Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 19.09.2019 -
1 K 73/18 = SIS 19 17 61 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Streitig ist, ob der Bescheid über
die Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos
gemäß § 27 Abs. 2 des
Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden
Fassung (KStG) von einem Gesellschafter angefochten werden
kann.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine Aktiengesellschaft
dänischen Rechts, war im Jahr 2007 (Streitjahr) - und ist auch
heute noch - Gesellschafterin der Beigeladenen, einer GmbH mit Sitz
im Inland.
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Die Beigeladene gab im Oktober 2008 eine
Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen
Einlagekontos zum 31.12.2007 ab, in der der Bestand des
Einlagekontos mit 0 EUR beziffert wurde. Dabei wurde eine im
Streitjahr in die Kapitalrücklage geleistete Zahlung in
Höhe von rund 800.000 EUR versehentlich nicht
berücksichtigt.
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Mit unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung stehendem Bescheid vom 22.12.2008 stellte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) den Bestand des
steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2007
erklärungsgemäß mit 0 EUR fest (im Folgenden:
Feststellungsbescheid). Aus nicht verfahrensgegenständlichen
Gründen wurde der Feststellungsbescheid im Februar 2009
geändert, der Nachprüfungsvorbehalt blieb
bestehen.
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Am 26.11.2015 machte die Beigeladene
gegenüber dem damals zuständigen Finanzamt geltend, dass
die genannten Bescheide nichtig seien, da die in 2007 geleistete
Einlage nicht berücksichtigt worden sei; hilfsweise sei diese
im Wege einer Berichtigung nach § 129 der Abgabenordnung (AO)
im Nachhinein zu erfassen. Mit Bescheid vom 07.07.2016 lehnte das
damals zuständige Finanzamt die Anträge auf Feststellung
der Nichtigkeit und auf Berichtigung ab. Dagegen legte die
Beigeladene am 10.02.2017 Einspruch ein, den das nunmehr
zuständige FA mit Einspruchsentscheidung vom 06.02.2018 als
unzulässig verwarf.
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Bereits am 18.01.2018 hatte die
Klägerin Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt
und beantragt, die im Jahr 2007 geleistete Einlage zusätzlich
zu erfassen. Zur Begründung trug sie vor, dass sie als
Gesellschafterin der Beigeladenen von der fehlerhaften Feststellung
des steuerlichen Einlagekontos unmittelbar betroffen sei, was ihr
die erforderliche Rechtsbehelfsbefugnis verleihe. Da der
Feststellungsbescheid ihr gegenüber nicht bekanntgegeben
worden sei, habe eine Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen begonnen.
Der Einspruch sei daher nicht verfristet.
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Das FA verwarf den Einspruch der
Klägerin als unzulässig, ein Drittanfechtungsrecht sei
nicht anzuerkennen.
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Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht
(FG) wies die dagegen gerichtete Klage durch Prozessurteil mit der
Begründung ab, dass die Klägerin nicht i.S. des § 40
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) befugt sei, den
gegenüber der Beigeladenen ergangenen Feststellungsbescheid
anzufechten (Urteil vom 19.09.2019 - 1 K 73/18, EFG 2019, 1920 =
SIS 19 17 61).
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Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung des § 40 Abs. 2 FGO. Sie macht
zudem geltend, dass die Anwendung von § 166 AO im vorliegenden
Fall gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verstoßen
würde.
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Sie beantragt, den gegenüber der
Beigeladenen ergangenen Bescheid über die gesonderte
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27
Abs. 2 KStG auf den 31.12.2007 vom 23.02.2009 unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Urteils und der Einspruchsentscheidung vom
15.06.2018 dahingehend zu ändern, dass der Bestand des
steuerlichen Einlagekontos mit 800.709,96 EUR festgestellt
wird.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne
Rechtsfehler dahin erkannt, dass der Klägerin kein
Drittanfechtungsrecht zusteht und sie daher nicht befugt ist, den
gegenüber der Beigeladenen ergangenen Feststellungsbescheid
anzufechten.
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1. Die Kapitalgesellschaft als Adressatin des
Feststellungsbescheids ist ungeachtet der vorrangig
anteilseignerbezogenen Wirkungen des Bescheids klagebefugt.
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a) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt
ist, ist die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der
Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen
Rechten verletzt zu sein (Klagebefugnis i.S. des § 40 Abs. 2
FGO).
