Steuerbescheid, Rechtsbehelfsbelehrung, Bekanntgabe: Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in einer Einspruchsentscheidung erteilten Rechtsbehelfsbelehrung ist ein Hinweis auf die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO 1977 für die Ermittlung des Tages der Bekanntgabe (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) nicht erforderlich. - Urt.; BFH 7.3.2006, X R 18/05; SIS 06 20 49
I. Der
Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte mit seinem
Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr
1999 vom 5.12.2000 keinen Erfolg.
Die
Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung vom 5.6.2003
hatte u.a. folgenden Wortlaut:
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„Die
Klage ist gegen das Finanzamt F zu richten. Die Frist für die
Erhebung der Klage beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf
des Tages, an dem Ihnen diese Einspruchsentscheidung bekannt
gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder
Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt die Bekanntgabe mit
dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn,
dass diese Einspruchsentscheidung zu einem späteren Zeitpunkt
zugegangen ist. Bei Zustellung durch Postzustellungsurkunde oder
gegen Empfangsbekenntnis ist Tag der Bekanntgabe der Tag der
Zustellung. ... Die Frist für die Erhebung der Klage gilt als
gewahrt, wenn die Klage bei dem Finanzamt F innerhalb der Frist
angebracht oder zur Niederschrift gegeben
wird.“
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Die
Einspruchsentscheidung war am Donnerstag, den 5.6.2003, mit
einfachem Brief zur Post gegeben worden.
Am 13.5.2004
ging beim Finanzgericht (FG) die Klage mit Datum 11.5.2004
ein.
Zur
Zulässigkeit führte der Kläger aus, die Klagefrist
sei gewahrt. Nach dem Datum der Einspruchsentscheidung sei sie ihm
am 6.6.2003, spätestens aber am 7.6.2003 zugegangen. Nach
§ 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gelte der
Verwaltungsakt am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als
bekannt gegeben, sofern er nicht tatsächlich zu einem
späteren Zeitpunkt oder überhaupt nicht zugegangen sei.
Falle das Ende der Drei-Tages-Frist - wie hier - auf einen Sonntag,
einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, ende die Frist
gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 erst mit dem Ablauf des
nächstfolgenden Werktags, wie sich aus der geänderten
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe (vgl. Urteil vom
14.10.2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898 = SIS 03 47 17). Darauf weise die Rechtsbehelfsbelehrung nicht hin. Sie sei
unrichtig i.S. von § 55 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO), weil sie über einen etwaigen späteren Beginn der
Klagefrist nicht vollständig unterrichte. Die Klage sei daher
innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung
zulässig.
Das FG hat die
Klage mit dem in EFG 2005, 1824 = SIS 05 46 47
veröffentlichten Urteil als unzulässig
abgewiesen.
Mit der
Revision trägt der Kläger vor, der Adressat eines
Bescheides müsse über den Beginn einer Rechtsbehelfsfrist
genau der Gesetzeslage entsprechend unterrichtet werden. Es
müsse ihm möglich sein, die ersten Schritte zur Einlegung
eines Rechtsmittels ohne Gesetzeslektüre einzuleiten. Daraus
ergebe sich die Notwendigkeit, in der Rechtsbehelfsbelehrung auf
die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO 1977 für die
Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 hinzuweisen. Fehle
dieser Hinweis, so sei die Rechtsbehelfsbelehrung trotz der
Eigenverantwortlichkeit des Steuerpflichtigen für die
Berechnung der Rechtsbehelfsfrist unrichtig i.S. des § 356
Abs. 2 AO 1977 und § 55 Abs. 2 FGO.
Der
Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 5.12.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 5.6.2003 dahin gehend zu ändern,
dass die Einkommensteuer für 1999 auf 18.045 DM festgesetzt
wird.
Der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die
Revision wird gemäß § 126 Abs. 2 FGO als
unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zu Recht die Klage
als verspätet abgewiesen, weil sie erst nach Ablauf der
Rechtsbehelfsfrist erhoben wurde und Gründe für eine
Wiedereinsetzung weder vorgebracht wurden noch erkennbar sind. Die
der Einspruchsentscheidung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung
genügt den Anforderungen die an ihren auf die Klagefrist
bezogenen Inhalt zu stellen sind.
