Verkauf und sofortiger Wiedererwerb von Wertpapieren innerhalb der Spekulationsfrist bei Verlust: Werden Wertpapiere, die innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG mit Verlust veräußert werden, am selben Tage in gleicher Art und Anzahl, aber zu unterschiedlichem Kurs wieder gekauft, so liegt hierin kein Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO. - Urt.; BFH 25.8.2009, IX R 60/07; SIS 09 30 60
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) erzielten als Beteiligte einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR) neben Einkünften aus Vermietung
und Verpachtung auch Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In ihrer Erklärung
über die einheitliche und gesonderte Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen für 2000 (Streitjahr) machten sie
Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften in
Höhe von 104.957 DM geltend. Die Verluste ergaben sich u.a.
aus dem An- und Verkauf von Aktien der S-Bank sowie der XY-Inc.,
die mit entsprechenden Veräußerungsgewinnen aus dem
gleichen Jahr verrechnet wurden.
Die Kläger hatten im Februar und
März 2000 sukzessive 50 Aktien der S-Bank zum Kurswert von
insgesamt 115.784 DM erworben. Aufgrund eines im April 2000
durchgeführten Aktiensplits erhielten sie weitere 100
Stück in ihr Depot eingebucht. Diese insgesamt 150 Aktien
verkauften sie im Dezember 2000 zum Kurswert (pro Aktie: 71,38 DM)
von insgesamt 10.708 DM; am selben Tag kauften sie die gleiche
Anzahl dieser Bank-Aktien zum Kurswert (pro Aktie: 72,75 DM) von
10.913 DM wieder an.
Zudem hatten die Kläger im Februar
2000.100 Aktien der XY-Inc. zum Kurswert (pro Aktie: 239,58 DM) von
insgesamt 23.958 DM gekauft und ebenso im Dezember 2000 für
insgesamt 1.329 DM (Kurswert pro Aktie: 13,29 DM) verkauft; am
selben Tag kauften sie die gleiche Anzahl von XY-Aktien zum
Kurswert (pro Aktie: 14,86 DM) von insgesamt 1.486 DM wieder
an.
Im Bescheid über die einheitliche und
gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das
Streitjahr erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) die Verluste aus dem Verkauf der Anteile der
S-Bank und der XY-Inc. nicht an. Verkauf und anschließender
Wiederkauf der gleichen Wertpapiere an demselben Tag und in
gleicher Zahl zur Realisierung von Spekulationsverlusten innerhalb
der einjährigen Spekulationsfrist sei ein
Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 der Abgabenordnung i.d.F.
des Streitjahres (AO).
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hatte
die Klage Erfolg (Urteil in EFG 2008, 54 = SIS 07 36 75). Nach
Ansicht des Finanzgerichts (FG) könne die (Wieder-)Anschaffung
der gleichen Aktien an demselben Tag und in gleicher Stückzahl
nicht dazu führen, einer tatbestandsmäßigen
Verlustrealisierung über § 42 AO die steuerliche
Anerkennung zu versagen. Der mit dem Verkauf der Aktien
abgeschlossene Steuertatbestand entfalte Zäsurwirkung.
Für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise sei insofern kein
Raum. Auf Motivation und Absichten der Kläger komme es nicht
an. Zudem würden die vom Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen
eingeräumten Dispositionsmöglichkeiten durch eine
beschränkte Verlustberücksichtigung ausgeglichen.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG,
§ 42 AO). Der durch den Verkauf der Wertpapiere eingetretene
Verlust mit anschließendem Wiederkauf sei wegen
Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO steuerlich nicht
anzuerkennen. Maßgebend sei auf die Umstände des
Einzelfalles abzustellen. Für ihre Vorgehensweise (Verkauf und
Wiederkauf von Wertpapieren gleicher Art, an demselben Tag und in
gleicher Anzahl) und ihre Erwartungshaltung auf steigende Kurse
hätten die Kläger keinerlei wirtschaftliche Gründe
vorgetragen. Daher habe angesichts der Besonderheit des umgehenden
Wiederkaufs der Wertpapiere - wirtschaftlich betrachtet - bewusst
keine echte Verlustrealisation stattgefunden.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des
FG-Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Recht hat das FG im
nachfolgenden Wiederkauf der zuvor mit Verlust
veräußerten Aktien keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. von
§ 42 AO gesehen.
1. a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m.
§ 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unterliegen
private Veräußerungsgeschäfte bei anderen
Wirtschaftsgütern (als den in Nr. 1 der Vorschrift genannten
Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten),
insbesondere bei Wertpapieren, als sonstige Einkünfte der
Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und
Veräußerung - unter Beachtung des auch insoweit
geltenden Grundsatzes der Nämlichkeit (vgl. Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24.11.1993 X R 49/90, BFHE 173, 107,
BStBl II 1994, 591 = SIS 94 05 02; vom 22.5.2003 IX R 9/00, BFHE
202, 309, BStBl II 2003, 712 = SIS 03 32 19) - nicht mehr als ein
Jahr beträgt (sog. gestreckter oder zweiaktiger Tatbestand;
vgl. BFH-Beschluss vom 16.12.2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl
II 2004, 284 = SIS 04 05 46, unter B.III.1.b). Das gilt auch dann,
wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt (§
23 Abs. 3 Satz 1 EStG; vgl. auch BFH-Beschluss vom 4.7.1990 GrS
1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 = SIS 90 18 09, unter
III.2.d bb). Veräußerungsverluste sind nach § 23
Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG indes nur eingeschränkt zu
berücksichtigen. Durch dieses in sich geschlossene und
aufeinander abgestimmte System der Verlustnutzung und -begrenzung
sollen u.a. Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit und
insbesondere missbräuchliche Gestaltungen i.S. des § 42
AO verhindert werden (vgl. Wernsmann, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 23 Rz F 27, 29).
b) Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 EStG sind im Streitfall - unstreitig - erfüllt.
