Die Revisionen der Klägerin gegen die
Urteile des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 10.02.2021
- 5 K 197/18 und vom 10.02.2021 - 5 K 198/18 werden als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten der Revisionsverfahren hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Die Beteiligten streiten über die
Anwendbarkeit des sogenannten Schachtelprivilegs des Abkommens
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum
Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über
gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der
Grundsteuern vom 23.08.1958 (BGBl II 1959, 1270, BStBl I 1959,
1023), zuletzt geändert durch das Protokoll vom 11.12.2009
(BGBl II 2010, 1151, BStBl I 2011, 838) - DBA-Luxemburg 1958/2009 -
auf Ausschüttungen einer Luxemburger Kapitalgesellschaft an
eine inländische KGaA. Streitjahre sind die Jahre 2011 und
2012.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KGaA, die am
03.11.2011 mit einem Grundkapital von … EUR gegründet
wurde. Satzungsmäßiger Geschäftsgegenstand ist die
Verwaltung eigenen Vermögens und die Beteiligung an anderen
Gesellschaften im In- und Ausland. Persönlich haftende
Gesellschafterin der Klägerin ist die G-KG, die im September
2011 unter einer anderslautenden Firma gegründet worden war,
bevor am 04.11.2011 der Gründungsgesellschafter ausschied,
dessen Kommanditanteil von H übernommen und die Firma in G-KG
geändert wurde. Die G-KG, an deren Gewinn und Verlust
ausschließlich natürliche Personen als Kommanditisten
beteiligt sind, leistete eine nicht auf das Grundkapital bezogene
Sondereinlage, mit der sie zu rund 99,7 % am Gewinn und Verlust der
Klägerin beteiligt ist. Neben ihrer Stellung als
persönlich haftende Gesellschafterin ist die G-KG auch
Inhaberin sämtlicher Aktien der Klägerin (… auf
den Inhaber lautende Stückaktien zu je … EUR).
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Am 18.11.2011 gründete die
Klägerin als alleinige Gesellschafterin die G-SARL, eine mit
einer deutschen GmbH vergleichbare Kapitalgesellschaft
luxemburgischen Rechts mit Sitz im Großherzogtum Luxemburg
(Luxemburg). Zum Geschäftsführer der G-SARL wurde der in
Luxemburg ansässige … bestellt.
Satzungsmäßiges Ziel der Gesellschaft war der Erwerb von
Wertpapieren und Finanzinstrumenten in jeglicher Form.
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Mit Vertrag vom 25.11.2011 gewährte
die Klägerin der G-SARL ein Darlehen über … EUR.
In dem Vertrag heißt es unter anderem:
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„Präambel
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Der Darlehensgeber ist einziger
Gesellschafter des Darlehensnehmers. Um Kapitalanlagen tätigen
zu können, stellt der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer den
oben genannten Darlehensbetrag zur Verfügung.
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…
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§ 1 Darlehensauszahlung,
Verwendungszweck
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…
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(2) Der Darlehensnehmer darf den
Darlehensbetrag ausschließlich dazu verwenden, um in
Kapitalprodukte zu investieren, die er vorher mit dem
Darlehensgeber abgestimmt hat.
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…
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§ 2 Zinssatz
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Der Zinssatz beträgt 0% p.a.
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§ 3 Vertragsdauer, Zins- und
Tilgungszahlungen
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(1) Der Darlehensvertrag ist auf
unbestimmte Dauer geschlossen.
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…“.
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Zusätzlich zu diesem Darlehensvertrag
wurde am gleichen Tag (25.11.2011) ein Addendum zwischen der
Klägerin und der G-SARL geschlossen. Dort heißt es wie
folgt:
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„Ziel der beabsichtigten
Kapitalüberlassung ist es, dem Darlehensnehmer langfristig
Kapital für rentierliche Kapitalanlagen zur Verfügung zu
stellen. Zu diesem Zweck war ursprünglich mündlich
vereinbart/zugesagt worden, das Kapital in Form von Eigenkapital
zur Verfügung zu stellen. Aus verschiedenen Gründen soll
das Kapital jedoch zunächst in Form eines Darlehens zur
Verfügung gestellt werden. Um den wirtschaftlichen Charakter
der Kapitalüberlassung als Eigenkapital zu gewährleisten,
vereinbaren die Parteien ergänzend/abändernd was
folgt:
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1.
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Der Darlehensgeber verzichtet auf sein
Kündigungsrecht nach § 4 des Darlehensvertrages.
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2.
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Der Darlehensgeber sichert dem
Darlehensnehmer zu, zeitnah auf die Darlehens- und auch auf die bis
dahin aufgelaufene Zinsforderung zu verzichten.
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3.
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Das Abstimmungserfordernis nach § 1
Abs. (2) und (3) wird dahingehend präzisiert, dass es nur
für Kapitalanlagen gilt, bei denen das Verlustrisiko nicht auf
10% des Anlagevolumens begrenzt werden
kann.“
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Am 25.11.2011 überwies die
Klägerin … EUR und am 28.11.2011 weitere … EUR
an die G-SARL. Mit Erlassvertrag vom 05.12.2011 verzichtete die
Klägerin gegenüber der G-SARL auf die Rückzahlung
dieses Darlehens.
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Mit Darlehensvertrag vom 23.01.2012,
welcher im Wortlaut identisch mit dem Darlehensvertrag vom
25.11.2011 ist, gewährte die Klägerin der G-SARL ein
weiteres Darlehen über … EUR. Ebenfalls am 23.01.2012
vereinbarten die Vertragsparteien ein Addendum zum Darlehensvertrag
entsprechend der Vereinbarung vom 25.11.2011.
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Am 23.01.2012 überwies die
Klägerin … EUR und am 24.01.2012 weitere … EUR
an die G-SARL. Mit Erlassvertrag vom 25.01.2012 verzichtete die
Klägerin auf die Rückzahlung auch dieses
Darlehens.
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Das Kapital für die
Darlehensbeträge stammte jeweils aus Sondereinlagen der
Kommanditisten der G-KG. Diesen waren von H jeweils
Investitionsvorschläge unterbreitet worden, welche sie durch
eine vorformulierte Investitionserklärung unter Eintragung
eines Einlagebetrags annehmen oder die sie ablehnen
konnten.
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Mit dem Verzicht auf die
Darlehensforderungen buchte die Klägerin jeweils den
ursprünglichen Forderungsbetrag gegenüber der G-SARL auf
die Anschaffungskosten der Beteiligung um. Hierdurch erhöhten sich die
ursprünglichen Anschaffungskosten um … EUR (2011) und
… EUR (2012).
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Die G-SARL löste die Verbindlichkeiten
in beiden Jahren auf und erfasste die Beträge in ihrer
Handelsbilanz jeweils als Ertrag. Sie erstellte auf den 12.12.2011
eine Zwischenbilanz, aus der sich ein Jahresüberschuss in
Höhe von … EUR ergab. Auf der Grundlage dieser
Zwischenbilanz schüttete sie per Gesellschafterbeschluss vom
19.12.2011 am 23.12.2011 den Betrag von … EUR an die
Klägerin aus. Auf den 15.02.2012 erstellte die G-SARL eine
Zwischenbilanz, die einen Jahresüberschuss von … EUR
aufwies. Aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 20.02.2012
schüttete sie sodann am 24.02.2012 … EUR an die
Klägerin aus. Diese erfasste die Ausschüttungen jeweils
als Erträge aus Beteiligung.