1. Nach §
47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO beträgt die Klagefrist einen
Monat; sie beginnt mit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung
(§ 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO), wenn der Kläger u.a.
über die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist
(§ 55 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die
Ein-Monats-Frist war bei Eingang der Klage beim FG abgelaufen. Die
Verspätung des Klageeingangs wäre allerdings dann
unschädlich, wenn sich der Kläger auf die sich nach
§ 55 Abs. 2 Satz 1 FGO ergebende Fristverlängerung mit
der Begründung berufen könnte, die in der
Einspruchsentscheidung enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung sei
unrichtig, weil in ihr der Hinweis auf den nach der Rechtsprechung
des BFH (in BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898 = SIS 03 47 17)
abweichenden Beginn der Rechtsbehelfsfrist fehle, wenn der Tag der
Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf einen Sonntag,
gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend falle.
2. Die
Entscheidung darüber, welchen Inhalt eine
ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung haben muss,
verlangt die Abwägung zum Teil widerstreitender
Gesichtspunkte.
a) Grundlegend
sind der verfassungsrechtliche Anspruch auf wirkungsvollen
Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - i.V.m. Art. 20
Abs. 3 GG; Art. 19 Abs. 4 GG) und die hieraus abzuleitenden Gebote
der prozessualen Fürsorgepflicht und der Rechtsmittelklarheit.
Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und
Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gebietet es, dem
Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher
Entscheidungen klar vorzuzeichnen. Die Rechtsbehelfe müssen in
der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren
Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein. Sind die
Formerfordernisse so kompliziert und schwer zu erfassen, dass nicht
erwartet werden kann, der Rechtsuchende werde sich in zumutbarer
Weise darüber Aufklärung verschaffen können,
müsste die Rechtsordnung zumindest für eine das Defizit
ausgleichende Rechtsbehelfsbelehrung sorgen (Beschluss des Plenums
des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 30.4.2003 1 PBvU 1/02,
BVerfGE 107, 395 = SIS 03 28 91; Senatsurteil vom 23.6.2004 X R
59/01, BFHE 206, 449, BStBl II 2004, 901 = SIS 04 38 08). Nach dem
hierfür in Bezug genommenen Beschluss des BVerfG vom 20.6.1995
1 BvR 166/93 (BVerfGE 93, 99, 108 ff. = SIS 98 19 99) gebietet die
Rechtsschutzgarantie eine Rechtsmittelbelehrung nur dann, wenn
„diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten
des Rechtswegs auszugleichen, die die Ausgestaltung eines
Rechtsmittels andernfalls mit sich brächte“. Auch in
Verfahren, in denen kein Vertretungszwang gilt, kann vom
Rechtsuchenden - im Rahmen des Zumutbaren - erwartet werden, er
werde sich rechtzeitig über die Formerfordernisse des
Rechtsmittels Aufklärung verschaffen. Will er sich im
Einzelfall nicht sofort an einen Anwalt wenden, kann er sich bei
der Behörde, die die anzufechtende Entscheidung erlassen hat,
nach den Rechtsmittelmöglichkeiten und -erfordernissen
erkundigen (vgl. BVerfG in BVerfGE 93, 99, 109).
Das BVerfG
weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auftretenden
Härten durch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand begegnet werden kann.
b) Hiervon
ausgehend stellen auch die Gerichte der Fachgerichtsbarkeiten
darauf ab, dass mit einer Rechtsmittelbelehrung
„unzumutbare Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung im
Instanzenzug“ ausgeglichen werden sollen. Entscheidend
ist, ob die Formerfordernisse eines Rechtsmittels so kompliziert
und schwer zu erfassen sind, dass nicht erwartet werden kann, der
Rechtsuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber
rechtzeitig Aufklärung verschaffen können (Beschluss des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 2.5.2002 V ZB 36/01, BGHZ 150,
390).
