Kino, Fingerfood, ermäßigter USt-Satz: 1. Die Aufbereitung von Lebensmitteln zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen verzehrfertigen Gegenstand ist nicht notwendig mit ihrer Vermarktung verbunden und deshalb bei der für die Abgrenzung von Dienstleistungen und Lieferungen erforderlichen Gesamtbetrachtung dem Dienstleistungsbereich zuzurechnen. - 2. Ein qualitatives Überwiegen der Dienstleistungen setzt über die Aufbereitung von Lebensmitteln hinaus wenigstens ein weiteres Dienstleistungselement - wie z.B. das Zurverfügungstellen von Verzehrmöglichkeiten - voraus. - Urt.; BFH 18.2.2009, V R 90/07; SIS 09 25 70
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer GmbH einen
Kinokomplex. Im Eingangsbereich zu den Kinosälen werden an
Verkaufstheken Nahrungsmittel wie Popcorn, Nachos,
Süßigkeiten, Hot Dogs und Eis - von der Klägerin
als Fingerfood bezeichnet - verkauft.
Das Popcorn wird in einer eigens
hierfür eingerichteten Popcorn-Küche aus Rohstoffen
(Mais, Öl und Salz oder Zucker) auf Vorrat produziert und in
Plastikbeuteln (sog. „Sleeves“ mit ca. 2 kg Inhalt pro
Beutel) verpackt und gelagert. Diese Sleeves werden je nach Bedarf
in größere, offene Wärmebehälter in der
Verkaufstheke des Kinokomplexes entleert. Aus diesen Behältern
wird für die Kunden die gewünschte Menge Popcorn in
dafür vorgesehene Papiertüten erwärmt
abgefüllt. Die Klägerin verkauft außerdem Sleeves
an die benachbarten Standorte der X-GmbH. Die Hot Dogs werden
erwärmt und unter Zugabe eines Dressings, welches der Kunde
aus einer Angebotspalette wählen kann, verkauft. Ebenso werden
die Nachos erwärmt und mit einer Auswahl von zwei Saucen in
einer zweigeteilten Plastikschale angeboten. Die übrigen
Nahrungsmittel werden durch die Klägerin nicht
bearbeitet.
Die Klägerin unterwarf die
Umsätze aus den von ihr verkauften Speisen dem
ermäßigten Steuersatz von 7 v.H. Im Rahmen einer bei ihr
durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung gelangte die
Prüferin zu der Auffassung, dass die Umsätze dem
Regelsteuersatz unterlägen. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) folgte den
Feststellungen der Prüferin und setzte die
Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das I. Quartal 2005
entsprechend fest.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nach
erfolglosem Einspruchsverfahren statt. Zur Begründung seines
in EFG 2008, 253 = SIS 08 05 98 veröffentlichten Urteils
führte das FG im Wesentlichen aus, das FA habe die
Umsätze aus dem Verkauf von Hot Dogs, Nachos und Popcorn zu
Unrecht dem Regelsteuersatz unterworfen. Unter
Berücksichtigung der Gesamtumstände sei den von der
Klägerin mit dem Verkauf von Hot Dogs, Nachos und Popcorn
erbrachten Leistungen kein restaurationsartiger Charakter
beizumessen, so dass sie nicht als sonstige Leistungen beurteilt
werden könnten.
Die Zubereitung der Speisen sei im Rahmen
der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen,
da bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils an der Gesamtheit
eines komplexen Geschäfts, zu dem auch die Abgabe einer fertig
zubereiteten Speise gehört, nur solche Dienstleistungen
berücksichtigt werden dürften, die sich von denen
unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands
verbunden sind. Die notwendige Vorstufe der Vermarktung einer
zubereiteten Speise sei ihre Zubereitung.
Maßgebend sei, ob das Bereithalten
einer bestimmten organisatorischen Infrastruktur im Rahmen des
Kinobetriebs auch der Abgabe von „Fingerfood“ in der
Weise zugerechnet werden könne, dass diese damit einen
restaurationsartigen Charakter erhalte. Zwar erfolge die Abgabe von
„Fingerfood“ typischerweise zum Verzehr innerhalb des
Kinokomplexes und solle den Besuchern den Aufenthalt im Kino
angenehm gestalten, doch stelle die Klägerin bezogen auf den
Umsatz „Nahrungsmittel“ keine zusätzlichen
Dienstleistungen zur Verfügung. Allein der Umstand, dass die
Nahrungsmittel im Kinokomplex verzehrt werden könnten, erlaube
ebenso wenig wie die Müllentsorgung durch bereitgestellte
Müllbehälter sowie die Reinigung der Kinosäle und
der vom FA betonte „Eventcharakter“ (Speisen mit
Kinoerlebnis) die Annahme, die Klägerin habe eine gesonderte
Infrastruktur zur Verfügung gestellt, welche nach der
Verkehrsanschauung der Abgabe von „Fingerfood“ ein
gaststättenähnliches Gepräge gebe.
