Betriebseröffnung, Sonderabschreibung nach § 7 g EStG ohne Ansparrücklage, Rechtsfortbildung: Ein Steuerpflichtiger kann die Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 1 EStG für im Jahr der Betriebseröffnung (2001) angeschaffte oder hergestellte begünstigte Wirtschaftsgüter auch dann in Anspruch nehmen, wenn er kein Existenzgründer i.S. von § 7 g Abs. 7 EStG ist und wenn er keine Ansparrücklage nach § 7 g Abs. 3 ff. EStG bilden konnte. Diesem Ergebnis steht § 7 g Abs. 2 Nr. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 (vgl. nunmehr: § 7g Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG i.d.F. des Kleinunternehmerförderungsgesetzes) nicht entgegen. - Urt.; BFH 17.5.2006, X R 43/03; SIS 06 27 06
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2001 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger (Ehemann)
erzielte in diesem Jahr u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus
einer Betriebsverpachtung. Außerdem eröffnete er im
Streitjahr einen weiteren Gewerbebetrieb mit dem Gegenstand
„Stromerzeugung“, für den er eine den Zeitraum vom
5. Dezember bis 31.12.2001 umfassende
Einnahmenüberschussrechnung erstellte. Diese weist einen
Verlust in Höhe von 23.023 DM aus, der zum Teil - in Höhe
von 11.009 DM - auf die Vornahme einer Sonderabschreibung von 20
v.H. auf die (Netto-)Anschaffungskosten einer in diesem Jahr
erworbenen Photovoltaikanlage zurückzuführen ist.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erkannte diese Sonderabschreibung in dem
angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2001 nicht an, weil der
Kläger die in § 7g Abs. 2 Nr. 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) geforderte Voraussetzung, dass der
Steuerpflichtige für die betreffende Investition zuvor eine
Ansparrücklage gebildet haben müsse, nicht erfüllt
habe.
Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch
erhobenen Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter. Das
Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (vgl. EFG 2004, 181 =
SIS 04 02 36).
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung des § 7g Abs. 2 Nr. 3 EStG. Es beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen
(sinngemäß), die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag
gestellt.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zutreffend hat das FG entschieden,
dass der Kläger die streitige Sonderabschreibung vornehmen
konnte.
1. In Übereinstimmung mit der vom FG
inzident vertretenen Auffassung geht der erkennende Senat mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass der Kläger
hinsichtlich seines im Streitjahr eröffneten Betriebes die
erforderliche Gewinnerzielungsabsicht hatte.
2. Nach § 7g Abs. 1 EStG in der für
das Streitjahr maßgeblichen Fassung, können bei neuen
beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens unter
den Voraussetzungen des Abs. 2 im Jahr der Anschaffung oder
Herstellung und in den vier folgenden Jahren neben den Absetzungen
für Abnutzung nach § 7 Abs. 1 oder 2 EStG
Sonderabschreibungen bis zu insgesamt 20 v.H. der Anschaffungs-
oder Herstellungskosten in Anspruch genommen werden. Diese
Sonderabschreibungen können nur dann vorgenommen werden, wenn
- neben weiteren, hier unstreitig vorliegenden Voraussetzungen -
„für die Anschaffung oder Herstellung eine
Rücklage nach den Absätzen 3 bis 7 gebildet worden
ist“ (§ 7g Abs. 2 Nr. 3 EStG, eingefügt durch
das Steuerentlastungsgesetz - StEntlG - 1999/2000/2002 vom
24.3.1999, BGBl I 1999, 402, erstmals anwendbar für nach dem
31.12.2000 angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter;
§ 52 Abs. 23 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002).
