Börsennotierte Aktien, Bilanzierung: Von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist bei börsennotierten Aktien, die als Finanzanlage gehalten werden, auszugehen, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter die Anschaffungskosten gesunken ist und zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung keine konkreten Anhaltspunkte für eine alsbaldige Wertaufholung vorliegen (entgegen BMF-Schreiben vom 25.2.2000, BStBl 2000 I S. 372 = SIS 00 05 03 Tz. 11). (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 26.3.2009, IV C 6 - S 2171-b/0, BStBl 2009 I S. 514 = SIS 09 09 98) - Urt.; BFH 26.9.2007, I R 58/06; SIS 08 08 30
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, erwarb am
23.5.2001, dem Streitjahr, Infineon–Aktien zu 44,50 EUR je
Stück. Der Kurs sank bis zum 31.12.2001 auf 22,70 EUR, bis zur
Aufstellung des Jahresabschlusses für 2001 stieg er auf 26 EUR
an. Die Klägerin ordnete die Aktien dem Anlagevermögen
zu. In ihrer Bilanz zum 31.12.2001 nahm sie eine
Teilwertabschreibung auf 26 EUR pro Aktie vor (insgesamt 468.999,80
EUR).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die Teilwertabschreibung
mit der Begründung nicht, es fehle der Nachweis einer
dauernden Wertminderung. Die Klage gegen den hiernach
geänderten Körperschaftsteuerbescheid wies das
Finanzgericht (FG) Köln mit in EFG 2006, 1414 = SIS 06 36 72
veröffentlichtem Urteil vom 21.6.2006 13 K 4033/05 ab.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid 2001 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.9.2005 insoweit zu
ermäßigen, als es sich aus der Berücksichtigung
weiterer Teilwertabschreibungen in Höhe von 468.999,80 EUR
ergibt.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Steuerfestsetzung nach Maßgabe des Revisionsantrags (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Entgegen der Auffassung des FG ist bei der Festsetzung der
Körperschaftsteuer für das Streitjahr die von der
Klägerin vorgenommene Teilwertabschreibung einkommensmindernd
zu berücksichtigen.
1. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24.3.1999 (BGBl I 1999,
402, BStBl I 1999, 304) - im Folgenden: EStG 1997 n.F. - sind nicht
abnutzbare Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens im
Grundsatz mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten
anzusetzen. Jedoch kann für solche Wirtschaftsgüter
gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. der
Teilwert angesetzt werden, wenn dieser aufgrund einer
voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist.
a) Zwischen den Beteiligten unstreitig lag der
Teilwert der in Rede stehenden Aktien, die die Klägerin ihrem
Anlagevermögen zugeordnet hat, am Bilanzstichtag, dem
31.12.2001, bei 22,70 EUR je Aktie und im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung bei 26 EUR je Aktie. Der Teilwert von
börsennotierten Wertpapieren richtet sich grundsätzlich
nach dem Börsenkurswert, wenn der Erwerb einer gleich hohen
Beteiligung am Bewertungsstichtag zu diesem Wert möglich
erscheint (Senatsurteil vom 7.11.1990 I R 116/86, BFHE 162, 552,
BStBl II 1991, 342 = SIS 91 06 20). Es unterliegt keinem Zweifel,
dass die Klägerin an den jeweiligen Stichtagen zu den
Kurswerten die gleiche Anzahl von Infineon-Aktien hätte kaufen
können. Da die Klägerin den höheren der beiden Werte
angesetzt hat, kann offenbleiben, ob Kursveränderungen nach
dem Bilanzstichtag als wertaufhellende oder als wertbeeinflussende
Faktoren zu beurteilen sind (vgl. Schlotter, Teilwertabschreibung
und Wertaufholung zwischen Steuerbilanz und Verfassungsrecht, 2005,
S. 372; Loitz/Winnacker, DB 2000, 2229; Hommel/Berndt, FR 2000,
1305, 1308; Engel-Ciric, DStR 1996, 1298; Senatsurteil vom
30.1.2002 I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688 = SIS 02 06 14; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.10.2005 XI R 64/04,
BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371 = SIS 06 12 73).
b) Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung
liegt vor, wenn der Teilwert nachhaltig unter den
maßgeblichen Buchwert gesunken ist (BTDrucks 14/443, S. 22;
Cattelaens, DB 1999, 1185; Schneider, Zeitschrift für
Bankrecht und Bankwirtschaft - ZBB - 121, 29; BFH-Urteil vom
9.9.1986 VIII R 20/85, BFH/NV 1987, 442 = SIS 87 15 12). Von einem
„nachhaltigen“ Sinken des Teilwerts unter die
Anschaffungskosten ist auszugehen, wenn aus der Sicht des
Bilanzstichtags aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem
langfristigen Anhalten der Wertminderung gerechnet werden muss
(Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom
25.2.2000, BStBl I 2000, 372 = SIS 00 05 03 Rz 3 und 4;
Fleischmann, INF 2000, 356; Senatsurteil vom 27.11.1974 I R 123/73,
BFHE 114, 415, BStBl II 1975, 294 = SIS 75 01 73). Hierfür
bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes ausgerichteten
Prognose (Senatsurteile in BFHE 114, 415, BStBl II 1975, 294 = SIS 75 01 73; vom 14.3.2006 I R 22/05, BFHE 212, 526, BStBl II 2006,
680 = SIS 06 31 17; BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 372 = SIS 00 05 03 Rz 5; Kessler, DB 1999, 2577, 2579; Loitz/Winnacker, DB 2000,
2229).
