Mahlzeitendienst, USt-Satz: 1. Die Abgabe von Speisen durch einen Mahlzeitendienst, der Mittagessen auf eigenem Geschirr an Einzelabnehmer in deren Wohnung ausgibt und das Geschirr endreinigt, unterliegt als sonstige Leistung (Dienstleistung) dem Regelsteuersatz. - 2. Bei der Beurteilung, ob das Dienstleistungselement der Abgabe von fertig zubereiteten Speisen das Lieferelement qualitativ überwiegt, sind nur solche Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung der Speisen verbunden sind. - 3. Der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 1999 ist nicht in vollem Umfang gemeinschaftsrechtskonform. - Urt.; BFH 10.8.2006, V R 55/04; SIS 06 40 95
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR), betreibt einen Mahlzeitendienst.
Die Klägerin kaufte im Jahr 2000 (Streitjahr) fertig
zubereitete Speisen (Mittagessen) von einem Krankenhausverband und
gab diese Speisen portioniert auf eigenem Geschirr ohne Besteck an
Einzelabnehmer in deren Wohnung aus. Die Abnehmer führten nach
Verzehr der Speisen eine Vorreinigung des Geschirrs durch. Die
Bediensteten der Klägerin holten bei der Versorgung der
Abnehmer mit der nächsten Mahlzeit (am nächsten Tag) das
Geschirr wieder ab. Anschließend wurde das Geschirr von der
Klägerin endgereinigt.
In ihrer Umsatzsteuererklärung
für das Streitjahr 2000 meldete die Klägerin beim
zuständigen Finanzamt W (FA W) diese Umsätze mit dem
ermäßigten Steuersatz an. Nach Durchführung einer
Außenprüfung wandte das FA W in dem nach § 164 Abs.
2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Umsatzsteuerbescheid
für das Streitjahr auf die Abgabe portionierter Speisen den
Regelsteuersatz an, weil es sich dabei nicht um die
ermäßigt besteuerte Lieferung von Lebensmitteln, sondern
um eine sonstige Restaurationsleistung handele. Der Einspruch der
Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(EFG 2004, 1797 = SIS 05 01 38).
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin Verletzung des § 3 Abs. 9 des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999). Sie macht geltend, das
Urteil des FG werde den Anforderungen des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht gerecht, weil ihre
Dienstleistungen das Lieferelement ihrer Leistung nicht
überwiege. Ihre Dienstleistungen stünden mit dem
Abgabeort der Speisen in keinem Zusammenhang. Das FG
berücksichtige zudem nicht die Auffassung des Bundesfinanzhofs
(BFH), wonach der wirtschaftliche Gehalt der Gesamtleistung unter
Berücksichtigung des Willens der Vertragsparteien zu bestimmen
sei. Ihren Abnehmern komme es vor allem darauf an, ein warmes Essen
zu erhalten. Eine Dienstleistung in Begleitung der Lieferung werde
nicht erwartet.
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung und die
Einspruchsentscheidung vom 1.10.2002 aufzuheben sowie unter
Änderung des Umsatzsteuerbescheids des FA W vom 4.3.2002 die
Umsatzsteuer für das Jahr 2000 auf den Betrag festzusetzen,
der sich bei Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf
die Umsätze der Klägerin aus dem Mahlzeitendienst in
Höhe von 141.779 DM ergibt.
Während des Revisionsverfahrens hat
der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
mitgeteilt, dass die „Wahrnehmungszuständigkeit“
im Streitfall vom FA W auf ihn (das FA) übergegangen
sei.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Es macht geltend, nach § 3 Abs. 9 Satz
4 und 5 UStG 1999 sei der Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige
Leistung. Die Klägerin übertrage nicht nur die
Verfügungsmacht an dem Essen, sondern erbringe eine Reihe von
Dienstleistungen.
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine dem
ermäßigten Steuersatz unterliegende Lieferung von
Speisen verneint.
1. Revisionsbeklagter ist infolge gesetzlichen
Beteiligtenwechsels (vgl. dazu BFH-Urteile vom 16.10.2002 I R
17/01, BFHE 200, 521, BStBl II 2003, 631 = SIS 03 11 58; vom
30.6.1999 III R 15/99, BFH/NV 1999, 1619 = SIS 99 54 01) das FA
geworden, weil aufgrund des Erlasses des Finanzministeriums
Baden-Württemberg vom 11.11.2004 (BStBl I 2004, 1116, 1118,
1120 = SIS 05 04 96) die Zuständigkeit des FA W auf dieses FA
übergegangen ist.
2. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999
ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die
Lieferung der in der Anlage (jetzt: Anlage 2) bezeichneten
Gegenstände.
Nach § 3 Abs. 1 UStG 1999 sind
Lieferungen eines Unternehmers u.a. Leistungen, durch die er den
Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand
zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige
Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3
Abs. 9 Satz 1 UStG 1993).