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Die G-SARL schloss das Jahr 2011 mit einem
handelsrechtlichen Gewinn von … EUR ab; steuerlich
erklärte sie einen Verlust von ./. … EUR. Das Jahr 2012
schloss sie mit einem handelsrechtlichen Gewinn von … EUR
ab; steuerlich erklärte sie einen Verlust von ./. …
EUR. Die luxemburgische Finanzbehörde übernahm jeweils
die erklärten Verluste.
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Da die G-SARL nach vollzogener
Ausschüttung zum Bilanzstichtag 31.12.2011 über kein
nennenswertes Kapital mehr verfügte, korrigierte die
Klägerin den Beteiligungsansatz und verbuchte eine
entsprechende Teilwertabschreibung.
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Am 30.11.2012 veräußerte die
Klägerin die Beteiligung an der G-SARL für … EUR.
Sie buchte die Beteiligung als Abgang aus dem Anlagevermögen
mit einem Wert von … EUR aus
(Veräußerungsverlust).
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) setzte den Gewerbesteuermessbetrag der
Klägerin für den Erhebungszeitraum 2011 unter
Zugrundelegung eines Gewerbeertrags von ./. … EUR auf 0 EUR
fest; den vortragsfähigen Gewerbeverlust für 2011 stellte
das FA gesondert mit ./. … EUR fest (Bescheide vom
24.10.2012, nach Außenprüfung jeweils geändert
durch Bescheide vom 17.01.2017 über die Aufhebung des
Vorbehalts der Nachprüfung). Bei der Bemessung des
Gewerbeertrags mit ./. … EUR ging das FA von einem Gewinn
der Klägerin aus Gewerbebetrieb von … EUR und einem
nach § 8 Nr. 4 des Gewerbesteuergesetzes in der für die
Streitjahre geltenden Fassung (GewStG) hinzuzurechnenden
Gewinnanteil der persönlich haftenden Gesellschafterin von ./.
… EUR aus.
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Für den Erhebungszeitraum 2012 setzte
das FA - unter Annahme eines Gewerbeertrags von … EUR nach
Verlustabzug - den Gewerbesteuermessbetrag der Klägerin auf
… EUR fest; den vortragsfähigen Gewerbeverlust stellte
das FA mit 0 EUR fest (Änderungsbescheide vom 04.07.2014, nach
Außenprüfung nochmals geändert durch Bescheide vom
17.01.2017 über die Aufhebung des Vorbehalts der
Nachprüfung). Der Berechnung des Gewerbeertrags legte das FA
einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von … EUR und einen nach
§ 8 Nr. 4 GewStG hinzuzurechnenden Gewinnanteil der
persönlich haftenden Gesellschafterin von … EUR
zugrunde.
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Die Klägerin erhob jeweils Einspruch
gegen die aufgeführten Bescheide (im April 2014 gegen die
Bescheide für das Streitjahr 2012; im Februar 2017 gegen die
Bescheide für das Streitjahr 2011). Sie ist der Auffassung,
dass die vom FA nach § 8 Nr. 4 GewStG hinzugerechneten
Gewinnanteile der G-KG um … EUR (2011) und um … EUR
(2012) zu mindern seien. Es handelt sich bei diesen Beträgen
jeweils um 60 % der auf den Anteil der G-KG (99,7 %) entfallenden
Gewinnausschüttungen der G-SARL. Diese
Gewinnausschüttungen seien bei den Gesellschaftern der G-KG
nicht nur - wie das FA angenommen habe - nach dem sogenannten
Teileinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 des
Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden
Fassung (EStG) zu 40 % steuerfrei, sondern auch in Höhe der
restlichen 60 %. Es handele sich bei den Ausschüttungen um
nach dem Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1
DBA-Luxemburg 1958/2009 steuerfreie Dividenden.
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Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Das FA war nach der Außenprüfung der Auffassung, bei den
Ausschüttungen der G-SARL an die Klägerin handele es sich
nicht um „echte“ Dividenden im Sinne von
Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 DBA-Luxemburg 1958/2009,
sondern um fingierte Ausschüttungen. Die den
Ausschüttungen zugrunde liegenden Erträge seien nicht
durch die G-SARL am Markt erwirtschaftet worden, sondern rein
buchhalterischer Natur; ihnen habe keine echte
Vermögensmehrung zugrunde gelegen. In Bezug auf das Streitjahr
2012 stützte sich das FA auf die mit dem Gesetz zur
Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes und von steuerlichen
Vorschriften vom 08.05.2012 (BGBl I 2012, 1030) geschaffene
Regelung des § 50d Abs. 11 EStG, der zufolge die
Gesellschafter der G-KG als natürliche Personen sich nicht auf
ein die Klägerin als Kapitalgesellschaft betreffendes
abkommensrechtliches Schachtelprivileg berufen könnten. Die
Klägerin vertrat insoweit die Auffassung, dass die durch
§ 52 Abs. 59a Satz 9 EStG angeordnete erstmalige Geltung des
§ 50d Abs. 11 EStG für Zahlungen nach dem 31.12.2011 in
ihrem Fall (Ausschüttung am 24.02.2012) wegen Verstoßes
gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgrundsatz
verfassungswidrig sei.
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Gegen die das Streitjahr 2012 betreffenden
Bescheide hat die Klägerin im November 2014 Klage beim
Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (FG) erhoben. Das
Klageverfahren ruhte während der Außenprüfung und
wurde nach Ergehen des Änderungsbescheids vom 17.01.2017
fortgesetzt. Die das Streitjahr 2011 betreffende Klage hat die
Klägerin im November 2017 beim FG erhoben.
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Mit Urteilen vom 10.02.2021 - 5 K 198/18
(Streitjahr 2011) und 5 K 197/18 (Streitjahr 2012) hat das FG beide
Klagen abgewiesen. Nach Auffassung des FG unterfielen die
Ausschüttungen der G-SARL an die Klägerin zwar als
Dividenden dem Schachtelprivileg des DBA-Luxemburg 1958/2009.
Jedoch liege in der rechtlichen Gestaltung der Darlehensvergabe mit
anschließendem Erlass der Darlehensforderung und unmittelbar
folgender Gewinnausschüttung ein Missbrauch rechtlicher
Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 der
Abgabenordnung in der für die Streitjahre geltenden Fassung
(AO), weil sie ausschließlich dem Zweck gedient habe, in
wirtschaftlich unangemessener Weise künstliche, steuerlich
nutzbare Verluste realisieren zu können. Eine den
wirtschaftlichen Vorgängen angemessene Gestaltung hätte
in einer Kapitaleinlage/Kapitalerhöhung mit
anschließender (steuerneutraler) Kapitalrückführung
bestanden, wodurch es nicht zu einer steuerwirksamen
Teilwertabschreibung und zu einem steuerwirksamen
Veräußerungsverlust gekommen wäre. Auf die
Verfassungsmäßigkeit des § 50d Abs. 11 EStG komme
es somit für das Streitjahr 2012 nicht an.