Allein die Möglichkeit einer
Wertsteigerung in der Zukunft, die bei nicht abnutzbaren
Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens
regelmäßig nie ausgeschlossen werden kann, steht einer
Teilwertabschreibung nicht entgegen; andernfalls liefe § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. leer. Ob eine Wertminderung
voraussichtlich andauern wird, richtet sich vielmehr danach, ob aus
Sicht des Bilanzstichtages mehr Gründe für ein Andauern
der Wertminderung sprechen als dagegen. Welcher Prognosezeitraum
hierbei zugrunde zu legen ist, kann nicht generell beantwortet
werden, sondern richtet sich nach den prognostischen
Möglichkeiten zum Bilanzstichtag, die je nach Art des
Wirtschaftsgutes und des auslösenden Moments für die
Wertminderung unterschiedlich sein können.
c) Die Meinungen darüber, wann bei
börsennotierten Aktien von einer voraussichtlich dauernden
Wertminderung auszugehen ist, gehen auseinander. Während ein
Teil der Literatur und die Finanzverwaltung bei
Kursveränderungen börsennotierter Wertpapiere des
Anlagevermögens regelmäßig nur vorübergehende
Wertminderungen annehmen (BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 372 = SIS 00 05 03 Rz 11; Schmidt/Glanegger, EStG, 26. Aufl., § 6 Rz
231; Fischer in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 6 Rz 108), stellen
andere auf die Höhe der Differenz zwischen historischen
Anschaffungskosten und aktuellem Börsenwert und/oder auf die
Dauer der eingetretenen Wertminderung oder - wie hier das FG -
darauf ab, ob die Wertentwicklung der Aktien von der allgemeinen
Kursentwicklung abweicht (Ellrott/St. Ring in Beck Bil-Komm. §
253 Rz 415; Fey/Mujkanovic, Die Wirtschaftsprüfung - WPg -
2003, 212; Küting, DB 2005, 1121; weitere Nachweise im
angefochtenen FG-Urteil). Es wird auch die Auffassung vertreten,
von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung sei bei
börsennotierten Aktien, die als Finanzanlage im
Anlagevermögen gehalten werden, jedenfalls dann auszugehen,
wenn der Teilwert zum Bilanzstichtag oder spätestens zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung unter seinen Buchwert gesunken ist
und keine konkreten Anhaltspunkte für eine baldige
Wertsteigerung vorliegen (z.B. MünchKomm HGB/Ballwieser,
§ 253 Rz 55; Winden/Herzogenrath, FR 2005, 878, sowie weitere
Nachweise bei Küting, DB 2005, 1121 und im angefochtenen
FG-Urteil).
d) Der zuletzt angeführten Auffassung
folgt der Senat im Ergebnis. Ob der Wertverlust einer
börsennotierten Aktie voraussichtlich dauerhaft ist, ist - wie
ausgeführt - nach vernünftiger kaufmännischer
Beurteilung nach den prognostischen Möglichkeiten aus der
Sicht des Bilanzstichtags zu beurteilen. Die am Kapitalmarkt
beteiligten Personen lassen die ihnen verfügbaren
Informationen über eine Aktie zusammenfassend in ihre Angebote
und damit in den jeweils festgestellten Börsenkurs
einfließen. Der Börsenwert spiegelt damit die
Auffassungen der Marktteilnehmer über den Wert einer Aktie als
Kapitalanlage wider. Die Preise beinhalten die Einschätzung
der künftigen Risiken und Erfolgsaussichten des Unternehmens
und geben daher zu einem gegebenen Stichtag die Erwartungen einer
großen Zahl von Marktteilnehmern über die
zukünftige Entwicklung des Kurses sowie die Einschätzung
wieder, dass der jetzt gefundene Kurs
„voraussichtlich“ dauerhaften Charakter besitzt
(Schön in Kirchhof/ K. Schmidt/Schön/Vogel, Steuerrecht
und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl,
2006, Festschrift für Raupach, S. 299; Schlotter,
Teilwertabschreibung und Wertaufholung zwischen Steuerbilanz und
Verfassungsrecht, 2005, S. 370 ff., m.w.N.). Spiegelt aber der
aktuelle Börsenkurs die Einschätzung der Marktteilnehmer
über die künftige Entwicklung des Börsenkurses
wider, kann vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden, dass er
über bessere prognostische Fähigkeiten verfügt als
der Markt (ebenso Hoffmann, Der GmbH-Steuerberater 2007, 30 f.;
Schlotter, ebenda).