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b) Nach der Senatsrechtsprechung richtet sich
der Feststellungsbescheid des § 27 Abs. 2 KStG
ausschließlich gegen die dort genannte Kapitalgesellschaft.
Obgleich dem steuerlichen Einlagekonto für die eigene
Ertragsbesteuerung der Kapitalgesellschaft keine unmittelbare
Bedeutung zukommt, hat der Senat dieser die Befugnis zuerkannt,
gegen den Feststellungsbescheid außergerichtlich und
gerichtlich vorzugehen (z.B. Senatsurteile vom 30.01.2013 - I R
35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560 = SIS 13 14 76; vom
19.07.2017 - I R 96/15, BFH/NV 2018, 237 = SIS 17 26 16). Dieser
Bescheid entfaltet über § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung
(EStG) materiell-rechtliche Bindungswirkung auch für die
Anteilseigner. Nach dieser Vorschrift gehören Bezüge aus
Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen aus
Kapitalvermögen, soweit für diese Eigenkapital i.S. des
§ 27 KStG als verwendet gilt. Materielles Tatbestandsmerkmal
des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist damit der im Bescheid
nach § 27 Abs. 2 KStG ausgewiesene Bestand. Gilt danach das
steuerliche Einlagekonto für die Leistung der
Körperschaft als verwendet, ist diese Verwendungsfiktion auch
auf der Ebene der Gesellschafter zu beachten. Ein Gesellschafter
kann sich deshalb in einem die eigene Besteuerung betreffenden
Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, das steuerliche
Einlagekonto sei im Bescheid über die Feststellung des
steuerlichen Einlagekontos unzutreffend ausgewiesen (Senatsurteil
vom 19.05.2010 - I R 51/09, BFHE 230, 128, BStBl II 2014, 937 = SIS 10 23 31; a.A. Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27
KStG Rz 81).
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2. Eine materiell-rechtliche
Tatbestandswirkung des Feststellungsbescheids für die
Anteilseigner der Kapitalgesellschaft begründet kein
Drittanfechtungsrecht.
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a) In der Rechtsprechung der Finanzgerichte
und in der Literatur wird die Rechtsfrage kontrovers beurteilt
(befürwortend: z.B. Hessisches FG, Urteil vom 01.12.2015 - 4 K
1355/13, EFG 2016, 687 = SIS 16 06 48; Brühl, DStR 2017, 1129;
Ott, Steuern und Bilanzen - StuB - 2018, 273;
Binnewies/Gravenhorst, DStR 2020, 1542; Streck/Binnewies, KStG, 10.
Aufl., § 27 Rz 123; Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl., §
27 Rz 70; demgegenüber ablehnend: z.B. FG München,
Beschluss vom 28.05.2019 - 7 V 803/19, EFG 2020, 68 = SIS 19 17 95;
Mössner in Mössner/Oellerich/Valta,
Körperschaftsteuergesetz, 5. Aufl., § 27 Rz 159;
Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die
Körperschaftsteuer, § 27 KStG Rz 113a;
Brandis/Heuermann/Oellerich, § 27 KStG Rz 46;
Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 350 Rz
24).
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b) Der Senat schließt sich der zuletzt
genannten Auffassung an.
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aa) Allerdings hat der Bundesfinanzhof (BFH)
in einigen Fallkonstellationen ein Drittanfechtungsrecht anerkannt
(s. z.B. die Übersicht bei Cöster, a.a.O.). So hat der
Senat, worauf sich die Befürworter eines
Drittanfechtungsrechts des Anteilseigners maßgeblich berufen,
insbesondere dem Einbringenden die Befugnis zuerkannt, den
Körperschaftsteuerbescheid des aufnehmenden Unternehmens mit
der Begründung anzufechten, der dort zugrunde gelegte
Wertansatz für das eingebrachte Vermögen sei zu hoch
bemessen (Senatsurteile vom 08.06.2011 - I R 79/10, BFHE 234, 101,
BStBl II 2012, 421 = SIS 11 37 17; vom 25.04.2012 - I R 2/11,
BFH/NV 2012, 1649 = SIS 12 24 79). Die Zuerkennung des
Drittanfechtungsrechts in dieser Konstellation beruht zum einen
darauf, dass im Körperschaftsteuerbescheid materiell-rechtlich
bindend für den Einbringenden der Wertansatz für das
eingebrachte Vermögen als
„Veräußerungspreis“
gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 des
Umwandlungssteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung -
UmwStG 2006 - (entspricht § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG a.F.)
festgeschrieben wird. Zum anderen ist die Körperschaft
rechtlich nicht in der Lage, den Körperschaftsteuerbescheid
erfolgreich anzufechten, weil sie selbst durch einen zu hohen
Wertansatz unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt i.S. des §
40 Abs. 2 FGO beschwert ist. Aus den genannten Gründen ist es
zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke gemäß Art.