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Gegen die FG-Urteile richten sich die
Revisionen der Klägerin (Verfahren I R 13/21 - Streitjahr 2011
- und I R 12/21 - Streitjahr 2012 - ). Sie wendet sich gegen die
Beurteilung der Gestaltung als Rechtsmissbrauch und stützt
sich dabei unter anderem auf die Erklärungen des H in der
mündlichen Verhandlung vor dem FG. H hat dort als Ziel der
Gestaltung die Anlage der Einlagen der Gesellschafter zu den
jeweils aktuell bestmöglichen Zinssätzen benannt.
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Der erkennende Senat hat die Verfahren in
der mündlichen Verhandlung - nachdem die Anträge auf
Aussetzung beziehungsweise Ruhen des Verfahrens nicht
aufrechterhalten wurden - mit Beschluss vom 18.12.2024 - I R
12-13/21 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden
(§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 121 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Die Klägerin beantragt, die FG-Urteile
aufzuheben und
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den geänderten Bescheid für 2011
über den Gewerbesteuermessbetrag und den geänderten
Bescheid über die gesonderte Feststellung des
vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011, jeweils
vom 17.01.2017, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
02.11.2017, zu ändern und die hinzuzurechnenden
Gewinnanteile/Vergütungen des persönlich haftenden
Gesellschafters um … EUR zu mindern und den
vortragsfähigen Gewerbeverlust um … EUR zu erhöhen
und entsprechend festzusetzen beziehungsweise festzustellen,
sowie
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den geänderten Bescheid für 2012
über den Gewerbesteuermessbetrag und den geänderten
Bescheid über die gesonderte Feststellung vortragsfähigen
Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012, jeweils vom 17.01.2017 zu
ändern und die hinzuzurechnenden
Gewinnanteile/Vergütungen des persönlich haftenden
Gesellschafters um … EUR zu mindern und den
vortragsfähigen Gewerbeverlust um … EUR zu erhöhen
und entsprechend festzusetzen beziehungsweise
festzustellen.
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Das FA beantragt, die Revisionen
zurückzuweisen.
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II. Die Revisionen sind unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Im Hinblick auf die Bescheide über die
gesonderten Feststellungen des vortragsfähigen
Gewerbeverlustes auf den 31.12.2011 und auf den 31.12.2012 ergibt
sich die Unbegründetheit der Rechtsmittel bereits aus dem
Umstand, dass sich die Einwendungen der Klägerin
ausschließlich auf die Ermittlung des in den abgelaufenen
Erhebungszeiträumen erzielten Gewerbeertrags als
Berechnungsgrundlage für die Verlustermittlung beziehen.
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Aus § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 GewStG
folgt, dass bei der Feststellung des vortragsfähigen
Gewerbeverlustes die Besteuerungsgrundlagen so zu
berücksichtigen sind, wie sie der Festsetzung des
Steuermessbetrags für den Erhebungszeitraum, auf dessen
Schluss der vortragsfähige Gewerbeverlust festgestellt wird,
zugrunde gelegt worden sind. Den Gewerbesteuermessbescheiden kommt
also insoweit eine Grundlagenfunktion im Verhältnis zu den
Verlustfeststellungsbescheiden zu (z.B. Senatsurteile vom
06.12.2016 - I R 79/15, BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173 = SIS 17 04 50 und vom 19.12.2018 - I R 71/16, BFHE 264, 115, BStBl II 2019,
493 = SIS 19 08 57; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
11.01.2024 - IV R 25/21, BFH/NV 2024, 679 = SIS 24 06 95). Nach der
gemäß § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG
entsprechend anzuwendenden Bestimmung des § 351 Abs. 2 AO
können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch
Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des
Folgebescheids angegriffen werden. Die durch das Jahressteuergesetz
2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394 = SIS 10 40 34) im Zuge der Neuordnung des Verhältnisses von
Steuerfestsetzung und Verlustfeststellung in das Gesetz
eingefügten Regeln des § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG gelten
nach § 36 Abs. 10 Satz 1 GewStG erstmals für Verluste,
für die nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur
Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes abgegeben
wird, und ist folglich auf die verfahrensgegenständlichen
Bescheide anzuwenden.
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2. Aus der vorstehend beschriebenen
Grundlagenfunktion des Bescheids über die Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags für die gesonderte Feststellung des
vortragsfähigen Gewerbeverlustes ergibt sich zugleich ein
Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die
Anfechtung des Bescheids für 2011 über die Festsetzung
des Gewerbesteuermessbetrags, obgleich der Gewerbesteuermessbetrag
durch diesen Bescheid auf Null EUR festgesetzt worden ist (vgl.
allgemein Senatsurteile vom 06.12.2016 - I R 79/15, BFHE 256, 199,
BStBl II 2019, 173 = SIS 17 04 50 und vom 19.12.2018 - I R 71/16,
BFHE 264, 115, BStBl II 2019, 493 = SIS 19 08 57; BFH-Urteil vom
17.03.2021 - IV R 7/20, BFH/NV 2021, 1206 = SIS 21 12 82).
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3. Das FG hat im Ergebnis zu Recht
entschieden, dass die Ausschüttungen der G-SARL an die
Klägerin, soweit sie auf den Anteil der G-KG entfallen (99,7
%), nur zu 40 % nach dem Teileinkünfteverfahren und nicht auch
in Höhe der verbleibenden 60 % gemäß dem
Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1
DBA-Luxemburg 1958/2009 von der Bemessungsgrundlage der deutschen
Steuern auszunehmen sind.
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a) Der Gewerbeertrag als Besteuerungsgrundlage
der Gewerbesteuer (§ 6 GewStG) ist gemäß § 7
Satz 1 GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes
oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus
dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für
den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu
berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den
§§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Der
Gewerbeertrag entspricht somit auf der ersten Ermittlungsstufe (vor
den gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnungen und Kürzungen)
dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, der der Bemessung der Einkommen- und
Körperschaftsteuer zugrunde zu legen ist. Auf dieser Stufe
gehen folglich Einkünfte, die aufgrund besonderer gesetzlicher
Vorschriften - zum Beispiel Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung (DBA) - als steuerfrei behandelt werden, von
vornherein nicht in den Gewerbeertrag ein (vgl. Senatsurteile vom
09.06.2010 - I R 107/09, BFHE 230, 35 = SIS 10 22 24; vom
20.07.2016 - I R 50/15, BFHE 254, 365, BStBl II 2017, 230 = SIS 16 21 25 und vom 22.02.2023 - I R 35/22 (I R 32/18), BFHE 280, 98,
BStBl II 2023, 761 = SIS 23 06 49).
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b) Ohne Rechtsfehler ist die Vorinstanz zu dem
Ergebnis gelangt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des
abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs als solche in Bezug auf
beide Streitjahre erfüllt sind.
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aa) Grundsätzlich werden nach Art. 20
Abs. 2 Satz 1 DBA-Luxemburg 1958/2009 von der Bemessungsgrundlage
für die Steuer des Wohnsitzstaats (hier Bundesrepublik
Deutschland - Deutschland - ) die Einkünfte und
Vermögensteile ausgenommen, für die nach den
vorhergehenden Artikeln der andere Staat (wie hier Luxemburg
gemäß Art. 13 Abs. 2 DBA-Luxemburg 1958/2009) ein
Besteuerungsrecht hat. Bei Dividenden gilt dies jedoch
gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009 nur
für Dividenden, die einer Kapitalgesellschaft von einer
Kapitalgesellschaft mit Sitz in dem anderen Staat gezahlt werden,
deren stimmberechtigte Anteile zu mindestens 25 % der erstgenannten
Gesellschaft gehören.