Unzweifelhaft erfüllte der Kläger
die letztgenannte Voraussetzung hinsichtlich der im Streitjahr 2001
angeschafften Photovoltaikanlage bei buchstabengetreuer Auslegung
des Gesetzes nicht. Jedoch hat das FG mit Recht darauf hingewiesen,
dass eine solche dem Wortlaut verhaftete Interpretation des §
7g Abs. 2 Nr. 3 EStG im Streitfall dem vom Gesetzgeber mit der
Steuervergünstigung des § 7g EStG verfolgten Zweck
zuwiderliefe.
a) § 7g EStG bezweckt, die Investitions-
und Innovationskraft kleiner und mittlerer Unternehmen zu
fördern sowie die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
hinsichtlich der Eigenkapitalausstattung und Liquidität dieser
Unternehmen zu verbessern (vgl. Begründung zum
Regierungsentwurf, BTDrucks 10/336, S. 13; ferner BTDrucks 11/285,
S. 48; BTDrucks 12/4487, S. 33 und 54; B. Meyer in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 7g EStG Anm. 3; Rosarius, Die
Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer - Inf
- 2003, 775). Diesem Ziel dienen sowohl die in § 7g Abs. 1
EStG vorgesehenen Sonderabschreibungen als auch die in § 7g
Abs. 3 bis 7 EStG normierten Ansparrücklagen. Gemäß
dieser Zwecksetzung des § 7g EStG erscheinen gerade
Unternehmensneugründungen in besonderem Maße
förderungswürdig, weil vornehmlich in der betrieblichen
Anlaufphase ein erhöhter Liquiditäts- und damit auch
Förderbedarf besteht (vgl. auch z.B. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21.7.1999 I R 57/98, BFHE 190, 103,
BStBl II 2001, 127 = SIS 00 01 36, unter B.I.3.b der Gründe,
bezogen auf „Existenzgründer“ arg. §
7g Abs. 7 EStG).
b) Vor diesem Hintergrund hat das FG
zutreffend hervorgehoben, dass es der vorstehend beschriebene Zweck
des § 7g Abs. 1 EStG gebietet, dem Kläger die im
Streitjahr vorgenommene Sonderabschreibung zu gewähren. Dem
steht § 7g Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht entgegen. Vielmehr ist
dessen - gemessen am dargelegten Sinn und Zweck der
Steuervergünstigung des § 7g Abs. 1 EStG - offenkundig zu
weit geratener Wortlaut (vgl. auch Schmidt/Drenseck, EStG, 25.
Aufl., § 7g Rz. 13; Dotzel, DStR 2003, 408, 409: vom
Gesetzgeber nicht beabsichtigte
„Gesetzeslücke“; Korn, Kölner
Steuerdialog - KÖSDI - 2003, 13889:
„unplanmäßige Gesetzeslücke“)
entgegen der vom FA und vom BMF vertretenen Ansicht im Wege der
teleologischen und verfassungskonformen Reduktion in der Weise
einzuschränken, dass er dann, wenn der Steuerpflichtige wie
vorliegend die geplante Investition bereits im Jahr der
Neugründung realisiert, keine Anwendung findet (ebenso
Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 7g Rz. 13).
aa) Mit der Einfügung des § 7g Abs.
2 Nr. 3 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 mit Wirkung ab
1.1.2001 bezweckte der Gesetzgeber, die Steuerpflichtigen dazu
anzuhalten, den durch die Vergünstigungsvorschrift des §
7g EStG eintretenden Steuerstundungseffekt so früh wie
möglich in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. Rosarius, Inf 2003,
775).