19 Abs. 4 GG geboten, das Drittanfechtungsrecht des Einbringenden
anzuerkennen.
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bb) Eine hiermit vergleichbare Situation
besteht im Streitfall nicht. Denn der Senat hat der
Körperschaft als der Inhaltsadressatin des gemäß
§ 27 Abs. 2 KStG ergangenen Feststellungsbescheids die
Klagebefugnis ausdrücklich zuerkannt (s. zu II.1.b). Damit ist
der Anteilseigner zwar - wie der Einbringende im Hinblick auf den
Körperschaftsteuerbescheid des aufnehmenden Unternehmens -
materiell-rechtlich vom Feststellungsbescheid mittelbar betroffen
(Senatsurteil vom 07.04.2010 - I R 96/08, BFHE 229, 179, BStBl II
2011, 467 = SIS 10 20 96; Senatsbeschluss vom 25.09.2018 - I B
49/16, BFH/NV 2019, 288 = SIS 18 22 71 - zur fehlenden
unmittelbaren Betroffenheit), jedoch kann die Körperschaft den
Feststellungsbescheid vollumfänglich außergerichtlich
und gerichtlich überprüfen lassen. Aus diesem Grunde
erachtet der Senat die Zuerkennung eines eigenen Anfechtungsrechts
des Anteilseigners nicht für geboten, zumal damit Rechtsfolgen
verbunden wären, die dem Senat unter dem Gesichtspunkt der
Rechtssicherheit nicht hinnehmbar erscheinen (hierzu nachfolgend
unter II.4.).
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cc) Soweit in der Rechtsprechung des BFH ein
Drittanfechtungsrecht des Arbeitnehmers gegen den gegenüber
dem Arbeitgeber ergangenen Lohnsteuer-Haftungsbescheid und des
Vergütungsgläubigers gegen den gegenüber dem
Vergütungsschuldner ergangenen
Kapitalertragsteuer-Haftungsbescheid anerkannt wird, beruht dies im
Wesentlichen auf der Überlegung, dass der Arbeitnehmer und der
Vergütungsgläubiger in ihrer Eigenschaft als Schuldner
der Lohnsteuer bzw. Kapitalertragsteuer unmittelbar vom
Haftungsbescheid betroffen sind, weil dieser in ihren Rechtsbereich
eingreift (vgl. BFH-Urteile vom 29.06.1973 - VI R 311/69, BFHE 109,
502, BStBl II 1973, 780 = SIS 73 04 25 - zum
Lohnsteuer-Haftungsbescheid; Senatsbeschluss vom 07.11.2007 - I R
19/04, BFHE 219, 300, BStBl II 2008, 228 = SIS 08 08 13 - zur
Anfechtung der Steueranmeldung des Vergütungsschuldners i.S.
des § 50a EStG). Damit ist die Stellung des Anteilseigners in
Bezug auf den Feststellungsbescheid gemäß § 27 Abs.
2 KStG nicht zu vergleichen.
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3. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Zuerkennung
eines Drittanfechtungsrechts des Anteilseigners nicht.
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a) Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) schließt die
grundgesetzliche Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes
Einschränkungen nicht aus, wenn im Einzelfall widerstreitende
grundrechtlich fundierte Interessen zum Ausgleich zu bringen sind.
Hierbei müssen nicht nur die betroffenen Belange angemessen
gewichtet werden, vielmehr ist in Bezug auf die Auswirkungen der
Regelung auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
zu beachten. Mit Blick auf die hiernach zulässige
Ausgestaltung des Justizgewährungsanspruchs kann eine
multipolare Konfliktlage Bedeutung erlangen, in der sich z.B. die
Interessen des Staates und gleichgerichtete, aber ggf. auch
widerstreitende Interessen privater Personen gegenüberstehen
(vgl. hierzu BVerfG-Beschluss vom 23.05.2006 - 1 BvR 2530/04,
BVerfGE 116, 1; Schmidt-Aßmann in Dürig/Herzog/Scholz,
GG, Art. 19 Abs. 4 Rz 22).