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bb) Sowohl bei der Klägerin als auch bei
der in ihrem alleinigen Anteilsbesitz stehenden G-SARL handelt es
sich um Kapitalgesellschaften im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 3
DBA-Luxemburg 1958/2009. Mangels eigenständiger Definition
oder sonstiger Anknüpfungspunkte für die
Begriffsbestimmung im DBA-Luxemburg 1958/2009 ist für den
Begriff der Kapitalgesellschaft das Verständnis Deutschlands
als Anwenderstaat maßgeblich (s. Art. 2 Abs. 2 DBA-Luxemburg
1958/2009). Die Rechtsform der KGaA wird in § 1 Abs. 1 Nr. 1
des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ausdrücklich als
Kapitalgesellschaft definiert. Für die G-SARL ergibt sich die
Eigenschaft als Kapitalgesellschaft aus der vom FG festgestellten
Vergleichbarkeit der luxemburgischen Rechtsform der SARL mit der
einer deutschen GmbH (Typenvergleich).
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cc) Das FG hat die Ausschüttungen der
G-SARL zutreffend als „Dividenden“ im
Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA-Luxemburg 1958/2009
qualifiziert. Nach Nr. 12 des Schlussprotokolls zu Art. 5, 7 und 13
DBA-Luxemburg 1958/2009 sind unter anderem Einkünfte aus
Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung als
Dividenden zu behandeln. Dies ist auch für Art. 20
DBA-Luxemburg 1958/2009 als Verteilungsartikel maßgeblich
(Senatsurteile vom 04.06.2008 - I R 62/06, BFHE 222, 255, BStBl II
2008, 793 = SIS 08 33 10 und vom 15.03.2021 - I R 61/17, BFHE 272,
399 = SIS 21 14 06).
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Der von der Außenprüfung und in
erster Instanz vom FA vertretenen Sichtweise, die Zahlungen seien
mangels einer vorherigen tatsächlichen Vermögensmehrung
auf Ebene der ausschüttenden G-SARL nicht als
„echte“ Dividenden im Sinne des
abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs anzusehen, weil sie nicht
aus einer tatsächlichen Vermögensmehrung herrührten,
ist das FG zu Recht nicht gefolgt. Für das Vorliegen einer
Dividende ist es unerheblich, ob die Zuwendung zu Lasten des
Gewinns oder zu Lasten der Vermögenssubstanz geht (vgl.
Senatsurteile vom 20.10.2010 - I R 117/08, BFHE 232, 15, BStBl II
2022, 254 = SIS 11 05 51; vom 06.06.2012 - I R 6, 8/11, BFHE 237,
346, BStBl II 2013, 111 = SIS 12 25 20 und vom 07.02.2024 - I R
8/19, BFH/NV 2024, 759 = SIS 24 07 58; zustimmend z.B.
Brandis/Heuermann/Rengers, § 8b KStG Rz 110).
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Nach den nicht zu beanstandenden
Feststellungen der Vorinstanz handelt es sich bei den Zahlungen des
Weiteren nicht um nach einer Kapitalherabsetzung
zurückgezahltes Nennkapital der G-SARL. Auch die
Voraussetzungen einer steuerneutralen Einlagenrückgewähr
einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft nach
Maßgabe von § 27 Abs. 8 i.V.m. Abs. 1 bis 6 KStG sind
nicht erfüllt. Da das FA in seiner Revisionserwiderung keine
weiteren Einwände hiergegen vorgebracht hat, wird
diesbezüglich von weiteren Ausführungen abgesehen.
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37
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dd) In Bezug auf das Streitjahr 2011 erstreckt
sich die Freistellung des Ausschüttungsbetrags von der
deutschen Besteuerung auf Ebene der Klägerin auch auf den
Gewinnanteil der G-KG als persönlich haftender
Gesellschafterin nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, obgleich
es sich weder bei der G-KG noch bei den im Streitjahr allein an
deren Gewinn beteiligten Kommanditisten um Kapitalgesellschaften
handelt.
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38
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Der Senat hat mit Urteil vom 19.05.2010 - I R
62/09 (BFHE 230, 18 = SIS 10 22 48) entschieden, dass für
Dividenden, die eine in der Französischen Republik
(Frankreich) ansässige Kapitalgesellschaft an eine in
Deutschland ansässige KGaA zahlt, das Schachtelprivileg des
mit Frankreich seinerzeit bestehenden DBA auch dann in voller
Höhe zu gewähren ist, wenn persönlich haftende
Gesellschafterin der KGaA eine Personengesellschaft ist. Danach
setzt sich das abkommensrechtliche Schachtelprivileg über die
materielle Zurechnung abkommensspezifisch hinweg und
begünstigt sämtliche Dividendenzahlungen an die KGaA, und
zwar auch dann, wenn die zu gewährende Freistellung aufgrund
der innerstaatlichen Zurechnung - wie im entschiedenen Fall der
Komplementärin in der Rechtsform einer Personengesellschaft -
(auch) einer Person zugutekommt, der die Freistellung „an
sich“ nicht zusteht; die (Teil-)Transparenz
der hybriden KGaA wirkt sich nicht aus.
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39
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Mit Urteilen vom 15.03.2021 - I R 1/18 (BB
2021, 2337 = SIS 21 14 02), vom 01.06.2022 - I R 44/18 (BFHE 277,
263 = SIS 22 17 04) und vom 07.02.2024 - I R 8/19 (BFH/NV 2024, 759
= SIS 24 07 58) hat der Senat diese Rechtsprechung auf das hier in
Rede stehende Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m.
Satz 1 DBA-Luxemburg 1958/2009 (bzw. des DBA-Luxemburg 1958 i.d.F.
des Ergänzungsprotokolls vom 15.06.1973, BGBl II 1978, 111,
BStBl I 1978, 73) übertragen, woran für den Streitfall
ungeachtet der daran geäußerten Kritik (Wacker, FR 2023,
725, 730) festzuhalten ist.
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40
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ee) Für die im Streitjahr 2012
vorgenommene Ausschüttung besteht eine geänderte
Rechtslage.
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41
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aaa) Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur
Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes und von steuerlichen
Vorschriften vom 08.05.2012 (BGBl I 2012, 1030) in Reaktion auf das
Senatsurteil vom 19.05.2010 - I R 62/09 (BFHE 230, 18 = SIS 10 22 48) die Bestimmung des § 50d Abs. 11 EStG in das Gesetz
eingefügt. Danach wird dann, wenn Dividenden beim
Zahlungsempfänger nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage
der deutschen Steuer auszunehmen sind, die Freistellung ungeachtet
des Abkommens nur insoweit gewährt, als die Dividenden nach
deutschem Steuerrecht nicht einer anderen Person zuzurechnen sind
(Satz 1). Soweit die Dividenden nach deutschem Steuerrecht einer
anderen Person zuzurechnen sind, werden sie bei dieser Person
freigestellt, wenn sie bei ihr als Zahlungsempfänger nach
Maßgabe des Abkommens freigestellt würden (Satz 2).
