung hinsichtlich der Höhe der Werbungskosten in den
unteren Einkommensgruppen vorgenommen, als auch
berücksichtigt, dass mit einem relativ niedrigen
Proportionalsteuersatz von 25 Prozent die Werbungskosten in den
oberen Einkommensgruppen mit abgegolten werden.“ Bereits
das spricht dafür, die mit der Abgeltungsteuer bezweckte
Vereinfachung und damit auch die Anwendung des § 20 Abs. 9
EStG für die Günstigerprüfung des § 32d Abs. 6
EStG nicht auszuschließen.
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Auch die Formulierung
„grundsätzlich ausgeschlossen“ in der
Gesetzesbegründung spricht nicht gegen die Anwendung des
§ 20 Abs. 9 EStG. Das FG gewichtet nicht ausreichend, dass das
Gesetz in § 32d Abs. 2 EStG noch weitere Ausnahmen von der
Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus
Kapitalvermögen vorsieht, nämlich unter bestimmten
Voraussetzungen bei Kapitalerträgen aufgrund von
Verträgen zwischen einander nahestehenden Personen sowie bei
bestimmten Arten der Gesellschafterfremdfinanzierung (s. oben unter
II.4.). Hier ordnet der Gesetzgeber konkret an, dass der besondere
proportionale Sondertarif für die Einkünfte aus
Kapitalvermögen von 25 % keine Anwendung findet. Eine
ähnliche Regelung findet sich in § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG
für Steuerpflichtige, die sog. unternehmerische Beteiligungen
halten. Ihnen wird unter bestimmten Voraussetzungen die
Möglichkeit eröffnet, anstelle der Abgeltungsteuer zur
Regelbesteuerung zu optieren. In beiden Fällen ordnet das
Gesetz indes ausdrücklich an, dass § 20 Abs. 9 EStG -
ebenso wie Abs. 6 der Vorschrift - keine Anwendung findet (vgl.
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG, sowie
BTDrucks 16/4841, S. 61). Bei dem hier einschlägigen Abs. 6
Satz 1 EStG der Norm findet sich ein derartiger Hinweis indes
nicht. Wenn ein entsprechender Hinweis aber weder dem
Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist,
deutet das angesichts des Wortlauts der Regelung „die nach
§ 20 ermittelten Kapitaleinkünfte“ darauf hin,
dass der Gesetzgeber im Rahmen der Günstigerprüfung
gerade nicht von der Anwendung des § 20 Abs. 9 EStG absehen
wollte. Das gilt umso mehr, als die Gewährung des
Sparer-Pauschbetrags und der Ausschluss des Abzugs der
tatsächlich entstandenen Werbungskosten prägender
Bestandteil der mit der Abgeltungsteuer bezweckten Vereinfachung
der Besteuerung sind.
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dd) Die Überlegungen des FG zur
„Belastungsgleichheit“ sind ebenfalls nicht
geeignet, zu einem anderen steuerlichen Ergebnis zu führen.
Hätten Steuerpflichtige mit einem persönlichen Steuersatz
von knapp unter 25 % die Möglichkeit, den Sparer-Pauschbetrag
übersteigende Werbungskosten geltend zu machen,
Steuerpflichtige mit einem persönlichen Steuersatz von knapp
über 25 % aber nicht, würde das die verfassungsrechtlich
gebotene Gleichheit der Belastung und damit die - jedenfalls im
Wesentlichen - gleiche Besteuerung nach der persönlichen
Leistungsfähigkeit in Frage stellen, und zwar insbesondere im
Bereich der unteren Einkommensgruppen. Denn je nachdem, wie hoch
der persönliche Steuersatz des Steuerpflichtigen und die
tatsächlichen Werbungskosten sind, könnte die steuerliche
Belastung der Kapitaleinkünfte gravierende Unterschiede
aufweisen.
