Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 28.06.2022 - 4 K
96/19 = SIS 22 13 74
aufgehoben.
Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische
Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Beteiligten streiten um die
Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die
vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) in 2014 bis
2016 (Streitjahre) durchgeführten Blut- und
Gewebetransporte.
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Der Kläger ist ein eingetragener
Verein. Nach Ziffer 2.1. seiner Satzung bestand der Zweck des
Klägers darin,
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“a) verletzten,
kranken und behinderten Menschen Hilfe zu leisten und eine
Transportmöglichkeit mit vereinseigenen Fahrzeugen zu
schaffen,
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b) Pflege und Betreuung von kranken,
behinderten und alten Menschen zu übernehmen,
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c) bei Not- und Katastrophenfällen
durch Einsatz von Mitarbeitern und Gerät Hilfe zu
leisten,
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d) Aus- und Fortbildungsmaßnahmen
für jedermann auf dem Gebiet des Sanitätswesens (z.B.
Erste Hilfe, lebensrettende Sofortmaßnahmen für
Führerscheinbewerber, Herz-Lungen-Wiederbelebung) und der
Pflege durchzuführen,
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e) die Aus- und Fortbildung von
Rettungsdienst-, Sanitäts- und Pflegepersonal
durchzuführen,
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f) durch Veröffentlichungen und
öffentliche Veranstaltungen das Bewusstsein in der
Bevölkerung für Fragen des Sozial- und Gesundheitswesens,
insbesondere bezüglich der Betreuung und Pflege behinderter,
kranker und pflegebedürftiger Menschen jeden Alters, im
Rettungswesen, im Bereich der Jugendpflege und sozialen Hilfe zu
fördern,
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g) behinderte und pflegebedürftige
Menschen und ihre Angehörigen in Fragen der Betreuung und
Pflege zu beraten.“
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In den Streitjahren transportierte der
Kläger unter anderem Blut- und Gewebeproben von Arztpraxen
oder Krankenhäusern zu Laboren. Die hierfür verwendeten
Fahrzeuge waren dabei teilweise mit blauem Rundumlicht und
Martinshorn ausgerüstet. Vertragsbeziehungen bestanden
lediglich zwischen dem Kläger sowie den Krankenhäusern,
Ärzten und Laboren, nicht aber zu den Patientinnen und
Patienten, deren Proben transportiert wurden.
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In seinen zu Vorbehaltsfestsetzungen
(§ 164 der Abgabenordnung - AO - ) führenden
Umsatzsteuererklärungen der Streitjahre gab der Kläger
unter anderem Umsätze zum ermäßigen Steuersatz aus
Blut- und Gewebetransporten an.
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Nach einer Außenprüfung ging der
Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) in den
geänderten Umsatzsteuerbescheiden der Streitjahre vom
08.07.2019 davon aus, dass die Umsätze aus den Blut- und
Gewebetransporten nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8
Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dem
ermäßigten, sondern dem Regelsteuersatz unterliegen. Die
Transportleistungen kämen nicht unmittelbar dem
begünstigten Personenkreis (Verletzte, Kranke und Behinderte)
zugute, sondern seien gegenüber Dritten (Krankenhäuser,
Labore, Ärzte) erbracht worden. Der Kläger habe somit
nicht „unmittelbar“
satzungsmäßige Zwecke erfüllt. Auch eine
Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG in Verbindung mit §
23 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung komme
insoweit nicht in Betracht, da Empfänger der Leistungen im
Sinne des § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG nicht der in der Satzung
ausdrücklich bezeichnete hilfsbedürftige Personenkreis
gewesen sei, sondern die Krankenhäuser, Ärzte und
Labore.