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42
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bbb) Mit § 50d Abs. 11 EStG soll erreicht
werden, „dass das abkommensrechtliche Schachtelprivileg der
Kapitalgesellschaft als Zahlungsempfängerin der Dividenden nur
insoweit gewährt wird, als ihr die Dividenden nach deutschem
Steuerrecht zuzurechnen sind“
(Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des
Deutschen Bundestags vom 05.03.2012, BT-Drucks. 17/8867, S. 13).
Ist Empfängerin der Dividenden eine KGaA, bei der eine
Mitunternehmerschaft als persönlich haftende Gesellschafterin
fungiert, ist § 50d Abs. 11 EStG dahin zu verstehen, dass -
gegebenenfalls entgegen dem tatsächlichen Inhalt des
betreffenden DBA („Treaty override“) -
das Abkommen so anzuwenden ist, als würde es die nach
innerstaatlichem deutschem Recht bestehende hybride Struktur der
KGaA nachvollziehen und das Schachtelprivileg nur insoweit
gewähren, als es sich bei den Mitunternehmern um Personen
handelt, die das Schachtelprivileg bei einem unmittelbaren Bezug
der Dividende in eigener Person in Anspruch nehmen könnten
(vgl. zur Regelungssystematik z.B. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG,
23. Aufl., § 50d Rz 50 ff.; Frotscher in Frotscher/Geurts,
EStG, § 50d Rz 259, 264; Kollruss/Weißert, IStR 2020,
403 ff.). Da im Streitfall keiner der Gesellschafter der G-KG eine
Kapitalgesellschaft ist, wäre nach § 50d Abs. 11 EStG das
Schachtelprivileg des DBA-Luxemburg 1958/2009
abkommensüberschreibend auf den Gewinnanteil der Klägerin
zu beschränken.
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43
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ccc) In zeitlicher Hinsicht soll § 50d
Abs. 11 EStG auf alle Zahlungen anwendbar sein, die nach dem
31.12.2011 erfolgen (§ 52 Abs. 59a Satz 9 EStG) und umfasst
daher auch die Ausschüttung der G-SARL an die Klägerin
vom 24.02.2012. Die Klägerin hält insoweit einen
Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des
Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des
Grundgesetzes) in Form einer unzulässigen
„unechten“ Rückwirkung für
gegeben, weil die Ausschüttung hier vor den Zeitpunkten
erfolgt ist, an dem die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses
zur vorgeschlagenen Einfügung des § 50d Abs. 11 EStG im
Wortlaut öffentlich bekannt geworden - 05.03.2012 -
beziehungsweise das Gesetz zur Änderung des
Gemeindefinanzreformgesetzes und von steuerlichen Vorschriften vom
Deutschen Bundestag beschlossen worden - 08.05.2012 - ist. Das FG
ist dem in der Tendenz gefolgt (zustimmend Gosch in Kirchhof/Seer,
EStG, 23. Aufl., § 50d Rz 50a), hat die Frage jedoch im
Ergebnis offen gelassen, weil es wegen des auch für 2012
angenommenen Missbrauchs von rechtlichen
Gestaltungsmöglichkeiten und den sich daraus nach § 42 AO
ergebenden Folgen auf die Wirksamkeit des § 50d Abs. 11 EStG
im Streitfall letztlich nicht ankomme. Diese Beurteilung erweist
sich - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt -
als zutreffend, sodass für den Senat kein Anlass besteht, sich
im vorliegenden Verfahren mit der verfassungsrechtlichen
Problematik zu befassen.
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44
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c) Der Klägerin ist in Bezug auf die
beiden Ausschüttungen der G-SARL wegen Missbrauchs von
rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO die
Berufung auf das Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m.
Satz 1 DBA-Luxemburg 1958/2009 zu versagen.
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45
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aa) Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1
AO (in der ab 2008 geltenden Fassung) kann das Steuergesetz durch
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht
umgangen werden. Ein Missbrauch liegt nach § 42 Abs. 2 AO vor,
wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird,
die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer
angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen
Steuervorteil führt (Satz 1). Dies gilt nicht, wenn der
Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung
außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem
Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (Satz 2).
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46
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Ist der Tatbestand einer Regelung in einem
Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von
Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach
jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls
entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im
Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen
Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§
42 Abs. 1 Satz 3 AO).
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47
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bb) Das FG hat eine die Geschehnisse beider
Streitjahre umfassende Würdigung der Gesamtumstände
vorgenommen und einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten
des Rechts im Sinne von § 42 AO bejaht. So hat die Vorinstanz
den jeweils gleichzeitigen Abschluss der Darlehensverträge und
der Addenda als einander widersprechend und gegenläufig
angesehen und den Weg der Einlagen über die Gewährung
eines Darlehens mit anschließendem Verzicht auf die
Rückzahlungsforderung als dicht aufeinanderfolgende,
minutiös ineinandergreifende und präzise choreografierte,
komplizierte und umständliche Rechtsakte gewertet; bei
wirtschaftlicher Betrachtung seien die beiden
Gewinnausschüttungen jeweils als Einlagenrückgewähr
anzusehen. Die G-SARL sei keine am Markt aktive Kapitalgesellschaft
gewesen, die eigene Gewinne erwirtschaftet habe. Sie sei
ausschließlich gegründet worden, um durch die
Umqualifizierung der unterjährigen Rückgewähr von
Einlagen steuerrechtliche Dividenden zu erzeugen, die die
Tatbestandsvoraussetzungen des abkommensrechtlichen
Schachtelprivilegs erfüllten. Finales Ziel der Gestaltung sei
die Erzielung der für die Gesellschafter der G-KG
steuerwirksamen Teilwertabschreibung (2011) beziehungsweise des
Veräußerungsverlustes (2012) gewesen, die wesentlich
durch die erhöhten Anschaffungskosten infolge der
Darlehensverzichte der Klägerin und die
Gewinnausschüttungen der G-SARL bedingt gewesen seien.
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48
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Als aus § 42 AO abzuleitende Rechtsfolge
hat das FG angenommen, die
„künstlich“ erzeugten steuerlichen
Verluste der Klägerin durch Teilwertabschreibung (2011) und
Veräußerung der Anteile an der G-SARL (2012) seien zu
versagen; die als Einlagenrückgewähr zu beurteilenden
Gewinnausschüttungen seien nicht als Dividenden zu behandeln.
Die angefochtenen Bescheide seien nicht zuungunsten der
Klägerin rechtswidrig, im Übrigen gelte im Klageverfahren
das Verbot der sogenannten reformatio in peius
(Verböserungsverbot).
