Auf die Revision der Kläger wird das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 16.05.2022 -
10 K 1693/21 = SIS 22 11 11
aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die
Kläger zu tragen.
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I. Streitig ist, ob die Erhebung des
Solidaritätszuschlags nach dem Solidaritätszuschlaggesetz 1995 durch Art.
31 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen
Konsolidierungsprogramms vom 23.06.1993 (BGBl I 1993, 944, 975)
i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung des
Solidaritätszuschlaggesetzes vom 15.10.2002 (BGBl I 2002,
4130), geändert durch Art. 4 des Zweiten
Familienentlastungsgesetzes vom 01.12.2020 (BGBl I 2020, 2616), im
Jahr 2020 und ab dem Jahr 2021 gegen Verfassungsrecht
verstößt.
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Die Kläger erzielten unter anderem Einkünfte
aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit und aus
Kapitalvermögen. Mit Bescheid vom 01.04.2020 über
Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für 2018 setzte
der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) den
Solidaritätszuschlag auf … EUR und die Vorauszahlungen
auf den Solidaritätszuschlag für die letzten drei
Quartale 2020 in Höhe von jeweils … EUR und ab 2021 in
Höhe von vierteljährlich … EUR fest. Die
Festsetzung des Solidaritätszuschlags erfolgte
gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung
(AO) vorläufig.
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Die Kläger legten gegen den Bescheid
vom 01.04.2020 Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom
15.06.2021 erklärte das FA die Festsetzung der Vorauszahlungen
zum Solidaritätszuschlag gemäß § 165 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995. Es
verwies auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seit dem
24.08.2020 anhängige Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 2 BvR
1505/20) sowie auf ein seinerzeit beim Bundesfinanzhof (BFH)
anhängiges Revisionsverfahren (Aktenzeichen IX R 15/20). Unter
Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen
(BMF) vom 04.01.2021 (BStBI I 2021, 49 = SIS 21 00 01) führte es aus, der
Vorläufigkeitsvermerk erfasse auch die Frage, ob die
fortgeltende Erhebung des Solidaritätszuschlags nach Auslaufen
des Solidarpakts II zum 31.12.2019 verfassungsgemäß sei.
Im Übrigen wies das FA den Einspruch als unbegründet
zurück.
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Die Kläger haben gegen die
Einspruchsentscheidung am 15.07.2021 Klage beim Finanzgericht (FG)
erhoben. Zur Begründung haben sie insbesondere
ausgeführt, die Klage sei zulässig. Das beim BVerfG unter
dem Aktenzeichen 2 BvR 1505/20 anhängige
Verfassungsbeschwerdeverfahren stehe nicht entgegen, da dieses
mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig sei. Es fehle an
einer Ermächtigungsgrundlage, da es sich bei dem
Solidaritätszuschlag nicht um eine Ergänzungsabgabe im
Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes (GG) handele.
Zudem verletze der Solidaritätszuschlag nach seiner nur
teilweisen Abschaffung ab 2021 Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 6
GG.
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Im Laufe des Klageverfahrens ergingen
geänderte Vorauszahlungsbescheide zum
Solidaritätszuschlag, zuletzt am 28.01.2022 für die Jahre
2021 bis 2023 und weitere Jahre. Die Festsetzungen erfolgten
gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig
hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des
Solidaritätszuschlaggesetzes 1995. Am 22.04.2022 erging ein
Bescheid für 2020 über Einkommensteuer und
Solidaritätszuschlag. Der Solidaritätszuschlag 2020 wurde
auf … EUR festgesetzt. Die Festsetzung des
Solidaritätszuschlags erfolgte gemäß § 165
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig.
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Das FG wies die Klage mit Urteil vom
16.05.2022 - 10 K 1693/21 (EFG 2022, 1397 = SIS 22 11 11) als
unbegründet ab.