Mit der Revision macht das FA Verletzung
materiellen Rechts geltend (§ 12 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Abs. 9
Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 - UStG - ). Zur
Begründung trägt das FA vor, die Klägerin stelle den
Kinobesuchern im Zusammenhang mit der Abgabe der Speisen eine
Infrastruktur zur Verfügung (Vorhandensein von Kinosälen
mit bequemer Bestuhlung, weitere Sitzgelegenheiten,
Toilettenanlagen, regelmäßige Reinigung der Räume
und der Bestuhlung des Kinosaales und Entfernung des Mülls aus
den Kinosälen), die nicht notwendig mit der Vermarktung
zubereiteter Speisen zusammenhänge.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des FG.
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht erkannt,
dass die Umsätze der Klägerin aus dem Verkauf von
„Fingerfood“ als Lieferungen von in § 12
Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit der Anlage hierzu genannten
Gegenständen dem ermäßigten Steuersatz
unterliegen.
a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG
ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die
Lieferung der in der Anlage bezeichneten Gegenstände,
nämlich u.a. für
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„Zubereitungen aus Getreide, Mehl,
Stärke oder Milch;
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Backwaren“ (Nr. 31 der
Anlage),
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„Zubereitungen von Fleisch …
.“ (Nr. 28 der Anlage),
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„verschiedene
Lebensmittelzubereitungen“ (Nr. 33 der
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Anlage).
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Damit hat der nationale Gesetzgeber von dem
ihm in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1 der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingeräumten Ermessen
hinsichtlich der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes
Gebrauch gemacht.
b) Gemäß Art. 12 Abs. 3 Buchst. a
Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG können die
Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte
Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten
Steuersätze „... sind nur auf Lieferungen von
Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten
Kategorien anwendbar“.
In Anhang H Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG
sind genannt:
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„Nahrungs- und Futtermittel
(einschließlich Getränke, alkoholische Getränke
jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und
üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und
Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz
oder Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete
Erzeugnisse.“
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2. Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und
Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers
abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller
Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt (z.B. Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.8.2006 V R 38/05, BFHE 214, 480,
BStBl II 2007, 482 = SIS 06 40 93; vom 26.10.2006 V R 59/04, BFHE
215, 360, BStBl II 2007, 487 = SIS 07 00 39; vom 12.10.2006 V R
36/04, BFHE 215, 356, BStBl II 2007, 485 = SIS 07 03 18,
m.w.N.).
a) Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist das
überwiegende Element des besteuerten Umsatzes zu ermitteln
(Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften -
EuGH - vom 10.3.2005 Rs. C-491/03, Hermann, Slg. 2005, I-2025 = SIS 05 17 79; vom 2.5.1996 Rs. C-231/94, Faaborg-Gelting-Linien, Slg.
1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 = SIS 96 15 24 Rdnrn. 13 und 14).
Es kommt deshalb nicht - worauf die Kommission im EuGH-Urteil
Hermann in Slg. 2005, I-2025 = SIS 05 17 79 hingewiesen hatte (Rz
19) - auf ein quantitatives Überwiegen der
Dienstleistungselemente der Bewirtung gegenüber den Elementen
der Speisenherstellung und -lieferung an, sondern darauf, ob bei
der gebotenen Gesamtwürdigung die eine Bewirtung
kennzeichnenden Dienstleistungen qualitativ überwiegen
(BFH-Urteile vom 10.8.2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007,
480 = SIS 06 40 95; in BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482 = SIS 06 40 93, und in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487 = SIS 07 00 39; in
BFHE 215, 356, BStBl II 2007, 485 = SIS 07 03 18).
b) Zur Abgrenzung von Lieferung und
Dienstleistung im Zusammenhang mit der Abgabe von Speisen und
Getränken unterscheidet der EuGH zwischen
Restaurationsumsätzen, die durch eine Reihe von
Dienstleistungen und Vorgängen gekennzeichnet sind, von denen
nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht und
Umsätzen, die sich auf „Nahrungsmittel zum
Mitnehmen“ beziehen und daneben keine Dienstleistungen
erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem
geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen (EuGH-Urteil
Faaborg-Gelting-Linien in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 =
SIS 96 15 24 Rdnrn. 13 und 14).
Im Urteil in der Rechtssache
„Hermann“ konkretisiert der EuGH die Kriterien
für die Abgrenzung. „Minimale
Dienstleistungen“, die notwendig mit der Vermarktung der
Ware verbunden sind, wie z.B. das Darbieten der Waren in Regalen
und das Ausstellen einer Rechnung, dürfen bei der Beurteilung
des Dienstleistungsanteils nicht berücksichtigt werden
(EuGH-Urteil Hermann in Slg. 2005, I-2025 = SIS 05 17 79 Rdnrn. 22
und 23).
