1
|
I. Der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA - ) schätzte den gesondert
festzustellenden Gewinn des Gewerbetriebs „P“ des
Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für die
Streitjahre 2006 und 2007. Diese Schätzungsbescheide ergingen
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem der Kläger
im Dezember 2010 seine Gewinnermittlungen für alle Streitjahre
eingereicht hatte, hob das FA mit Bescheiden vom 30.3.2011 die
Vorbehalte der Nachprüfung für die Streitjahre 2006 und
2007 auf. Am gleichen Tag erließ das FA einen
Feststellungsbescheid für das Streitjahr 2008. Alle drei
Bescheide waren mit Rechtsbehelfsbelehrungen versehen, die
hinsichtlich der Form der Einspruchseinlegung den Wortlaut des
§ 357 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) wiederholten.
Daneben enthielten diese Bescheide die E-Mail-Adresse des FA.
Infolge der bereits am 14.1.2011 ergangenen Aufforderung, Nachweise
hinsichtlich der Gewinnermittlungen zu übersenden, bat der
Kläger am 20.5.2011, die Schätzungen zurückzunehmen.
Er habe krankheitsbedingt erst verspätet antworten
können. Auf einen Hinweis des FA auf die Möglichkeit der
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand reagierte der Kläger
nicht. Das Schreiben des Klägers vom 20.5.2011 wertete das FA
als Einspruch gegen die Bescheide vom 30.3.2011, die es durch
Entscheidung vom 26.7.2011 als unzulässig verwarf.
|
|
|
2
|
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.
Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hob mit dem in EFG
2012, 292 = SIS 12 01 53 veröffentlichten Urteil die
Einspruchsentscheidung auf. Der Einspruch sei fristgerecht
eingegangen, da aufgrund des fehlenden Hinweises in den
Rechtsbehelfsbelehrungen auf die Möglichkeit der Einlegung
eines Einspruchs per E-Mail die Jahresfrist aus § 356 Abs. 2
AO zum Tragen komme.
|
|
|
3
|
Das FA begründet seine Revision damit,
dass die Einlegung eines Einspruchs per E-Mail ein Unterfall der
schriftlichen Einspruchseinlegung sei und eine Erweiterung der
Rechtsbehelfsbelehrung zur Unübersichtlichkeit führe. Die
Nichterwähnung der E-Mail führe nicht zu einer
Erschwerung oder gar Gefährdung der Rechtsverfolgung und
Fristwahrung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise.
|
|
|
4
|
Das FA beantragt sinngemäß, das
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
5
|
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
6
|
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ).
|
|
|
7
|
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass
die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30.3.2011
unvollständig seien, da ein Hinweis auf die Möglichkeit
der Einlegung eines Einspruchs per E-Mail fehle. Das zutreffend als
Einspruch zu wertende Schreiben des Klägers (unten 1.) hat die
einmonatige Einspruchsfrist nicht gewahrt, eine Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand war nicht zu gewähren (unten 2.). Die
Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO ist nicht anwendbar, da die
Rechtsbehelfsbelehrungen richtig und vollständig sind (unten
3.).
|
|
|
8
|
1. Zutreffend haben FA und FG das Schreiben
des Klägers vom 20.5.2011 als Einspruch gewertet. Auch
außerprozessuale Verfahrenserklärungen - wie dieses
Schreiben - sind in entsprechender Anwendung des § 133 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29.7.1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987,
359). Im vorliegenden Fall liegt in der Bitte des Klägers, die
Schätzungen zurückzunehmen, ein Begehren i.S. des §
350 AO, das als Einspruch anzusehen ist.
|
|
|
9
|
Der Einspruch ist schriftlich und damit
jedenfalls formgerecht i.S. des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO
eingelegt worden.
