Die Revision des Klägers gegen das Urteil
des … wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Kläger zu tragen.
1
|
I. Streitig ist die Höhe des
geldwerten Vorteils aus der Überlassung eines Dienstwagens zur
privaten Nutzung, die Höhe der Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die
Steuerbarkeit von Prozesszinsen und die
Verfassungsmäßigkeit der Familienbesteuerung
(Kinderfreibeträge, Splittingtarif für
Verwitwete).
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erzielte im Jahr 2017 (Streitjahr) unter anderem
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit,
selbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Die beiden
Kinder des Klägers, die sich beide im Streitjahr in Ausbildung
befanden, lebten mit ihm in der gemeinsamen Wohnung.
|
|
|
3
|
In seiner Einkommensteuererklärung
machte der Kläger bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit unter anderem geltend, der geldwerte
Vorteil aus der Nutzungsüberlassung eines Dienstwagens zur
Privatnutzung, den er nach der 1 %-Regelung ermittelte, sei um
selbst getragene Maut-, Fähr-, Benzin- und Parkkosten sowie
die Absetzung für Abnutzung (AfA) eines privat angeschafften
Fahrradträgers für den Dienstwagen zu mindern. Die Maut-
und Fähraufwendungen betreffen nach den Feststellungen des
Finanzgerichts (FG) private Urlaubsreisen und Fahrten des
Klägers. Die Parkkosten betreffen die Wahrnehmung eines
Termins durch den Kläger vor dem Bundesfinanzhof (BFH). Die
übrigen Parkkosten sind anlässlich der Nutzung des
Dienstwagens für Urlaubsfahrten des Klägers angefallen.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 06.04.2018
lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) die
begehrte Minderung des geldwerten Vorteils aus der
Nutzungsüberlassung des Dienstwagens ab.
|
|
|
4
|
Bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit berücksichtigte das FA den
Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 1.000 EUR (§ 9a
Satz 1 Nr. 1 Buchst. a in der für den Streitzeitraum geltenden
Fassung des Einkommensteuergesetzes - EStG - ). Es ging von
tatsächlich entstandenen Werbungskosten in Höhe von
insgesamt 778 EUR aus. Den Werbungskostenabzug für eine
dreiteilige Anzugkombination (Business-Dreiteiler) versagte das
FA.
|
|
|
5
|
Bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen erfasste das FA an den Kläger gezahlte
Zinsen zur Einkommensteuer 2008 in Höhe von … EUR als
Einnahmen. Die Zinsen beruhen auf der Änderung der
Einkommensteuerfestsetzung 2008. Der Sparer-Pauschbetrag blieb
unberücksichtigt. Der Kläger hatte im
Besteuerungsverfahren ausgeführt, dieser sei bereits über
den erteilten Freistellungsauftrag ausgeschöpft. Das FA setzte
die Einkommensteuer auf … EUR fest.
|
|
|
6
|
Der Bescheid vom 06.04.2018 ist teilweise
gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung
(AO) vorläufig. Zum Umfang der Vorläufigkeit ist - im
Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 3/17 [Anm. d. Red.:
inzw. entsch. = SIS 24 15 50] -
unter anderem vermerkt:
|
|
|
|
„Die Festsetzung der Einkommensteuer
ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig
hinsichtlich
|
|
|
-
|
der Höhe der kindbezogenen
Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2
EStG
|
|
|
|
Die Vorläufigkeitserklärung
erfasst sowohl die Frage, ob die angeführten gesetzlichen
Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind, als auch
den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht oder der
Bundesfinanzhof die streitige verfassungsrechtliche Frage durch
verfassungskonforme Auslegung der angeführten gesetzlichen
Vorschriften entscheidet […].“
|
|
|
7
|
Gegen den Einkommensteuerbescheid hat der
Kläger Sprungklage zum FG erhoben, die mangels Zustimmung des
FA als Einspruch zu behandeln war. Im Einspruchsverfahren machte er
neben der unberücksichtigt gebliebenen Vorteilsminderung
geltend, es seien bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit aufgrund weiterer zu
berücksichtigender Aufwendungen (Business-Dreiteiler) die -
den Pauschbetrag übersteigenden - tatsächlichen
Werbungskosten anzusetzen. Des Weiteren seien die von ihm
vereinnahmten Zinsen zur Einkommensteuer 2008 mangels
Einkünfteerzielungsabsicht nicht steuerbar. Im Übrigen
machte der Kläger geltend, die Kinderfreibeträge (§
32 Abs. 6 Satz 1 EStG) seien verfassungswidrig zu niedrig. Aus
verfassungsrechtlichen Gründen müsse bei ihm zudem der
Splittingtarif angewandt werden.
|
|
|
8
|
In der Einspruchsentscheidung vom
10.12.2018 half das FA dem Begehren des Klägers insoweit ab,
als es die vom Kläger vereinnahmten Zinsen nur noch in
Höhe von … EUR als Kapitaleinkünfte ansetzte.