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Den Einspruch des Klägers wies das FA
als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom
04.09.2019). Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG)
mit seinem in EFG 2022, 1504 = SIS 22 13 74 veröffentlichten
Urteil statt. Die streitgegenständlichen Leistungen (Blut- und
Gewebetransporte) erfüllten die Voraussetzungen eines
Zweckbetriebs nach § 66 AO (Wohlfahrtspflege). Die (teilweise
im Rahmen einer Notbehandlung unter Einsatz von Blaulicht
durchgeführten) Transporte hätten nahezu
ausschließlich dazu gedient, kranken und damit
hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Der Annahme eines
Zweckbetriebs stehe nicht entgegen, dass die Transportleistungen
den kranken Menschen nicht im Rahmen eines direkten
Vertragsverhältnisses unmittelbar zugutegekommen seien,
sondern sich lediglich als Subunternehmerleistungen auf mittelbarem
Wege bei den Patienten niedergeschlagen hätten. Über die
Grundsätze des Urteils des Bundes-finanzhofs (BFH) vom
27.11.2013 - I R 17/12 (BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68 = SIS 14 12 91) hinausgehend genüge für ein „zugute
kommen“ im Sinne des § 66 Abs. 3 AO
bereits ein „mittelbares
Wirkungsverhältnis“ der Leistung zum
Hilfsbedürftigen. Dies sei vorliegend zu bejahen, da die
Transportleistungen als notwendiger Bestandteil der erforderlichen
Gesamtbehandlung bei den Hilfsbedürftigen ihren Niederschlag
gefunden hätten. Unter Berücksichtigung der neueren
Rechtsprechung des BFH zum Merkmal der „engen Verbundenheit
mit der Sozialfürsorge und der sozialen
Sicherheit“ (Urteil vom 24.02.2021 - XI R
32/20 (XI R 42/19), BFHE 272, 270 = SIS 21 09 33) liege damit ein
Betrieb der Wohlfahrtspflege im Sinne des § 66 AO vor.
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Das FA rügt mit seiner Revision die
Verletzung materiellen Rechts (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a
UStG). Die Annahme eines Zweckbetriebs „Blut- und
Gewebeservice“ widerspreche dem BFH-Urteil in
BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68 = SIS 14 12 91. Danach erfordere
eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege, dass die Hilfeleistungen in
tatsächlicher Hinsicht selbst und unmittelbar gegenüber
den Hilfsbedürftigen erbracht werden. Die
streitgegenständliche Leistung müsse zumindest faktisch
unmittelbar gegenüber dem Hilfsbedürftigen („direkt
am Patienten“) erbracht werden. Daran fehle es
nach dem BFH-Urteil vom 06.02.2013 - I R 59/11 (BFHE 241, 101,
BStBl II 2013, 603 = SIS 13 18 25), wenn eine Laborleistung als
reine Vorbereitungsleistung gegenüber einem Krankenhaus
erbracht werde. Wenn bereits die Laborleistung das Erfordernis der
unmittelbaren Hilfeleistung nicht erfülle, könne der
Transport eben dieser Blut- und Gewebeproben erst recht keine
Unmittelbarkeit begründen. Die Transportleistungen stellten
keine unmittelbaren Behandlungs- oder Betreuungsleistungen dar,
sondern allenfalls Vorbereitungsleistungen für die weitere
Behandlung durch Ärzte oder anderes medizinisches Personal.
Die Steuersatzbegünstigung scheitere zudem an den
einschränkenden Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8
Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG. Satzungsmäßiger
Zweck des Klägers sei es, „verletzten, kranken und
behinderten Menschen Hilfe zu leisten und eine Transportleistung
mit vereinseigenen Fahrzeugen zu schaffen“.
