1
|
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig,
ob für Kraftfahrzeugsteuern (Kfz-Steuern) ein aktiver
Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) gebildet werden muss, soweit die
gezahlte Steuer auf die voraussichtliche Zulassungszeit von
Fahrzeugen im nachfolgenden Wirtschaftsjahr entfällt.
|
|
|
2
|
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betreibt eine Spedition in der Rechtsform der GmbH.
Für das Streitjahr 2002 machte sie in ihrem Jahresabschluss
97.984,94 EUR Kfz-Steuern als Betriebsausgaben geltend. Davon
entfielen rechnerisch 43.797 EUR auf die Zulassungszeit der
Fahrzeuge im nachfolgenden Wirtschaftsjahr.
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) war der Auffassung, in Höhe des Betrags von
43.797 EUR sei ein aktiver RAP zu bilden, so dass er den Gewinn der
Klägerin im Streitjahr entsprechend erhöhte.
|
|
|
4
|
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg
(Urteil des Thüringer Finanzgerichts - FG - vom 25.2.2009 I
443/06, abgedruckt in EFG 2009, 1738 = SIS 09 40 03).
|
|
|
5
|
Das FA rügt mit seiner Revision die
Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
|
|
|
6
|
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
7
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Für die gezahlten Kfz-Steuern ist ein aktiver RAP in
Höhe des Betrages zu bilden, der auf das Halten der Fahrzeuge
zum Verkehr auf öffentlichen Straßen im nachfolgenden
Wirtschaftsjahr entfällt.
|
|
|
8
|
1. Gemäß § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes 2002 i.V.m. § 5 Abs. 5 Satz 1
Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) ist ein RAP zu
aktivieren, wenn und soweit Ausgaben vor dem Abschlussstichtag
vorliegen, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag
darstellen. Dies gilt gemäß § 7 Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes auch für Zwecke der Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags.
|
|
|
9
|
Die Entrichtung der Kfz-Steuern war in dem vom
FA angenommenen Umfang Aufwand der Klägerin für eine
bestimmte Zeit nach diesem Tag. „Aufwand für eine
bestimmte Zeit“ ist grundsätzlich in dem Sinne zu
verstehen, dass einer Vorleistung eine noch nicht erbrachte
zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht (vgl.
Senatsurteil vom 4.5.1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977,
802 = SIS 77 04 47; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
6.4.1993 VIII R 86/91, BFHE 171, 221, BStBl II 1993, 709 = SIS 93 18 14; vom 19.6.1997 IV R 16/95, BFHE 183, 484, BStBl II 1997, 808
= SIS 97 22 26, jeweils m.w.N.). § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
2002 betrifft zwar typischerweise Vorleistungen im Rahmen eines
gegenseitigen Vertrags i.S. der §§ 320 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuchs; die Vorschrift ist aber nicht auf
synallagmatische schuldrechtliche Leistungen beschränkt (vgl.
Senatsurteile vom 24.7.1996 I R 94/95, BFHE 181, 64, BStBl II 1997,
122 = SIS 96 22 31; vom 29.11.2006 I R 46/05, BFHE 216, 159, BStBl
II 2009, 955 = SIS 07 10 39; Senatsbeschluss vom 7.4.2010 I R
77/08, BFH/NV 2010, 1339 = SIS 10 14 76, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Vielmehr reicht es
für eine Rechnungsabgrenzung aus, wenn mit der Vorleistung ein
Verhalten erwartet wird, das wirtschaftlich als Gegenleistung
für die Vorleistung aufgefasst werden kann (vgl. BFH-Urteile
vom 17.9.1987 IV R 49/86, BFHE 151, 386, BStBl II 1988, 327 = SIS 88 05 20; vom 5.4.1984 IV R 96/82, BFHE 141, 31, BStBl II 1984, 552
= SIS 84 14 09; Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1339 = SIS 10 14 76).
|
|
|
10
|
Unter Heranziehung dieser Grundsätze ist
auch die gezahlte Kfz-Steuer, soweit sie auf die voraussichtliche
Zulassungszeit von Fahrzeugen im nachfolgenden Kalenderjahr
entfällt, aktiv abzugrenzen (ebenso Urteil des Hessischen FG
vom 6.11.2008 9 K 2244/04, DStRE 2010, 329 = SIS 09 24 19;
Hoffmann, Unternehmensteuern und Bilanzen 2010, 81; i.Erg. auch
Tiedchen, FR 2010, 160).
|
|
|
11
|
a) Der Kfz-Steuer unterliegt
grundsätzlich das Halten inländischer Fahrzeuge zum
Verkehr auf öffentlichen Straßen (zu Sonderfällen
vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG - ), das mit der
verkehrsrechtlichen Zulassung des Fahrzeugs beginnt und nach
Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bis zu dessen
verkehrsrechtlicher Abmeldung andauert. Der Besteuerungstatbestand
wird durch das fortdauernde Halten des Kraftfahrzeugs verwirklicht.