Außerdem berücksichtigte es einen höheren
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG). Es
setzte die Einkommensteuer auf … EUR fest. Im Übrigen
wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Der Umfang
der Vorläufigkeit blieb unverändert.
|
|
|
9
|
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben,
mit der er sein Begehren aus dem Einspruchsverfahren
weiterverfolgte. Erstmals begehrte er zudem die
Berücksichtigung von anteiligen Prozesskosten des Verfahrens
XX (Gerichtskosten) in Höhe von … EUR als weitere
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit.
|
|
|
10
|
Nach Klageerhebung hat das FA den
angefochtenen Einkommensteuerbescheid am 15.04.2019
gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, die
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für die
Privatnutzung des Dienstwagens auf Grundlage eines höheren
Bruttolistenpreises des Dienstwagens erhöht und die
Einkommensteuer auf … EUR festgesetzt.
|
|
|
11
|
Mit weiterem Änderungsbescheid vom
02.11.2020 berücksichtigte das FA die vom Kläger selbst
getragenen Benzinkosten als vorteilsmindernde Aufwendungen bei der
Bemessung der Nutzungsüberlassung des Dienstwagens für
Privatfahrten und setzte die Einkommensteuer auf … EUR
fest.
|
|
|
12
|
Das FG hat die Klage abgewiesen.
|
|
|
13
|
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung von § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG
(Nichtberücksichtigung der Vorteilsminderung), § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 6 EStG (kein Werbungskostenabzug für den
Business-Dreiteiler und weiterer Werbungskosten) sowie § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG i.V.m. § 233a, § 236 AO (Besteuerung
der Zinsen). Zudem hält er an seinem Vorbringen fest, dass die
Höhe der Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG
sowie die Besteuerung Alleinerziehender im Streitjahr gegen Art. 3
Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
verstoßen.
|
|
|
14
|
Der Kläger beantragt,
|
|
das Urteil des … aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid vom 02.11.2020 dahingehend zu ändern,
dass die Einkommensteuer um … EUR herabgesetzt wird,
|
|
|
|
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und
das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art.
80 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zu den Fragen
anzurufen,
|
|
a) ob die gesetzliche Regelung zu den
Kinderfreibeträgen nach § 32d Abs. 6 EStG
verfassungswidrig sei, weil damit indisponibles Existenzminimum der
Familie der Besteuerung unterworfen werde und
|
|
b) ob die gesetzliche Regelung des
Steuertarifs für die Alleinerzieherfamilie des Klägers im
Streitjahr verfassungswidrig sei, da die Alleinerzieherfamilie
höher als eine eheliche Vergleichsfamilie besteuert werde,
obwohl keine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
vorliege.
|
|
|
15
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
16
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
17
|
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die
vom Kläger getragenen Maut-, Fähr- und Parkkosten sowie
die AfA für den Fahrradträger nicht den geldwerten
Vorteil des Klägers aus der Überlassung des Dienstwagens
zur privaten Nutzung bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit mindern.
|
|
|
18
|
a) Überlässt der Arbeitgeber einem
Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch
zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen
Rechtsprechung des für die Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit zuständigen VI. Senats zu einem
als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu
erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers (vgl.
BFH-Urteil vom 21.03.2013 - VI R 42/12, BFHE 241, 180, BStBl II
2013, 918 = SIS 13 18 30, Rz 10, m.w.N.), und zwar unabhängig
davon, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer den Dienstwagen
tatsächlich privat nutzt (vgl. BFH-Urteile vom 21.03.2013 - VI
R 42/12, BFHE 241, 180, BStBl II 2013, 918 = SIS 13 18 30, Rz 10;
vom 21.03.2013 - VI R 31/10, BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700 =
SIS 13 18 29). Im Streitfall ist der Vorteil des Klägers, das
Fahrzeug auch privat nutzen zu können, nach der 1 %-Regelung
bewertet worden (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 bis 5 i.V.m. § 6
Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG; vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2016 - VI R
2/15, BFHE 256, 116, BStBl II 2017, 1014 = SIS 16 28 07, Rz 11,
unter Verweis auf BFH-Urteil vom 14.09.2005 - VI R 37/03, BFHE 211,
215, BStBl II 2006, 72 = SIS 05 47 53, m.w.N.).
|
|
|
19
|
b) Die vom Kläger getragenen Maut-,
Fähr- und Parkkosten sowie die AfA für den
Fahrradträger mindern nicht den Vorteil aus der
Zurverfügungstellung des Fahrzeugs.
|
|
|
20
|
aa) Der VI. Senat des BFH hat entschieden,
dass gezahlte Nutzungsentgelte, die der Arbeitnehmer an den
Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung (Nutzung zu
privaten Fahrten und zu Fahrten zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte) leistet, den Wert des
geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung mindern. Denn
insoweit fehlt es an einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit
an einer Grundvoraussetzung für das Vorliegen von Arbeitslohn
im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (vgl. BFH-Urteil
vom 30.11.2016 - VI R 2/15, BFHE 256, 116, BStBl II 2017, 1014 =
SIS 16 28 07, Rz 12 ff., m.w.N.). Der steuerbare Vorteil des
Arbeitnehmers, den ihm der Arbeitgeber mit der Überlassung des
Dienstwagens einräumt, besteht lediglich in der Differenz
zwischen dem Wert der Nutzungsüberlassung nach § 8 Abs. 2
Satz 4 EStG und dem vom Arbeitnehmer zu zahlenden Nutzungsentgelt
(vgl. BFH-Urteile vom 04.07.2023 - VIII R 29/20, BFHE 281, 1, BStBl
II 2023, 1005 = SIS 23 13 94, Rz 29; vom 30.11.2016 - VI R 2/15,
BFHE 256, 116, BStBl II 2017, 1014 = SIS 16 28 07, Rz 23, m.w.N.).