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49
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cc) Es bedarf keiner Entscheidung durch den
Senat, ob dem FG in Schlussfolgerungen in Bezug auf die Versagung
der steuerlichen Wirkungen der Teilwertabschreibung beziehungsweise
der Anteilsveräußerung gefolgt werden kann. Das
angefochtene Urteil erweist sich jedenfalls insoweit als
zutreffend, als der Klägerin - respektive der G-KG und deren
Gesellschaftern - gemäß § 42 AO die Berufung auf
das Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1
DBA-Luxemburg 1958/2009 verwehrt ist, weil es sich bei der
zwischengeschalteten G-SARL um eine wirtschaftlich weitestgehend
funktionslose und nicht am allgemeinen Marktgeschehen teilnehmende,
ausschließlich mit dem Zweck der Erlangung des steuerlichen
Vorteils des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs für die
Gesellschafter der G-KG gegründete und unterhaltene
„Basisgesellschaft“ gehandelt hat.
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50
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aaa) Nach ständiger Rechtsprechung (vgl.
Senatsurteile vom 29.01.1975 - I R 135/70, BFHE 115, 107, BStBl II
1975, 553 = SIS 75 03 25; vom 10.06.1992 - I R 105/89, BFHE 168,
279, BStBl II 1992, 1029 = SIS 92 19 56; vom 19.01.2000 - I R
94/97, BFHE 191, 257, BStBl II 2001, 222 = SIS 00 06 40; vom
20.03.2002 - I R 38/00, BFHE 198, 514, BStBl II 2002, 819 = SIS 02 84 91; vom 31.05.2005 - I R 74, 88/04, BFHE 210, 117, BStBl II
2006, 118 = SIS 05 39 33; BFH-Urteile vom 29.07.1976 - VIII R
142/73, BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263 = SIS 77 01 51; vom
09.12.1980 - VIII R 11/77, BFHE 132, 198, BStBl II 1981, 339 = SIS 81 12 21; vom 28.01.1992 - VIII R 7/88, BFHE 167, 273, BStBl II
1993, 84 = SIS 92 13 86) erfüllt die Zwischenschaltung von
Basisgesellschaften in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft im
niedrig besteuernden Ausland den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs,
wenn hierfür wirtschaftliche oder sonst beachtliche
Gründe fehlen und wenn sie keine eigene wirtschaftliche
Tätigkeit entfalten (vgl. allgemein zum sogenannten Treaty
Shopping oder Rule Shopping Schwenke in Wassermeyer MA Art. 1 Rz 65
ff.; Weggenmann/Nehls in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., Art. 1 Rz 101
ff.; Lüdicke in Drüen/Hey/Mellinghoff [Hrsg.], 100 Jahre
Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918-2018, Festschrift für
den Bundesfinanzhof, 2018, S. 1053, 1056 ff.; Schaumburg/Häck
in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., Rz 19.157).
Werden im Inland erzielte Einnahmen zur Vermeidung
inländischer Steuer durch eine ausländische
Kapitalgesellschaft „durchgeleitet“,
gilt dies auch dann, wenn es sich bei dem Sitzstaat der
ausländischen Kapitalgesellschaft nicht um ein
Niedrigbesteuerungsland handelt (Senatsurteile vom 29.10.1997 - I R
35/96, BFHE 184, 476, BStBl II 1998, 235 = SIS 98 09 87; vom
20.03.2002 - I R 38/00, BFHE 198, 514, BStBl II 2002, 819 = SIS 02 84 91; vgl. auch Schaumburg/Häck in Schaumburg,
Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., Rz 19.156; Lüdicke in
Drüen/Hey/Mellinghoff [Hrsg.], 100 Jahre Steuerrechtsprechung
in Deutschland 1918-2018, Festschrift für den Bundesfinanzhof,
2018, S. 1053, 1060; anderer Auffassung Scharlack, Die Rechtsfolgen
des Gestaltungsmissbrauchs im internationalen Steuerrecht, 2024, S.
5 f.).
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51
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Grundsätzlich ist es nicht als
Rechtsmissbrauch zu qualifizieren, wenn ein Steuerpflichtiger - aus
welchen Gründen auch immer - zwischen sich und eine
Einkunftsquelle eine in einem anderen Mitgliedstaat der
Europäischen Union ansässige Kapitalgesellschaft schaltet
und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht.
Missbräuchlich kann die Zwischenschaltung einer
ausländischen Gesellschaft aber sein, wenn sie lediglich
vorübergehend erfolgt und nur zu dem Zweck bestimmt ist,
anderweitig drohenden steuerlichen Belastungen zu entgehen (vgl.
Senatsurteile vom 25.02.2004 - I R 42/02, BFHE 206, 5, BStBl II
2005, 14 = SIS 04 27 16 und vom 31.05.2005 - I R 74, 88/04, BFHE
210, 117, BStBl II 2006, 118 = SIS 05 39 33).
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52
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bbb) Ein solcher Sachverhalt liegt hier nach
den tatsächlichen Feststellungen des FG vor. Danach sei die
G-SARL kein am Markt aktives Unternehmen gewesen. Sie habe in den
Streitjahren keine Wertpapiere, Anleihen et cetera entsprechend
ihrem Gesellschaftszweck gekauft. Außerhalb der mit der
Klägerin vollzogenen Transaktionen (Vereinnahmung der
Darlehensvaluta und Ausschüttung nach Darlehensverzicht) sei
die G-SARL wirtschaftlich inaktiv gewesen. Die mit der
kurzfristigen Anlage der Darlehensvaluta erzielten Zinseinnahmen
(… EUR in 2011 und … EUR in 2012) seien
verhältnismäßig geringfügig und in beiden
Streitjahren jeweils durch den betrieblichen Aufwand der G-SARL
vollständig „verbraucht“ worden.
Aus diesen Umständen könne nur geschlossen werden, dass
die G-SARL ausschließlich die Funktion gehabt habe, durch die
Umqualifizierung von in wirtschaftlicher Hinsicht als
Einlagenrückgewähr zu beurteilender Transaktionen in
Dividenden die Tatbestandsvoraussetzungen des abkommensrechtlichen
Schachtelprivilegs zu erfüllen.
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53
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ccc) Diese nicht mit zulässigen und
begründeten Revisionsgründen angefochtenen
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz sind
gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend
und rechtfertigen die Einstufung der G-SARL als Basisgesellschaft.
Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Aktivitäten der
G-SARL fallen der Empfang der von der Klägerin gewährten
Gesellschafterdarlehen und die nach dem Verzicht auf die
Darlehensforderungen vorgenommenen Ausschüttungen der
außerordentlichen Erträge als ausschließlich die
Gesellschaftssphäre betreffende Vorgänge, die keinen
Bezug zu einem äußeren Marktgeschehen haben, nicht ins
Gewicht. Dass die Gesellschafterdarlehen von Anfang an nicht dazu
gedient haben, die G-SARL mit Kapital auszustatten, damit diese auf
dem allgemeinen Markt aktiv werden kann, wird durch den Umstand
belegt, dass nach den Feststellungen des FG die kurzfristige
Rückleitung der Darlehensvaluta an die Klägerin in Form
der Ausschüttung des sich aus dem Darlehensverzicht ergebenden
außerordentlichen Ertrags von Anfang an in dieser Form
geplant gewesen ist und das Darlehenskapital folglich nie
tatsächlich für Investitionen der G-SARL auf dem
Kapitalmarkt vorgesehen war.