Damit sei offensichtlich eine Transportleistung unmittelbar
für ebenjene verletzte, kranke und behinderte Menschen
gemeint. Der Transport von Blut- und Gewebeproben zwischen
Arztpraxen, Krankenhäusern und Laboren sei dagegen weder als
Zweck noch als Maßnahme zur Zweckverwirklichung in der
Satzung aufgeführt und könne auch nicht mit dem Transport
von Menschen gleichgesetzt werden. Der Kläger handele in
diesem Bereich somit nicht satzungsgemäß. Im
Übrigen sei auch § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3
Alternative 1 UStG nicht erfüllt. Abgesehen davon, dass die
Blut- und Gewebetransporte im Hinblick auf die Wettbewerbsklausel
des § 65 Nr. 3 AO keinen allgemeinen Zweckbetrieb
begründeten, würden entsprechende Transportfahrten
regelmäßig auch von nicht steuerbegünstigten
Unternehmen durchgeführt, so dass es zu einer
Wettbewerbsverzerrung komme.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG vom 28.06.2022 - 4 K
96/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Der Kläger schließt sich den
Ausführungen des FG
„vollumfänglich“ an. Entgegen der
Ansicht des FA verwirkliche er durch die Beförderung von Blut-
und Gewebeproben seine satzungsmäßigen Zwecke im Sinne
von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG
„selbst“. Die Satzung benenne in Ziffer
2.1.a die Schaffung von „Transportmöglichkeiten mit
vereinseigenen Fahrzeugen“ als Mittel, um das
Wohlfahrtswesen zu fördern. Aus der Satzungsbestimmung gehe
nicht hervor, dass ausschließlich Menschen befördert
werden sollten. Der Wortlaut enthalte gerade keine Begriffe, die
einen Bezug zum vorangehenden Satzobjekt herstellten (wie etwa:
„...und ‘für diese’ eine
Transportmöglichkeit...zu schaffen“).
Vielmehr seien die Begleitung und Beförderung zu
Versorgungseinrichtungen („dazu gehören
auch“) nur beispielhaft genannt. Im
Umkehrschluss bedeute dies, dass sich die
„Transportmöglichkeit mit vereinseigenen
Fahrzeugen“ nicht allein auf den
Patiententransport beschränke. Verletzten, kranken oder
behinderten Menschen könne häufig weitaus bedeutsamere
Hilfe geleistet werden, indem Transportmöglichkeiten für
deren Blut- oder Gewebeproben, etwa während chirurgischer
Eingriffe, bereitgestellt werden. Hinsichtlich der Voraussetzungen
des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG
werde ein Wettbewerbsverhältnis zu nicht begünstigten
Transportleistungen anderer Unternehmer bestritten. Denn
regelmäßig müssten diese Transporte aufgrund des
hohen Zeitdrucks, etwa während eines chirurgischen Eingriffs,
unter Blaulichteinsatz durchgeführt werden.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Das FG hat die Steuersatzermäßigung des § 12
Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG zu Unrecht bejaht. Mangels
hinreichender Feststellungen kann der Senat in der Sache nicht
selbst entscheiden.
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1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG
ermäßigt sich unter den dort genannten Voraussetzungen
die Steuer für die Leistungen der Körperschaften, die
ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige,
mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der §§ 51
bis 68 AO verfolgen.
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a) Diese Steuersatzermäßigung gilt
nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen
Geschäftsbetriebs ausgeführt werden (§ 12 Abs. 2 Nr.
8 Buchst. a Satz 2 UStG). Erforderlich ist daher gemäß
§ 64 Abs. 1 AO, dass es sich um Leistungen handelt, die die
Körperschaft im Rahmen eines Zweckbetriebs erbringt. Liegt ein
derartiger Zweckbetrieb vor, ist zudem § 12 Abs. 2 Nr. 8
Buchst. a Satz 3 UStG zu beachten. Für Leistungen, die im
Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, gilt die
Steuersatzermäßigung danach nur, wenn der Zweckbetrieb
nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen
durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in
unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz
unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt
werden (Alternative 1), oder wenn die Körperschaft mit diesen
Leistungen ihrer in den §§ 66 bis 68 AO bezeichneten
Zweckbetriebe die steuerbegünstigten
satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht (Alternative
2).
