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Antrag auf Anwendung der tariflichen Einkommensteuer (Günstigerprüfung) nach § 32 d Abs. 6 EStG

Antrag auf Anwendung der tariflichen Einkommensteuer (Günstigerprüfung) nach § 32 d Abs. 6 EStG: 1. Der zeitlich unbefristete Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32 d Abs. 6 EStG kann nach der Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheids nur dann zu einer Änderung der Einkommensteuerfestsetzung führen, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt sind. - 2. Führt die Günstigerprüfung nach § 32 d Abs. 6 EStG insgesamt zu einer niedrigeren Einkommensteuer, kommt eine Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nur dann in Betracht, wenn den Steuerpflichtigen an dem nachträglichen Bekanntwerden der abgegolten besteuerten Kapitaleinkünfte kein grobes Verschulden trifft. - 3. Weder der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32 d Abs. 6 EStG noch die Vorlage einer Steuerbescheinigung sind ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. - Urt.; BFH 12.5.2015, VIII R 14/13; SIS 15 19 51

Kapitel:
Verschiedenes > Aufhebung, Änderung, Berichtigung
Fundstellen
  1. BFH 12.05.2015, VIII R 14/13
    BStBl 2015 II S. 806
    DStR 2015 S. 2061

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 2.10.2015
    H.J.P. in BFH/PR 11/2015 S. 371
    F.W. in HFR 11/2015 S. 1036
    B. Kaminski in Stbg 2/2016 S. M 8
Normen
[EStG] § 32 d Abs. 6, § 43 Abs. 5
[AO 1977] § 173, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 175 Abs. 2 Satz 2
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 23.05.2012, SIS 13 13 45, Günstigerprüfung, Bestandskraft, Frist, Änderungsvorschrift
Zitiert in... / geändert durch...
  • BMF 5.2.2024, SIS 24 03 20, Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO): Der AEAO wurde in zahlreichen Punkten geändert...
  • BFH 26.9.2023, SIS 23 18 85, Antrag auf Günstigerprüfung als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO: 1. Die ...
  • FG Nürnberg 20.7.2023, SIS 23 13 35, Nachträglich rückwirkende Anlaufhemmung bei erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellten Antr...
  • Hessisches FG 9.11.2022, SIS 23 10 88, Kapitalertrag durch vergleichsweise vereinbarten Nutzungsersatz bei Rückabwicklung eines widerrufenen Dar...
  • BMF 19.5.2022, SIS 22 08 12, Einzelfragen zur Abgeltungsteuer, Neuveröffentlichung des BMF-Schreibens: Das Bundesfinanzministerium hat...
  • Niedersächsisches FG 6.4.2022, SIS 22 10 85, Stellung eines Antrags nach § 32 c EStG nur bis zur Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheides: Ein e...
  • BFH 25.3.2021, SIS 21 11 12, Zur Berücksichtigung nacherklärter Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 173 Abs. 1 AO im Rahmen einer Gü...
  • FG Münster 17.12.2020, SIS 21 00 94, Schwankende Vergütung an den Gesellschafter-Geschäftsführer als vGA: Eine monatlich stark schwankende Ver...
  • FG Köln 16.12.2020, SIS 21 08 60, Beweislast bzgl. der Wirksamkeit einer Einspruchsrücknahme und zur Bestimmung des Empfängers einer gegenü...
  • FG Düsseldorf 16.7.2020, SIS 21 16 09, Abgeltungssteuer, Antrag auf Günstigerprüfung nach Bestandskraft, Erfordernis einer Rechtsgrundlage für d...
  • BFH 14.7.2020, SIS 20 15 23, Erstmaliger Eintritt der Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag auf Günstigerprüfung nach Eintrit...
  • FG Berlin-Brandenburg 30.1.2020, SIS 19 21 87, Nacherklärte Kapitalerträge: 1. Nacherklärte Kapitalerträge sowie die vom Gläubiger der Kapitalerträge da...
  • BFH 21.8.2019, SIS 19 19 17, Nachträgliche Wahl der Antragsveranlagung nach § 32 d Abs. 4 EStG, Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids:...
  • OFD Frankfurt 1.2.2019, SIS 19 02 08, Einzelfragen zur Abgeltungsteuer: Fortgeschriebene Fassung des BMF-Schreibens zu Einzelfragen zur Abgeltu...
  • OFD Frankfurt 16.4.2018, SIS 18 06 72, Einzelfragen zur Abgeltungsteuer: Fortgeschriebene Fassung des BMF-Schreibens zu Einzelfragen zur Abgeltu...
  • FG München 27.10.2017, SIS 18 01 69, Geänderte Wahlrechtsausübung berechtigt für sich genommen nicht zur Änderung eines unanfechtbaren Beschei...
  • Niedersächsisches FG 17.5.2017, SIS 18 11 31, Änderung bestandskräftiger ESt-Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 a AO aufgrund nacherklärter Kapitaleinkü...
  • FG Köln 30.3.2017, SIS 17 17 78, Antrag auf Günstigerprüfung: Ein Antrag nach § 32 d Abs. 4 EStG kann nachträglich gestellt werden, wenn e...
  • BFH 26.10.2016, SIS 17 01 66, Keine Berichtigungsmöglichkeit bei fehlerhafter Eintragung von Beiträgen an Versorgungswerke: 1. Wird ein...
  • FG Baden-Württemberg 6.10.2016, SIS 16 26 77, Offenbare Unrichtigkeit bei der Erstellung einer Einkommensteuererklärung, Klageerweiterung, Rücknahme de...
  • FinMin Nordrhein-Westfalen 11.8.2016, SIS 16 23 99, Änderung, nachträgliche Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen: Das Finanzministerium des Landes No...
  • BFH 9.8.2016, SIS 16 24 86, Verrechnung von dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Veräußerungsverlusten nach Einführung der Abgel...
  • OFD Frankfurt 17.6.2016, SIS 16 14 48, Einzelfragen zur Abgeltungsteuer: Fortgeschriebene Fassung des BMF-Schreibens zur Anwendung der gesetzlic...
  • BFH 10.5.2016, SIS 16 25 59, Änderung des Bescheids über die Feststellung des verbleibenden Großspendenvortrags aufgrund neuer Tatsach...
  • BMF 26.1.2016, SIS 16 01 06, AEAO, Änderungen Januar 2016: Der Anwendungserlass der Abgabenordnung vom 31.1.2014 (BStBl 2014 I S. 290 ...
  • BMF 18.1.2016, SIS 16 02 36, Einzelfragen zur Abgeltungsteuer, Neuveröffentlichung des BMF-Schreibens: Das Bundesfinanzministerium hat...
  • BFH 28.7.2015, SIS 15 21 52, Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32 d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG: 1. Der A...
Anmerkung RiBFH Prof. Brandt

