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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Autohof, in
dessen Gastronomiebereich die vom Streitfall betroffenen
Arbeitnehmer in wechselnden Schichten rund um die Uhr
beschäftigt waren. Nach den insoweit gleich gestalteten
Arbeitsverträgen sollten die Arbeitnehmer neben einem
Basisgrundlohn „die aus ihrer Arbeitszeit resultierenden
möglichen SFN-Zuschläge nach EStG.3b als Teillohn des
vereinbarten durchschnittlichen Effektivlohns pro Stunde für
tatsächlich geleistete Arbeitsstunden“ erhalten. Unter
dem „durchschnittlichen Effektivlohn“ verstanden die
Vertragsparteien den Auszahlungsbetrag pro Stunde, der sich nach
Abzug der nach den persönlichen Besteuerungsmerkmalen
ermittelten steuerrechtlichen Abzüge und der Sozialabgaben vom
Bruttolohn ergab. Der Auszahlungsbetrag, der auch „alle
einzelrelevanten Löhne, wie etwa Urlaubs- und
Weihnachtsgeld“ enthalten sollte, wurde in fester Höhe
vereinbart. Für den Fall, dass sich aufgrund der
Arbeitszeitplanung ein geringerer durchschnittlicher
Auszahlungsbetrag als der vereinbarte ergäbe, sollte für
den betreffenden Abrechnungsmonat der Basisgrundlohn um eine sog.
„Grundlohnergänzung“ so erhöht werden, dass
sich hieraus der vereinbarte durchschnittliche Auszahlungsbetrag
pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde errechnete. Wurde
mit der Summe aus Basisgrundlohn, Urlaubs-, Weihnachtsgeld, dem
Arbeitgeberzuschuss zu den vermögenswirksamen Leistungen und
„SFN-Zuschlägen“ (= Zuschläge für
Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit) der durchschnittliche
Auszahlungsbetrag bereits erreicht, war eine
Grundlohnergänzung nicht zu gewähren. Auf der Grundlage
der getroffenen Vereinbarungen setzte sich der durchschnittliche
Auszahlungsbetrag im Regelfall wie folgt zusammen:
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Basisgrundlohn
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+ anteiliges Urlaubs- und
Weihnachtsgeld
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+ Arbeitgeberzuschuss VWL
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+ Grundlohnergänzung
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= Grundlohn
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- Steuerrechtliche Abzüge
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- Sozialabgaben
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= Nettolohn
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+ SFN-Zuschläge
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= Durchschnittlicher
Auszahlungsbetrag
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Ziel der getroffenen
Vergütungsvereinbarungen war es, den in fester Höhe
vereinbarten durchschnittlichen Auszahlungsbetrag zu erreichen. Mit
dieser Regelung wollte die Klägerin Lohnschwankungen
ausgleichen, die sich sonst aufgrund unterschiedlicher
Arbeitszeitplanung ergeben hätten. Zur Berechnung der
Lohnbestandteile bediente sich die Klägerin der
Abrechnungssoftware „X“ der Y GmbH.
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Die Klägerin hat für die
„SFN-Zuschläge“ keine Lohnsteuer einbehalten und
abgeführt, da nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen der
Steuerfreiheit nach § 3b des Einkommensteuergesetzes (EStG)
vorlagen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -
) ging nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung hingegen von
der Steuerpflicht der Zuschläge aus und nahm die Klägerin
in Haftung.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(EFG 2010, 127 = SIS 09 38 51).
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Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG Baden-Württemberg 9 K 260/06 vom 21.9.2009, die
Einspruchsentscheidung und die Haftungsbescheide
aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sind die gezahlten
Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit
gemäß § 3b EStG steuerfrei.
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Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der
Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3
Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung
des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 EStG abzuführen hat. Die Zuschläge für
Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit führten nicht zu
steuerpflichtigem Arbeitslohn. Deshalb war die Klägerin nicht
verpflichtet, insoweit Lohnsteuer einzubehalten.
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a) Nach § 3b Abs. 1 EStG i.d.F. der
Streitjahre sind neben dem Grundlohn gewährte Zuschläge
nur dann steuerfrei, wenn sie für tatsächlich geleistete
Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden. Nach Abs. 2
Satz 1 dieser Vorschrift ist Grundlohn der laufende Arbeitslohn,
der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden
regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen
Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn
umzurechnen. Die Frage nach der rechtssystematischen Bedeutung der
Befreiungsvorschrift, die teilweise als rechtspolitisch verfehlt
bezeichnet wird (Tipke, FR 2006, 949; von Beckerath in Kirchhof,
EStG, 9. Aufl., § 3b Rz 2; Moritz in Herrmann/Heuer/Raupach -
HHR -, § 3b EStG Rz 4 ff.), kann nicht einheitlich beantwortet
werden (s. im Einzelnen, Tipke, FR 2006, 949). Der Bundesfinanzhof
(BFH) sieht den Zweck der Vorschrift vorrangig darin, dem
Arbeitnehmer einen finanziellen Ausgleich für die besonderen
Erschwernisse und Belastungen zu gewähren, die mit Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit verbunden sind (BFH-Urteil vom