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Zur Begründung ihrer am 10.06.2022
eingelegten Revision haben die Kläger vorgetragen, das FG sei
zu Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Das
Rechtsschutzbedürfnis sei nicht durch den
Vorläufigkeitsvermerk entfallen. Das BVerfG-Verfahren 2 BvR
1505/20 sei von vornherein aussichtslos. Es fehle an der
Rechtswegerschöpfung. Die von den dortigen
Beschwerdeführern geltend gemachte allgemeine Bedeutung der
Verfassungsbeschwerde liege nicht vor. Es sei nahezu
ausgeschlossen, dass das BVerfG das Verfahren 2 BvR 1505/20 als
zulässig erachten werde.
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Das FG habe verkannt, dass das
Solidaritätszuschlaggesetz 1995 bereits durch das Auslaufen
des Solidarpakts II seit dem Veranlagungszeitraum 2020, jedenfalls
aufgrund der nur selektiven Abschaffung des
Solidaritätszuschlags ab dem Veranlagungszeitraum 2021
verfassungswidrig sei. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es
sich nicht (mehr) um eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art.
106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Dies gelte umso mehr ab dem
Veranlagungszeitraum 2021, da der Solidaritätszuschlag nach
seiner nur teilweisen Abschaffung ab 2021 zu einer
„Reichensteuer“ umgestaltet worden sei.
Damit werde das finanzverfassungsrechtliche Kompetenzgefüge
verletzt. Zudem verletze der Solidaritätszuschlag seit dem
Veranlagungszeitraum 2021 den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des
Art. 3 Abs. 1 GG.
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Mit Schreiben vom 12.05.2023 haben die
Kläger ergänzend vorgebracht, der
Solidaritätszuschlag sei auch deshalb verfassungswidrig, weil
Steuerpflichtige mit Einkünften, die nicht der Gewerbesteuer
unterfallen, gegenüber Steuerpflichtigen, die Einkünfte
aus Gewerbebetrieb in gleicher Höhe erzielen und bei denen die
Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet werde, ungleich
behandelt würden. Denn im letztgenannten Fall sei aufgrund der
Gewerbesteueranrechnung die Bemessungsgrundlage für den
Solidaritätszuschlag niedriger, obwohl es sich hinsichtlich
der finanziellen Leistungsfähigkeit um vergleichbare
Sachverhalte handele.
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Am 30.05.2023 ist ein neuer Bescheid
für Solidaritätszuschlag 2020 in Höhe von …
EUR ergangen. Der Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AO ist bestehen geblieben.
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Die Kläger beantragen
sinngemäß,
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das Urteil des FG Baden-Württemberg
vom 16.05.2022 - 10 K 1693/21, die Einspruchsentscheidung vom
15.06.2021, den geänderten Bescheid für 2020 über
Solidaritätszuschlag vom 30.05.2023 und die
Vorauszahlungsbescheide über Solidaritätszuschlag ab dem
01.01.2021 vom 28.01.2022 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Das FA hält die Klage aufgrund des
Vorläufigkeitsvermerks für unzulässig. Die
Verfassungsbeschwerde unter dem BVerfG-Aktenzeichen 2 BvR 1505/20
habe allgemeine Bedeutung im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 2 des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG). Das
Solidaritätszuschlaggesetz 1995 sei nicht verfassungswidrig.
Es schließe sich insoweit der Senatsentscheidung vom
17.01.2023 - IX R 15/20 (BFHE 279, 403, BStBl II 2023, 351 = SIS 23 01 68) an.
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II. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben; einer
Zurückverweisung an das FG bedarf es nicht (dazu unter 1.). In
der Sache hat die Revision jedoch keinen Erfolg. Die Vorinstanz ist
fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Klage zulässig war
(dazu unter 2.). Die Klage ist daher abzuweisen (dazu unter
3.).
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1. Da der angefochtene Bescheid über
Solidaritätszuschlag 2020 vom 22.04.2022 während des
Revisionsverfahrens durch den Bescheid vom 30.05.2023 geändert
worden ist, ist das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen
Gründen aufzuheben. Einer Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das FG bedarf es nicht.