Auch wird der geldwerte Vorteil aus der Nutzungsüberlassung
gemindert, wenn der Arbeitnehmer zeitraumbezogene Einmalzahlungen
für die außerdienstliche Nutzung leistet oder einen Teil
oder die gesamten Anschaffungskosten für den betrieblichen PKW
übernimmt (BFH-Urteil vom 16.12.2020 - VI R 19/18, BFHE 271,
536, BStBl II 2021, 761 = SIS 21 09 90, Rz 22, 24).
|
|
|
21
|
Die vom Kläger im Streitfall getragenen
Aufwendungen (Maut-, Fähr- und Parkkosten sowie die AfA
für den Fahrradträger) sind keine an den Arbeitgeber
gezahlten Nutzungsentgelte, zeitraumbezogene Einmalzahlungen oder
übernommene Anschaffungskosten des Dienstwagens.
|
|
|
22
|
bb) Ferner mindert sich der Vorteil des
Arbeitnehmers aus der Überlassung des Fahrzeugs, soweit der
Arbeitnehmer im Rahmen der privaten Nutzung einzelne
(nutzungsabhängige) Kraftfahrzeug-Kosten übernimmt (vgl.
BFH-Urteil vom 30.11.2016 - VI R 2/15, BFHE 256, 116, BStBl II
2017, 1014 = SIS 16 28 07, Rz 14 ff.). Er muss insoweit
gegenüber dem Arbeitgeber zur Tragung dieser Aufwendungen
für das überlassene Fahrzeug vertraglich verpflichtet
sein (BFH-Urteil vom 04.07.2023 - VIII R 29/20, BFHE 281, 1, BStBl
II 2023, 1005 = SIS 23 13 94, Rz 32). Dabei mindern jedoch nur
solche vom Arbeitnehmer vertraglich übernommenen und
getragenen Aufwendungen den Vorteil aus der Überlassung des
Fahrzeugs, die bei einer (hypothetischen) Kostentragung durch den
Arbeitgeber Bestandteil dieses Vorteils und somit von der
Abgeltungswirkung der 1 %-Regelung erfasst wären. Dies ist
weder in Bezug auf die Maut- und Fährkosten noch in Bezug auf
die Parkkosten und die AfA für den Fahrradträger der
Fall.
|
|
|
23
|
aaa) Zur Übernahme von Maut- und
Vignettenkosten, denen die Fährkosten gleichstehen, durch den
Arbeitgeber hat der VI. Senat des BFH entschieden, dass darin in
Abgrenzung zur Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs die Zuwendung
eines weiteren (eigenständigen) geldwerten Vorteils liege, der
nicht von der Abgeltungswirkung der 1 %-Regelung erfasst werde, da
diese vom Arbeitgeber getragenen Kosten nicht unter die
Aufwendungen im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 2 bis 5 EStG fallen
(BFH-Urteil vom 14.09.2005 - VI R 37/03, BFHE 211, 215, BStBl II
2006, 72 = SIS 05 47 53, unter II.1. [Rz 13]).
|
|
|
24
|
Erfasst werden von § 8 Abs. 2 Satz 2 ff.
EStG neben den von der Fahrleistung abhängigen Aufwendungen
für Treib- und Schmierstoffe auch die regelmäßig
wiederkehrenden festen Kosten, etwa für die
Haftpflichtversicherung, Kraftfahrzeugsteuer, AfA und Garagenmiete
(BFH-Urteil vom 14.09.2005 - VI R 37/03, BFHE 211, 215, BStBl II
2006, 72 = SIS 05 47 53, unter II.1.c aa [Rz 17]). Diesen
Aufwendungen ist gemein, dass sie sich entweder - wie die festen
Kosten - den einzelnen Fahrten nicht unmittelbar zuordnen lassen,
oder dass sie - soweit sie von der Fahrleistung abhängig sind
- bei unterstelltem gleichmäßigem Kraftstoffverbrauch
unabhängig davon in gleicher Höhe anfallen, ob eine
bestimmte Fahrtstrecke aus privatem oder aus beruflichem Anlass
zurückgelegt worden ist. Zudem hat sich der VI. Senat von
Vereinfachungsüberlegungen für die
Einkünfteermittlung leiten lassen (vgl. BFH-Urteil vom
14.09.2005 - VI R 37/03, BFHE 211, 215, BStBl II 2006, 72 = SIS 05 47 53, unter II.1.c bb [Rz 20]; zum stark typisierenden Charakter
der 1 %-Regelung vgl. BFH-Urteil vom 09.11.2017 - III R 20/16, BFHE
260, 113, BStBl II 2018, 278 = SIS 18 01 92, Rz 15).