bb) Dieser Verhaltensempfehlung ist der
Kläger nachgekommen, weil er die ihm durch § 7g EStG
gebotenen Steuervergünstigungen zu dem für ihn
frühestmöglichen Zeitpunkt wahrgenommen hat. Dabei kann
und darf ihm, da von dem Steuerpflichtigen Unmögliches nicht
verlangt werden kann (vgl. hierzu auch die Interpretation des
§ 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 EStG durch das BFH-Urteil vom
25.4.2002 IV R 30/00, BFHE 199, 170, BStBl II 2004, 182 = SIS 02 09 52, unter 1.), nicht zum Nachteil gereichen, dass er die im Rahmen
der Neugründung seines Betriebes geplante Anschaffung der
wesentlichen Betriebsgrundlage in zügiger Weise noch im
Gründungsjahr 2001 tätigte mit der Folge, dass - mangels
Vorhandenseins eines der Anschaffung vorgelagerten
Wirtschaftsjahres - für eine Ansparrücklage und das
dadurch bewirkte „Vorziehen der Sonderabschreibung nach
§ 7g Abs. 1 EStG“ weder Raum noch ein Bedürfnis
bestand. Mit Recht hat das FG in diesem Zusammenhang darauf
hingewiesen, dass der vom Gesetzgeber mit der Sonderabschreibung
nach § 7g Abs. 1 EStG intendierte Zweck vereitelt würde,
wenn man dem Steuerpflichtigen in einem solchen Fall die in dieser
Norm vorgesehene Vergünstigung versagte. Für die
gegenteilige Auffassung des FA und des BMF lässt sich -
abgesehen von dem letztlich nicht durchschlagenden Wortlautargument
(vgl. dazu unten dd) - kein einleuchtender sachlicher Grund
finden.
cc) Zutreffend weisen die Kläger im
Anschluss an Schmidt/ Drenseck (a.a.O., § 7g Rz. 13) auch auf
die mit Blick auf das steuerliche Gleichbehandlungsgebot (Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - ) bestehenden
verfassungsrechtlichen Bedenken hin, denen § 7g Abs. 2 Nr. 3
EStG bei strenger Wortlautinterpretation ausgesetzt wäre. So
wäre es vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes
in der Tat nicht einsichtig, dem noch im Jahr der Neugründung
- im Dezember 2001 - investierenden Kläger die
Sonderabschreibung mangels Vorhandenseins eines vorausgehenden
Wirtschaftsjahres und damit wegen fehlender Möglichkeit der
Bildung einer Ansparrücklage zu versagen, wohingegen ein
Steuerpflichtiger, der unter sonst gleichen Umständen die
nämliche Anschaffung erst im Januar 2002 getätigt und
für das angeschaffte Wirtschaftsgut zum 31.12.2001 die dann
mögliche Ansparrücklage gebildet hat, die
Sonderabschreibung in Anspruch nehmen könnte. Auch würde
eine solche buchstabengetreue Interpretation des § 7g Abs. 2
Nr. 3 EStG zu einer am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht
haltbaren Benachteiligung des bereits im Jahr der
Betriebseröffnung investierenden Betriebsneugründers
gegenüber „alteingesessenen“ Betrieben
führen, die über die Möglichkeit der Bildung einer
Ansparrücklage verfügen; dies ungeachtet des Umstands,
dass gerade Neugründer - wie schon ausgeführt (oben a)
und wie auch der Gesetzgeber mit der allerdings auf sog.
Existenzgründer beschränkten erhöhten Förderung
nach § 7g Abs. 7 EStG dokumentiert hat - meist in gesteigertem
Maße auf die Steuervergünstigungen des § 7g EStG
angewiesen sind.
Somit legitimiert und erfordert das Gebot der
gleichheitskonformen und folgerichtigen Verwirklichung des
Normzwecks, § 7g Abs. 2 Nr. 3 EStG im Wege der
teleologisch-verfassungskonformen Reduktion auf die hier
befürwortete angemessene Aussage zurückzuführen.
