1
|
I. Streitig ist, ob ein vom Arbeitgeber zur
Verfügung gestellter Dienstwagen samt Fahrer für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als geldwerter
lohnsteuerlicher Vorteil zu erfassen ist.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war seit 1.7.2001 nichtselbständig tätig.
Im Rahmen einer bei seinem Arbeitgeber durchgeführten
Lohnsteuer-Außenprüfung wurde festgestellt, dass der
Kläger in den Streitjahren (2001 bis 2003) ein Dienstfahrzeug
mit Fahrer zur Verfügung hatte, das er auch für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzen konnte. Auf der
Grundlage eines von der Lohnsteuer-Außenprüfung als
mangelhaft beurteilten Fahrtenbuches gelangte der Prüfer zu
der Überzeugung, dass der Kläger an vielen Tagen direkte
Fahrten zwischen seinem Wohnort in A und seiner
Tätigkeitsstätte in B durchgeführt habe. Die
Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat die Auffassung, dass der
Nutzungsvorteil für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nach der so genannten 0,03 %-Zuschlagsregelung
anzusetzen sowie für die Vorteile aus der Fahrergestellung
entsprechend R 31 Abs. 10 Nr. 2 Buchst. a der
Lohnsteuer-Richtlinien in den in den Streitjahren geltenden
Fassungen um 50 % zu erhöhen sei. Die
Lohnsteuer-Außenprüfung nahm jeweils eine
Arbeitsstätte in C (6 km Entfernung) sowie B (34 km
Entfernung) an und ermittelte so anhand einer durchschnittlichen
Entfernung von 20 km und Anschaffungskosten des genutzten
Dienstfahrzeugs in Höhe von 67.800 DM (34.665 EUR) einen
bisher vom Arbeitgeber nicht versteuerten Arbeitslohn in Höhe
von 1.220,40 DM (2001) und jeweils 3.736,80 EUR (2002,
2003).
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) schloss sich dem an und erhöhte mit jeweils
nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung geänderten
Einkommensteuerbescheiden vom 30.6.2005 die festgesetzten
Einkommensteuern der Streitjahre.
|
|
|
4
|
Nach erfolglosem Einspruch änderte das
FA im Klageverfahren mit weiteren Änderungsbescheiden die
Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre 2002 und 2003,
berücksichtigte dabei mit der Entfernungspauschale
Werbungskosten in Höhe von jeweils 1.802 EUR und setzte die
Einkommensteuern dementsprechend herab. Die Kläger und
Revisionskläger (Kläger) machten dagegen weiterhin
geltend, dass für die Fahrten zwischen der Wohnung und den
Arbeitsstätten in B und C kein geldwerter Vorteil anzusetzen
sei, weil sie zur Erfüllung der Dienstpflichten
durchgeführt worden seien. Dem Kläger habe auch kein
personengebundenes Fahrzeug zur Verfügung gestanden, sondern
ein Fahrzeug des Fuhrparks, mit dem auch andere
Dienstgeschäfte erfüllt worden seien. Die geänderten
Bescheide seien dementsprechend aufzuheben.
|
|
|
5
|
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit
den in EFG 2012, 239 = SIS 11 40 71 veröffentlichten
Gründen abgewiesen.
|
|
|
6
|
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
7
|
Sie beantragen sinngemäß, das
Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 19.4.2011 4 K 1690/05, den
Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 30.6.2005 sowie die
Einkommensteuerbescheide für 2002 und für 2003 jeweils
vom 30.6.2005 i.d.F. vom 4.1.2006 sowie die Einspruchsentscheidung
vom 25.10.2005 aufzuheben.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Die bisherigen Feststellungen des FG tragen
nicht dessen Entscheidung, dass der Kläger mit dem ihm
überlassenen Dienstwagen arbeitstäglich Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte durchgeführt hat.
|
|
|
10
|
1. Ob eine Fahrt zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegt, beurteilt sich nach den
Grundsätzen, die für den Werbungskostenabzug für
Fahrten zwischen Wohnung und (regelmäßiger)
Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
gelten (Senatsurteil vom 4.4.2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl
II 2008, 887 = SIS 08 24 19).