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b) § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG
beruht unionsrechtlich auf Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL in
Verbindung mit deren
Anhang III Nr. 15. Danach können die Mitgliedstaaten auf
Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in
Anhang III der MwStSystRL genannten Kategorien einen
ermäßigten Steuersatz anwenden. Anhang III Nr. 15 der
MwStSystRL erfasst steuerpflichtige Leistungen durch von den
Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen
für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen
Sicherheit.
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c) Zwar wurde Anhang III Nr. 15 der MwStSystRL
durch die Richtlinie (EU) 2022/542 vom 05.04.2022 (Amtsblatt der
Europäischen Union Nr. L 107, Seite 1) geändert. Nunmehr
können die Mitgliedstaaten eine
Steuersatzermäßigung schaffen für die
„Lieferung von Gegenständen und Erbringung von
Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen, die sich
für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen
Sicherheit wie von den Mitgliedstaaten definiert einsetzen und die
von den Mitgliedstaaten als Einrichtungen mit sozialem Charakter
anerkannt werden, soweit sie nicht gemäß den Artikeln
132, 135 und 136 von der Steuer befreit
sind“. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 19
dieser Richtlinie soll hierdurch, um für Rechtssicherheit zu
sorgen, präzisiert werden, „dass es im Fall von
Einrichtungen mit sozialem Charakter die allgemeine Tätigkeit
und die Ziele der Einrichtung als Ganzes - unabhängig vom
letztendlich Begünstigten der Lieferung von Gegenständen
oder Dienstleistungen - sind, die bei der Bewertung der
Anforderungen für die Anwendung eines ermäßigten
Steuersatzes berücksichtigt werden
sollten“.
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Der Senat kann allerdings offenlassen, ob es
durch die Änderung zu einer unionsrechtlichen Erweiterung des
Ermächtigungstatbestandes kommt, obwohl sich dieser weiterhin
auf Leistungen gemeinnütziger Organisationen bezieht, die -
trotz der den Mitgliedstaaten hierzu nunmehr eingeräumten
Definitionsbefugnis - unverändert für
„wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen
Sicherheit“ tätig sein müssen
(für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs aber
Erdbrügger in Schauhoff/Kirchhain, Handbuch der
Gemeinnützigkeit, 4. Aufl., § 13 Rz 326 ff. sowie in Die
Wirtschaftsprüfung 2022, 605 ff.; Hummel, UR 2023, 209 f.;
Hüttemann, UR 2023, 200 f.).
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Denn nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG sind
Änderungen des UStG, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf
die Umsätze anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten der
maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden.
Entsprechendes gilt auch für Bestimmungen des Unionsrechts,
die im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen
Rechts zu beachten sind, soweit ihnen nicht der Charakter einer
lediglich „klarstellenden“
Auslegungsregelung zukommt (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom
16.03.2023 - V R 17/21 = SIS 23 09 36, Rz 30). Auch unionsrechtlich ist eine neue Rechtsnorm
erst ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar, mit dem sie
eingeführt wird, wobei etwas anderes nur und vorbehaltlich des
Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten gilt, wenn zusammen
mit der Neuregelung besondere Vorschriften die Voraussetzungen
für die zeitliche Geltung regeln (Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Union - EuGH - E.B. vom 15.01.2019 - C-258/17,
EU:C:2019:17, Rz 50). Derartige Regelungen liegen in Bezug auf den
geänderten Anhang III Nr. 15 zur MwStSystRL nicht vor (vgl.
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2022/542). Dieser Bestimmung zur
Festlegung der Umsätze, die ermäßigt besteuert
werden können, kommt kein bloßer Auslegungscharakter zu,
sodass sie - entsprechend der allgemeinen Regelung des Art. 5 der
Richtlinie (EU) 2022/542 zum Inkrafttreten - frühestens
für ab dem 06.04.2022 ausgeführte Umsätze von
Bedeutung und daher für die Streitjahre nicht zu
berücksichtigen ist. Vor dem Hintergrund dieser eindeutig
geregelten zeitlichen Anwendbarkeit - in Bezug auf eine
materiell-rechtliche Regelung - kommt die Annahme einer aus dem
Erwägungsgrund Nr. 19 der Richtlinie (EU) 2022/542
abgeleiteten „Präzisierung“,
der lediglich klarstellender Charakter mit Rückwirkung auf vor
dem Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie ausgeführte
Umsätze zukommen soll, nicht in Betracht. Einer im Schrifttum
vertretenen Gegenauffassung (Hummel, Zeitschrift für das
gesamte Mehrwertsteuerrecht 2023, 259, 265) schließt sich der
Senat daher nicht an.
