Veräußerung von GmbH-Anteilen an beteiligungsidentische GmbH, Gestaltungsmissbrauch: Die Veräußerung von GmbH-Anteilen an eine von den Gesellschaftern der GmbH neu gegründete, beteiligungsidentische GmbH ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 AO, weil die Anteile zu einem Zeitpunkt veräußert wurden, als die Veräußerung noch nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterlag, oder weil sich die Tätigkeit der neu gegründeten GmbH auf das Halten der veräußerten Anteile beschränkte. - Urt.; BFH 29.5.2008, IX R 77/06; SIS 08 31 22
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr 2001 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger, die Klägerin und die
Mutter des Klägers waren an der X-GmbH zu 41 %, zu 35 % und zu
24 % beteiligt. Am 13.12.2001 errichteten sie die Y-GmbH - die am
11.1.2002 in das Handelsregister eingetragen wurde - und
übernahmen entsprechend ihrer Beteiligung an der X-GmbH
Stammeinlagen in Höhe von 41 %, 35 % und 24 % des
Stammkapitals der Y-GmbH. Am gleichen Tag veräußerten
sie mit Wirkung zum 28.12.2001 ihre Anteile an der X-GmbH zu einem
Kaufpreis von insgesamt 50.000 DM an die Y-GmbH; der Kaufpreis
stand ihnen im Verhältnis ihrer Beteiligung an der X-GmbH
zu.
In ihrer Einkommensteuerklärung
für das Streitjahr 2001 machten die Kläger einen
Veräußerungsverlust des Klägers i.S. des § 17
Abs. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
berücksichtigte den Veräußerungsverlust nicht, da
ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 der
Abgabenordnung - AO - ) vorliege. Einspruch und Klage blieben ohne
Erfolg; das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in EFG 2006, 1302 =
SIS 06 33 24, veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger die Verletzung des § 42 AO.
Sie beantragen sinngemäß, das
angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 dahin gehend zu
ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung
von negativen Einkünften des Klägers nach § 17 EStG
in Höhe von 425.528 DM festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Zu Unrecht hat das FG die
Veräußerung der Anteile des Klägers an der X-GmbH
an die Y-GmbH nicht der Besteuerung nach § 17 Abs. 1 und 2
EStG zugrunde gelegt; die Veräußerung dieser Anteile ist
kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts
(§ 42 Abs. 1 AO).
1. Aus den tatsächlichen Feststellungen
des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Kläger seine Anteile an der X-GmbH nur zum Schein an die
Y-GmbH veräußert hat (§ 117 des Bürgerlichen
Gesetzbuches) und die Veräußerung deshalb als
Scheingeschäft gemäß § 41 Abs. 2 AO
steuerrechtlich nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zur
Prüfung, ob ein Scheingeschäft vorliegt, z.B. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21.9.2004 IX R 5/03, BFH/NV 2005, 498
= SIS 05 15 62, m.w.N.).
2. Entgegen der Auffassung des FG ist die
Veräußerung der Anteile an der X-GmbH an die Y-GmbH kein
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des
§ 42 AO.
a) Ein Gestaltungsmissbrauch i.S. von §
42 AO ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt
wird, die - gemessen an dem erstrebten Ziel - unangemessen ist, der
Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst
beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist
(BFH-Urteil vom 29.8.2007 IX R 17/07, BFH/NV 2008, 426 = SIS 08 08 57, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche
Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist
erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom
Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines
bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern
dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach
den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll
(BFH-Urteil vom 17.12.2003 IX R 56/03, BFHE 205, 70, BStBl II 2004,
648 = SIS 04 13 99, m.w.N.).
b) Es stand dem Kläger frei, ob, wann und
an wen er seine Anteile an der X-GmbH veräußert. Dies
gilt auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust
führt. Die Berücksichtigung eines
Veräußerungsverlusts steht im Einklang mit § 17
EStG. Die Vorschrift soll den durch die Veräußerung des
Anteils an einer Kapitalgesellschaft eingetretenen Zuwachs an
finanzieller Leistungsfähigkeit erfassen (BFH-Urteil vom
13.7.1999 VIII R 72/98, BFHE 190, 87, BStBl II 1999, 820 = SIS 99 21 47). Die Ausschöpfung von Verlusten entspricht dem
Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (vgl.
BFH-Urteil vom 19.8.1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001,
43 = SIS 99 21 49). Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist ein
Verlust anzusetzen, wenn die Anschaffungskosten den
Veräußerungspreis nach Abzug der
Veräußerungskosten übersteigen; die
Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten ist
zudem durch § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG in der für das
Streitjahr 2001 geltenden Fassung besonders geregelt. Der
Kläger hat mit der Veräußerung seiner Anteile nicht
gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen,
sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten
Möglichkeit Gebrauch gemacht. Stimmt die Gestaltung mit den
gesetzlichen Zielen überein, bedarf es weiterer, insbesondere
außersteuerlicher Motive hierfür grundsätzlich
nicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43 = SIS 99 21 49).
c) Der Kläger hat auch nicht dadurch
gegen gesetzliche Wertungen verstoßen, dass er seine Anteile
zu einem Zeitpunkt veräußerte, als die
Veräußerung noch nicht dem Halbeinkünfteverfahren
(vgl. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c und § 3c Abs. 2 EStG
i.d.F. des Art. 1 des Steuersenkungsgesetzes - StSenkG - vom
23.10.2000, BGBl I 2000, 433) unterlag. Dem zeitlichen
Anwendungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens liegen
Entscheidungen des Gesetzgebers (vgl. § 52 Abs. 4a Nr. 2 und
8a EStG i.d.F. des Art. 1 StSenkG) zugrunde, die durch die
Anwendung des § 42 AO nicht korrigiert werden dürfen. Der
Kläger umging kein Steuergesetz, sondern nutzte die
Möglichkeit einer günstigeren Steuergestaltung (vgl.