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Der Bescheid für 2020 über
Solidaritätszuschlag vom 30.05.2023 ist Gegenstand des
Revisionsverfahrens geworden (§ 68 Satz 1 i.V.m § 121
Satz 1, § 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Daher ist
das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen
aufzuheben, weil sich der Verfahrensgegenstand, über dessen
Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte,
geändert hat. Das vorinstanzliche Urteil ist damit
gegenstandslos geworden (§ 127 FGO). Die vom FG getroffenen
tatsächlichen Feststellungen sind hierdurch jedoch nicht
weggefallen. Einer Zurückverweisung der Sache an das FG bedarf
es nicht, da der Streitstoff unverändert geblieben und die
Sache aufgrund der fortwirkenden Feststellungen des FG spruchreif
ist. Der Senat entscheidet daher nach Maßgabe der
Feststellungen des FG in der Sache selbst (vgl. § 121 Satz 1
i.V.m. § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
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2. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht
(§ 118 Abs. 1 FGO), soweit es die Klage als unbegründet
statt als unzulässig abgewiesen hat. Denn das FG ist zu
Unrecht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Für
die Klage fehlt wegen des Vorläufigkeitsvermerks nach §
165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO das Rechtsschutzbedürfnis. Die
Klage war daher wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung von
Beginn an unzulässig.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des
BFH fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid
in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen
ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen
gleich gelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits
ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG
anhängig ist (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B
173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 = SIS 96 20 91, unter
II.1.b; BFH-Urteil vom 16.02.2005 - VI R 37/01, BFH/NV 2005, 1323 =
SIS 05 32 30, unter II.1.a und BFH-Beschluss vom 30.11.2007 - III B
26/07, BFH/NV 2008, 374 = SIS 08 11 31, unter II.3.a, jeweils
m.w.N.). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss ein
Steuerpflichtiger im Allgemeinen die Klärung der Streitfrage
in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare
Rechtsnachteile zu erleiden. Eine weitere verfassungsrechtliche
Klärung in eigener Sache kann der Steuerpflichtige
gegebenenfalls später durch Rechtsbehelfe gegen die vom FA
nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu treffende Entscheidung
herbeiführen, wenn ihm nach Ausgang des Musterverfahrens die
Streitfrage nicht ausreichend beantwortet erscheint (BFH-Beschluss
vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 =
SIS 96 20 91, unter II.1.b).
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Bei verfassungsrechtlichen Streitfragen fehlt
das Rechtsschutzbedürfnis erst, wenn das Musterverfahren
bereits beim BVerfG anhängig ist. Andernfalls wäre
unsicher, ob es überhaupt zu einer Klärung der
Rechtsfrage durch das BVerfG kommen wird (vgl. BFH-Urteil vom
06.10.1995 - III R 52/90, BFHE 178, 559, BStBl II 1996, 20 = SIS 96 04 99, unter 2.a aa). Klage- und Musterverfahren müssen
hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen
gleichgelagert sein. In dem Musterverfahren darf es nicht um einen
anderen Sachverhalt gehen, der zusätzliche möglicherweise
sogar vorrangige Streitfragen aufwirft. Klage- und Musterverfahren
müssen zudem dieselben Vorschriften, nicht aber notwendig das
gleiche Streitjahr, betreffen (vgl. BFH-Beschluss vom 22.03.1996 -
III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 = SIS 96 20 91,
unter II.1.b, m.w.N.). Notwendig ist allein, dass sich das
Klageverfahren durch die Entscheidung in dem bereits
anhängigen verfassungsrechtlichen Musterverfahren
„sicher“ erledigen lässt (vgl.
BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl
II 1996, 506 = SIS 96 20 91, unter II.2.; Reddig, AO-Steuerberater
2021, 25, 27).
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Voraussetzung nach der oben genannten
Rechtsprechung ist, dass das Musterverfahren nicht von vornherein
aussichtslos erscheint. Die Anforderungen für die Annahme
eines nicht vornherein aussichtslosen Musterverfahrens, das beim
BVerfG anhängig ist, dürfen nicht überspannt werden
(vgl. Koenig/Gercke, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 165 Rz 25).