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23.5.2012 2 K 250/11 = SIS 13 13 45 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

 

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr 2010 Kapitalerträge i.S. des § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Schuldnerin der Kapitalerträge wies in der von ihr erstellten Steuerbescheinigung Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.523,72 EUR sowie einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer in Höhe von 380,93 EUR zzgl. 20,95 EUR Solidaritätszuschlag aus. Den Sparer-Pauschbetrag nahm die Klägerin nicht in Anspruch. In der von einem Steuerberater gefertigten Einkommensteuererklärung für 2010 erklärte sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus einer Leibrente. Zu den erzielten Kapitaleinkünften machte sie keine Angaben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer 2010 erklärungsgemäß in Höhe von 0 EUR fest. Die Veranlagung erfolgte - abgesehen von das vorliegende Verfahren nicht betreffenden programmierten Vorläufigkeitsgründen - endgültig.

 

 

2

Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 beantragte die Klägerin unter Vorlage der Steuerbescheinigung über die von ihr erzielten Kapitalerträge sowie die anrechenbaren Abzugsbeträge die sog. Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Das FA lehnte eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids und eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuerschuld ab. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 23.5.2012 2 K 250/11 abgewiesen.

 

 

3

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Revision vor, der Antrag auf Günstigerprüfung sei unbefristet und könne auch nach der Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung gestellt werden. Entgegen der Auffassung des FG sei Rechtsgrundlage für eine Korrektur des Bescheids § 173 Abs. 1 Nr. 1 und nicht Nr. 2 der Abgabenordnung (AO), da die Änderung zu einer höheren Steuer führe. Die Anrechnung der Kapitalertragsteuer dürfe bei der Frage, ob die dem FA erst nachträglich bekannt gewordenen Kapitaleinkünfte zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führten, nicht berücksichtigt werden, da Festsetzungs- und Erhebungsverfahren getrennt zu betrachten seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16.3.1990 VI R 90/86 (BFHE 160, 213, BStBl II 1990, 610 = SIS 90 14 60), dem eine mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Nettolohnvereinbarung zugrunde gelegen habe.