|
|
|
25
|
bbb) Der erkennende Senat entnimmt dieser
Rechtsprechung über den entschiedenen Streitfall hinaus den
Grundsatz, dass die Übernahme von Kosten durch den Arbeitgeber
für Privatfahrten des Arbeitnehmers zu den von diesem
bestimmten Zielen außerhalb des mit der 1 %-Regelung
abgegoltenen Vorteils liegt, ein betriebs- und fahrbereites
Fahrzeug nutzen zu können, und einen eigenständigen
geldwerten Vorteil begründet. Daraus ergibt sich, dass
entsprechende Aufwendungen des Arbeitnehmers den geldwerten Vorteil
nicht mindern. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger
getragenen Fähr- und Mautkosten.
|
|
|
26
|
ccc) Auch die übrigen Aufwendungen des
Klägers (Parkkosten und die AfA für den
Fahrradträger) können nach dieser Maßgabe nicht
vorteilsmindernd sein. Denn insoweit handelte es sich, wenn der
Arbeitgeber die Kosten getragen hätte, um eigenständige
geldwerte Vorteile, die zu dem Vorteil der Fahrzeugüberlassung
hinzuträten. Auch diese Kosten hängen
ausschließlich von der Entscheidung des Arbeitnehmers ab, das
Fahrzeug für einen bestimmten Zweck zu verwenden oder ein
bestimmtes Ziel aufzusuchen und können deshalb, wenn sie vom
Arbeitnehmer getragen werden, den geldwerten Vorteil nicht
mindern.
|
|
|
27
|
c) Ein Werbungskostenabzug für die auf
die Privatnutzung des Dienstwagens entfallenden Maut-, Fähr-
und Parkkosten sowie die AfA des Fahrradträgers scheitert an
der ausschließlich privaten Veranlassung dieser Kosten
für die Haushaltsführung des Klägers (vgl.
BFH-Urteil vom 30.11.2016 - VI R 49/14, BFHE 256, 107, BStBl II
2017, 1011 = SIS 16 28 08, Rz 33 ff.). Sie sind daher
gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähig.
|
|
|
28
|
2. Das FG hat auch zutreffend entschieden,
dass der Kläger keine Werbungskosten bei den Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit in einem Umfang getragen hat,
die zu einem Abzug oberhalb des bereits gewährten
Arbeitnehmer-Pauschbetrags (§ 9a Satz 1 Nr. 1a EStG) in
Höhe von 1.000 EUR führen.
|
|
|
29
|
a) Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht
unstreitig, dass die vom Kläger in seiner
Einkommensteuererklärung geltend gemachten Aufwendungen in
Höhe von insgesamt 778 EUR als tatsächliche
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit anzusetzen sind.
|
|
|
30
|
b) Die Anschaffungskosten der dreiteiligen
Anzugkombination (Business-Dreiteiler) hat das FG zu Recht weder
vollumfänglich noch anteilig als Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt. Es
handelt sich hierbei nicht um typische Berufskleidung im Sinne von
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG, sondern um bürgerliche
Kleidung. Aufwendungen für bürgerliche Kleidung als
unverzichtbare Aufwendungen der Lebensführung (§ 12 Nr. 1
Satz 2 EStG) sind grundsätzlich nicht als Werbungskosten
abziehbar und nicht aufteilbar (vgl. BFH-Urteil vom 16.03.2022 -
VIII R 33/18, BFHE 276, 120, BStBl II 2022, 614 = SIS 22 10 05, Rz
11). Die Qualifizierung eines Kleidungsstücks als typische
Berufskleidung scheidet immer dann aus, wenn wie im Streitfall die
Benutzung - objektiv - als normale bürgerliche Kleidung im
Rahmen des Möglichen und Üblichen liegt (vgl. BFH-Urteil
vom 16.03.2022 - VIII R 33/18, BFHE 276, 120, BStBl II 2022, 614 =
SIS 22 10 05, Rz 16). Aufwendungen für bürgerliche
Kleidung führen selbst dann nicht zum Betriebsausgabenabzug,
wenn diese Kleidung ausschließlich bei der
Berufsausübung benutzt wird, wie es der Kläger hier
geltend macht (vgl. BFH-Urteil vom 16.03.2022 - VIII R 33/18, BFHE
276, 120, BStBl II 2022, 614 = SIS 22 10 05, Rz 18) oder das
konkrete Kleidungsstück ohne die beruflichen Gründe
überhaupt nicht angeschafft worden wäre (vgl. BFH-Urteil
vom 16.03.2022 - VIII R 33/18, BFHE 276, 120, BStBl II 2022, 614 =
SIS 22 10 05, Rz 20). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf
die Ausführungen im BFH-Urteil vom 16.03.2022 - VIII R 33/18
(BFHE 276, 120, BStBl II 2022, 614 = SIS 22 10 05, Rz 11 ff.)
verwiesen.
|
|
|
31
|
c) Das FG hat ebenfalls zutreffend
entschieden, dass die anteiligen Gerichtskosten, die der
Kläger für das Verfahren XX in Höhe von … EUR
gezahlt hat, als Prozesskosten zwar dem Grunde nach Werbungskosten
bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit sind (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG),
aber nicht zu einem höheren Abzug von Werbungskosten oberhalb
des gewährten Arbeitnehmer-Pauschbetrags führen.