22.10.2009 VI R 16/08, BFH/NV 2010, 201 = SIS 10 01 41, m.w.N.).
Ähnlich hat auch das Bundesverfassungsgericht argumentiert,
das in der Steuerbefreiung einen Ausgleich und eine Erleichterung
dafür sieht, dass die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit
den biologischen und kulturellen Lebensrhythmus stört
(Beschluss vom 2.5.1978 1 BvR 174/78, HFR 1978, Nr. 449).
Andererseits sollen auch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische
Gründe eine Rolle spielen (BTDrucks 7/419, 16; BFH-Urteil vom
21.5.1987 IV R 339/84, BFHE 150, 32, BStBl II 1987, 625 = SIS 87 16 41; Blümich/Erhard, § 3b EStG Rz 5; von Beckerath, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3b Rz A118 mit Hinweis
auf BTDrucks V/2423, 57 und 10/3821, 247). Zudem wird die
Vorschrift als Regelung zur Unterstützung im allgemeinen
Interesse liegender Tätigkeiten beurteilt (vgl. im Einzelnen
Tipke, FR 2006, 949, m.w.N; von Beckerath, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3b Rz A123 ff.).
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b) Voraussetzung für die Steuerbefreiung
ist u.a., dass die Zuschläge neben dem Grundlohn geleistet
werden; sie dürfen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung
für die gesamte, auch an Sonn- und Feiertagen oder nachts
geleistete Tätigkeit sein (HHR/Moritz, § 3b EStG Rz 21).
Insoweit ist es unmaßgeblich, ob die Beteiligten eine Brutto-
oder Nettolohnvereinbarung getroffen haben. Die Steuerbefreiung
tritt zudem nur ein, wenn die neben dem Grundlohn gewährten
Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-,
Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind (BFH-Urteil in
BFH/NV 2010, 201 = SIS 10 01 41).
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aa) § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG definiert
Grundlohn als laufenden Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der
für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit
für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht. Der laufende
Arbeitslohn ist, wie sich aus § 39b EStG ergibt (s. auch R 30
Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR -
), von sonstigen Bezügen abzugrenzen. Laufender Arbeitslohn
ist das dem Arbeitnehmer regelmäßig zufließende
Arbeitsentgelt (Monatsgehalt, Wochen- oder Tageslohn,
Überstundenvergütung, laufend gezahlte Zulagen oder
Zuschläge und geldwerte Vorteile aus regelmäßigen
Sachbezügen). Der laufende Arbeitslohn kann der Höhe nach
schwanken (Schmidt/Drenseck, EStG, 29. Aufl., § 39b Rz 2;
HHR/Tillmann, § 39a EStG Rz 17; s. aber R 30 Abs. 2 Satz 2
LStR). Kein laufender Bezug und damit ein sonstiger Bezug sind
einmalig zugewendete Bezüge wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld,
Jubiläumszuwendungen, Gratifikationen und das 13. Monatsgehalt
(Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 39b Rz 3; von Beckerath, in:
Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3b Rz B5).
Regelmäßige Arbeitszeit ist die für das jeweilige
Arbeitsverhältnis vereinbarte Normalarbeitszeit (BFH-Urteil
vom 7.7.2007 IX R 81/98, BFHE 210, 503, BStBl II 2005, 888 = SIS 05 47 56).
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bb) Im Streitfall wurden die Zuschläge
neben dem Grundlohn für tatsächlich geleistete Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit gezahlt und überstiegen nicht den
nach § 3b EStG höchsten steuerfrei anwendbaren
v.H.-Satz.