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b) Ein multipolares Rechtsverhältnis mit
einander widerstreitenden Interessenlagen liegt auch im sachlichen
Anwendungsbereich des § 27 KStG vor. Dieser Befund erlaubt
Einschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten.
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aa) Mit der von § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG
angeordneten gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen
Einlagekontos und deren Bindungswirkung für die
nächstfolgende Feststellung (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG)
wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit für die
regelungsbetroffenen Steuerpflichtigen und den Fiskus herstellen
(allgemeine Meinung, s. nur BT-Drucks. 7/1470, S. 379 und 14/2683,
S. 121 - zur vergleichbaren Rechtslage bei der früheren
gesonderten Feststellung der Teilbeträge des verwendbaren
Eigenkapitals gemäß § 47 KStG a.F.; s.a. z.B.
Bauschatz in Gosch, a.a.O., § 27 Rz 67; Berninghaus in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz 81).
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Dabei dient § 27 Abs. 2 KStG in
besonderer Weise der Ordnung der steuerlichen Verhältnisse
einer (im praktischen Regelfall der Beteiligung an einer
Kapitalgesellschaft) Vielzahl von Betroffenen. Die Gesamtregelung
des steuerlichen Einlagekontos in § 27 KStG hat zunächst
Bedeutung für die Kapitalgesellschaft, insbesondere in ihrer
Eigenschaft als potentielle Haftungsschuldnerin (Senatsurteil in
BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560 = SIS 13 14 76). Zum anderen
werden die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft, deren Zahl bei
großen Publikumsgesellschaften in die Tausende gehen kann,
von der Regelung betroffen. So hängt die steuerliche
Qualifikation der von der Kapitalgesellschaft an sie gezahlten
Bezüge als nicht steuerbare Einlagenrückgewähr von
dem festgestellten Bestand des steuerlichen Einlagekontos ab
(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). In vergleichbarer Weise sind
auch die zukünftigen Gesellschafter regelungsbetroffen. Denn
materiell-rechtlich hängt auch die Qualifikation der von ihnen
vereinnahmten Bezüge von der Bestandsfeststellung auf der
Ebene der Körperschaft ab. Insgesamt dienen die in § 27
KStG enthaltenen Einzelregelungen dem Zweck, die Besteuerungsebenen
von Kapitalgesellschaft und einem großen Kreis von
Anteilseignern möglichst verfahrenssicher und praktikabel
aufeinander abzustimmen (Senatsurteil vom 11.02.2015 - I R 3/14,
BFHE 249, 448, BStBl II 2015, 816 = SIS 15 14 95, zu den
Bescheinigungsbestimmungen in § 27 Abs. 3 und 5 KStG).
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Mit der Regelung in § 27 KStG wird zudem
- im Unterschied zu den oben angeführten
Einbringungsfällen - kein
„Einmal-Sachverhalt“ geordnet.
Vielmehr werden mit der gesonderten Feststellung zunächst
sämtliche unterjährigen Veränderungen des
Einlagekontos erfasst und zum Jahresende verbindlich
festgeschrieben. Die Bindung des Folgebescheids an den Bescheid des
Vorjahres (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG) sorgt sodann für eine
kontinuierliche Festschreibung des Bestands und der
Bestandsveränderungen über Jahre hinweg
(Dauersachverhalt).
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bb) Mit der Zuerkennung eines
Drittanfechtungsrechts der - aktuellen wie zukünftigen -
Anteilseigner würde jederzeit auch für weit
zurückreichende Besteuerungszeiträume die jeweils
maßgebliche Höhe des Einlagekontos in Zweifel gezogen
werden können. Denn die Gesellschafter wären bei
Zuerkennung eines eigenen Anfechtungsrechts wegen fehlender
Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an sie jederzeit (und nur im
Bereich sog. Verwirkung begrenzt) befugt, die Feststellung mit dem
Einspruch anzugreifen (vgl. § 355 Abs. 1 AO, s. z.B.
BFH-Urteil vom 06.07.2011 - II R 44/10, BFHE 234, 107, BStBl II
2012, 5 = SIS 11 30 13; Senatsurteil in BFH/NV 2012, 1649 = SIS 12 24 79; s.a. Steinhauff, juris PraxisReport Steuerrecht 1/2012, Anm.
5; Seer in Tipke/Kruse, § 355 AO Rz 3). Eine Bekanntgabe des
Feststellungsbescheids an die Gesellschafter als denkbare
Drittbetroffene (vgl. § 122 Abs. 1 Satz 1 AO - „oder
der von ihm betroffen wird“; s.
