Bergwerk, Fahrten unter Tage keine Fahrtätigkeit: Der Einsatz eines Arbeitnehmers auf einem Fahrzeug auf dem Betriebsgelände bzw. unter Tage im Bergwerk des Arbeitgebers stellt keine "Fahrtätigkeit" (Auswärtstätigkeit) i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG dar. - Urt.; BFH 18.6.2009, VI R 61/06; SIS 09 29 89
I. Streitig ist, ob dem Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger), der im Untertagebau als Fahrer
eines sog. Selbstlade-Transportfahrzeugs tätig ist,
Werbungskosten in Form von Verpflegungsmehraufwendungen
zustehen.
Die Kläger wurden als Eheleute zur
Einkommensteuer des Streitjahres (2002) zusammen veranlagt. Der
Kläger arbeitet als Großgerätefahrer unter Tage im
Kaliwerk ... . Als Fahrer eines sog. Selbstlade-Transportfahrzeugs
befördert er bereits abgebrochenes Material innerhalb der
Grube.
Das Kaliwerk hat insgesamt eine
unterirdische Ausdehnung von 6 km x 16 km. Von vier bestehenden
Zugängen wird derzeit nur ein Schacht genutzt. Der
Grubenbetrieb ist in drei Abbaubereiche (Großreviere)
aufgeteilt, die ihrerseits wiederum in Gewinnungsreviere
untergliedert sind. Gearbeitet wird in drei Schichten täglich.
Die Großreviere haben zwar Stammbelegschaften; entsprechend
den betrieblichen Erfordernissen können die Mitarbeiter
indessen an jeder Stelle der Grube eingesetzt werden. Die
Mitarbeiter können entweder während der Schichtpause
unter Tage mitgebrachte Verpflegung verzehren oder vor bzw. nach
der Schicht die werkseigene Kantine über Tage
aufsuchen.
In der Einkommensteuer-Erklärung
für das Streitjahr machte der Kläger Mehraufwendungen
für Verpflegung in Höhe von 960 EUR (160 Tage x 6 EUR)
als Werbungskosten geltend. Zur Begründung führte er im
Wesentlichen an, er übe eine Fahrtätigkeit aus. Seine
Tätigkeit entspreche der eines Berufskraftfahrers. Er
müsse sich unter Tage selbst verpflegen. Aufgrund der
ständig hohen Temperaturen zwischen 35 bis 50 Grad Celsius
könne er nur hochwertige und damit teure Lebensmittel
mitnehmen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) lehnte es ab, die geltend gemachten Aufwendungen
als Werbungskosten anzuerkennen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2007, 245 = SIS 07 04 93 veröffentlichten
Gründen statt.
Mit der Revision bringt das FA im
Wesentlichen vor, der Kläger übe - da er den Betriebssitz
seines Arbeitsgebers nicht verlasse - keine Fahrtätigkeit aus
und habe daher keinen Anspruch auf den Abzug von
Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung
der Klage. Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger
keinen Anspruch auf Berücksichtigung der beantragten
Verpflegungspauschalen als Werbungskosten.
1. Der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen
bei nichtselbständiger Tätigkeit ist seit Inkrafttreten
des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11.10.1995 (BGBl I
1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nur noch nach Maßgabe der in
§ 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) getroffenen Bestimmungen
möglich.
a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG wird
ein erwerbsbedingter Mehraufwand an Verpflegung typisierend in Form
gestaffelter Pauschbeträge und lediglich unter der
Voraussetzung steuerlich berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer
sich aus beruflichen Gründen auf einer
Auswärtstätigkeit befunden hat. Der erkennende Senat
verweist insoweit auf seine geänderte Rechtsprechung u.a. im
Urteil vom 11.5.2005 VI R 16/04 (BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789
= SIS 05 36 00, unter II. 2. a und b der Gründe). Danach ist
eine Auswärtstätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass der
Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem
ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen
Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt beruflich
tätig wird (Satz 2 der genannten Vorschrift), oder dass der
Arbeitnehmer typischerweise nur an ständig wechselnden
Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird
und damit über einen dauerhaft angelegten ortsgebundenen
Bezugspunkt seiner beruflichen Tätigkeit nicht verfügt
(Satz 3 der genannten Vorschrift). Ist der Arbeitnehmer hingegen an
seinem ortsgebundenen Tätigkeitsmittelpunkt (dem entspricht
der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE
209, 518, BStBl II 2005, 789 = SIS 05 36 00) tätig, liegt eine
zum Ansatz der Verpflegungspauschalen berechtigende
Auswärtstätigkeit - abgesehen von dem hier nicht
einschlägigen Fall der doppelten Haushaltsführung - nicht
vor (vgl. Fissenewert, Der Betrieb, Beilage Nr. 6/2006, 32 ff., 34,
rechte Sp., m.w.N.).