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54
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Die einzige nach außen gerichtete
wirtschaftliche Betätigung der G-SARL bestand in der Anlage
der Darlehenssummen auf Spar- und Tagesgeldkonten zu
Zinssätzen von 1,3 % beziehungsweise 1,6 % in den
Zeiträumen zwischen der Vereinnahmung der
Darlehensbeträge und der Rückzahlung (Ausschüttung)
an die Klägerin. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um -
auf die in der Gesellschaftssphäre stattfindenden
Transaktionen bezogene - kurzfristige Begleitgeschäfte, die -
anders als die Revision es darstellt - nicht geeignet sind, der
G-SARL einen auch nur ansatzweise nachhaltigen wirtschaftlichen
Hintergrund als Kapitalanlagegesellschaft zu vermitteln. Der vom FG
hervorgehobene Umstand, dass die Zinseinnahmen so geringfügig
gewesen sind, dass sie zur Deckung des betrieblichen Aufwands der
G-SARL nicht ausgereicht haben, kann als Beleg für diesen
Befund herangezogen werden, ohne dass es sich bei der
Gewinnerzielung allerdings um ein notwendiges Substanzelement
handelt.
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55
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Die G-SARL ist lediglich vorübergehend -
nämlich zwischen dem 25.11. und 23.12.2011 und ein weiteres
Mal zwischen dem 23.01. und dem 24.02.2012 aktiv geworden mit dem
ausschließlichen Zweck, den Gesellschaftern der G-KG den
steuerlichen Vorteil des Schachtelprivilegs für Vorgänge
zu vermitteln, die bei wirtschaftlicher Betrachtung eher als
Darlehensrückzahlung oder Einlagenrückgewähr und
jedenfalls nicht als Ausschüttung eines durch
erwerbswirtschaftliche Betätigung erzielten Gewinns zu
beurteilen wären. Die Konstruktion der Gewährung von
Gesellschafterdarlehen, bei denen zeitgleich vertraglich festgelegt
wird, dass der darlehensgebende Gesellschafter alsbald auf die
Rückzahlung verzichten wird, wobei außerdem aber geplant
ist, dass die Darlehensbeträge sogleich nach dem Verzicht in
Form von Ausschüttungen des auf diese Weise - ohne
realwirtschaftlichen Hintergrund rein technisch - erzeugten
außerordentlichen Ertrags wieder an den Darlehensgeber
zurückfließen, ist vom FG zu Recht als in sich
widersprüchliches, umständliches, gekünsteltes und
rein steuerlich motiviertes Hin- und Herzahlen beurteilt worden.
Die ausschließlich steuerliche Motivation wird auch dadurch
belegt, dass nach der Schaffung des § 50d Abs. 11 EStG die
G-SARL inaktiv geblieben ist und sich die Klägerin der
Beteiligung an der Gesellschaft alsbald durch
Veräußerung entledigt hat.
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56
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ddd) Die Klägerin hat den
diesbezüglichen tatrichterlichen Feststellungen nichts
Wesentliches entgegengesetzt. Das auf die Erklärungen des H
gestützte Vorbringen in der Revisionsbegründung, die
G-SARL sei entsprechend ihres satzungsmäßigen Zwecks
tätig gewesen und habe Zinsangebote von Banken eingeholt,
belegt keine substantielle (tatsächliche)
Kapitalanlagetätigkeit der Gesellschaft. Die aus den
Gesamtumständen abgeleitete Einschätzung des FG, die
angebliche Anlagestrategie der G-SARL erscheine konstruiert, um den
zeitnahen Abzug des Geldes aus Luxemburg zu kaschieren, wird
hierdurch nicht erschüttert.
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57
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Entgegen dem in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat von der Klägerin erhobenen Einwand
leiden die vom FG getroffenen Feststellungen nicht an einem
offenkundigen inneren Widerspruch, weil das FG im Zusammenhang mit
der Prüfung (und Verneinung) des Tatbestands des
Steuerstundungsmodells nach § 15b EStG darauf abgestellt hat,
dass die zu den Akten gereichten Investitionsvorschläge keine
steuerlichen Verluste der Investoren vorgesehen hätten und
dass H in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, den
potentiellen Investoren seien steuerliche Vorteile in Form von
Verlusten auch nicht durch weitere Unterlagen oder mündliche
Äußerungen in Aussicht gestellt worden (Urteilsumdruck
S. 39). Der Senat versteht die diesbezüglichen
Ausführungen des FG dahin, dass nach dessen Rechtsauffassung
der Tatbestand des Steuerstundungsmodells („modellhafte
Gestaltung“, „vorgefertigtes
Konzept“, vgl. § 15b Abs. 2 EStG) eine
bestimmte offizielle, nachweisbare und reproduzierbare Form der
Inaussichtstellung der steuerlichen Verluste erfordert, wofür
es im Streitfall keinen Anhaltspunkt gesehen hat. Dass das FG der
Schilderung des H, wonach es das Ziel der Investitionen gewesen
sei, eine hohe Kapitalsumme zu bestmöglichen Zinsen anzulegen
und so die Banken dahingehend auszuspielen, dass jeweils bessere
Konditionen geboten werden, keinen Glauben geschenkt und sie als
„konstruiert“ angesehen hat, kommt an
anderer Stelle der Vorentscheidung (Urteilsumdruck S. 31)
unmissverständlich zum Ausdruck.
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58
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dd) Als Rechtsfolge des nicht bereits durch
ein Einzelsteuergesetz sanktionierten Missbrauchs von rechtlichen
Gestaltungsmöglichkeiten sieht § 42 Abs. 1 Satz 3 AO vor,
dass der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den
wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung
entstehen würde. Für den Streitfall bedeutet dies, dass
der Steuervorteil des Schachtelprivilegs des DBA-Luxemburg
1958/2009 hier nicht zur Anwendung kommt.
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59
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ee) Die Rechtsfolgen des § 42 Abs. 1 Satz
3 AO werden im Hinblick auf die Gewerbesteuer nicht
gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 AO durch eine vorrangige
Anwendung der einzelsteuergesetzlichen Missbrauchsvermeidungsnorm
des § 15b EStG verdrängt.
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60
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aaa) Gemäß § 15b Abs. 1 EStG
dürfen Verluste im Zusammenhang mit einem
Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb
noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen
werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen
werden (Satz 1). Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte,
die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus
derselben Einkunftsquelle erzielt (Satz 2). Ein
Steuerstundungsmodell liegt vor, wenn aufgrund einer modellhaften
Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte
erzielt werden sollen (§ 15b Abs. 2 Satz 1 EStG). Der nach
§ 15b Abs. 1 EStG nicht ausgleichsfähige Verlust ist nach
den Maßgaben des § 15b Abs. 4 EStG jährlich
gesondert festzustellen. Wenn nicht von vornherein ausgeschlossen
ist, dass eine bestimmte Gestaltung die Voraussetzungen des §
15b EStG erfüllt, ist hierüber im Verfahren der
gesonderten Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG -
gegebenenfalls durch Erlass eines sogenannten Negativ-Bescheids -
zu entscheiden (BFH-Urteil vom 07.02.2018 - X R 10/16, BFHE 260,
490, BStBl II 2018, 630 = SIS 18 06 17).