|
|
|
32
|
d) Ob die vom Kläger gezahlte
Parkgebühr, die dieser anlässlich einer gerichtlichen
Verhandlung geleistet hat, ebenfalls zu den Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehört, hat
der Senat nicht zu klären. Selbst wenn diese Aufwendung dem
Grunde nach als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit
zu qualifizieren wäre, käme weiterhin der höhere und
bereits gewährte Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1
Nr. 1a EStG) zum Ansatz.
|
|
|
33
|
3. Das FG hat die vom Kläger
vereinnahmten Zinsen in Höhe von … EUR zutreffend zu
den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gerechnet.
|
|
|
34
|
a) Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe
es sich bei den vom Kläger im Streitjahr vereinnahmten Zinsen
nicht nur um Erstattungszinsen gemäß § 233a AO,
sondern auch um Prozesszinsen gemäß § 236 AO
handelt, kann offenbleiben. Hierüber wäre zwar im
angefochtenen Einkommensteuerbescheid abschließend zu
entscheiden (BFH-Urteil vom 12.03.2024 - VIII R 10/20, DStR 2024,
1300 = SIS 24 08 90, Rz 18). Erstattungszinsen gemäß
§ 233a AO sind aber gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 3 EStG steuerbare und steuerpflichtige Kapitalerträge.
Auch Prozesszinsen (§ 236 AO) sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 1 EStG steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen aus
Kapitalvermögen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17.05.2021 -
VIII B 88/20, BFH/NV 2021, 1353 = SIS 21 14 05, Rz 11; vom
17.05.2021 - VIII B 85/20, BFH/NV 2021, 1352 = SIS 21 14 04, Rz
11). Unabhängig davon, wie sich der dem Kläger
gewährte Zinsbetrag zusammensetzt, handelt es sich demnach um
steuerbare und steuerpflichtige Einkünfte gemäß
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Soweit der Kläger hiergegen
vorbringt, dem stehe das BFH-Urteil vom 15.06.2010 - VIII R 33/07
(BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 = SIS 10 23 36) entgegen, ist
dies unzutreffend. Dem Urteil, mit dem der Senat die Steuerbarkeit
von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO verneint hat,
liegt erkennbar der Gedanke zugrunde, Nachzahlungs- und
Erstattungszinsen dürften steuerlich nicht asymmetrisch
behandelt werden. Wenn Nachzahlungszinsen gemäß §
12 Nr. 3 EStG als nicht steuerbare Nebenleistungen zur
Einkommensteuer nicht abgezogen werden könnten, seien auch
Erstattungszinsen nicht steuerbar (BFH-Urteil vom 15.06.2010 - VIII
R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 = SIS 10 23 36, Rz 20
f.). Diese Erwägung lässt sich auf Prozesszinsen nicht
übertragen, da Prozesszinsen ausschließlich zugunsten
des Steuerpflichtigen festgesetzt werden können. Einen vom
Steuerpflichtigen an die Finanzbehörde zu zahlenden und unter
das Abzugsverbot nach § 12 Nr. 3 EStG fallenden Zins gibt es
dagegen nicht. Mangels eines asymmetrischen Normgefüges wie
bei den Erstattungszinsen scheidet die Zuweisung bezogener
Prozesszinsen in den nicht steuerbaren Bereich auf der Grundlage
des BFH-Urteils vom 15.06.2010 - VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl
II 2011, 503 = SIS 10 23 36) daher aus.
|
|
|
35
|
b) Die Einkünfteerzielungsabsicht
für die bezogenen Zinsen ist wegen der Nichtabziehbarkeit der
tatsächlichen Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG) und der
beschränkten Verrechenbarkeit der unter § 32d Abs. 1 EStG
fallenden Kapitalerträge (§ 20 Abs. 6 EStG)
tatsächlich (widerlegbar) zu vermuten. Für eine
Widerlegung der Absicht muss feststehen, dass der Steuerpflichtige
von vornherein keine positiven Kapitalerträge aus der
Kapitalanlage erzielen kann (vgl. BFH-Urteile vom 30.11.2022 - VIII
R 15/19, BFHE 279, 85, BStBl II 2023, 632 = SIS 23 03 45, Rz 31;
vom 16.03.2023 - VIII R 36/19, BFH/NV 2023, 808 = SIS 23 08 20, Rz
22; vom 14.03.2017 - VIII R 38/15, BFHE 258, 240, BStBl II 2017,
1040 = SIS 17 14 55). Für die vereinnahmten Zinsen scheidet
dies aus. Denn durch die Zahlung der Zinsen tritt eine objektive
Steigerung der Leistungsfähigkeit ein, ohne dass Abzüge
des Steuerpflichtigen in Form von Werbungskosten in Betracht kommen
(§ 20 Abs. 9 EStG; vgl. zur früheren Rechtslage
BFH-Urteil vom 28.02.2018 - VIII R 53/14, BFHE 261, 223, BStBl II
2018, 687 = SIS 18 10 63, Rz 28 f.).
|
|
|
36
|
4. Ein Abzug der anteiligen Prozesskosten, die
der Kläger für das Verfahren XX in Höhe von …
EUR gezahlt hat, als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs.
