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I. Die Beteiligten streiten um die
Höhe des geldwerten Vorteils aus der Nutzung eines vom
Arbeitgeber unentgeltlich überlassenen Dienstwagens für
die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
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Der nichtselbständig tätige
Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) verfügte im
Streitjahr (2006) über einen ihm von seinem Arbeitgeber
unentgeltlich überlassenen Dienstwagen zu einem
Bruttolistenpreis von 27.600 EUR und ab 1.7.2006 über einen
anderen zu einem Bruttolistenpreis von 26.300 EUR. Der Kläger
nutzte die Dienstwagen auch für die Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte und besteuerte deren Nutzung monatlich mit
0,03 % des Bruttolistenpreises der Fahrzeuge für jeden
Entfernungskilometer von der Wohnung zur Arbeitsstätte
gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes
(EStG). Mit der Einkommensteuererklärung machte der
Kläger geltend, dass zwar 228 Fahrten nach § 8 Abs. 2
Satz 3 EStG versteuert, tatsächlich aber nur 94 Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Streitjahr
durchgeführt worden seien, und begehrte die
Berücksichtigung des sich daraus ergebenden Differenzbetrags
als Werbungskosten.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) entsprach dem nicht. Der Einspruch dagegen blieb
erfolglos.
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Im Klageverfahren verfolgte der Kläger
sein Rechtsschutzbegehren weiter und brachte nun präzisierend
vor, lediglich 100 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
im Streitjahr durchgeführt zu haben.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus
den in EFG 2010, 408 = SIS 10 03 78 veröffentlichten
Gründen teilweise statt. Es gewährte zwar nicht den vom
Kläger geltend gemachten Werbungskostenabzug für
„nicht durchgeführte Fahrten“ zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte. Es berücksichtigte aber beim
Werbungskostenabzug für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte 100 Fahrten und legte auch der Ermittlung des
geldwerten Vorteils für die unentgeltliche Nutzung des
Dienstwagens für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nur 100 statt 228 Fahrten zu Grunde. Mit der
Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteile vom 4.4.2008 VI R
68/05, BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890 = SIS 08 24 18; VI R 85/04,
BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19) bewertete das FG
diese Fahrten jeweils mit 0,002 % auf Grundlage der Entfernung und
des Bruttolistenpreises der jeweils genutzten Fahrzeuge.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt, die Entscheidung des FG
Köln vom 22.10.2009 aufzuheben, bei der Berechnung der
Einkommensteuer 2006 weitere Werbungskosten bei den Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 34 EUR als
Entfernungspauschale zu berücksichtigen und die Klage
darüber hinaus abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu
Recht im Rahmen der Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nur
die tatsächlich durchgeführten 100 Fahrten zu Grunde
gelegt.
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1. Der Senat hält auch nach erneuter
Überprüfung an seiner Rechtsprechung fest, dass die
Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG einen
Korrekturposten zum Werbungskostenabzug darstellt und sie deshalb
nur insoweit zur Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den
Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte benutzt hat (Entscheidungen in BFHE 221, 11,
BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19; in BFHE 221, 17, BStBl II 2008,
890 = SIS 08 24 18). Die Zuschlagsregelung des § 8 Abs. 2 Satz
3 EStG hat insbesondere nicht die Funktion, eine irgendwie geartete
zusätzliche private Nutzung des Dienstwagens zu bewerten. Sie
bezweckt vielmehr lediglich einen Ausgleich für abgezogene,
aber tatsächlich nicht entstandene Erwerbsaufwendungen. Denn
die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG)
gestattet einen Werbungskostenabzug unabhängig davon, ob dem
Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte tatsächlich Kosten entstanden waren.
Angesichts dieser Korrekturfunktion ist der Zuschlag nur insoweit
gerechtfertigt, als tatsächlich Werbungskosten
überhöht zum Ansatz kommen konnten. Bei der Ermittlung
des Zuschlags ist deshalb darauf abzustellen, ob und in welchem
Umfang der Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt worden ist; der
Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine
Urteile in BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19, und in
BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890 = SIS 08 24 18.