Die Kfz-Steuer entsteht vorbehaltlich des § 5 Abs. 1 Nr. 1
letzter Halbsatz KraftStG tageweise (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom
16.11.2004 VII R 62/03, BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309 = SIS 05 08 32). Von dem Entstehen der Kfz-Steuerschuld unterscheidet die
Rechtsprechung die Steuerzahlungsschuld, die mit Beginn des
jeweiligen Entrichtungszeitraums (§ 6 KraftStG) entsteht.
Entrichtungszeitraum ist nach § 11 Abs. 1 KraftStG ein
Jahreszeitraum, da die Steuer grundsätzlich für die Dauer
eines Jahres im Voraus zu leisten ist (zu Sonderfällen vgl.
§ 11 Abs. 2 bis 4 KraftStG). Es handelt sich um eine
gesetzlich vorgeschriebene Vorauszahlung auf eine noch nicht
entstandene Steuer (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 371, BStBl II
2005, 309 = SIS 05 08 32).
|
|
|
12
|
Aus dieser Systematik des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes wird deutlich, dass es sich bei der im
Streitfall für die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG
entrichtete Kfz-Steuer in Höhe von 43.797 EUR um Ausgaben vor
dem Abschlussstichtag 31.12.2002 handelt, die Aufwand für eine
bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Entgegen der
Rechtsauffassung des FG lässt sich die Zeitbestimmung auch bei
der Kfz-Steuer feststellen, da es nicht auf die zeitlich
unbegrenzte Festsetzung der Steuer, sondern auf die zeitlich
begrenzte Festsetzung der Entrichtungsschuld für die Dauer
eines Jahres im Voraus ankommt.
|
|
|
13
|
b) Soweit das FG die Aktivierung eines RAP
ablehnt, weil einer Steuer i.S. des § 3 der Abgabenordnung
(AO) keine Gegenleistung gegenüber stehe, ist dies
unerheblich. Es kommt allein darauf an, dass die Kfz-Steuer
für das berechtigte Halten von Fahrzeugen zum Verkehr auf
öffentlichen Straßen zeitbezogen auf die Dauer der
Zulassung des Fahrzeugs und jährlich im Voraus erhoben wird.
Dieser Zusammenhang reicht für die Bilanzierung eines RAP aus.
Es bedarf keiner unmittelbaren zivil- oder
öffentlich-rechtlichen Verknüpfung der gezahlten Abgaben
mit einer Leistung der öffentlichen Hand. Unerheblich ist
daher, dass weder die Zulassung eine rechtliche Gegenleistung
für die Zahlung der Kfz-Steuer ist noch die öffentliche
Hand durch die Zahlung der Steuer eine rechtliche Verpflichtung
gegenüber dem Steuerpflichtigen eingeht. Allerdings kann die
Zulassung nach § 14 KraftStG entzogen werden, wenn die Steuer
nicht entrichtet wird. Auch hat der Steuerpflichtige im Falle der
vorzeitigen Beendigung der Steuerpflicht gemäß § 37
Abs. 2 AO einen Anspruch auf Rückzahlung der auf die nach
Beendigung der Steuerpflicht entfallenden Beträge
(Neufestsetzung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG).
Dies verdeutlicht, dass die Zahlung der Kfz-Steuer mit dem
berechtigten Halten von Fahrzeugen auf öffentlichen
Straßen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht (vgl.