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2. Im Streitfall hat das FG die die
Steuersatzermäßigung einschränkenden
Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG
zwar genannt (Entscheidungsgründe Seite 10, Rz 35). Es hat
dann aber ohne weitere Prüfung auf Seite 11 (Rz 36) seines
Urteils lediglich festgestellt, dass diese
„Voraussetzungen für eine
Steuersatzermäßigung ... erfüllt
[sind]“. Damit hat das FG die
Voraussetzungen dieser Vorschrift bejaht, ohne dass erkennbar wird,
aufgrund welcher Tatsachen und aufgrund welcher rechtlichen
Erwägungen sich diese Schlussfolgerung des FG ergeben soll.
Werden die vom FG gezogenen Schlussfolgerungen somit nicht von
entsprechenden Feststellungen getragen, kann das Urteil keinen
Bestand haben (vgl. BFH-Urteile vom 06.05.2020 - X R 26/19 =
SIS 20 14 78, Rz 21 sowie vom
25.10.2016 - I R 54/14, BFHE 256, 66, BStBl II 2017, 1216 = SIS 16 28 18, Rz 10).
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3. Die Sache ist an das FG
zurückzuverweisen, da der Senat die erforderliche Prüfung
im Revisionsverfahren nicht nachholen kann. Im zweiten Rechtsgang
wird das FG Folgendes zu beachten haben:
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a) Wird die Steuersatzermäßigung
für den Zweckbetrieb nach § 66 AO begehrt, ist
zunächst zu prüfen, ob der Kläger mit den Blut- und
Gewebetransporten seine steuerbegünstigten
satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklichte (§ 12
Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG).
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aa) Hierfür hat das FG zum einen
festzustellen, welche steuerbegünstigten Zwecke nach der
Satzung des Klägers verfolgt wurden und ob es sich hierbei um
die Förderung des Wohlfahrtswesens nach § 52 Abs. 2 Satz
1 Nr. 9 AO, die Mildtätigkeit nach § 53 AO oder um eine
Verfolgung beider Zwecke handelte. In diesem Zusammenhang
könnte insbesondere zweifelhaft sein, ob die vom Kläger
durchgeführten Transporte als Selbstverwirklichung der
Förderung des Wohlfahrtswesens nach § 52 Abs. 2 Satz 1
Nr. 9 AO anzusehen sind.
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bb) Zum anderen setzt die Selbstverwirklichung
durch die Zweckbetriebsleistung voraus, dass die Leistung vom
konkreten Satzungszweck der Körperschaft erfasst wird. Da der
Blut- und Gewebetransport nicht ausdrücklich als Zweck oder
als Maßnahme zur Zweckverwirklichung in der Satzung
bezeichnet ist, hat das FG durch Auslegung der Satzung
festzustellen, ob die streitgegenständlichen Blut- und
Gewebetransporte von Ziffer 2.1. Buchst. a der Satzung
(„verletzten, kranken und behinderten Menschen Hilfe zu
leisten und eine Transportmöglichkeit mit vereinseigenen
Fahrzeugen zu schaffen“) erfasst sind.
Dafür könnte - entsprechend dem Vortrag des Klägers
- zwar der Wortlaut der Satzung sprechen, dagegen könnte
jedoch neben dem Vereinsnamen
(„...“) auch der Kontext der
betreffenden Satzungsklausel angeführt werden, da in weiteren
Bestimmungen der Satzung (Ziffer 2.1. Buchst. b und Buchst. f)
explizit auf „kranke, behinderte und alte
Menschen“ und „behinderte, kranke
und pflegebedürftige Menschen“
verwiesen wird.