1 Nr. 5 EStG scheidet aus. Wie unter II.2.c ausgeführt,
handelt es sich bei den Prozesskosten dem Grunde nach um
Werbungskosten.
|
|
|
37
|
5. Das FG hat die Kinderfreibeträge
für die beiden Kinder des Klägers in Übereinstimmung
mit § 32 Abs. 6 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 EStG in Höhe von
jeweils 4.716 EUR pro Kind zutreffend berücksichtigt.
|
|
|
38
|
6. Das FG hat die festzusetzende
Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr zu Recht
nach dem Grundtarif unter Ansatz des Entlastungsbetrags für
Alleinerziehende (§ 24b EStG) und nicht nach dem
Splittingtarif ermittelt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des
Ehegatten- beziehungsweise Witwensplittings gemäß §
32a Abs. 5 EStG beziehungsweise § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG
lagen im Streitjahr unstreitig nicht vor.
|
|
|
39
|
7. Das Verfahren war nicht auszusetzen, um
eine Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz
1 GG einzuholen. Der Senat ist nicht zu der für eine Vorlage
an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlichen
Überzeugung gelangt (dazu BVerfG-Beschluss vom 17.07.2019 - 2
BvL 10/19, juris, Rz 16), dass die Versagung des Splittingtarifs
für verwitwete Alleinerziehende (II.7.a) sowie die gesamte
Familienbesteuerung (II.7.b) verfassungswidrig sind. Soweit der
Kläger die Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibeträge
gemäß § 32 Abs. 6 EStG geltend macht, fehlt es an
der Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage (II.7.c).
|
|
|
40
|
a) Der Senat erachtet die vom Kläger
vorgebrachten Argumente für seine Auffassung, ein Anspruch
verwitweter Alleinerziehender auf Anwendung des Splittingtarifs
ergebe sich aus dem aus Art. 3 GG abzuleitenden Prinzip der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
beziehungsweise aus Art. 6 Abs. 1 GG, im Ergebnis nicht für
durchgreifend. Er schließt sich insoweit den Erwägungen
des III. Senats des BFH in den Beschlüssen vom 17.01.2017 -
III B 20/16 (BFH/NV 2017, 740 = SIS 17 07 99, Rz 28) - die
Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl.
BVerfG-Beschluss vom 18.09.2018 - 2 BvR 754/17 -, vom 27.05.2013 -
III B 2/13 (BFH/NV 2013, 1406 = SIS 13 21 97) - die
Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl.
BVerfG-Beschluss vom 16.07.2015 - 2 BvR 1519/13 - sowie vom
29.09.2016 - III R 62/13 (BFHE 255, 252, BStBl II 2017, 259 = SIS 16 26 25, Rz 18 ff.) - die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur
Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG-Beschluss vom 18.09.2018 - 2
BvR 221/17 - an.
|
|
|
41
|
b) Dies gilt im Ergebnis auch für die vom
Kläger vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
Besteuerung der Alleinerzieherfamilie des Klägers durch das
Zusammenspiel der kindbezogenen Kinderfreibeträge nach §
32 Abs. 6 EStG, des Haushaltsfreibetrags für Alleinerziehende
(§ 24b EStG) und des in § 32a EStG berücksichtigten
Existenzminimums (vgl. BFH-Beschluss vom 27.05.2013 - III B 2/13,
BFH/NV 2013, 1406 = SIS 13 21 97, Rz 15, m.w.N.; die
Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl.
BVerfG-Beschluss vom 16.07.2015 - 2 BvR 1519/13).
|
|
|
42
|
c) Eine Entscheidung des BVerfG
gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist auch nicht zur Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Kinderfreibeträge nach
§ 32 Abs. 6 Satz 1 EStG einzuholen. Es fehlt an der
Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage im Streitfall. Bei
der Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Gültigkeit
von § 32 Abs. 6 EStG nicht an, weil hierfür kein
Rechtsschutzbedürfnis besteht. Es ist dem Kläger
zuzumuten, den Ausgang des beim BVerfG anhängigen Verfahrens 2
BvL 3/17 (anhängig seit April 2017 [Anm. d. Red.: inzw.
entsch. = SIS 24 15 50])
abzuwarten.
|
|
|
43
|
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH
fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in
dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt gemäß § 165
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ergangen ist, diese
Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleich
gelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht
von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG
anhängig ist (vgl. BFH-Urteil vom 26.09.2023 - IX R 9/22, BFHE
281, 527, BStBl II 2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 18, m.w.N.).
|
|
|
44
|
Liegen diese Voraussetzungen vor, muss ein
Steuerpflichtiger im Allgemeinen die Klärung der Streitfrage
in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare
Rechtsnachteile zu erleiden. Eine weitere verfassungsrechtliche
Klärung in eigener Sache kann der Steuerpflichtige
gegebenenfalls später durch Rechtsbehelfe gegen die von der
Finanzbehörde nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu treffende
Entscheidung herbeiführen, wenn ihm nach Ausgang des
Musterverfahrens die Streitfrage nicht ausreichend beantwortet
erscheint (vgl. BFH-Urteil vom 26.09.2023 - IX R 9/22, BFHE 281,
527, BStBl II 2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 18; BFH-Beschluss vom
22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 = SIS 96 20 91, unter II.1.b).