 

 

4

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Vorinstanz, der Einspruchsentscheidung vom 24.8.2011 und des Ablehnungsbescheids vom 10.6.2011 das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 3.3.2011 dahingehend zu ändern, dass bei der Festsetzung der tariflichen Einkommensteuer die bisher nicht erklärten Kapitalerträge in Höhe von 1.523 EUR berücksichtigt werden.

 

 

5

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

 

6

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Klägerin beantragte Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG zu keiner Änderung des unanfechtbaren Einkommensteuerbescheids für 2010 führt. Zwar ist der Antrag unbefristet. Jedoch liegen die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 175 Abs. 1 AO nicht vor.

 

 

7

1. Der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ist unbefristet, so dass er von der Klägerin auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung gestellt werden konnte.

 

 

8

a) Dem Wortlaut des § 32d Abs. 6 EStG lässt sich eine Befristung der Antragstellung nicht entnehmen. Während bei den Antragsrechten gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 und Abs. 4 EStG im Gesetz ausdrücklich angeordnet wurde, dass der Antrag spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu stellen ist, findet sich eine derartige Einschränkung bei Abs. 6 der Regelung nicht. Zudem schließt dieser die Anwendung des Abs. 4 ausdrücklich aus.

 

 

9

b) Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Zwar sollte nach der Begründung zum Gesetzentwurf (BTDrucks 16/4841, S. 62) der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeit im Rahmen seiner Veranlagung geltend machen. Diese zeitliche Begrenzung ist jedoch in § 32d Abs. 6 EStG, anders als in Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 der Vorschrift, nicht Gesetz geworden.

 

 

10

c) Danach handelt es sich bei dem Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG um ein unbefristetes Wahlrecht, das bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden kann (so auch Koss in Korn, § 32d EStG Rz 109; Oellerich in Bordewin/Brandt, § 32d EStG Rz 121; Hechtner, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - 2011, 1769, 1770 f.; Sikorski, NWB 2011, 1064, 1067; a.A. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 34. Aufl., § 32d Rz 22; Blümich/Werth, § 32d EStG Rz 161; Baumgärtel/ Lange in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 85; Harenberg/ Zöller, Abgeltungsteuer 2011, 3. Aufl., S. 137; Steinlein/ Storg/Tischbein, Die Abgeltungsteuer in der Praxis, Rz 190; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.12.2009 IV C 1-S 2252/08/10004, BStBl I 2010, 94 = SIS 09 37 93, und vom 9.10.2012 IV C 1-S 2252/10/10013, BStBl I 2012, 953 = SIS 12 30 48, jeweils Rz 149).

 

 

11

2. Allerdings führt der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG nur dann dazu, dass die bislang gemäß §§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG abgegolten besteuerten Kapitaleinkünfte den Einkünften i.S. des § 2 EStG hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheids vorliegen. Insoweit ergibt sich eine zeitliche Begrenzung der Wahlrechtsausübung aus dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Institut der Bestandskraft. Könnten antragsgebundene Vergünstigungen des EStG ohne weiteres nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung geltend gemacht werden, liefe dies auf eine Aushöhlung der Vorschriften der AO über die Korrektur von Steuerbescheiden hinaus (BFH-Urteile vom 28.9.1984 VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117 = SIS 84 21 34; vom 21.7.1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960 = SIS 89 21 56; vom 24.3.1998 I R 20/94, BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272 = SIS 98 13 24; vom 30.8.2001 IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49 = SIS 02 02 45).

 

 

12

3. Die Regelung des § 32d Abs. 6 EStG selbst ist keine Rechtsgrundlage für eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung. Sie soll nicht zur Korrektur einer rechtswidrigen Einkommensteuerfestsetzung führen, sondern ist als Billigkeitsmaßnahme zu verstehen, mit der Steuerpflichtige, deren Steuersatz noch niedriger als 25 % liegt, eine weitere Begünstigung erfahren (Senatsurteil vom 28.1.2015 VIII R 13/13, BFHE 249, 125, BStBl II 2015, 393 = SIS 15 04 10).