|
|
|
10
|
2. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass
der Einspruch nicht innerhalb der Monatsfrist gemäß
§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO eingelegt wurde. Eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO
war - auch von Amts wegen - nicht zu gewähren, da der
Kläger Tatsachen zur Begründung eines solchen Antrags
trotz eines Hinweises des FA nicht dargelegt hat. Die bloße
Erwähnung einer Krankheit im Einspruchsschreiben zwingt das FA
nicht zu einer Prüfung der Wiedereinsetzung von Amts wegen. Da
Krankheit nur ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand begründen kann (vgl. statt vieler: Söhn in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz 147;
Klein/Rätke, AO, 11. Aufl., § 110 Rz 9, jeweils m.w.N.),
hätte der Kläger weitere Tatsachen darlegen und -
spätestens im Klageverfahren (vgl. Klein/Rätke, a.a.O.,
§ 110 Rz 46; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl.,
§ 110 Rz 89, jeweils m.w.N.) - gemäß § 110
Abs. 2 Satz 2 AO auch glaubhaft machen müssen. Für
Amtsermittlungen ist in einem solchen Verfahren grundsätzlich
kein Raum (BFH-Beschluss vom 23.1.2008 I B 101/07, BFH/NV 2008,
1290 = SIS 08 27 97).
|
|
|
11
|
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO wäre auch dann
nicht zu gewähren, wenn man den Vortrag der Klägerseite
so verstünde, dass dem Kläger die Möglichkeit der
Einlegung eines Einspruchs per E-Mail nicht bekannt gewesen sei und
er sich deshalb im Rechtsirrtum befunden habe. Es fehlt insoweit
bereits an der Darlegung entsprechender Tatsachen innerhalb der in
§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzten Monatsfrist. Ein
Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf dieser
Antragsfrist ist unzulässig (BFH-Beschluss vom 26.2.2004 VI B
101/01, nicht veröffentlicht).
|
|
|
12
|
3. Die Einspruchsfrist ist nicht
gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO auf ein Jahr seit
Bekanntgabe der Bescheide verlängert worden, da die
Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide vom 30.3.2011
vollständig und richtig erteilt worden sind. Hinsichtlich der
Anforderungen an die Form der Einspruchseinlegung reicht es
insoweit aus, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen den Wortlaut des
§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergeben.
|
|
|
13
|
a) Die Rechtsbehelfsbelehrung muss dem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz
(Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG - ;
Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragen, soll aber auch so einfach und
klar wie möglich sein (Senatsurteil vom 7.3.2006 X R 18/05,
BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 = SIS 06 20 49).
|
|
|
14
|
Unrichtig ist eine Belehrung daher erst dann,
wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart
unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass
hierdurch - bei objektiver Betrachtung - die Möglichkeit zur
Fristwahrung gefährdet erscheint (Senatsurteil vom 29.7.1998 X
R 3/96, BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742 = SIS 99 01 47; auch
BFH-Beschluss vom 9.11.2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448 = SIS 10 05 93, jeweils m.w.N.).
|
|
|
15
|
b) Der BFH hat bereits mehrfach entschieden,
dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch dann noch vollständig und
richtig ist, wenn sie hinsichtlich der Form der Einlegung des
Rechtsbehelfs nur den Wortlaut des Gesetzes - im Fall der Einlegung
des Einspruchs also den des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO -
wiederholt, und zwar auch in Bezug auf die Einlegung des
Rechtsbehelfs per E-Mail. So stellte der III. Senat bereits in
seiner Entscheidung vom 2.2.2010 III B 20/09 (BFH/NV 2010, 830 =
SIS 10 11 64) klar, dass die Rechtsbehelfsbelehrung richtig und
vollständig sei, wenn sie den Wortlaut des § 357 Abs. 1
AO wiedergebe. Auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in
elektronischer Form brauche die Behörde auch dann nicht
hinzuweisen, wenn in der Erwähnung der Internetseite in der
Fußzeile des Bescheides die konkludente Eröffnung eines
„Zugangs“ i.S. von § 87a Abs. 1 Satz 1 AO
zu sehen sein sollte. Diese Rechtsprechung hat der III. Senat in
seiner Entscheidung vom 12.10.2012 III B 66/12 (BFH/NV 2013, 177 =
SIS 13 01 25) bestätigt.
|
|
|
16
|
In seinem Beschluss vom 12.12.2012 I B 127/12
(BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272 = SIS 13 02 72) hat sich der I.