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Sollte Ziffer 2.1. Buchst. a der Satzung eng
und damit nur auf Personentransporte auszulegen sein, stellt sich
die weitere Frage, ob der Transport von Blut und Gewebe dem
Transport von alten, kranken oder behinderten Personen
gleichzustellen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
getrennte Körperteile oder entnommene
Körperflüssigkeiten mit der Trennung oder Entnahme zu
beweglichen Sachen im Rechtssinne werden (FG Köln, Urteil vom
19.12.2006 - 6 K 912/04, EFG 2007, 959 = SIS 07 11 60 zu
entnommenen Knorpelzellen), die entsprechend § 953 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit der Trennung bzw. Entnahme
in das Eigentum desjenigen fallen, von dem sie abgetrennt oder
entnommen wurden (vgl. hierzu Staudinger/C Heinze, Kommentar zum
BGB, § 953, Rz 11, unter Hinweis auf das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 09.11.1993 - VI ZR 62/93, BGHZ 124, 52,
unter II.2.a). Im Falle einer Blutabnahme zu Laborzwecken oder
Entnahme von Gewebe könnte es jedoch entsprechend § 959
BGB (vgl. hierzu Taupitz, Medizinrecht 2017, 353 ff., 355) zur
konkludenten Aufgabe des Eigentums am Blut bzw. Gewebe durch den
Patienten kommen. Einer fehlenden Gleichstellung mit der jeweiligen
Person könnte entsprechen, dass es sich bei Blutproben oder
Körpersekreten um reine Untersuchungsobjekte handelt, die ihre
körperliche Verbindung zum Patienten verloren haben und an
denen keine Heil- oder Behandlungsmaßnahmen vorgenommen
werden (BFH-Urteil in BFHE 241, 101, BStBl II 2013, 603 = SIS 13 18 25, Rz 22 a.E.). Dementsprechend wird umsatzsteuerrechtlich die
Steuerbefreiung für die Beförderung von kranken und
verletzten Personen (§ 4 Nr. 17 Buchst. b UStG) von der
Lieferung menschlichen Blutes in § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG
abgegrenzt.
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b) Falls das FG die Voraussetzungen des §
12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 2 UStG verneinen
sollte, wird es weiter zu prüfen haben, ob die
streitgegenständlichen Leistungen in erster Linie der
Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von
Umsätzen dienen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem
allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer
Unternehmer ausgeführt werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst.
a Satz 3 Alternative 1 UStG).
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
ist - neben der Alternative 2 als lex specialis für besondere
Zweckbetriebe nach §§ 66 bis 68 AO - für alle
Zweckbetriebe nach §§ 65 ff. AO (auch) die
einschränkende Voraussetzung der Alternative 1 des § 12
Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG anwendbar und daher zu
prüfen (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 26.08.2021 - V R 5/19,
BFHE 274, 284 = SIS 21 19 62, Rz 44 f.; vom 17.11.2022 - V R 12/20,
BStBl II 2023, 367 = SIS 23 01 64, Rz 39; vom 21.06.2017 - V R
34/16, BFHE 259, 9, BStBl II 2018, 55 = SIS 17 18 35, Rz 32 f.; vom
08.03.2012 - V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630 = SIS 12 15 33, Rz 26 f. bezüglich Alternative 1 und Rz 33
bezüglich Alternative 2; vgl. auch BFH-Urteil vom 23.07.2019 -
XI R 2/17, BFHE 266, 91 = SIS 19 16 88, Rz 20 - Alternative 1 - und
Rz 21 - Alternative 2 - ).