 

 

13

4. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für eine Korrektur der Einkommensteuerfestsetzung § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO einschlägig ist, eine Änderung jedoch aufgrund des groben Verschuldens der Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der Kapitaleinkünfte ausgeschlossen ist.

 

 

14

a) Steuerbescheide sind nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Dabei steht nach ständiger Rechtsprechung des BFH die erstmalige Ausübung eines nicht fristgebundenen steuerlichen Wahlrechts nach Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht entgegen (BFH-Urteile in BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117 = SIS 84 21 34; in BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960 = SIS 89 21 56).

 

 

15

b) Tatsache im Sinne dieser Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteil vom 30.10.2003 III R 24/02, BFHE 204, 10, BStBl II 2004, 394 = SIS 04 09 27, m.w.N.). Der nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Festsetzung gestellte Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ist als Verfahrenshandlung keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache, wohl aber der der Steuervergünstigung zugrunde liegende Sachverhalt, der zu einer Änderung der Einkommensteuerfestsetzung führen kann (vgl. BFH-Urteile in BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117 = SIS 84 21 34; in BFHE 204, 10, BStBl II 2004, 394 = SIS 04 09 27). Dies ist im vorliegenden Fall die dem FA erst nach der Einkommensteuerfestsetzung bekannt gewordene Tatsache, dass die Klägerin Kapitaleinkünfte erzielt hat, die nach § 32d Abs. 1 EStG dem Abgeltungsteuersatz unterlegen haben. Diese Tatsache ist auch rechtserheblich, weil die Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117 = SIS 84 21 34).

 

 

16

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin führen diese nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen zu einer niedrigeren Steuer, so dass für eine Korrektur die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sein müssen.

 

 

17

aa) Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG. Danach werden auf Antrag des Steuerpflichtigen die nach § 20 EStG ermittelten Einkünfte nur dann nicht der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 EStG, sondern den Einkünften i.S. des § 2 EStG hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer nach § 32a EStG unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer einschließlich der Zuschlagsteuern führt. Das Gesetz ordnet danach für die Günstigerprüfung eine Gesamtbetrachtung an, die auch hinsichtlich der Frage, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Kapitaleinkünften nach § 173 Abs. 1 AO zu einer höheren (Nr. 1) oder niedrigeren Steuer (Nr. 2) führt, nicht unberücksichtigt bleiben kann. Vergleichsmaßstab für eine Korrektur nach § 173 AO ist aufgrund der Besonderheiten, die mit der Einführung des gesonderten Tarifs für Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG als Schedule verbunden sind, in diesem Fall nicht allein die im zu ändernden Einkommensteuerbescheid festgesetzte Steuer. Zu berücksichtigen ist nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG vielmehr auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene Einkommensteuer.

 

 

18

bb) Bei der danach anzustellenden Gesamtbetrachtung führen die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen im vorliegenden Fall zu einer insgesamt niedrigeren Steuer. Bisher waren bei der Einkommensteuerfestsetzung nur die von der Klägerin erklärten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und aus einer Leibrente erfasst worden und die Kapitaleinkünfte mit dem gesonderten Steuersatz des § 32d Abs. 1 EStG in Höhe von 25 % abgegolten besteuert worden. Dies ergibt in der Summe eine höhere Einkommensteuer als bei der Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu den tariflich besteuerten Einkünften nach §§ 2, 32a EStG, da der progressive Steuersatz der Klägerin im Streitjahr unter 25 % lag. Auf die Frage, ob - wie vom FG angenommen - aufgrund der Verklammerung von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren durch § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG in den Vergleich auch anzurechnende Abzugsbeträge einzubeziehen sind (so BFH-Urteil in BFHE 160, 213, BStBl II 1990, 610 = SIS 90 14 60; vgl. auch Senatsurteil vom 7.5.2013 VIII R 17/09, BFH/NV 2013, 1581 = SIS 13 25 24), kommt es nicht an.

 

 

19

d) Voraussetzung für eine Korrektur der Einkommensteuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist, dass die Klägerin kein grobes Verschulden daran trifft, dass dem FA die erzielten Kapitaleinkünfte erst nach der Einkommensteuerfestsetzung bekannt geworden sind. Dies hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint.