|
|
|
45
|
Klage- und Musterverfahren müssen
hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen
gleichgelagert sein. In dem Musterverfahren darf es nicht um einen
anderen Sachverhalt gehen, der zusätzliche,
möglicherweise sogar vorrangige Streitfragen aufwirft. Klage-
und Musterverfahren müssen zudem dieselben Vorschriften, nicht
aber notwendig dasselbe Streitjahr betreffen (vgl. BFH-Beschluss
vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 =
SIS 96 20 91, unter II.1.b, m.w.N.). Notwendig ist allein, dass
sich das Klageverfahren durch die Entscheidung in dem bereits
anhängigen verfassungsrechtlichen Musterverfahren
„sicher“ erledigen lässt (vgl.
BFH-Urteil vom 26.09.2023 - IX R 9/22, BFHE 281, 527, BStBl II
2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 19; BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III
B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 = SIS 96 20 91, unter
II.2.).
|
|
|
46
|
Die Anforderungen für die Annahme eines
nicht von vornherein aussichtslosen Musterverfahrens, das beim
BVerfG anhängig ist, dürfen allerdings nicht
überspannt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 26.09.2023 - IX R
9/22, BFHE 281, 527, BStBl II 2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 20). Die
in dem Musterverfahren geltend gemachten Argumente dürfen
nicht so wenig Gewicht haben, dass dem Verfahren von vornherein
eine Erfolgsaussicht abzusprechen ist (vgl. BFH-Beschluss vom
07.02.1992 - III B 24-25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 =
SIS 92 13 92, unter 3.d).
|
|
|
47
|
Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten,
wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder
verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden, die
es rechtfertigen, trotz Anhängigkeit des Musterverfahrens
Rechtsschutz gegen den im Streitpunkt für vorläufig
erklärten Bescheid zu gewähren. Ein
Rechtsschutzbedürfnis kann bei vorläufiger
Steuerfestsetzung unter anderem dann bestehen, wenn der
Steuerpflichtige aus berechtigtem Interesse ein weiteres Verfahren
einleiten will, weil er zum Beispiel bisher in dem Musterverfahren
nicht geltend gemachte Gründe substantiiert vorträgt und
diese an das BVerfG oder an den Gerichtshof der Europäischen
Union herantragen möchte (vgl. BFH-Beschluss vom 26.09.2023 -
IX R 9/22, BFHE 281, 527, BStBl II 2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 21,
m.w.N.).
|
|
|
48
|
Daran gemessen fehlte dem Kläger von
Beginn des Klageverfahrens an das Rechtsschutzbedürfnis
für sein Begehren, die Verfassungsgemäßheit der
Kinderfreibeträge überprüfen zu lassen. Es war und
ist ihm zuzumuten, aufgrund des bestehenden
Vorläufigkeitsvermerks den Ausgang des beim BVerfG
anhängigen Normenkontrollverfahrens 2 BvL 3/17 (anhängig
seit April 2017 [Anm. d. Red.: inzw. entsch. = SIS 24 15 50]) abzuwarten.
|
|
|
49
|
aa) Der Kläger hält die
einfachgesetzliche Ausgestaltung der Kinderfreibeträge in
§ 32 Abs. 6 EStG für gleichheitswidrig und sieht einen
Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Es verstoße
insbesondere gegen den Grundsatz der Steuerfreistellung des
Existenzminimums und sei von der Typisierungsbefugnis des
Gesetzgebers nicht gedeckt, dass den Kinderfreibeträgen ein
nach Lebensalter gewichteter Durchschnittsbetrag der
sozialrechtlichen Regelsätze zugrunde liege, der zudem
volljährige Kinder einbeziehe. Des Weiteren macht der
Kläger geltend, der in den sozialrechtlichen Regelsätzen
berücksichtigte Wohnbedarf eines Kindes sei
gleichheitswidrig.
|
|
|
50
|
bb) Die im vorliegenden Verfahren vom
Kläger aufgeworfenen Fragen und das beim BVerfG anhängige
Musterverfahren sind hinsichtlich der verfassungsrechtlichen
Streitfrage im Wesentlichen gleichgelagert. Der Kläger beruft
sich auf dieselben verfassungsrechtlichen Normen und
Rechtsgrundsätze, die auch Gegenstand des Musterverfahrens 2
BvL 3/17 = SIS 24 15 50 sind.