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2. Die Revision und das beigetretene BMF
bringen im Ergebnis erfolglos vor, dass diese Auslegung des
erkennenden Senats die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
überschreite, weil sie dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck, der
gesetzlichen Systematik des § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 EStG
sowie dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers dazu
widerspreche.
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a) Der Wortlaut der Norm steht dieser
Auslegung nicht entgegen, denn § 8 Abs. 2 EStG selbst
enthält keine eigenständige Regelung für die
Bewertung des Vorteils einer unentgeltlichen oder verbilligten
Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den
Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung. § 8 Abs. 2 Satz 2
EStG ordnet insoweit lediglich die entsprechende Anwendung des
§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG an; § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2
EStG ist insoweit steuerrechtlicher Grund- und Ausgangstatbestand
der privaten Kraftfahrzeugnutzung. Damit hat das Gesetz bewusst
eine Regelungslücke geschaffen und es letztlich den Gerichten
übertragen, die Lücke durch die angeordnete entsprechende
Anwendung zu füllen. Der einem Arbeitnehmer zufließende
geldwerte Vorteil für die private Nutzung eines betrieblichen
Kraftfahrzeugs zu privaten Fahrten ist danach auf Grundlage des
für Nutzungsentnahmen aus dem Betriebsvermögen geltenden
Bewertungssystems „entsprechend“ zu erfassen.
Angesichts dieser gesetzlich ausdrücklich angeordneten
entsprechenden Anwendung gebietet es daher schon der Wortlaut, die
in Bezug genommene und für entsprechend anwendbar
erklärte Grundnorm (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) nach
deren Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck aufzunehmen und bei
der entsprechenden Anwendung des Regelungsgehalts zugleich den
Besonderheiten des eigentlichen Regelungsgegenstandes gerecht zu
werden.
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aa) § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG gilt
unmittelbar nur für Steuerpflichtige, die Gewinneinkünfte
erzielen. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG bemisst für diese
Steuerpflichtigen den Wert der Nutzung des eigenen betrieblichen
Kraftfahrzeugs, das zu privaten Zwecken genutzt wird. Danach ist
die private Nutzung des betrieblichen Kraftfahrzeugs für jeden
Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im
Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für
Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer
anzusetzen (1 %-Regelung). Weitere Zuschläge hinsichtlich
anderer privater Nutzungen des Fahrzeugs sieht das Gesetz nicht
vor. Das Gesetz enthält insbesondere keinen Zuschlag für
die Nutzung eines solchen betrieblichen Kraftfahrzeugs für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits-/Betriebsstätte in
Höhe von 0,03 % des Listenpreises für jeden
Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
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bb) In Bezug auf solche Fahrten sieht das
Gesetz für Steuerpflichtige, die Gewinneinkünfte
erzielen, eine Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs für die
Kosten des Kraftfahrzeugs vor. Danach begrenzt § 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 Satz 3 EStG den Abzug dieser Aufwendungen insoweit, als der
Wert höher ist als die Entfernungspauschale (so auch
ausdrücklich die Begründung der Stellungnahme des
Bundesrates dazu, BTDrucks 13/1686, S. 8). Auch der Bundesfinanzhof
(BFH) geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass diese Regelung
bezwecke, dass für Fahrten zwischen Wohnung und
Betriebsstätte jedenfalls nicht mehr als die nach § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG pro Entfernungskilometer zu
berücksichtigenden Beträge abgezogen werden (Urteil vom
12.6.2002 XI R 55/01, BFHE 199, 342, BStBl II 2002, 751 = SIS 02 95 21).
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b) Wenn diese in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2
EStG enthaltene Regelung nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG auf
Arbeitnehmer entsprechend anwendbar ist und der für die
private Kraftfahrzeugnutzung ermittelte Wert bei Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG um
0,03 % des Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG
zu erhöhen ist, müssen sich die unmittelbare Regelung
für Gewinnermittler und die für Arbeitnehmer geltende in
ihren Rechtsfolgen entsprechen.