 

 

20

aa) Grobes Verschulden im Sinne der maßgeblichen Vorschrift setzt Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit voraus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße verletzt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Die hierzu vom FG aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen vorgenommene Würdigung darf - abgesehen von zulässigen oder begründeten Verfahrensrügen - in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff des Vorsatzes bzw. der groben Fahrlässigkeit richtig erkannt worden ist und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 8.12.1998 IX R 14/97, BFH/NV 1999, 743 = SIS 98 57 08, m.w.N.).

 

 

21

bb) Danach ist die Beurteilung des FG, die Klägerin treffe grobes Verschulden, nicht zu beanstanden. Da die Steuerbescheinigung bereits vor der Abgabe der Einkommensteuererklärung vorlag, hätte die Klägerin den mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung beauftragten Steuerberater über die erzielten Kapitaleinkünfte unterrichten müssen. Sollte sie dies getan haben, wäre dessen schuldhafte Verletzung der Pflicht, dem FA diese Tatsache vor der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung mitzuteilen, der Klägerin wie eigenes Verschulden zuzurechnen (vgl. BFH-Urteile vom 9.11.2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545 = SIS 12 06 57; vom 9.5.2012 I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl II 2013, 566 = SIS 12 22 08).

 

 

22

5. Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung kommt auch nicht wegen eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht.

 

 

23

a) Danach kann ein Steuerbescheid geändert werden, wenn ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob ein Ereignis ausnahmsweise steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.7.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33, unter C.II.1.c, m.w.N.). Es muss ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen (BFH-Urteil vom 12.7.1989 X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 = SIS 89 21 04, unter 1.a). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

 

 

24

b) Allein die Vorlage der Steuerbescheinigung über die erzielten Kapitaleinkünfte ist kein rückwirkendes Ereignis im Sinne der Vorschrift. Dies wird durch § 175 Abs. 2 Satz 2 AO ausdrücklich angeordnet. Auch der Antrag auf Günstigerprüfung nach Eintritt der Bestandskraft ist kein rückwirkendes Ereignis. Da die Voraussetzungen für eine Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft vorlagen, besteht kein Bedürfnis, den erst nach Eintritt der Bestandskraft gestellten Antrag zurückwirken zu lassen (vgl. BFH-Urteil vom 20.8.2014 X R 33/12, BFHE 247, 105, BStBl II 2015, 138 = SIS 14 32 08).

 

 

25

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

 

Anmerkung RiBFH Prof. Brandt

Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass § 32 d EStG für den Antrag nach § 32 d Abs. 6 EStG – anders als die Regelungen in Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4 der Vorschrift – keine Fristbestimmung enthält und folglich ein Antrag auf Günstigerprüfung grundsätzlich bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung möglich wäre.

Die Entscheidung macht aber deutlich, dass diese äußerste Grenze für antragsgebundene Vergünstigungen des EStG durch die Bestandskraft einer Steuerfestsetzung eingeschränkt wird und deshalb ein Änderungstatbestand nach den §§ 172 ff. AO gegeben sein muss, um eine solche Begünstigung nach Eintritt der Bestandskraft geltend machen zu können.

Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kann dabei im Anwendungsbereich des § 32 d Abs. 166 EStG allenfalls die Steuerbescheinigung sein, wenn sie anders als im Streitfall ohne Verschulden nicht früher vorgelegt wurde; der verfahrensrechtliche Antrag auf die Begünstigung selbst (nach § 32 d Abs. 6 EStG) kommt als solche nachträgliche Tatsache ersichtlich nicht in Betracht. Tatsache im Sinne dieser Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteil vom 30.10.2003 III R 24/02 = SIS 04 09 27, BStBl 2004 II S. 394, m.w.N.), wie der der Steuervergünstigung zugrunde liegende Sachverhalt, der zu einer Änderung der Einkommensteuerfestsetzung führen kann (vgl. BFH-Urteil vom 30.10.2003 III R 24/02 = SIS 04 09 27, BStBl 2004 II S. 394). Da die Steuerbescheinigung bereits vor der Abgabe der Einkommensteuererklärung vorlag, hätte die Klägerin den mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung beauftragten Steuerberater über die erzielten Kapitaleinkünfte unterrichten müssen. Sollte sie dies getan haben, wäre dessen schuldhafte Verletzung der Pflicht, dem FA diese Tatsache vor der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung mitzuteilen, der Klägerin wie eigenes Verschulden zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 9.5.2012 I R 73/10 = SIS 12 22 08, BStBl 2013 II S. 566).