c)
Andererseits soll die Rechtsmittelbelehrung so einfach und klar wie
möglich gehalten werden. Im Interesse rechtsunkundiger
Beteiligter ist eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden,
die statt Klarheit zu schaffen wegen ihres Umfangs und ihrer
Kompliziertheit Verwirrung stiftet (vgl. dazu Urteil des
Bundessozialgerichts - BSG - vom 24.3.1993 9/9a RV 17/92,
Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1993, 1013; Tipke in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 55 FGO
Tz. 7). Deshalb ist es ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung
den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergibt
und verständlich über die allgemeinen Merkmale des
Fristbeginns unterrichtet (BFH-Urteile vom 18.7.1986 III R 216/81,
BFH/NV 1987, 12 = SIS 86 22 48; vom 29.3.1990 V R 19/85, BFH/NV
1992, 783; BFH-Beschluss vom 30.8.1995 V B 72/95, BFH/NV 1996, 106,
jeweils mit weiteren Nachweisen der höchstrichterlichen
Rechtsprechung; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 55 Rz. 18).
d) Eine
„verständliche Erläuterung zum
Fristbeginn“ setzt nach allgemeiner Meinung nicht voraus,
dass in der Rechtsbehelfsbelehrung den Besonderheiten des
Einzelfalles Rechnung zu tragen wäre. Vielmehr genügt
eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes über die
vorgeschriebene Anfechtungsfrist. Die konkrete Berechnung ihres
Laufs bleibt dagegen der eigenen Verantwortlichkeit des Betroffenen
überlassen. „Es ist kaum möglich, aber auch
nicht erforderlich, in einer Rechtsmittelbelehrung auf
sämtliche Modalitäten der Fristberechnung
hinzuweisen“ (BVerfG-Beschluss vom 27.7.1971 2 BvR
118/71, BVerfGE 31, 388, 390; s. ferner BFH-Urteil vom 29.10.1974 I
R 37/73, BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155 = SIS 75 00 93). Auch nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bedarf es
keiner Belehrung über den Beginn der Widerspruchs- oder
Klagefrist, selbst wenn sich der Fristbeginn nach einer
Zustellungsfiktion, wie etwa der des § 4 Abs. 1 des
Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), bestimmt (BVerwG-Beschluss
vom 5.5.1999 8 B 16.99, juris Nr: WBRE410005688, mit weiteren
Nachweisen; vgl. ferner BSG-Urteil in MDR 1993, 1013).
e) Nach diesen
Maßstäben ist nicht erforderlich, dass die
Rechtsbehelfsbelehrung einen Hinweis auf die Bedeutung des §
108 Abs. 3 AO 1977 enthält, die diese Bestimmung für den
Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts durch die
Rechtsprechung des BFH (in BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898 = SIS 03 47 17) erhalten hat. Gibt - wie im Streitfall - die
Rechtsbehelfsbelehrung zur Bestimmung des Zeitpunktes der
Bekanntgabe den Gesetzeswortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO
1977 vollständig wieder, so versetzt sie, ohne
überfrachtet und verwirrend zu sein, den Betroffenen in die
Lage, sich bei Ausübung seiner Mitverantwortung für die
Berechnung des Laufes der Frist die erforderliche Klarheit
über den Fristbeginn zu verschaffen. Erforderlichenfalls ist
er gehalten, sich die für die Berechnung der
Rechtsbehelfsfrist im Einzelnen notwendigen Kenntnisse durch die
Einholung von Rechtsrat bzw. einer finanzbehördlichen Auskunft
zu beschaffen.
f) Mit dieser Entscheidung weicht der
erkennende Senat nicht von dem BFH-Urteil vom 22.1.1964 VI 94/62 S
(BFHE 78, 528, BStBl III 1964, 201 = SIS 64 01 24) ab. Im dort
entschiedenen Fall entsprach die Rechtsbehelfsbelehrung - anders
als im Streitfall - nicht dem Wortlaut des damals
einschlägigen § 17 Abs. 2 VwZG, weil sie nicht auf die
Möglichkeit des späteren tatsächlichen Zugangs
hingewiesen hatte.