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aa) Wenn indessen die Norm in unmittelbarer
Anwendung (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) für Fahrten
zwischen Wohnung und Betriebsstätte keine (Betriebs-)Einnahmen
begründet, sondern insoweit lediglich durch eine Begrenzung
des Betriebsausgabenabzugs ergänzt wird (§ 4 Abs. 5 Satz
1 Nr. 6 Satz 3 EStG), und wenn bei Steuerpflichtigen, die der
unmittelbaren Anwendung der Norm unterworfen sind, offenkundig auch
lediglich diese Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs bezweckt ist,
kann die 0,03 %-Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG
in entsprechender Anwendung auf Arbeitnehmer auch nur deren
Werbungskostenabzug begrenzen.
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bb) Diese Auslegung entspricht auch - anders
als die von der Revision vertretene - dem Gebot der
Gleichbehandlung und dem Gebot der Folgerichtigkeit (zuletzt
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 6.7.2010 2
BvL 13/09, BFH/NV 2010, 1767 = SIS 10 19 16, m.w.N.). Denn soweit
das Einkommensteuerrecht mehrere Einkunftsarten unterscheidet und
daran auch unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen
diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen
finden. Allein die systematische Unterscheidung durch den
Gesetzgeber kann die Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht
rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom 30.9.1998 2 BvR 1818/91,
BVerfGE 99, 88, HFR 1999, 44 = SIS 98 23 05). Wenn aber der
steuerrechtliche Ausgangstatbestand Vorteile der privaten
Kraftfahrzeugnutzung abschließend mit der 1 %-Regelung
erfasst und für Fahrten zwischen Wohnung und
Betriebs-/Arbeitsstätte nur den Betriebsausgabenabzug
kürzt, gebietet seine entsprechende Anwendung in
folgerichtiger Umsetzung für den Bereich der
Arbeitnehmereinkünfte, auch hier für solche Fahrten nur
den Werbungskostenabzug zu begrenzen. Der Zuschlag für die
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei
Steuerpflichtigen, die Lohneinkünfte beziehen, ist daher nach
Sinn und Zweck sowie der Systematik der Regelung als Ausgleich
für abgezogene, tatsächlich aber nicht entstandene
Erwerbsaufwendungen zu betrachten. § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG
kommt damit die Funktion eines Korrekturpostens für den
pauschalen Werbungskostenabzug zu.
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c) Diese Auslegung entspricht
schließlich auch dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Das
beigetretene BMF verweist selbst insoweit zutreffend auf den
Umstand, dass die streitige Regelung im Jahre 1996 erst durch den
Vermittlungsausschuss in das Gesetz aufgenommen wurde und keine
detaillierte Dokumentation des historischen gesetzgeberischen
Willens der 0,03 %-Zuschlagsregelung vorhanden sei. Indessen liegt
gerade zu dieser Zuschlagsregelung eine Stellungnahme des
Bundesrats zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 1996 vor. Und
danach sollte die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG und in § 4
Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG enthaltene Bewertung der privaten Nutzung
eines betrieblichen Kraftfahrzeugs für die
Überschusseinkünfte, besonders für Arbeitnehmer,
entsprechend geregelt werden und dem für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte anzusetzenden geldwerten Vorteil aus
der Nutzung des betrieblichen Kraftfahrzeugs „auch hier
die Entfernungspauschale“ gegenüberstehen (BTDrucks
13/1686, S. 8 „Zu Nummer 10 (§ 8 Abs. 2
EStG)“). Daraus folgt nicht nur, dass der Grundtatbestand
der privaten Kraftfahrzeugnutzung in § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG und
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angelegt ist, sondern auch, dass
dieses Normenkompendium insgesamt für den Arbeitnehmer
entsprechend anwendbar sein soll. Damit gilt auch für
Arbeitnehmer der zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (BTDrucks
13/1686, S. 8 „Zu Nummer 3 Buchstabe c (§ 4 Abs. 5
Nr. 6 EStG)“) ausdrücklich ausgesprochene
Regelungszweck, dass der Abzug von Betriebsausgaben insoweit
ausgeschlossen ist, als der Wert höher ist als die
Entfernungspauschale.
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