Die in dem Musterverfahren geltend gemachten Argumente dürfen
nicht so wenig Gewicht haben, dass dem Verfahren von vornherein
eine Erfolgsaussicht abzusprechen ist (vgl. BFH-Beschluss vom
07.02.1992 - III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 =
SIS 92 13 92, unter 3.d). Insbesondere kommt es nach dem Wortlaut
des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht darauf an, ob und in
welchem Umfang das Musterverfahren letztlich Erfolg haben wird.
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Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten,
wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder
verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden, die
es rechtfertigen, trotz Anhängigkeit des Musterverfahrens
Rechtsschutz gegen den im Streitpunkt für vorläufig
erklärten Bescheid zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom
22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506 = SIS 96 20 91, unter II.1.b; BFH-Urteil vom 16.02.2005 - VI R 37/01,
BFH/NV 2005, 1323 = SIS 05 32 30, Rz 10 und BFH-Beschluss vom
30.11.2007 - III B 26/07, BFH/NV 2008, 374 = SIS 08 11 31, unter
II.3.a). Ein Rechtsschutzbedürfnis kann bei vorläufiger
Steuerfestsetzung unter anderem dann bestehen, wenn der
Steuerpflichtige aus berechtigtem Interesse ein weiteres Verfahren
einleiten will, weil er zum Beispiel bisher in den Musterverfahren
nicht geltend gemachte Gründe substantiiert vorträgt und
diese an das BVerfG oder den Gerichtshof der Europäischen
Union herantragen möchte (vgl. BFH-Urteile vom 30.09.2010 -
III R 39/08, BFHE 231, 7, BStBl II 2011, 11 = SIS 10 36 88, Rz 50
und vom 16.02.2011 - X R 10/10 = SIS 11 15 68, Rz 11). Dem Steuerpflichtigen darf dann nicht die
Möglichkeit abgeschnitten werden, die verfassungsrechtlichen
Bedenken in einem eigenen Verfahren zu verfolgen (vgl. Seer in
Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 18; Brockmeyer, DStZ 1996, 1, 4).
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b) Daran gemessen fehlte den Klägern von
Beginn des Klageverfahrens an das Rechtsschutzbedürfnis
für ihr Begehren. Es war den Klägern zuzumuten, aufgrund
des bestehenden Vorläufigkeitsvermerks den Ausgang des beim
BVerfG anhängigen Verfahrens 2 BvR 1505/20 abzuwarten.
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Im Zeitpunkt der Klageerhebung war vor dem
BVerfG hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit
des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 das
Verfahren 2 BvR 1505/20 anhängig. Dieses Verfahren war unter
Berufung auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 106, Art. 3 Abs. 1 und Art.
14 Abs. 1 GG eingeleitet worden. Die Kläger berufen sich in
ihrem Klageverfahren auf dieselben verfassungsrechtlichen
Vorschriften wie in dem BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20. Auch sind
dieselben Normen des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995
streitig.
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Die Kläger haben im Klageverfahren keinen
zusätzlichen Gesichtspunkt geltend gemacht, der im
BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20 keine Rolle spielt. Ungeachtet der
Frage, ob die Begründung der Kläger sich mit Blick auf
die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes
1995 als erfolgversprechend darstellt, hatten sie sich in ihrer
Klage auf keinen weiteren Gesichtspunkt berufen, für den das
anhängige Verfahren beim BVerfG nicht vorgreiflich ist.
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Zwar bringen die Kläger im Rahmen ihrer
Revisionsbegründung erstmals vor, der
Solidaritätszuschlag sei auch deshalb verfassungswidrig, weil
Steuerpflichtige mit Einkünften, die nicht der Gewerbesteuer
unterfielen, gegenüber Steuerpflichtigen, die Einkünfte
aus Gewerbebetrieb in gleicher Höhe erzielten, aufgrund der
Gewerbesteueranrechnung ungleich behandelt würden. Dieses
Vorbringen wurde aber erstmals im Revisionsverfahren und nicht im
Klageverfahren vorgebracht. Auf die Entscheidung des FG konnte es
daher keinen Einfluss haben.
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Prüfungsgegenstand im Rahmen der Revision
ist nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO allein das Urteil des FG mit
Blick auf die Verletzung von Bundesrecht. Im FG-Verfahren haben
sich die Kläger auf den vorgenannten Umstand aber nicht
berufen. Dort haben sie keinen über den
Vorläufigkeitsvermerk oder das BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20
hinausgehenden Punkt vorgetragen.