Plückebaum, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp -
1970, 249, 259; vgl. auch Söffing, Neue Wirtschafts-Briefe -
NWB - Fach 17a, S. 735 f.; Bauer in Kirchhof/Söhn/
Mellinghoff, EStG, § 5 Rz F 108).
|
|
|
14
|
Dass auch die widerrechtliche Benutzung von
Fahrzeugen zur Besteuerung führt, ist für die
Rechnungsabgrenzung im Streitfall unerheblich, da es sich insofern
um einen anderen Steuergegenstand handelt.
|
|
|
15
|
2. Das FA ist nicht an die von der
Klägerin bei der Bilanzaufstellung vertretene
Rechtsauffassung, ein RAP sei nicht zu aktivieren, gebunden. Zwar
ist Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung die von
der Klägerin beim FA eingereichte (Steuer-)Bilanz. Von dieser
darf (und muss) das FA nur abweichen, wenn und soweit sie den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung
(§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002) oder den zwingenden
bilanzrechtlichen Vorgaben des Einkommensteuergesetzes nicht
entspricht (vgl. Senatsurteil vom 5.6.2007 I R 47/06, BFHE 218,
221, BStBl II 2007, 818 = SIS 07 31 76; Senatsbeschluss vom
7.8.2008 I B 161/07, BFH/NV 2008, 2053 = SIS 08 41 60). Nach
ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein objektiv falscher
Bilanzansatz nur unter der weiteren Voraussetzung fehlerhaft, dass
der Steuerpflichtige den Fehler nach den
Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Kaufmanns im
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung - bezogen auf die am Bilanzstichtag
objektiv bestehenden Verhältnisse - erkennen konnte. Dieser
sog. subjektive Fehlerbegriff gilt nach bisheriger Rechtsprechung
nicht nur für Tatsachenerkenntnisse, sondern auch für die
Beurteilung von Rechtsfragen (z.B. BFH-Urteile vom 14.8.1975 IV R
30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88 = SIS 76 00 51; vom
12.11.1992 IV R 59/91, BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392 = SIS 93 09 17, sowie Senatsurteile vom 5.4.2006 I R 46/04, BFHE 213, 326,
BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98; vom 23.1.2008 I R 40/07, BFHE
220, 361, BStBl II 2008, 669 = SIS 08 24 13). Für die
Fälle, in denen die Rechtslage zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung ungeklärt ist, weil noch keine
Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen
ist, hat der Senat deshalb entschieden, dass dann jede der
kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als
„richtig“ anzusehen ist (vgl. Senatsurteile in
BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98; in BFHE 218, 221,
BStBl II 2007, 818 = SIS 07 31 76; vom 17.7.2008 I R 85/07, BFHE
222, 418, BStBl II 2008, 924 = SIS 08 37 68). An den in diesem Sinn
zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung subjektiv
„richtigen“ Bilanzansatz ist das FA gebunden,
auch wenn die Rechtsfrage nach diesem Zeitpunkt durch eine
höchstrichterliche Entscheidung im gegenteiligen Sinne
entschieden worden ist (Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II
2007, 818 = SIS 07 31 76).
|
|
|
16
|
Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist
(dazu Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1339 = SIS 10 14 76), bedarf
im Streitfall keiner Entscheidung. Denn nach Maßgabe dieser
Rechtsprechung hat die Klägerin durch das Unterlassen der
Bildung eines aktiven RAP eine der kaufmännischen Sorgfalt
nicht entsprechende Entscheidung getroffen. Bis zum Ergehen des
angefochtenen FG-Urteils war die Frage der Aktivierung eines RAP
für vorausbezahlte Kfz-Steuer nicht streitig, sondern
entsprach im Anschluss an das BFH-Urteil vom 10.7.1970 III R 112/69
(BFHE 100, 110, BStBl II 1970, 779 = SIS 70 04 27) der
gängigen Bilanzierungspraxis (vgl. Thiel,
Steuerberater-Jahrbuch 1969/70, S. 255, 262; Mies, DB 1970, 1798;
Plückebaum, StBp 1970, 249, 259; Söffing, NWB Fach 17a,
S. 735 f.; Federmann, BB 1984, 246, 247; Federmann, Steuer und
Studium 1985, 131, 136; Glade, Praxishandbuch der Rechnungslegung
und Prüfung, 2. Aufl., 1995, S. 1354; Bauer in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 108;
Hennrichs in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl.,
2003, § 250 HGB Rz 12; a.A. nur Heymann/Walz, HGB, 2. Aufl.,
1999, § 250 Rz 6). Angesichts dessen kann für den
Zeitpunkt der von der Klägerin aufgestellten Bilanz am
22.8.2003 davon ausgegangen werden, dass die Pflicht zur
Aktivierung eines RAP für vorausbezahlte Kfz-Steuer nicht
zweifelhaft war.
|