Auch sind einfachrechtlich dieselben Normen des
Einkommensteuergesetzes, § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 EStG,
streitig. Dass nicht dieselben Veranlagungszeiträume betroffen
sind, ist unerheblich. Die in den jeweiligen Streitzeiträumen
geltenden Fassungen dieser Vorschriften sind bis auf die Höhe
der jeweiligen Kinderfreibeträge gleich.
|
|
|
51
|
Die Auffassung des Klägers, es liege im
Streitfall ein anderer Sachverhalt vor, weil im Verfahren 2 BvL
3/17 = SIS 24 15 50 die
einzubeziehenden Kosten der Unterkunft einer Tochter zu beurteilen
seien, die mit ihrer Mutter zusammenlebte, während der
Streitfall das Zusammenleben einer Tochter mit ihrem Vater
betreffe, teilt der Senat nicht. Relevante Unterschiede der
Ausgangssachverhalte vermag der Senat nicht zu erkennen.
|
|
|
52
|
cc) Welche konkreten Erfolgsaussichten das
beim BVerfG anhängige Musterverfahren hat, muss der erkennende
Senat nicht beurteilen. Das Verfahren erscheint jedenfalls nicht
als von vornherein aussichtslos und damit als Musterverfahren im
Rahmen eines Vorläufigkeitsvermerks ungeeignet (vgl.
BFH-Urteil vom 26.09.2023 - IX R 9/22, BFHE 281, 527, BStBl II
2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 27). Die vom Kläger dargelegte
Gefahr einer Abweisung des Vorlagebeschlusses als unzulässig
ist hierfür nicht ausreichend. Dies gilt auch hinsichtlich des
Gesichtspunkts der ausreichenden Berücksichtigung von
Unterkunftskosten als Bestandteil des gewichteten
sozialhilferechtlichen Regelsatzes. Diese sind im Vorlagebeschluss
über die Wiedergabe des Vortrags der dortigen Klägerin
hierzu (Niedersächsisches FG, Vorlagebeschluss vom 02.12.2016
- 7 K 83/16, EFG 2017, 668 = SIS 17 07 13, Rz 31 f.) zwar nicht
Gegenstand eines gesonderten Abschnitts im Rahmen der Darlegung der
verfassungsrechtlichen Zweifel, aber jedenfalls auch Gegenstand der
umfassenden Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur
Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers (Rz 506 f.).
|
|
|
53
|
dd) Das Rechtsschutzbedürfnis des
Klägers hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der
Kinderfreibeträge besteht im Streitfall auch nicht
ausnahmsweise. Der Kläger hat keine Aspekte dargetan, die
nicht schon Gegenstand des Musterverfahrens sind. Vielmehr hat er
sich in seiner Revisionsbegründung ausdrücklich die
Ausführungen des Vorlagebeschlusses vom 02.12.2016 - 7 K 83/16
(EFG 2017, 668 = SIS 17 07 13) zu eigen gemacht.
|
|
|
54
|
ee) Der Kläger erleidet zudem keine
unzumutbaren Rechtsnachteile, wenn die materiell-rechtliche Frage
in dem Musterverfahren 2 BvL 3/17 [Anm. d. Red.: inzw. entsch. =
SIS 24 15 50] nicht geklärt
werden sollte. Er kann nach Erledigung des Musterverfahrens
gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO beantragen, dass die
Erfassung der Kinderfreibeträge für endgültig
erklärt wird, und gegen die dann auch insoweit endgültige
Festsetzung Einspruch einlegen und gegebenenfalls
anschließend Klage zur weiteren verfassungsrechtlichen
Klärung erheben (vgl. BFH-Urteil vom 26.09.2023 - IX R 9/22,
BFHE 281, 527, BStBl II 2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 28, m.w.N.).
Erklärt das FA die mit einem Vorläufigkeitsvermerk
versehene Erfassung der Kinderfreibeträge für
endgültig oder entfällt der Vorläufigkeitsvermerk in
einem geänderten Bescheid, sind ebenfalls Einspruch und
gegebenenfalls Klage möglich. Die dadurch entstehende
zeitliche Verzögerung ist - entgegen der Auffassung des
Klägers - hinzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 26.09.2023 - IX R
9/22, BFHE 281, 527, BStBl II 2024, 282 = SIS 23 17 76, Rz 28,
m.w.N.).
|
|
|
55
|
8. Der Senat hält es für
ermessensgerecht, den Streitfall zu entscheiden und das
Revisionsverfahren nicht gemäß § 74 FGO bis zum
Abschluss des Musterverfahrens 2 BvL 3/17 [Anm. d. Red.: inzw.
entsch. = SIS 24 15 50]
auszusetzen (vgl. BFH-Urteile vom 23.01.2013 - X R 32/08, BFHE 240,
202, BStBl II 2013, 423 = SIS 13 11 47, Rz 78 f.; vom 18.09.2007 -
IX R 42/05, BFHE 219, 81, BStBl II 2008, 26 = SIS 07 37 63, unter
II.2.c [Rz 19]). Der Streitfall ist bis auf die
verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen bezüglich der
Kinderfreibeträge entscheidungsreif. Letzteren wird durch den
Vorläufigkeitsvermerk Rechnung getragen. Deshalb kann der
Senat ohne drohenden Rechtsverlust für den Kläger im
Streitfall entscheiden (BFH-Urteil vom 18.09.2007 - IX R 42/05,
BFHE 219, 81, BStBl II 2008, 26 = SIS 07 37 63, unter II.2.c [Rz
19]).
|
|
|
56
|
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|
|
|
|