dd) Der dagegen vom FA und vom BMF erhobene
methodologische Einwand, der Wortlaut des § 7g Abs. 2 Nr. 3
EStG sei zwingend, und über diesen - eindeutigen - Wortlaut
dürften sich die Normanwender und damit auch die Gerichte
nicht hinwegsetzen (vgl. auch Briese, DStZ 2003, 571, 572, rechte
Spalte unten f.), vermag nicht zu überzeugen. Er verkennt die
heute in ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und der Fachgerichte (vgl. z.B. die
Nachweise bei Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Tz. 355) und von der ganz
herrschenden Lehre befürwortete Befugnis und Verpflichtung der
Gerichte zur (ergänzenden) Rechtsfortbildung. Führt die
wortlautgetreue Auslegung des Gesetzes ausnahmsweise - wie für
den hier zu beurteilenden Sachverhalt nachgewiesen - zu einem
sinnwidrigen (und überdies verfassungswidrigen) Ergebnis,
besteht mithin eine Divergenz zwischen Gesetzeswortlaut und
Gesetzeszweck, sind die Gerichte nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. z.B. die Nachweise
bei Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz. 380)
sogar zu einer (gesetzeswortlaut-)abändernden
Rechtsfortbildung berufen. Als Instrumente werden hierbei die
teleologische Extension und die - im Streitfall einschlägige -
teleologische Reduktion (näher dazu z.B. Kruse/ Drüen in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz. 381 f.) verwendet. Dies ist im
Streitfall umso unbedenklicher, als es hier nicht etwa um die
Schaffung neuer oder die Ausweitung bestehender
Steuertatbestände, sondern um die rechtsfortbildende
Interpretation einer Steuervergünstigungsnorm geht (zur
Kontroverse über das Verbot der Rechtsfortbildung im Bereich
steuerbegründender Tatbestände vgl. z.B. Kruse/Drüen
in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz. 360 ff., 364).
ee) Für letztlich ebenso wenig
durchgreifend erachtet der erkennende Senat das Argument der
Revision sowie des BMF, dass der Gesetzgeber mit dem durch das
Kleinunternehmerförderungsgesetz vom 31.7.2003 (BGBl I 2003,
1550) mit Wirkung ab 1.1.2003 in § 7g Abs. 2 Nr. 3 EStG
eingefügten Satz 2, wonach nur
„Existenzgründer“ i.S. von § 7g Abs. 7
EStG von dem in § 7g Abs. 2 Nr. 3 (Satz 1) EStG statuierten
Erfordernis der vorherigen Rücklagenbildung ausgenommen worden
seien, zum Ausdruck gebracht habe, dass für andere
Betriebsgründer eine solche Ausnahme nicht gelten solle und
auch vor der Einfügung des § 7g Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG
durch das Kleinunternehmerförderungsgesetz nicht gegolten
habe. Denn aus den Materialen zur Einfügung des § 7g Abs.
2 Nr. 3 Satz 2 EStG i.d.F. des
Kleinunternehmerförderungsgesetzes (vgl. BTDrucks 15/1042, S.
11) können zuverlässige Rückschlüsse auf einen
dahin gehenden - bereits im Streitjahr 2001 vorhandenen und, wie
dargelegt, dem allgemeinen Förderzweck des § 7g EStG
sowie dem Gleichheitssatz zuwiderlaufenden - (verobjektivierten)
Willen des Gesetzgebers nicht gezogen werden, zumal sie offen
lassen, ob der Neuregelung lediglich deklaratorischer
(klarstellender) oder konstitutiver Charakter zukommen soll. Auch
liefern sie keine Erklärung dafür, warum andere
Unternehmensgründer als Existenzgründer von der
„Nachbesserung“ ausgenommen werden sollen.
Dessen ungeachtet kann der Senat offen lassen, wie der vorliegende
Sachverhalt zu beurteilen wäre, wenn er sich im zeitlichen
Geltungsbereich des Kleinunternehmerförderungsgesetzes
ereignet hätte. Denn - wie dargelegt - hat die durch das
Kleinunternehmerförderungsgesetz mit Wirkung ab 2003
eingefügte Regelung des § 7g Abs. 2 Nr. 3 Satz 2
EStG auf die rechtliche Beurteilung des Streitfalles keinen
Einfluss.