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61
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bbb) Das FG hat die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 15b EStG im Rahmen der Überprüfung der
angefochtenen Bescheide - das heißt außerhalb eines
Verfahrens der gesonderten Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG
- geprüft und verneint. Ob dies den verfahrensrechtlichen
Vorgaben des § 15b Abs. 4 EStG gerecht würde, kann indes
offen bleiben, weil es sich bei § 15b EStG nicht um eine
Gewinnermittlungsvorschrift handelt, die von der Verweisung des
§ 7 Satz 1 GewStG auf die Gewinnermittlung nach dem
Einkommensteuergesetz umfasst wäre. § 15b EStG findet
folglich im Bereich der Gewerbesteuer keine Anwendung (R 7.1 Abs. 3
Satz 1 Nr. 6 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009; Schiffers in
Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, 2. Aufl., § 7
Rz 16; Schnitter in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG,
§ 7 GewStG Rz 43; Specker in Glanegger/Güroff, GewStG,
11. Aufl., § 7 Rz 4; Desens/Tappe/Lamprecht, GewStG, § 7
Rz 180; anderer Auffassung Roser in Lenski/Steinberg,
Gewerbesteuergesetz, § 7 Rz 68). Die Rechtsfolgen des §
15b EStG beziehen sich auf die Ebene der Ermittlung des Einkommens
(vgl. Senatsurteil vom 08.11.2000 - I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl
II 2001, 349 = SIS 01 06 54 zur Verlustausgleichs- und
Abzugsbeschränkung nach § 15 Abs. 4 EStG), nicht hingegen
auf die Ebene der Gewinnermittlung.
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62
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ff) Obgleich § 42 Abs. 1 Satz 3 AO den
Rückgriff auf § 42 AO gesetzestechnisch ausdrücklich
zulässt, müssen bei der Prüfung des Vorliegens eines
Missbrauchs im Sinne des § 42 Abs. 2 AO diejenigen Wertungen
des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen
einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften
zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im
Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden (Senatsurteile vom
17.11.2020 - I R 2/18, BFHE 271, 330, BStBl II 2021, 580 = SIS 21 08 90; vom 15.03.2021 - I R 1/18, BB 2021, 2337 = SIS 21 14 02; vom
07.02.2024 - I R 8/19, BFH/NV 2024, 759 = SIS 24 07 58; BFH-Urteil
vom 16.03.2023 - VIII R 36/19, BFH/NV 2023, 808 = SIS 23 08 20).
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In der vorliegenden Konstellation ergibt sich
kein Widerspruch des auf § 42 AO gestützten Ausschlusses
der Anwendbarkeit des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs zu
der Entscheidung des Gesetzgebers, Verluste im Zusammenhang mit
Steuerstundungsmodellen (nur) unter den in § 15b EStG
genannten Voraussetzungen (und nur) im Bereich von Einkommensteuer
und der Körperschaftsteuer zu sanktionieren. Die Anwendung des
§ 42 AO zur Verhinderung eines missbräuchlichen
abkommensrechtlichen Treaty Shopping durch Zwischenschaltung einer
Basisgesellschaft verfolgt eine andere Zielrichtung als die
Beschränkungen des § 15b EStG. Die Ahndung des
missbräuchlichen Treaty Shopping dient insbesondere nicht -
wie § 15b EStG - gezielt der Beschränkung bestimmter
Gestaltungen zur Verlustverwertung, sondern soll generell die
missbräuchliche Inanspruchnahme abkommensrechtlicher
Steuervorteile verhindern, auch soweit diese nicht in Zusammenhang
mit etwaigen Steuerstundungsmodellen stehen.
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d) Die auf § 42 AO gestützte
Versagung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs führt
nicht zu einem Verstoß gegen die unionsrechtliche Richtlinie
über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und
Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
(Mutter-Tochter-Richtlinie - MTR -, für den Erhebungszeitraum
2011: Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990, Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften 1990, Nr. L 225, 6, Nr. L 266, 20,
1997, Nr. L 16, 98, zuletzt geändert durch die Richtlinie
2006/98/EG des Rates vom 20.11.2006, Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2006, Nr. L 363, 129; für
den Erhebungszeitraum 2012: Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom
30.11.2011, ABlEU 2011, Nr. L 345, 8). Art. 1 Abs. 2 MTR sieht
vielmehr ausdrücklich vor, dass die Richtlinie der Anwendung
einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung
von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht
entgegensteht, womit unter anderem auch unilaterale allgemeine
Missbrauchsverhinderungsbestimmungen wie § 42 AO angesprochen
werden (vgl. Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches
Steuerrecht, 2. Aufl., Rz 14.86, m.w.N.).
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Die Anwendung des § 42 AO auf die hier zu
beurteilende Gestaltung wird den (engen) Anforderungen gerecht, die
vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) an die
Rechtfertigung nationaler Missbrauchsverhinderungsmaßnahmen
gestellt werden. So verlangt der EuGH auch im Zusammenhang mit Art.
1 Abs. 2 MTR, dass die
nationale Missbrauchsverhinderungsmaßnahme dem spezifischen
Ziel der Verhinderung von Verhaltensweisen dienen muss, die darin
bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen
Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten,
ungerechtfertigt einen Steuervorteil zu nutzen (EuGH-Urteil
Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 - C-504/16 und
C-613/16, EU:C:2017:1009, IStR 2018, 197 = SIS 17 24 60, Rz 59 f.;
vgl. zu anderen Regelungszusammenhängen auch EuGH-Urteile EV vom 20.09.2018 -
C-685/16, EU:C:2018:743, BStBl II 2019, 111 = SIS 18 15 57, Rz 95;
Cadbury Schweppes vom 12.09.2006 - C-196/04, EU:C:2006:544 = SIS 06 39 02, Rz 55). Die oben skizzierte Rechtsprechung des BFH zur
missbräuchlichen Inanspruchnahme von Steuervorteilen durch
Einschaltung von Basisgesellschaften wird diesen Kriterien zur
Überzeugung des Senats - auch in ihrer konkreten Anwendung auf
den vorliegenden Sachverhalt - gerecht. Soweit der EuGH hervorhebt,
die Mutter-Tochter-Richtlinie schreibe nicht vor, welche
wirtschaftliche Tätigkeit die von ihr erfassten Gesellschaften
ausüben müssten oder wie hoch die Einkünfte aus
ihrer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit zu sein hätten
(EuGH-Urteil Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 -
C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, IStR 2018, 197 = SIS 17 24 60, Rz 72), steht dies dem Erfordernis eines Mindestmaßes an
wirtschaftlicher Substanz und Konstanz der zwischengeschalteten
Gesellschaft nicht entgegen. Der Umstand, dass den Mitgliedstaaten
im Rahmen der Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie die
Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Gesellschaften von der
Richtlinie auszunehmen, die nicht während eines
ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz
einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als
Muttergesellschaften gelten (Art. 3 Abs. 2 Buchst. b MTR),
verdeutlicht, dass die Sanktionierung einer Gestaltung wie der
Vorliegenden dem Sinn und Zweck der Richtlinie nicht
widerspricht.
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4. Soweit das FG neben der Versagung des
abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs weitergehende
Missbrauchsfolgen aus § 42 AO abgeleitet hat, ist dies
aufgrund des im Klageverfahren geltenden Verböserungsverbots
aus prozessrechtlichen Gründen nicht entscheidungserheblich
und daher vom Senat nicht zu prüfen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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