Koenig/Vorbeck, a.a.O., § 122 Rz 33) würde keine
Bestandskraft herbeiführen können, da bei
größeren Kapitalgesellschaften der Gesellschafterbestand
unüberschaubar bzw. die Bekanntgabe an künftige
Gesellschafter unmöglich ist.
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Auch die Verjährungsvorschriften
würden das etwaige Anfechtungsrecht des Anteilseigners in
zeitlicher Hinsicht nicht eingrenzen. Zwar gelten für den
Feststellungsbescheid die Bestimmungen der
Feststellungsverjährung (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) mit der Rechtsfolge einer
regelmäßigen Verjährungsfrist von vier Jahren, die
typischerweise mit einer Anlaufhemmung gemäß § 170
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO einhergeht. Nach Eintritt der
Feststellungsverjährung müsste einer Drittanfechtung
grundsätzlich der Erfolg versagt werden. Jedoch bewirkt §
181 Abs. 5 Satz 1 AO eine
„faktische“
Unverjährbarkeit, da der Feststellungsbescheid eines Jahres
unmittelbare Bedeutung für den Feststellungsbescheid des
Folgejahres und zudem auch mittelbare Bedeutung für alle
künftigen Feststellungen hat (vgl. BFH-Urteil vom 29.06.2011 -
IX R 38/10, BFHE 233, 326, BStBl II 2011, 963 = SIS 11 25 87;
Urteile des FG Münster vom 02.04.2014 - 9 K 2089/13 F, juris =
SIS 14 23 71, und des FG Köln vom 07.04.2016 - 13 K 37/15, EFG
2016, 980 = SIS 16 12 66; s.a. Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl.,
§ 181 Rz 36, jeweils m.w.N.).
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Der damit einhergehende Zustand
„vollständiger Bestandskraftlosigkeit und
Unverjährbarkeit“ wäre mit dem
Gebot der Rechtssicherheit, das für das gesamte steuerliche
Verfahrensrecht systemprägend ist, nicht zu vereinbaren. Denn
danach sind materiell-rechtliche Fehler eines Steuerverwaltungsakts
grundsätzlich - Korrekturnormen wie z.B. §§ 172 ff.
AO lassen die Bestandskraftdurchbrechung nur ausnahmsweise unter
engen Voraussetzungen zu - nur im Rahmen einer Anfechtung
korrigierbar, die innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Fristen
erfolgt ist. Ein Interesse an der hierdurch bewirkten
Rechtssicherheit hat neben dem Fiskus insbesondere auch die
unmittelbar vom Regelungsbefehl des § 27 Abs. 2 KStG
betroffene Körperschaft, die Bescheinigungen i.S. des §
27 Abs. 3 KStG rechtssicher auf der Basis eines
bestandskräftigen Feststellungsbescheids erteilen will, oder
Gesellschafter, die den Feststellungsbescheid für zutreffend
halten oder die - aus welchen Gründen auch immer - von der
Anfechtung absehen möchten.
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cc) Je nachdem, welche und wie viele der
potentiell anfechtungsberechtigten Gesellschafter von ihrem
Anfechtungsrecht Gebrauch machen würden, bestünde zudem
die Gefahr inhaltlich divergierender Entscheidungen. Dieser Gefahr
könnte durch verfahrensrechtliche Sicherungen nicht
hinreichend begegnet werden. So hat der Senat z.B. bereits
entschieden, dass die Anfechtung des Feststellungsbescheids
gemäß § 27 Abs. 2 KStG durch die
Kapitalgesellschaft nach geltender Rechtslage nicht zur sog.