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Nach den Feststellungen des FG ist die
Grundlohnergänzung Teil des Grundlohns. Der Grundlohn i.S. von
§ 3b Abs. 2 Satz 1 EStG besteht somit aus dem feststehenden
Basisgrundlohn und der variablen Grundlohnergänzung (s. dazu R
30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. Nr. 3 Satz 1 LStR). Daneben
hat die Klägerin Zuschläge für tatsächlich
geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit mit den
gesetzlichen Höchstsätzen gezahlt. Die Zuschläge
waren nicht Teil der einheitlichen Entlohnung. Nach den
Arbeitsverträgen haben die Arbeitnehmer neben dem Anspruch auf
Basisgrundlohn und Ergänzungslohn Anspruch auf die Sonntags-,
Feiertags- und Nachtzuschläge. Auch wenn diese Zuschläge
durch die Grundlohnergänzung beeinflusst werden, handelt es
sich weder um ein schädliches Herausrechnen von
Zuschlägen aus einem Gesamtbruttolohn (s. dazu etwa
BFH-Entscheidungen vom 29.3.2000 VI B 399/98, BFH/NV 2000, 1093 =
SIS 00 11 28; vom 28.11.1990 VI R 144/87, BFHE 163, 79, BStBl II
1991, 296 = SIS 91 06 40), noch können deshalb die
Zuschläge als pauschale Abschlagszahlungen qualifiziert
werden. Die Vereinbarung eines durchschnittlichen Effektivlohns hat
zwar zur Folge, dass sich ein immer gleichbleibender
Auszahlungsbetrag pro Stunde ergibt. Das bedeutet jedoch nicht,
dass die Zuschläge ohne Rücksicht auf tatsächlich
geleistete Arbeitsstunden berechnet würden. Vielmehr dient der
durchschnittliche Auszahlungsbetrag lediglich als rechnerische
Größe zur Ermittlung des Lohnzusatzes. Die vom Gesetz
verlangte Trennung von Grundlohn und Zuschlägen wird nicht
deshalb aufgehoben, weil der Grundlohnergänzungsbetrag
variabel gestaltet ist. Wie dargestellt, unterscheidet sich der
sonstige Bezug vom laufenden Arbeitslohn durch die Einmaligkeit des
Bezugs. Es ist jedoch nicht Merkmal des laufenden Arbeitslohns,
dass dieser jeweils feststeht. Er kann vielmehr der Höhe nach
schwanken.
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c) Entgegen der Auffassung des FG ist §
3b EStG nicht über den Wortlaut hinaus dahin auszulegen, dass
die Vorschrift nur zur Anwendung kommt, wenn ein von Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit nicht beeinflusster Grundlohn vorliegt.
Die Auslegung eines Gesetzes gegen den Wortlaut ist nur
ausnahmsweise möglich, wenn nämlich die wortgetreue
Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom
Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (s. etwa BFH-Urteile vom
1.8.1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12 = SIS 75 00 07; vom 7.4.1992 VIII R 79/88, BFHE 168, 111, BStBl II 1992, 786 =
SIS 92 19 04; vom 17.2.1994 VIII R 30/92, BFHE 175, 226, BStBl II
1994, 938 = SIS 94 22 43; vom 12.8.1997 VII R 107/96, BFHE 184,
198, BStBl II 1998, 131 = SIS 98 03 77; vom 17.1.1995 IX R 37/91,
BFHE 177, 58, BStBl II 1995, 410 = SIS 95 10 06; vom 17.5.2006 X R
43/03, BFHE 213, 494, BStBl II 2006, 868 = SIS 06 27 06; Drüen
in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO
Rz 380). Davon kann hier keine Rede sein. Nach Auffassung des
Senats stimmt der Wortlaut des § 3b EStG mit dem Gesetzeszweck
überein (BFH-Beschluss vom 27.5.2009 VI B 69/08, BFHE 225,
137, BStBl II 2009, 730 = SIS 09 20 84; zum Gesetzeszweck s. auch
unter 1.a). Im Übrigen ist der Umstand, dass die
Steuerbefreiung nicht den Arbeitnehmern zugute kommt, sondern, wie
das FG annimmt, nur dem Arbeitgeber, kein sinnwidriges Ergebnis.
Denn die Steuerbefreiung verringert regelmäßig auch den
Mittelaufwand des Arbeitgebers und subventioniert und
begünstigt damit auch diesen (vgl. im Einzelnen HHR/Moritz,
§ 3b EStG Rz 6, m.w.N.; von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/
Mellinghoff, EStG, § 3b Rz A 123 ff.; A 241, A 261; ders. in
Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 3b Rz 1). Zudem zielt das von der
Klägerin angewandte Verfahren - jedenfalls nach ihrem Vortrag
- darauf ab, Lohnschwankungen auszugleichen oder solchen
vorzubeugen, was im Interesse der Arbeitnehmer liegt. Aus eben
diesem Grund lässt die Finanzverwaltung pauschale
Abschlagszahlungen zu (R 30 Abs. 7 LStR).
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Das streitige Vergütungssystem - konkret
die Variabilisierung der Grundlohnergänzung - entspricht
§ 3b EStG. Es handelt sich um eine zulässige
Gestaltungsform in Ausnutzung der rechtlichen Möglichkeiten.
Die Beteiligten haben es - bis an die Grenze des
Gestaltungsmissbrauchs - in der Hand, durch vertragliche
Vereinbarung von einer gesetzlich zulässigen Steuerbefreiung
in möglichst hohem Maße Gebrauch zu machen (von
Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3b Rz A
251; s. auch BFH-Urteil vom 31.10.1986 VI R 52/81, BFHE 148, 54,
BStBl II 1987, 139 = SIS 87 04 31).
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