b) Der Gesetzgeber geht dabei in
verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise typisierend davon aus,
dass ein etwa beruflich veranlasster Mehr-Aufwand für
Verpflegung nicht anzuerkennen ist, solange sich der Arbeitnehmer
am Betriebssitz oder an anderen ortsfesten betrieblichen
Einrichtungen des Arbeitgebers aufhält (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789 = SIS 05 36 00). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der
Arbeitnehmer im Betriebsgebäude (bzw. auf dem
Betriebsgelände) regelmäßig Einrichtungen vorfinden
wird, an denen er sich vergleichsweise kostengünstig wird
verpflegen können (vgl. hierzu Fissenewert, HFR 2006, 252,
Anm. zum BFH-Urteil vom 14.9.2005 VI R 22/04, BFH/NV 2006, 507 =
SIS 06 11 57).
c) Unter dem Begriff des
Tätigkeitsmittelpunkts i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5
Satz 2 EStG ist - ebenso wie unter dem Begriff der
(regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 EStG - jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des
Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und
die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist
regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein
Zweigbetrieb (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 18.12.2008 VI R 39/07,
BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475 = SIS 09 06 83, m.w.N.;
Schmidt/Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 9 Rz 116, m.w.N.).
d) Es entspricht auch ständiger
Rechtsprechung des BFH, dass ein größeres, räumlich
geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte
i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim
Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht kommt, wenn
es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers
handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen
Nachhaltigkeit tätig wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 5.8.2004
VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074 = SIS 04 37 81; vom
10.4.2002 VI R 154/00, BFHE 198, 559, BStBl II 2002, 779 = SIS 02 08 84). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein
Werksgelände oder ein Waldgebiet eine großräumige
(regelmäßige) Arbeitsstätte bzw. einen
Tätigkeitsmittelpunkt darstellen (vgl. auch Schmidt/Drenseck,
a.a.O., § 9 Rz 117, m.w.N.; BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 507 =
SIS 06 11 57– zu einem nicht zusammenhängenden
Gebiet).
e) Diese Grundsätze sind auch für
eine Tätigkeit unter Tage (unter Berücksichtigung ihrer
Eigenart) sinngemäß anzuwenden.
2. Nach Maßgabe dieser
Rechtsgrundsätze stehen dem Kläger während seiner
Einsätze unter Tage keine Verpflegungspauschalen zu. Nach den
tatsächlichen Feststellungen des FG wird von vier bestehenden
Zugängen des Kaliwerkes nur ein Schacht genutzt. Der
Grubenbetrieb ist in drei Abbaubereiche (Großreviere) und
diese wiederum in Gewinnungsreviere aufgeteilt. Innerhalb dieser
Grube mit einem zusammenhängenden Streckensystem
befördert der Kläger als Fahrer eines Transportfahrzeugs
das bereits abgebrochene Material. Auch wenn der Kläger an
jeder Stelle bzw. in jedem Gewinnungsrevier eingesetzt werden kann,
bewegt er sich mit seinem Fahrzeug gleichwohl nur innerhalb einer -
wenngleich großräumigen - (regelmäßigen)
Arbeitsstätte bzw. eines Tätigkeitsmittelpunktes. Demnach
stellt der Einsatz des Klägers auf dem vorbezeichneten
Betriebsgelände (Grube) keine
„Fahrtätigkeit“ i.S. des § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG (i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG) bzw. keine
Auswärtstätigkeit dar (ebenso Schmidt/Drenseck, a.a.O.,
§ 19 Rz 60 Stichwort: Fahrtätigkeit).