BFH-Urteil vom 10.10.1978 VIII R 126/75, BFHE 126, 206, BStBl II
1979, 77 = SIS 79 00 41).
Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus, dass
der Kläger seine Anteile veräußerte anstatt die
X-GmbH aufzulösen. Es trifft zwar zu, dass der Kläger bei
der Anteilsveräußerung - anders als bei der
Auflösung - mit dem Veräußerungszeitpunkt den
Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns
(-verlusts) bestimmen konnte (zur Entstehung des
Veräußerungsgewinns, BFH-Urteil vom 18.12.2001 VIII R
5/00, BFH/NV 2002, 640 = SIS 02 62 22; zur Entstehung des
Auflösungsverlusts, BFH-Urteil vom 19.4.2005 VIII R 45/04,
BFH/NV 2005, 1545 = SIS 05 36 98, m.w.N.). Ein
Gestaltungsmissbrauch könnte daher gegeben sein, wenn der
Kläger wirtschaftlich seine Anteile nicht
veräußern, sondern die X-GmbH auflösen wollte.
Hierfür bestehen aber nach den tatsächlichen
Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte. Dass sich die X-GmbH -
nach dem Vortrag des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren
- zum Zeitpunkt der Veräußerung in einer schweren Krise
befunden hat, genügt nicht.
d) Die Gestaltung wird schließlich nicht
dadurch rechtsmissbräuchlich, dass der Kläger seine
Anteile an die mit der X-GmbH beteiligungsidentische Y-GmbH
veräußerte.
Ein Gestaltungsmissbrauch ist
regelmäßig nicht gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger -
aus welchen Gründen auch immer - auf Dauer zwischen sich und
eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft
schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht (vgl.
BFH-Urteil vom 23.10.1996 I R 55/95, BFHE 181, 490, BStBl II 1998,
90 = SIS 97 06 23, m.w.N.). Eine abweichende Beurteilung ergibt
sich nicht daraus, dass die Y-GmbH zumindest im ersten Jahr nach
ihrer Gründung nur die Anteile an der X-GmbH hielt und keine
weiteren Geschäfte tätigte. Denn es obliegt der
Entscheidung des Gesellschafters, den Umfang des unternehmerischen
Tuns abzustecken (BFH-Urteil vom 20.3.2002 I R 63/99, BFHE 198,
506, BStBl II 2003, 50 = SIS 02 84 92).
Entgegen der Auffassung des FG ist im
Streitfall durch die Anteilsveräußerung nicht nur formal
ein Rechtsträgerwechsel eingetreten. Die Anteile an der X-GmbH
dienten nach der Veräußerung nur noch der Y-GmbH zur
Einkünfteerzielung; ein Durchgriff auf diese Gesellschaft
kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Eine
Kapitalgesellschaft ist ein selbständiges Steuersubjekt (vgl.
§ 1 des Körperschaftsteuergesetzes), das die von ihr aus
der Beteiligung erzielten Einkünfte unabhängig vom
Gesellschafter zu versteuern hat (sog. Trennungsprinzip). Der
Anteilseigner hat unmittelbar keinen Gewinn aus der Tätigkeit
der Kapitalgesellschaft zu versteuern. Diese Abschirmung der
Vermögenssphäre einer Kapitalgesellschaft gegenüber
ihren Anteilseignern bewirkt, dass in der abgeschirmten
Vermögenssphäre eine eigenständige
Leistungsfähigkeit entsteht, die von derjenigen der hinter der
Kapitalgesellschaft stehenden Personen getrennt und unabhängig
von ihr besteuert werden darf (BFH-Urteil vom 4.3.2008 IX R 78/06,
zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2008, 1039 =
SIS 08 20 30).
Auch hat sich durch die
Anteilsveräußerung die wirtschaftliche Situation des
Klägers geändert. Denn der Kläger konnte nunmehr
eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahmen zugunsten der
X-GmbH nicht mehr steuerlich geltend machen. Die Übernahme von
eigenkapitalersetzenden Bürgschaften für eine
Gesellschaft, an welcher der Anteilseigner nur mittelbar beteiligt
ist, führt nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der
(unmittelbaren) wesentlichen Beteiligung (BFH-Urteil in BFH/NV 208,
1039).
3. Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen; das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die
Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus
zu Recht - nicht festgestellt, ob der vereinbarte Kaufpreis dem
Wert der Anteile an der X-GmbH entsprochen hat. Sollte der
vereinbarte Kaufpreis hinter dem Wert der Anteile
zurückgeblieben sein, läge eine gemischte verdeckte
Einlage vor (hierzu Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, 27. Aufl., §
17 Rz 110). Die verdeckte Einlage steht der Veräußerung
der Anteile gleich, wobei der gemeine Wert der Anteile an die
Stelle des Veräußerungspreises tritt (vgl. § 17
Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 EStG). Das FG wird daher im zweiten
Rechtsgang den Wert der Anteile an der X-GmbH zu ermitteln
haben.