Denn die Wertpapiere wurden innerhalb der maßgeblichen
Jahresfrist (Erwerb im Februar/März 2000 und Verkauf im
Dezember 2000) angeschafft und wieder - wenn auch mit Verlust -
veräußert. Der zweiaktige Tatbestand ist damit
verwirklicht, und zwar unabhängig vom nachfolgenden Wiederkauf
von Wertpapieren gleicher Art als erstem Teilakt eines eventuell
erneut in Gang gesetzten Steuertatbestandes.
Die Kläger haben den aus der
Veräußerung der Wertpapiere erwirtschafteten Verlust
auch i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG
„erzielt“; sie haben mit
Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt. Dieses Merkmal des
Steuertatbestandes wird durch die verhältnismäßig
kurze (Jahres-)Frist in typisierender Weise objektiviert (dazu
BFH-Urteile vom 2.5.2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000,
469 = SIS 00 09 60; vom 22.4.2008 IX R 29/06, BFHE 221, 97, BStBl
II 2009, 296 = SIS 08 24 23, unter II.1.c).
2. Das Tatbestandsmerkmal
„Veräußerungsgeschäft“ wird auch
nicht gemäß § 42 Satz 2 AO beseitigt.
a) Ein Missbrauch von
Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 AO ist
gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die -
gemessen an dem erstrebten Ziel - unangemessen ist, der
Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst
beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist
(BFH-Urteile vom 29.5.2008 IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II
2008, 789 = SIS 08 31 22; vom 29.8.2007 IX R 17/07, BFH/NV 2008,
426 = SIS 08 08 57, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht
eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine
rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der
Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum
Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht,
sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf
dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar
sein soll (BFH-Urteile in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789 = SIS 08 31 22, und vom 17.12.2003 IX R 56/03, BFHE 205, 70, BStBl II
2004, 648 = SIS 04 13 99, m.w.N.).
b) Entspricht es aber Sinn und Zweck des
§ 23 EStG, (nur) realisierte Wertänderungen (in Gestalt
von Veräußerungsgewinnen und -verlusten) aus
verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen
eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen
der Einkommensteuer zu unterwerfen (s. BFH-Urteil vom 18.10.2006 IX
R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259 = SIS 07 00 44), stellt
es keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO dar, wenn der
Steuerpflichtige gleichartige Wertpapiere unmittelbar
anschließend oder zumindest kurzfristig nach deren
Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen wiedererwirbt
(gl.A. Wernsmann, a.a.O., § 23 EStG Rz A 72, F 29; s.a. FG
Hamburg, Urteil vom 9.7.2004 VII 52/02, EFG 2004, 1775 = SIS 05 01 19; a.A. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 14.9.2006 5 K
286/03, EFG 2007, 192 = SIS 06 43 54). Insoweit bewegt er sich mit
seinen Dispositionen angesichts der Schwankungsbreite
börsennotierter Wertpapiere und des daraus resultierenden
Kursrisikos (Volatilität) im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.
Denn es steht in seinem Belieben (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204,
228, BStBl II 2004, 284 = SIS 04 05 46, unter B.III.2.; BFH-Urteil
in BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259 = SIS 07 00 44, unter
II.2.b(1)), ob, wann und mit welchem Risiko er von ihm gehaltene
Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder kauft und ggf.
wieder verkauft. Insoweit handelt es sich bei dem Verkauf von
Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger
Wertpapiere zu unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen um
eigenständige und damit separat zu beurteilende Vorgänge,
so dass der Veräußerungsvorgang nicht i.S. des § 42
Satz 2 AO eliminiert wird (s.a. BFH-Urteile vom 24.6.2003 IX R
2/02, BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752 = SIS 03 37 82, unter
II.1.b bb, betr. Optionsgeschäfte; vom 15.12.1999 I R 29/97,
BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 = SIS 00 04 84, unter B.II.1.b
bb, r.Sp., zum sog. Dividenden-Stripping bei taggleichem An- und
Verkauf).
3. Diesen Grundsätzen entspricht die
Vorentscheidung. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Entgegen der Ansicht des FG schließt allerdings der mit der
Veräußerung bereits verwirk-lichte Steuertatbestand
(„Zäsurwirkung“) eine wirtschaftliche
Gesamtbeurteilung nach § 42 AO unter Einschluss des
nachfolgenden Wiederkaufs derselben oder gleichartiger Wertpapiere
nicht generell aus.
Die Kläger haben mit dem An- und Verkauf
der Wertpapiere innerhalb der Jahresfrist den Tatbestand des §
23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt (s. oben unter II.1.b).
Vorliegend hat das FG zutreffend im nachfolgenden Wiederkauf der am
selben Tag zuvor mit Verlust veräußerten gleichartigen
Wertpapiere angesichts des von den Klägern eingegangenen
erkennbaren Kursrisikos (s. oben unter I.) keinen
Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO gesehen.