Dementsprechend gilt nach Art. 5 Abs. 1 der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Übertragung der
Befähigung, wie ein Eigentümer über einen
körperlichen Gegenstand zu verfügen, als Lieferung eines
Gegenstandes. Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine
Lieferung eines Gegenstandes ist (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG).
3. Zur Abgrenzung von Lieferungen und
Dienstleistungen i.S. der Art. 5 und 6 der Richtlinie 77/388/EWG
hat der EuGH in seinem Urteil vom 2.5.1996 C-231/94 -
Faaborg-Gelting Linien A/S - (Slg. 1996, I-2395 = SIS 96 15 24)
wörtlich ausgeführt:
„12 Ob bestimmte Umsätze
Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind,
richtet sich nach ihrem Wesen. Dieses ist im Rahmen einer
Gesamtbetrachtung zu ermitteln.
13 Die Abgabe von Speisen und
Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe
von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen.
Dabei wird dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur
Verfügung gestellt, die sowohl einen Speisesaal mit
Nebenräumen (Garderoben u. a.) als auch das Mobiliar und das
Geschirr umfasst. Gegebenenfalls werden Kellner das Gedeck
auflegen, den Gast beraten, die angebotenen Speisen oder
Getränke erläutern, diese auftragen und schließlich
nach dem Verzehr die Tische abräumen.
14 Somit ist der Restaurationsumsatz durch
eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein
Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die
Dienstleistungen bei weitem überwiegen. Er ist daher als
Dienstleistung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie zu betrachten. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich
der Umsatz auf Nahrungsmittel ‘zum Mitnehmen’ bezieht
und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr
an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten
sollen.“
Hieran anschließend hat er im Urteil vom
10.3.2005 Rs. C-491/03 - Hermann - (Slg. 2005, I-2025, BFH/NV
Beilage 3, 2005, 210 = SIS 05 17 79) zur Frage, ob die Frankfurter
Getränkesteuersatzung (GetrStS) verbrauchsteuerpflichtige
Waren (i.S. von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates
vom 25.2.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die
Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren
- Richtlinie 92/12/EWG - ) oder Dienstleistungen betrifft, die im
Zusammenhang mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren erbracht werden,
Folgendes ausgeführt:
„21 Um zu bestimmen, ob die mit der
GetrStS erhobene Steuer verbrauchsteuerpflichtige Waren im Sinne
von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12 oder eher die
Dienstleistungen betrifft, die im Zusammenhang mit
verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Sinne von Artikel 3 Absatz 3
Unterabsatz 2 der Richtlinie erbracht werden, ist das
überwiegende Element des besteuerten Umsatzes zu
berücksichtigen (vgl. analog Urteil Faaborg-Gelting Linien,
Randnrn. 12 bis 14).
22 Da die Vermarktung eines Gegenstands
immer mit einer minimalen Dienstleistung, wie dem Darbieten der
Waren in Regalen, dem Ausstellen einer Rechnung usw., verbunden
ist, können bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils an
der Gesamtheit eines komplexen Geschäftes, zu dem auch die
Lieferung eines Gegenstands gehört, nur die Dienstleistungen
berücksichtigt werden, die sich von denen unterscheiden, die
notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden
sind.
23 Auch wenn die aufgrund der GetrStS
erhobene Steuer an den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle und
damit an ein dienstleistungsbezogenes Element anknüpft, das
sich von den Vorgängen unterscheidet, die notwendig mit der
Vermarktung alkoholhaltiger Getränke verbunden sind, so
lässt sich doch nicht allgemein sagen, dass bei allen in den
Anwendungsbereich dieser Steuer fallenden Vorgängen das
Dienstleistungselement immer überwiegen wird.
24 Demnach ist für jeden besteuerten
Umsatz festzustellen, welches das überwiegende Element
ist.
25 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor,
dass die Volkswirt Weinschänken GmbH eine Gaststätte
betreibt, in der sie Speisen und Getränke serviert.
26 Die Abgabe alkoholhaltiger Getränke
an Kunden im Rahmen einer Bewirtungstätigkeit geht mit einer
Reihe von Dienstleistungen einher, die sich von den Vorgängen
unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung solcher Waren
verbunden sind. Es handelt sich um die Zurverfügungstellung
einer Infrastruktur, die einen möblierten Speisesaal mit
Nebenräumen (Garderobe, Toiletten usw.) umfasst, um die
Beratung und Information der Kunden hinsichtlich der servierten
Getränke, um die Darbietung der Getränke in einem
geeigneten Gefäß, um die Bedienung bei Tisch und
schließlich um das Abdecken der Tische und die Reinigung nach
dem Verzehr (vgl. in diesem Sinne Urteil Faaborg-Gelting Linien,
RandNr. 13).
27 Die Abgabe alkoholhaltiger Getränke
im Rahmen einer Bewirtungstätigkeit ist durch ein Bündel
von Elementen und Handlungen gekennzeichnet, von denen die
Lieferung des Gegenstands selbst nur einen Bestandteil darstellt
und bei denen die Dienstleistungen überwiegen.