Als Dienstleistungen und Vorgänge, die
nicht notwendig mit der Vermarktung der Lebensmittel verbunden,
sondern kennzeichnend für eine Bewirtungstätigkeit sind,
nennt der EuGH demgegenüber eine Reihe von Dienstleistungen
und Vorgängen, die vom „Zubereiten bis zum Darreichen
der Speisen“ (EuGH-Urteil Faaborg-Gelting-Linien in Slg.
1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 = SIS 96 15 24 Rdnrn. 13 und 14)
reichen. Beispielhaft erwähnt der EuGH die
Zurverfügungstellung einer Infrastruktur, die Beratung und
Information der Kunden hinsichtlich der servierten Getränke,
die Darbietung der Speisen in einem geeigneten Gefäß,
die Bedienung bei Tisch, das Abdecken der Tische sowie die
Reinigung nach dem Verzehr (EuGH-Urteil Hermann in Slg. 2005,
I-2025 = SIS 05 17 79 Rdnr. 26).
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze
unterliegen die von der Klägerin ausgeführten streitigen
Umsätze dem ermäßigten Steuersatz.
a) Popcorn, Nachos, Süßigkeiten,
Hot Dogs und Eis werden von Nr. 28, Nr. 31 und Nr. 33 der Anlage zu
§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG erfasst. Es handelt sich damit um in
der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichnete
Gegenstände.
b) Diese Lebensmittel wurden von der
Klägerin auch i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG geliefert,
weil sie keine qualitativ überwiegenden
Dienstleistungselemente ausgeführt hat. Die Klägerin hat
das Popcorn, die Nachos und die Hot Dogs verzehrfertig zubereitet.
Sie hat damit ein gewichtiges Dienstleistungselement
erfüllt.
Die Aufbereitung von Lebensmitteln in einen zu
einem bestimmten Zeitpunkt verzehrfähigen Gegenstand ist nicht
notwendig mit ihrer Vermarktung verbunden und deshalb bei der
Gesamtbetrachtung dem Dienstleistungsbereich zuzurechnen
(BFH-Urteil vom 18.12.2008 V R 55/06, DStR 2009, 527 = SIS 09 08 71). Soweit der erkennende Senat im Urteil in BFHE 215, 360, BStBl
II 2007, 487 = SIS 07 00 39 die Zubereitung einer Speise als
notwendige Vorstufe ihrer Vermarktung beurteilt und nicht als
Dienstleistungselement in der Gesamtbetrachtung berücksichtigt
hat, bezieht sich dies auf die Zubereitung im zolltariflichen Sinn
(BFH-Urteil in DStR 2009, 527 = SIS 09 08 71; zur Zubereitung im
zolltariflichen Sinn vgl. BFH-Urteile vom 5.10.1999 VII R 42/98,
BFHE 190, 501, BFH/NV 2000, 404 = SIS 00 01 98; vom 3.2.2004 VII R
33/03, BFH/NV 2004, 849 = SIS 04 29 97; vom 1.3.2001 VII R 90/99,
BFH/NV 2002, 229 = SIS 02 51 88).
Darüber hinaus hat die Klägerin aber
kein weiteres Dienstleistungselement erbracht. Die Feststellung
eines qualitativen Überwiegens der Dienstleistungen (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480 = SIS 06 40 95; in
BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482 = SIS 06 40 93; in BFHE 215, 360,
BStBl II 2007, 487 = SIS 07 00 39, und in BFHE 215, 356, BStBl II
2007, 485 = SIS 07 03 18) setzt aber zumindest zwei
Dienstleistungselemente voraus. Nach den Feststellungen des FG hat
die Klägerin keine besonderen Vorrichtungen vorgehalten, die
den Verzehr an Ort und Stelle ermöglichen oder erleichtern
sollten. Die Kinobestuhlung allein ist keine besondere
Verzehrvorrichtung (BFH-Urteil vom 9.5.1996 V R 30/95, BFH/NV 1997,
70 = SIS 96 23 58). Die sonstigen vom FA genannten
Dienstleistungselemente (Vorhalten und Reinigen von Toiletten und
Waschmöglichkeiten, Reinigung der Kinosäle) musste die
Klägerin wegen des Kinobetriebs ohnehin und unabhängig
von dem Verkauf von „Fingerfood“ erbringen.
4. Aus dem im Streitjahr noch geltenden §
3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG 1999 folgt insoweit nichts anderes
(vgl. BFH-Urteil in DStR 2009, 527 = SIS 09 08 71, unter II.
4.).