notwendigen Beiladung der Gesellschafter führt bzw. im
Hinblick auf künftige Gesellschafter nicht führen kann
und deshalb eine Rechtskrafterstreckung auf nicht selbst klagende
Gesellschafter nicht stattfindet (Senatsbeschluss in BFH/NV 2019,
288 = SIS 18 22 71). Soweit in der Literatur darauf hingewiesen
wird, dass die erfolgreiche Anfechtung des Feststellungsbescheids
durch einen drittanfechtungsberechtigten Gesellschafter als
materiell-rechtlich rückwirkendes Ereignis gemäß
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu Folgeanpassungen bei den
gegenüber allen Gesellschaftern ergangenen
Ertragsteuerbescheiden führen würde (Brühl, GmbHR
2020, 852, 854), ist dem entgegenzuhalten, dass hierdurch die
Gefahr widerstreitender Sachentscheidungen nicht vollständig
gebannt wird. Denn im Grundsatz könnten andere, ebenfalls
drittanfechtungsberechtige Gesellschafter unabhängig
voneinander den Feststellungsbescheid aus eigenem Recht erneut
anfechten und dessen Rechtsrichtigkeit in Frage stellen,
während der zuerst anfechtende Gesellschafter wegen der
Rechtskraft des von ihm erstrittenen Urteils nicht
schlechtergestellt werden dürfte. Auch eine rechtskräftig
abgewiesene Anfechtungsklage der Kapitalgesellschaft gegen den
Feststellungsbescheid würde einer neuen Klage eines nach
Jahren hinzugetretenen Neugesellschafters nicht entgegenstehen.
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c) In der Konstellation des Streitfalls kommt
es nicht zu einem (verfassungswidrigen) Rechtswegausschluss. Denn
der Kapitalgesellschaft als Inhaltsadressatin des
Feststellungsbescheids stehen - und standen im Streitfall auch
tatsächlich - umfassende Anfechtungsmöglichkeiten zur
Verfügung, die die von Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Kontrolle
des Verwaltungshandelns dem Grund nach sicherstellen. So hat der
Senat die Befugnis der Kapitalgesellschaft, gegen den
Feststellungsbescheid zu klagen, ausdrücklich bejaht (s. zu
II.1.). Diese kann zudem - auch noch nach Eintritt der formellen
Bestandskraft - jederzeit im Rahmen der
Feststellungsverjährung (vgl. z.B. Seer in Tipke/Kruse, §
129 AO Rz 29 f.; vgl. zur Anwendung des § 181 Abs. 5 AO die
Ausführungen oben unter II.3.b bb) die Berichtigung des
Feststellungsbescheids gemäß § 129 AO beantragen.
Der Senat hat den Anwendungsbereich dieser Norm im Hinblick auf die
in der Praxis häufig vorkommenden Fälle der
versehentlichen Nichterfassung einer getätigten Einlage in der
Feststellungserklärung gemäß § 27 Abs. 2 Satz
4 KStG in seiner jüngeren Rechtsprechung erweitert
(Senatsurteil vom 08.12.2021 - I R 47/18, BFHE 275, 293, BStBl II
2022, 827 = SIS 22 12 54).
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Es ist auch einzuberechnen, dass das
Verhältnis zwischen der Kapitalgesellschaft und ihren
Gesellschaftern zwar vom sog. Trennungsprinzip beherrscht wird, was
aber nicht zur Folge hat, dass sich die beiden Ebenen
„beziehungslos“
gegenüberstehen. Vielmehr sind Gesellschaft und Gesellschafter
gesellschaftsvertraglich miteinander verbunden und die
Gesellschafter können ihre hieraus resultierenden Befugnisse
(z.B. Informationsrechte) einsetzen, um die Kapitalgesellschaft zur
Einlegung von Einsprüchen gegen vermeintlich rechtswidrige
Feststellungsbescheide zu veranlassen. Schließlich ist darauf
hinzuweisen, dass bei einer versehentlichen Nichterfassung der
Einlage im Feststellungsbescheid typischerweise kein
endgültiger Steuerschaden eintreten wird. Zwar steht eine
bestandskräftig nicht erfasste Einlage auf Dauer (vgl. §
27 Abs. 2 Satz 2 KStG) nicht mehr zur Verfügung, um damit eine
Einlagenrückgewähr zu
„speisen“. Allerdings erhöht
die Einlage aus der Gesellschaftersicht die Anschaffungskosten der
Beteiligung und hat dadurch im Veräußerungs- oder
Liquidationsfall möglicherweise eine steuermindernde Wirkung
(vgl. Ott, StuB 2022, 409).
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4. Die Frage, ob bei Gewährung eines
Drittanfechtungsrechts die Regelung des § 166 AO zur Anwendung
kommen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 10.12.2019 - I B 35/19, BFHE 267, 199, BStBl II
2020, 517 = SIS 20 06 21), stellt sich
auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen nicht.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 und 3 FGO. Etwaige außergerichtliche Kosten der
Beigeladenen sind nicht aus Billigkeitsgründen zu erstatten
(§ 139 Abs. 4 FGO). Diese hat keine Sachanträge gestellt
oder anderweitig das Verfahren wesentlich gefördert.
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