28 Folglich ist eine Steuer, die in einem
Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auf die Abgabe alkoholhaltiger
Getränke im Rahmen einer Bewirtungstätigkeit erhoben
wird, als eine Steuer auf Dienstleistungen ‘im Zusammenhang
mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren’ im Sinne von Artikel 3
Absatz 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/12
anzusehen.“
4. Nach diesen Grundsätzen ist auch im
Streitfall zu entscheiden, ob eine - dem ermäßigten
Steuersatz unterliegende - Lieferung von Speisen oder eine - dem
Regelsteuersatz unterliegende - Dienstleistung vorliegt (vgl.
BFH-Beschlüsse vom 18.8.2005 V B 26/05, BFH/NV 2006, 140 = SIS 06 03 44; vom 8.3.2006 V B 156/05, BFH/NV 2006, 1527 = SIS 06 31 02). Es kommt nicht auf ein quantitatives Überwiegen des
Dienstleistungselements der Bewirtung gegenüber der
Speisenlieferung an, sondern darauf, ob das Dienstleistungselement
qualitativ überwiegt (vgl. BFH-Urteil vom gleichen Tag V R
38/05 = SIS 06 40 94, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt,
unter II.3.).
a) Das FG hat den Streitfall dahin gehend
gewürdigt, dass die Leistungen der Klägerin einen
restaurationsartigen Charakter hätten und damit als sonstige
Leistung zu beurteilen seien. Die Klägerin liefere im Rahmen
des Mahlzeitendienstes nicht lediglich verzehrfertige Speisen in
entsprechenden Behältnissen und Warmhaltevorrichtungen. Die
Abgabe der Mahlzeiten (Portionieren auf Geschirr, Anliefern in -
nicht lediglich an - die Wohnung der Abnehmer, Mitnehmen des
Geschirrs vom Vortag und dessen Endreinigung) erfolge in einer Art
und Weise, wie sie für einen Restaurationsbetrieb typisch sei.
Dienstleistungen anderer Unternehmer seien dem leistenden
Unternehmer zuzurechnen, wenn sie - wie hier - in den folgenden
Leistungsaustausch eingeschlossen seien.
b) Diese Würdigung des FG ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist aufgrund der
festgestellten Tatsachen möglich und verstößt nicht
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie bindet daher den
Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Sie steht auch in Einklang mit den
Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere den
RandNrn. 22, 26 und 27 des EuGH-Urteils Hermann (in Slg. 2005,
I-2025, BFH/NV Beilage 3, 2005, 210 = SIS 05 17 79). Denn die
Abgabe der Speisen an die Kunden der Klägerin geht mit einer
Reihe von Dienstleistungen einher, die sich von den Vorgängen
unterscheiden, die notwendig mit der Lieferung solcher Waren
verbunden sind: Die Klägerin hat insbesondere i.S. der RandNr.
26 des EuGH-Urteils Hermann (in Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage
3, 2005, 210 = SIS 05 17 79) die „Darbietung in einem
geeigneten Gefäß“ und die „Reinigung
nach dem Verzehr“ übernommen, nämlich die
warmen Mahlzeiten auf eigenen Tellern bereitgestellt sowie die
Teller wieder abgeholt und endgereinigt. Dies reicht für die
Annahme einer sonstigen Leistung aus (vgl. auch BFH-Urteil vom
5.11.1998 V R 20/98, BFHE 187, 340, BStBl II 1999, 326 = SIS 99 06 42).
Unschädlich ist, dass sich die
Klägerin zur Erbringung ihrer Dienstleistungen teilweise des
Krankenhausverbandes als Subunternehmer bedient hat (vgl.
BFH-Urteil vom 20.8.1998 V R 15/98, BFHE 186, 464, BStBl II 1999,
37 = SIS 98 23 40, unter II.2.).
5. Aus § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG 1999
folgt nichts anderes.
a) § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG 1999
lauten wie folgt:
|
„Die Abgabe von Speisen und
Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige
Leistung. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und
Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu
bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem
Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und
besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle
bereitgehalten werden.“
|
b) Der Senat lässt offen, ob die
Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vorliegen. Selbst wenn dies,
wie die Klägerin meint, zu verneinen wäre, ergäbe
sich hieraus nicht im Umkehrschluss, dass die Klägerin
Lieferungen ausgeführt hätte; denn sie hat
Dienstleistungen i.S. des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG,
§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG 1999 erbracht.
Im Übrigen ergibt sich aus RandNr. 23 des
EuGH-Urteils Hermann (in Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 3, 2005,
210 = SIS 05 17 79), dass der EuGH davon ausgeht, dass nicht jede
Abgabe von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle eine
Dienstleistung ist. Daraus folgt, dass der Wortlaut des § 3
Abs. 9 Satz 4 UStG 1999 nicht in vollem Umfang richtlinienkonform
ist.