1
|
I. Streitig ist, ob Aufwendungen für
die Wege zwischen Wohnung und einer Tunnelbaustelle nach
Maßgabe der Entfernungspauschale oder nach
Dienstreisegrundsätzen als Werbungskosten zu
berücksichtigen sind.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) schloss am 23.8.2006 mit der Arbeitsgemeinschaft ...
(ARGE), die ihren Sitz (Baubüro) in C hat, einen
Arbeitsvertrag. Nach diesem Arbeitsvertrag sollte der Kläger
befristet für die Zeit vom 14.8.2006 bis 30.6.2008 bei der
ARGE beschäftigt werden. Als Dienstort wurde die Baustelle in
C vereinbart. Nachdem das Arbeitsverhältnis in der Folgezeit
bis zum 31.12.2008 verlängert worden war, vereinbarten der
Kläger und die ARGE im November 2008 die unbefristete
Fortführung des Arbeitsverhältnisses über den
1.1.2009 hinaus bis zum Ende der Betonarbeiten des Bauvorhabens in
C.
|
|
|
3
|
In den Einkommensteuererklärungen
für die Streitjahre 2008 und 2009 machte der Kläger bei
seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a.
für die Fahrten zwischen seiner Wohnung in F und der Baustelle
in C Fahrtkosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit
geltend, weil eine regelmäßige Arbeitsstätte nicht
vorhanden sei. Dementsprechend machte er die tatsächlichen
Fahrtkosten mit 0,30 EUR pro gefahrenem Kilometer als
Werbungskosten geltend, und zwar für 48 Fahrten von F nach C
(Entfernung = 200 km) und für 230 Fahrten von der
Baustellenunterkunft in C zur Baustelle (Entfernung = 18
km).
|
|
|
4
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) folgte den Steuererklärungen insoweit nicht
und berücksichtigte lediglich die Entfernungspauschale als
Werbungskosten. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil
ist in EFG 2014, 28 = SIS 13 31 58 veröffentlicht.
|
|
|
5
|
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Finanzgericht (FG) habe den
Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte fehlerhaft
ausgelegt.
|
|
|
6
|
Er beantragt, das angefochtene Urteil des
FG Berlin-Brandenburg vom 7.5.2013 11 K 11138/11 und die
Einspruchsentscheidung vom 21.6.2011 aufzuheben und die
Einkommensteuerbescheide für das Jahr 2008 vom 26.2.2010 und
das Jahr 2009 vom 14.6.2010 dahingehend abzuändern, dass bei
den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger
Arbeit im Jahr 2008 und im Jahr 2009 jeweils weitere Fahrtkosten in
Höhe von 3.501 EUR als Werbungskosten berücksichtigt
werden.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
II. Die Revision des Klägers ist
begründet. Sie führt zur Stattgabe der Klage (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers zu
Unrecht auf der Baustelle in C verortet.
|
|
|
9
|
1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind
Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen
Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen
des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die
Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in
der in den Streitjahren geltenden Fassung nur begrenzt nach
Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu
berücksichtigen.
|
|
|
10
|
a) Eine regelmäßige
Arbeitsstätte kann nur eine ortsfeste, dauerhafte betriebliche
Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet
ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen
Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft)
aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den
Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb, nicht aber um die
Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des
Kunden des Arbeitgebers (z.B. Senatsentscheidungen vom 10.7.2008 VI
R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818 = SIS 08 35 53; vom
9.7.2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822 = SIS 09 29 00; VI R 42/08, BFH/NV 2009, 1806 = SIS 09 32 53; vom 17.6.2010 VI
R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852 = SIS 10 22 79; vom
19.1.2012 VI R 23/11, BFHE 236, 351, BStBl II 2012, 472 = SIS 12 09 48; vom 9.2.2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234 =
SIS 12 07 86; vom 18.9.2012 VI R 65/11, BFH/NV 2013, 517 = SIS 13 06 87; vom 17.6.2010 VI R 20/09, BFHE 230, 533, BStBl II 2012, 32 =
SIS 10 36 66, zum weiträumigen Arbeitsgebiet).
|
|
|
11
|
b) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen
dauerhaften betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers tätig,
liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor
mit der Folge, dass die Kosten für beruflich veranlasste
Fahrten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind.
|
|
|
12
|
2. Nach diesen Grundsätzen hatte der
Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.
des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
|
|
|
13
|
Bauausführungen oder Montagen (§ 12
Satz 2 der Abgabenordnung - AO - ) sind keine
regelmäßigen Arbeitsstätten i.S. von § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Es handelt sich dabei um vorübergehende
und nicht um dauerhafte Tätigkeitsstätten, auch wenn dort
nach § 12 Satz 2 AO eine Betriebsstätte oder
Geschäftseinrichtung des Arbeitgebers belegen sein sollte (s.
Senatsurteil vom 11.7.2013 VI R 62/12, BFH/NV 2014, 147 = SIS 14 00 15, m.w.N.). Dies gilt auch - wie vorliegend - für
auswärtige (Groß-)Baustellen. Eine auswärtige
Baustelle ist typisiert betrachtet kein dauerhafter, sondern nur
ein vorübergehender - bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens
zeitlich begrenzter - Tätigkeitsort des Arbeitnehmers (vgl.
Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 9 Rz 116). Welche
infrastrukturellen Gegebenheiten der Arbeitgeber dort vorhält
ist deshalb unerheblich. Ohne Bedeutung ist weiter, ob der
Arbeitnehmer die Baustelle fortdauernd und immer wieder (dauerhaft)
- u.U. für die gesamte Dauer seines (befristeten)
Beschäftigungsverhältnisses - aufsucht. Denn eine
auswärtige Tätigkeitsstätte - wie eine Baustelle
(Senatsurteil vom 11.5.2005 VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II
2005, 785 = SIS 05 36 03) - wird nicht durch bloßen
Zeitablauf zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S.
von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (vgl. Senatsurteile vom
8.8.2013 VI R 72/12, BFHE 242, 358, BStBl II 2014, 68 = SIS 13 31 08, und vom 24.9.2013 VI R 51/12, BFH/NV 2014, 220 = SIS 13 33 36;
Bergkemper in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 9 EStG Rz 288,
453).
|
|
|
14
|
3. Die Sache ist spruchreif. Denn
Einwände gegen die vom Kläger vorgelegte Berechnung der
tatsächlichen Fahrtkosten für die Fahrten zwischen
Wohnung und der Baustelle in C sind vom FA weder vorgetragen noch
ersichtlich. Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen
(§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
|