|
|
|
11
|
a) Regelmäßige Arbeitsstätte
i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist nur der
ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen
Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der
Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses
geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der
Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der
Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich,
sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und
immer wieder aufsucht (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.3.2012 VI R 48/11, BFHE 237,
82, BStBl II 2012, 926 = SIS 12 13 99; vom 22.9.2010 VI R 54/09,
BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354 = SIS 10 40 54; jeweils
m.w.N.).
|
|
|
12
|
b) Nach früherer Rechtsprechung des BFH
konnte ein Arbeitnehmer auch mehrere regelmäßige
Arbeitsstätten nebeneinander innehaben. Diese Rechtsprechung
hat der Senat jedoch zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom
19.1.2012 VI R 23/11, BFHE 236, 351, BStBl II 2012, 472 = SIS 12 09 48; VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503 = SIS 12 09 50;
VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936 = SIS 12 13 04; vom 9.6.2011 VI R
36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36 = SIS 11 27 13; VI R 55/10,
BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38 = SIS 11 27 14; VI R 58/09, BFHE
234, 155, BStBl II 2012, 34 = SIS 11 27 15). Denn dieser
ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des
Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur insoweit kann sich
der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so
(etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel
oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der
regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine Minderung der
Wegekosten hinwirken.
|
|
|
13
|
c) Ist der Arbeitnehmer in mehreren
betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig, sind
deshalb die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und der
ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu
bestimmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen,
welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den
verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder
wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit
zukommt. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine
Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder
aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen
Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der
Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene
Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. Der
regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr
hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren
Tätigkeitsorten zukommen.
|
|
|
14
|
2. Das FG ist teilweise von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Zutreffend hat es zwar
entschieden, dass unabhängig von der 1 %-Regelung die 0,03
%-Regelung dann zur Anwendung kommt, wenn das Kfz
ausschließlich für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte, nicht aber für eine sonstige private
Nutzung überlassen wird (BFH-Urteile in BFHE 231, 127, BStBl
II 2011, 354 = SIS 10 40 54; vom 6.10.2011 VI R 56/10, BFHE 235,
383, BStBl II 2012, 362 = SIS 11 40 03). Es hat allerdings nicht
beachtet, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr als eine
regelmäßige Arbeitsstätte innehaben kann, auch wenn
er fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten
seines Arbeitgebers aufsucht. Die Vorentscheidung ist daher
aufzuheben. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Denn die
bisher getroffenen Feststellungen lassen keine Beurteilung zu, ob
und gegebenenfalls wo der Kläger eine regelmäßige
Arbeitsstätte innehatte und wie oft er diese mit dem
Dienstwagen aufgesucht hat.
|
|
|
15
|
a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang
insbesondere aufzuklären haben, ob der Kläger
überhaupt eine regelmäßige Arbeitsstätte
innehatte. Dazu wird zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls
welcher der Tätigkeitsstätten des Klägers eine
hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren
Tätigkeitsorten zukommt. Dabei ist vor allem zu
berücksichtigen, ob und welcher betrieblichen Einrichtung
seines Arbeitgebers der Kläger zugeordnet war, welche
Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im
Einzelnen wahrnahm oder wahrzunehmen hatte und welches Gewicht
diesen Tätigkeiten jeweils zukam (z.B. BFH-Urteil in BFHE 234,
164, BStBl II 2012, 38 = SIS 11 27 14).
|
|
|
16
|
b) Sollte das FG zu dem Ergebnis gelangen,
dass der Kläger an einer regelmäßigen
Arbeitsstätte tätig gewesen war, wird weiter zu
berücksichtigen sein, dass nach der Rechtsprechung des
erkennenden Senats die 0,03 %-Zuschlagsregelung nur soweit zur
Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den Dienstwagen
tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nutzt (Urteil vom 22.9.2010 VI R 57/09, BFHE
231, 139, BStBl II 2011, 359 = SIS 10 40 56). Es wird deshalb
festzustellen sein, wann der Kläger jeweils diese eine
regelmäßige Tätigkeitsstätte aufgesucht hat.