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bb) Zusätzliche Einnahmen im oben
genannten Sinne liegen bereits dann vor, wenn die Körperschaft
diese im Zusammenhang mit Leistungen erzielt, die für die
Verwirklichung ihres steuerbegünstigten
satzungsmäßigen Zwecks nicht unerlässlich sind
(BFH-Urteile vom 24.06.2020 - V R 47/19 (V R 33/17), BFHE 268, 572,
BStBl II 2020, 853 = SIS 20 11 33, Rz 16 sowie in BFHE 237, 279,
BStBl II 2012, 630 = SIS 12 15 33). Es kommt dabei weder darauf an,
ob der Kläger aus den zusätzlichen Einnahmen geringe oder
- wie im Streitfall wegen Dauerdefiziten - keine Gewinne erzielt
hat, noch darauf, ob die Einnahmen dem Kläger verblieben sind
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630 = SIS 12 15 33, Rz 28).
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cc) Für die Frage, ob Umsätze mit
Wettbewerbscharakter vorliegen, ist entscheidend, ob der
Kläger mit den Leistungen seines Zweckbetriebs (hier: Blut-
und Gewebetransporte) in Wettbewerb zu anderen Unternehmern tritt,
die vergleichbare Leistungen ohne Anspruch auf
Ermäßigung am Markt anbieten (BFH-Urteile in BFHE 259,
9, BStBl II 2018, 55 = SIS 17 18 35, unter Rz 33 sowie in BFHE 266,
91 = SIS 19 16 88). Unter Berücksichtigung der unionsrechtlich
gebotenen weiten Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a
Satz 3 Alternative 1 UStG ist der ermäßigte
Umsatzsteuersatz nur insoweit anzuwenden, als er zu keiner oder
einer nur geringen Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung führt
(BFH-Urteil in BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630 = SIS 12 15 33, Rz
32, unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Kommission/Königreich
Niederlande vom 03.03.2011 - C-41/09, EU:C:2011:108 = SIS 11 06 32, Rz 52). Daher könnte im
Streitfall zwischen den Einsätzen im Rahmen einer eiligen
Notfallbehandlung unter Einsatz von Blaulicht mit einer geringen
Gefahr der Wettbewerbsverzerrung und den sonstigen Einsätzen
zu unterscheiden sein.
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c) Ohne Bindung nach § 126 Abs. 5 FGO
weist der Senat vorsorglich zur Anwendung von § 66 AO darauf
hin, dass nach den bisherigen Feststellungen des FG (Rz 42 des
Urteils) die Transportleistungen des Klägers den
hilfebedürftigen Personen nicht im Sinne des § 66 Abs. 3
AO „zugute kommen“, da sie nicht
entsprechend dem BFH-Urteil in BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68 =
SIS 14 12 91 direkt „an den
Patienten“ erbracht wurden, sondern
Kontakt zu diesen lediglich über die in verschlossenen und
verpackten Behältnissen befindlichen Blut- und Gewebeproben
bestand. Soweit das FG unter Hinweis auf das - zu Art. 132 Abs. 1
Buchst. g MwStSystRL ergangene - BFH-Urteil in BFHE 272, 270 = SIS 21 09 33: Abrechnungsleistungen von Rettungsdiensten davon
ausgegangen ist, dass für ein „zugute
kommen“ ein „mittelbares
Wirkungsverhältnis“ zum Patienten
ausreicht, erscheint diese Auslegung zweifelhaft, weil sich
hierdurch nichts am Erfordernis eines „eigenen karitativen
Elements“ ändert (vgl. hierzu
BFH-Urteile vom 26.01.2012 - VII R 4/11, BFHE 236, 481, BStBl II
2012, 541 = SIS 12 13 82, Rz 20 sowie in BStBl II 2023, 367 = SIS 23 01 64, Rz 31 und Rz 36 zu
„fürsorgeorientierten“
Hilfestellungen), das auch durch die vorliegend streitigen
Transporttätigkeiten zu erfüllen wäre.
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4. Der Senat entscheidet mit
Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121
FGO).
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
an das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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