Senat des BFH dieser Rechtsprechung angeschlossen. Nach dem
maßgebenden objektiven Verständnishorizont sei bei
Wiederholung des Wortlautes des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO kein
unrichtiger bzw. missverständlicher Hinweis zu den
Formerfordernissen erteilt worden. Das FA sei weder gehalten, einen
ergänzenden Hinweis auf § 87a AO (elektronische Form als
Alternative zur Schriftlichkeit im Sinne der hergebrachten
Schriftform) zu geben, ebenso wie es umgekehrt nicht gehalten sei,
angesichts der ergänzenden Regelung des § 87a AO einen
Hinweis, der sich auf § 357 Abs. 1 Satz 1 AO beschränke,
zu unterlassen. Eine Belehrung entsprechend dem Gesetzeswortlaut
des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht geeignet, bei einem
„objektiven“ Empfänger die Fehlvorstellung
hervorzurufen, die Einlegung eines Einspruchs in elektronischer
Form werde den geltenden Formvorschriften nicht gerecht. Der
Hinweis auf die „Schriftlichkeit“ entsprechend
§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO wirke weder irreführend noch
rechtsschutzbeeinträchtigend. Der Betroffene werde in die Lage
versetzt, sich im Rahmen seiner verfahrensrechtlichen
Mitverantwortung darüber kundig zu machen, ob das
herkömmliche Verständnis dessen, was unter
„schriftlich“ aufzufassen sei, angesichts der
technischen Weiterentwicklungen zu modifizieren sei.
|
|
|
17
|
c) Der Senat schließt sich der
Rechtsprechung des I. und III. Senats an und knüpft hierbei an
seine Entscheidung in BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 = SIS 06 20 49 an, die es ausreichen lässt, dass die
Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Berechnung der
Einspruchsfrist den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen
wiedergibt.
|
|
|
18
|
aa) Nach § 356 Abs. 1 AO beginnt die
Frist für die Einlegung des Einspruchs nur, wenn der
Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei
der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in
der für den Verwaltungsakt verwendeten Form (schriftlich oder
elektronisch) belehrt worden ist. Über die Form des Einspruchs
selbst ist hiernach nicht (zwingend) zu belehren.
|
|
|
19
|
Allerdings muss eine Rechtsbehelfsbelehrung
auch Angaben, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, richtig,
vollständig und unmissverständlich darstellen (vgl.
BFH-Urteil vom 21.6.2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064 = SIS 07 35 18, unter II.2.a, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach
den Maßstäben, die der Senat in seiner Entscheidung in
BFHE 212, 407, BStBl II 2006, 455 = SIS 06 20 49 aufgestellt hat
(s.o. unter 3.a).
|
|
|
20
|
bb) Der Senat hat gerade mit Rücksicht
auf die im Interesse des Steuerpflichtigen liegende Klarheit der
Rechtsbehelfsbelehrung in dieser Entscheidung zu einem Fall, in dem
die Frage des Fristbeginns in Rede stand, ausgeführt (unter
II.2.c d), es sei ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den
Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergebe und
verständlich über die allgemeinen Merkmale des
Fristbeginns unterrichte. Letzteres setze nach allgemeiner Meinung
nicht voraus, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung den Besonderheiten
des Einzelfalles Rechnung zu tragen wäre. Vielmehr genüge
eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes über die
vorgeschriebene Anfechtungsfrist. Die konkrete Berechnung sei den
Beteiligten überlassen. Auf sämtliche Modalitäten
könne kaum hingewiesen werden.
|
|
|
21
|
cc) Es besteht keine Veranlassung, bei Angaben
in der Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht Pflichtangaben nach §
356 Abs. 1 AO sind, höhere Anforderungen an die
Detailliertheit der Rechtsbehelfsbelehrung zu stellen als bei
solchen Angaben, die notwendiges Element der Rechtsbehelfsbelehrung
sind.
|
|
|
22
|
Die Frist ist eine solche Pflichtangabe. Wenn
es aber selbst zu der - im Einzelfall sehr komplizierten -
Berechnung der Frist ausreicht, den Wortlaut der einschlägigen
Bestimmung wiederzugeben, so muss dies erst recht gelten, wenn
Angaben zur Form gemacht werden, die schon dem Grunde nach nicht
zwingender Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung sind.
|
|
|
23
|
Das bedeutet für die Form der
Einspruchseinlegung, dass es genügt, den Wortlaut der insoweit
maßgeblichen Vorschrift, nämlich des § 357 Abs. 1
AO, wiederzugeben. Dies ist in den Bescheiden vom 30.3.2011
unstreitig geschehen.
|