Weiter wird zu beachten sein, dass die 0,03 %-Regelung als
Korrekturvorschrift zwar die Fahrten zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte erfasst, aber nicht zur
Anwendung kommt, soweit der Kläger Dienstreisen unmittelbar
von der Wohnung aus angetreten hat (Urteil in BFHE 231, 127, BStBl
II 2011, 354 = SIS 10 40 54, Rz 26).
|
|
|
17
|
c) Soweit der Kläger für die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht nur einen
Dienstwagen, sondern auch einen Fahrer zur Verfügung hatte,
führt das dem Grunde nach zu einem lohnsteuerrechtlich
erheblichen Vorteil.
|
|
|
18
|
aa) Der Senat hält die in seinem Urteil
in BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354 = SIS 10 40 54, Rz 28
geäußerten Zweifel an seiner bisherigen Rechtsprechung
(Urteil vom 27.9.1996 VI R 84/95, BFHE 181, 181, BStBl II 1997, 147
= SIS 97 04 34) im Ergebnis nicht für durchgreifend. Für
die Annahme eines Vorteils kommt es nicht darauf an, ob der
Arbeitnehmer in dem mit Fahrer überlassenen Fahrzeug bereits
auf dem Weg zur regelmäßigen Arbeitsstätte
büromäßige Tätigkeiten tatsächlich
ausübt oder ausüben könnte. Entscheidend ist
vielmehr, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer für eine
Aufgabe, die Angelegenheit des Arbeitnehmers ist, eine
Dienstleistung in Form der Personalüberlassung zur
Verfügung stellt, die für sich betrachtet einen Wert hat.
Diese Personalüberlassung betrifft auch nicht den
unmittelbaren betrieblichen Bereich des Arbeitgebers, den er mit
Arbeitsmitteln und Personal auszustatten hat, um den eigentlichen
Arbeitsprozess zu fördern. Die vom Arbeitgeber erbrachte
Leistung der Beförderung des Arbeitnehmers von der Wohnung zur
Arbeitsstätte ist weiter keine bloße nicht
einkommensteuerbare Aufmerksamkeit, sondern grundsätzlich
einkommensteuerbar, sofern nicht die Steuerbefreiung des § 3
Nr. 32 EStG greift (vgl. Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach,
§ 19 EStG Rz 135). Insofern ist eine solche
Personalüberlassung ein vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil,
dem ein Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen
der Arbeitskraft zukommt.
|
|
|
19
|
Anders als in dem vom Senat mit Urteil in BFHE
231, 127, BStBl II 2011, 354 = SIS 10 40 54 entschiedenen
Streitfall führt der hier als Arbeitslohn zu erfassende
Vorteil aus der arbeitgeberseitigen Gestellung eines Fahrers zu
einem höheren Ansatz der Einkünfte des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit. Fahrten zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte sind nach der in den
Streitjahren (2001 bis 2003) geltenden und bis zum
gegenwärtigen Zeitpunkt unveränderten Rechtslage zwar
beruflich veranlasste Fahrten, die nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
4 EStG grundsätzlich zum Werbungskostenabzug berechtigen. Aber
der Kläger kann diese Aufwendungen nur im Rahmen der für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltenden
Höchstbeträge abziehen. Nach § 9 Abs. 2 EStG sind
indessen durch die Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen
abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte veranlasst sind.
Insoweit saldieren sich Einnahmen und Erwerbsaufwendungen des
Klägers nicht.
|
|
|
20
|
bb) Der Wert des vom Arbeitgeber erlangten
Vorteils ist, wie alle nicht in Geld bestehenden Einnahmen, mit dem
um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen
Endpreis am Abgabeort anzusetzen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Zutreffend hat deshalb das FG dazu ausgeführt, dass der
für eine Fahrergestellung zusätzlich erlangte geldwerte
Vorteil zu schätzen ist und dass für diese Schätzung
der Listenpreis des gefahrenen Fahrzeugs nicht sachgerecht ist.
Maßstab zur Bewertung des Vorteils ist der Wert einer von
einem fremden Dritten bezogenen vergleichbaren Dienstleistung;
dieser Wert kann, muss aber nicht den zeitanteiligen Personalkosten
des Arbeitgebers entsprechen. Denn der Wert eines vom Arbeitgeber
erlangten Vorteils bildet sich nicht stets und unmittelbar in den
Kosten ab, die der Arbeitgeber selbst dafür aufgewendet hat.
Angesichts dessen wird das FG den Wert der vom Arbeitgeber
erlangten Dienstleistung zu schätzen und anzusetzen haben.
|