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Welche Erfolgsaussichten das beim BVerfG
anhängige (Muster-)Verfahren 2 BvR 1505/20 hat, muss der
erkennende Senat nicht entscheiden. Das Verfahren erscheint - trotz
der möglicherweise fehlenden Rechtswegerschöpfung (§
90 Abs. 2 BVerfGG) - jedenfalls nicht von vornherein aussichtslos
und damit als Musterverfahren im Rahmen eines
Vorläufigkeitsvermerks ungeeignet (vgl. zur Aufnahme in den
Vorläufigkeitskatalog das BMF-Schreiben vom 15.01.2018, BStBl
2018, 2 = SIS 18 00 06 i.V.m.
BMF-Schreiben vom 04.01.2021, BStBl I 2021, 49 = SIS 21 00 01).
Insbesondere besitzen die in der Verfassungsbeschwerde geltend
gemachten Gründe, warum die Verfassungsbeschwerde trotz
fehlender Rechtswegerschöpfung zulässig sein soll, nicht
so wenig Gewicht, dass dem Verfahren von vornherein jede
Erfolgsaussicht abzusprechen wäre.
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Dieses Ergebnis verletzt auch nicht das Gebot
eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für das
Begehren der Kläger. Die Kläger erleiden auch dann keine
unzumutbaren Rechtsnachteile, wenn die materiell-rechtliche Frage
in dem BVerfG-Musterverfahren 2 BvR 1505/20 nicht geklärt
werden sollte. Die Kläger können nach Erledigung des
Musterverfahrens gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO
beantragen, dass die Festsetzung des Solidaritätszuschlags
für endgültig erklärt wird, und gegen die dann auch
insoweit endgültige Festsetzung Einspruch einlegen und
gegebenenfalls anschließend Klage erheben zur weiteren
verfassungsrechtlichen Klärung, ohne dass dem § 351 Abs.
1 AO entgegensteht (vgl. BFH-Urteil vom 30.09.2010 - III R 39/08,
BFHE 231, 7, BStBl II 2011, 11 = SIS 10 36 88, Rz 51; Seer in
Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 54; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl.,
§ 165 Rz 32 und 85; Heuermann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 165 AO Rz 155; Brockmeyer,
DStZ 1996, 1, 3). Erklärt das FA die vorläufige
Festsetzung des Solidaritätszuschlags für endgültig
oder entfällt der Vorläufigkeitsvermerk in einem
geänderten Bescheid, sind ebenfalls Einspruch und
gegebenenfalls Klage möglich. Die dadurch entstehende
zeitliche Verzögerung ist hinzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom
09.08.1994 - X B 26/94, BFHE 174, 498, BStBl II 1994, 803 = SIS 94 18 50, unter II.2.d; kritisch mit Blick auf die langen
Verfahrensdauern beim BVerfG Steinhauff, Steuerrecht kurzgefasst
2011, 139, 141).
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3. Hat das FG die Klage als unbegründet
abgewiesen, obwohl es sie richtigerweise - mangels
Rechtsschutzbedürfnis - als unzulässig hätte
zurückweisen müssen, ist das FG-Urteil trotz dieses
Rechtsfehlers nicht aufzuheben, weil der Tenor des FG-Urteils
richtig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom
23.01.1997 - IV R 36/95, BFHE 182, 533, BStBl II 1997, 498 = SIS 97 09 16; vom 20.04.1988 - I R 67/84, BFHE 154, 5, BStBl II 1988, 927
= SIS 88 21 48, unter II.1; kritisch dazu Gräber/Ratschow,
Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 126 Rz 8). Das gilt aber
nicht, wenn das FG-Urteil aus anderen - verfahrensrechtlichen -
Gründen aufzuheben ist. Das ist hier der Fall, weil sich der
Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit
das FG zu entscheiden hatte, geändert hat und das angefochtene
Urteil damit gegenstandslos geworden ist (§ 127 FGO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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