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ee) Die Behauptung des FG, auch bei
Kleinanlegern sei die Fremdfinanzierung von Kapitalanlagen nicht
unüblich, auch in unteren Einkommensgruppen könnten
höhere Werbungskosten als 801 EUR vorkommen und diese Gruppe
dürfe der Gesetzgeber nicht außer Acht lassen, vermag
den Senat nicht zu überzeugen. Durch belastbare
tatsächliche Feststellungen ist diese Behauptung nicht belegt.
Dass Steuerpflichtige aus unteren Einkommensgruppen, die
Erträge aus von ihnen fremdfinanzierten Kapitalanlagen
erzielen oder andere Aufwendungen oberhalb des SparerPauschbetrags
zu tragen haben, eine zahlenmäßig in irgendeiner Form
bedeutsame Gruppe darstellen, ist nicht erkennbar. Dafür
spricht auch die vom BMF eingereichte und von den Beteiligten nicht
in Frage gestellte Auswertung des X-Instituts, nach der in den
Jahren 2002 bis 2008 in ca. 95 % aller Fälle die
tatsächlichen Werbungskosten der Steuerpflichtigen nicht
höher waren als der Sparer-Pauschbetrag. Und bei den
Steuerpflichtigen, welche in den Genuss der
Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG
gekommen sind, haben bei den unteren Einkommensgruppen (bis 30.000
EUR bei Zusammenveranlagung, bis 15.000 EUR bei Einzelveranlagung)
im Jahre 2008 99 % bzw. 98 % der Steuerpflichtigen mit
Einkünften aus Kapitalvermögen keine den
Sparer-Pauschbetrag übersteigenden Werbungskosten geltend
gemacht. Insgesamt bestätigen diese Zahlen, dass der
Gesetzgeber mit der Gewährung des Sparer-Pauschbetrags in
Höhe von 801 EUR eine verfassungsrechtlich grundsätzlich
anzuerkennende Typisierung der Werbungskosten bei den Beziehern
niedriger Kapitaleinkünfte sowie mit der Senkung des
Steuertarifs von bisher bis zu 45 % auf nunmehr 25 % zugleich eine
verfassungsrechtlich anzuerkennende Typisierung der Werbungskosten
bei den Beziehern höherer Kapitaleinkünfte vorgenommen
hat (vgl. dazu Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Freiburg 2011,
§ 20 n.F. Rz 44 f., m.w.N.; ebenso Schmidt/Weber-Grellet, 33.
Aufl., § 20 Rz 206; Senatsurteil in BFHE 246, 332, BStBl II
2014, 975 = SIS 14 27 73).
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Unabhängig davon lässt die
Vorinstanz außer Acht, dass bei Steuerpflichtigen aus unteren
Einkommensgruppen mit Einnahmen aus Kapitalvermögen und hohen
daraus resultierenden Werbungskosten die Aufwendungen i.d.R. auf
gezielten Gestaltungen beruhen, die bewusst in Kauf genommen worden
sind. Das gilt sowohl für den von der Vorinstanz als
verfassungsrechtlich problematisch erachteten Bereich der
„Fremdfinanzierungen bei Kleinanlegern“ als auch
für den Streitfall. So sind z.B. Wertpapierkredite gerade
für Kleinanleger schon deshalb schwierig zu erhalten, weil
diese i.d.R. trotz Verpfändung der kreditfinanzierten
Kapitalanlagen eine Nachschusspflicht des Kreditnehmers vorsehen,
wenn die Kapitalanlage bestimmte Wertgrenzen unterschreitet. Ob
Kleinanleger nach den Vorstellungen der kreditgewährenden Bank
überhaupt imstande sind, dieser Nachschusspflicht stets
nachzukommen, scheint zweifelhaft.
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6. Da die Vorentscheidung auf einer
abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache
ist spruchreif. Die Klage ist mit der sich ergebenden Kostenfolge
abzuweisen (§ 135 Abs. 1 FGO).
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