Dem steht nicht entgegen, dass
börsennotierte Aktien ständigen Kursschwankungen
unterliegen. Diese Veränderungen beruhen darauf, dass nach dem
Stichtag weitere Ereignisse eintreten - sei es im betroffenen
Unternehmen selbst oder in seinem ökonomischen Umfeld -, die
zu einer abweichenden Werteinschätzung führen (Schön
in Festschrift für Raupach, a.a.O., S. 299). Es kann daher
zwar mit Sicherheit vorausgesagt werden, dass der Börsenkurs
nicht an seinem zum jeweiligen Stichtag gefundenen Stand verharren
wird. Offen ist aber, ob die weitere Entwicklung des
Börsenkurses nach oben oder nach unten tendieren oder in der
zuletzt erreichten Größenordnung bleiben wird. In
Übereinstimmung mit der Einschätzung des Marktes ist in
diesen Fällen - jedenfalls bei informationseffizienten
Märkten - davon auszugehen, dass der aktuelle Börsenwert
eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweist, die künftige
Kursentwicklung zu prognostizieren, als dies bei den historischen
Anschaffungskosten der Wertpapiere der Fall ist. Da eine Prognose
über die künftigen Kurse, soweit diese möglich ist,
bereits in den Börsenkurswert eingeflossen ist, bedarf es im
Streitfall einer Bestimmung des zugrunde zu legenden
Prognosezeitraums nicht.
e) Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das
BMF meint - dem Begriff der „voraussichtlich dauernden
Wertminderung“ in § 341b des Handelsgesetzbuches
(HGB) ein anderes Regelungsverständnis zugrunde liegt. §
6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. verwendet zwar denselben
Ausdruck; es handelt sich aber um eine steuerrechtliche Regelung,
die losgelöst vom Handelsrecht auszulegen ist. Dies bedeutet,
dass eine Auslegung zum einen darauf zielen muss, den Zuwachs oder
den Verlust wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
periodengerecht zu erfassen (vgl. Senatsurteil in BFHE 212, 526,
BStBl II 2006, 680 = SIS 06 31 17). Sie hat zum andern auch zu
berücksichtigen, dass das Steuerverfahren als Massenverfahren
konzipiert ist. Eine Prüfung und Analyse im Einzelfall, z.B.
anhand der Kriterien, die das Institut der Wirtschaftsprüfer
(IDW) für Versicherungsunternehmen aufgestellt hat (WPg 2002,
475), würde angesichts knapper Ressourcen sowohl die
Finanzverwaltung als auch die steuerlichen Berater
überfordern. Ob eine unstreitig eingetretene Minderung des
Teilwerts eines Wirtschaftsgutes voraussichtlich langfristig
andauert, ist daher anhand einfacher und leicht nachprüfbarer
Kriterien zu beurteilen. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
dass Abschreibungen bei einem Anstieg des Teilwerts zu
nachfolgenden Bilanzstichtagen rückgängig zu machen sind
(§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997
n.F.).
f) Ein abweichendes Ergebnis lässt sich
schließlich nicht daraus ableiten, dass es sich bei der im
Zuge des StEntlG 1999/2000/2002 eingeführten
Abschreibungsrestriktion in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997
n.F. um eine Maßnahme zur sog. Gegenfinanzierung der
zeitgleich abgesenkten Steuersätze handeln mag. Entgegen der
in der mündlichen Verhandlung vertretenen Annahme des BMF
stellt diese Zielrichtung aus rechtsmethodischer Sicht kein
geeignetes Argument dar, um die Auslegungsmöglichkeiten von
vornherein zu verengen und ein eingeschränktes
Normverständnis zu rechtfertigen. Im Übrigen muss das
Erfordernis der voraussichtlich dauernden Wertminderung in § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. ohnehin stets in der
Zusammenschau mit der zugleich geschaffenen Teilwertzuschreibung
nach Satz 3 der Vorschrift im Falle der Werterholung gesehen
werden.
g) Daraus folgt, dass bei börsennotierten
Aktien, die als Finanzanlage gehalten werden, von einer dauernden
Wertminderung auszugehen ist, wenn der Kurswert zum Bilanzstichtag
unter die Anschaffungskosten gesunken ist und zum Zeitpunkt der
Aufstellung der Bilanz keine Anhaltspunkte für ein alsbaldiges
Ansteigen des Kurses vorliegen.
Ob jedes Absinken des Kurswertes in der Bilanz
nachvollzogen werden muss oder ob Wertveränderungen innerhalb
einer gewissen Bandbreite aus Gründen der
Verwaltungsökonomie und der Bilanzstetigkeit als nur
vorübergehende Wertschwankungen zu beurteilen sind, kann
offenbleiben. Denn hier war der Teilwert zum Bewertungsstichtag um
fast 50 % und zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung um mehr als 40 %
unter die Anschaffungskosten gesunken.
2. Das FG ist von anderen rechtlichen
Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben und
der Klage stattzugeben. Die Körperschaftsteuer ist unter
Berücksichtigung einer Teilwertabschreibung von 468.999,80 EUR
neu festzusetzen. Die Berechnung wird gemäß § 100
Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.