Heilbehandlung durch Personengesellschaft, USt-Freiheit: 1. Für die Anwendung von § 4 Nr. 14 UStG 1993/1999 kommt es nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht auf die Rechtsform des Leistenden an. - 2. Heilbehandlungsleistungen einer Personengesellschaft können auch dann nach § 4 Nr. 14 UStG 1993/1999 steuerfrei sein, wenn zwar nicht die Gesellschafter, aber die Angestellten der Personengesellschaft über die für eine Heilbehandlung erforderliche Berufsqualifikation verfügen. - Urt.; BFH 26.9.2007, V R 54/05; SIS 08 01 99
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1998 und 1999 in der
Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eine
Physikalische Praxis. Bei der GbR angestellte Krankengymnasten
erbrachten in dieser Praxis krankengymnastische Leistungen. Im
Gegensatz zu den beiden Gesellschafterinnen verfügten die
beiden Angestellten, die für die GbR tätig waren,
über die berufliche Qualifikation i.S. von § 4 Nr. 14 des
Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) der in den Streitjahren
geltenden Fassung.
Die Klägerin erklärte
zunächst steuerpflichtige Umsätze. Mit Schreiben vom
12.2.2001 machte sie demgegenüber geltend, dass ihre
Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei seien. Der Beklagte
und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) lehnte die
beantragte Änderung der Steuerfestsetzungen für die
Streitjahre ab. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom
21.5.2001 als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
der Begründung statt, dass die Steuerbefreiung nach § 4
Nr. 14 UStG von der Rechtsform des die Leistung erbringenden
Steuerpflichtigen unabhängig sei, was sich aus den Urteilen
des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom
10.9.2002 C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH (Slg.
2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, UR 2002, 513 = SIS 02 97 10)
und vom 6.11.2003 C-45/01, Christoph-Dornier-Stiftung (Slg. 2003,
I-12911, BFH/NV Beilage 2004, 40 = SIS 04 01 38) ergebe (vgl. SIS 06 00 62). Steuerfrei seien danach auch heilberufliche Leistungen
eines Steuerpflichtigen, der zwar selbst nicht über die
erforderliche Qualifikation verfüge, die Leistungen jedoch
durch Angestellte erbringen lasse, die diese Qualifikation
hätten. Es sei unerheblich, dass keine der Gesellschafterinnen
der Klägerin die erforderliche berufsrechtliche Erlaubnis zur
Ausübung krankengymnastischer Leistungen habe.
Mit seiner durch den Senat zugelassenen
Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Nr. 14 UStG. Das
FG habe nicht geprüft, welche Leistungen die Klägerin im
Rahmen ihrer Physikalischen Praxis erbracht habe und ob eine
Zulassung nach § 124 Abs. 2 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V) bestand. Steuerfrei seien Leistungen einer
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung aufgrund eines
Versorgungsvertrages nach §§ 11 Abs. 2, 23 Abs. 4, 40 und
111 SGB V, nicht aber Leistungen zur Prävention i.S. von
§ 20 SGB V, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben.
Massagen zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands seien
nicht steuerfrei.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Streitsache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Klägerin tritt der Revision
entgegen und verweist darauf, dass sie durch eine Auslagerung aus
der Gemeinschaftspraxis Dr. D/Dr. S entstanden sei. Sie erbringe
durch angestellte Krankengymnasten die gleichen Leistungen, wie sie
bis zur Auslagerung durch die Gemeinschaftspraxis erbracht worden
seien. Sie, die Klägerin, werde aufgrund von Rezepten der
Gemeinschaftspraxis tätig.
Beide Beteiligte haben auf mündliche
Verhandlung verzichtet.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie
zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG ist zwar zu
Recht davon ausgegangen, dass Leistungen einer Personengesellschaft
nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sein
können. Ob aber auch die von dieser Vorschrift vorausgesetzte
Heilbehandlungstätigkeit vorliegt, kann der Senat nicht
beurteilen.
1. Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 14 UStG
die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt,
Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus
einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der
Tätigkeit als klinischer Chemiker. Die Vorschrift setzt Art.
13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) in nationales Recht um und ist nach dieser Bestimmung
richtlinienkonform auszulegen (ständige Rechtsprechung, vgl.
z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22.4.2004 V R 1/98,
BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51; vom 12.8.2004 V R
18/02, BFHE 207, 381, BStBl II 2005, 227 = SIS 05 03 71). Nach Art.
13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG befreien die
Mitgliedstaaten von der Steuer „die Heilbehandlungen im
Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von
dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe erbracht werden“.
a) § 4 Nr. 14 UStG setzt bei der
gebotenen richtlinienkonformen Auslegung gemäß Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG voraus, dass der
Unternehmer zum einen eine Heilbehandlung im Bereich der
Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen
erbringt und dass er zum anderen die dafür erforderliche
Qualifikation besitzt (vgl. EuGH-Urteile Ambulanter Pflegedienst
Kügler GmbH in Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, UR
2002, 513; Christoph-Dornier-Stiftung in Slg. 2003, I-12911, BFH/NV
Beilage 2004, 40 = SIS 02 97 10; vom 27.4.2006 C-443/04 und
C-444/04, Solleveld u.a., Slg. 2006, I-3617, BFH/NV Beilage 2006,
299 = SIS 06 24 66; BFH-Urteile vom 18.8.2005 V R 71/03, BFHE 211,
543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79; vom 1.2.2007 V R 64/05,
BFH/NV 2007, 1203 = SIS 07 16 41).
b) Für die Anwendung der Steuerbefreiung
kommt es nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht
auf die Rechtsform des Steuerpflichtigen an (BFH-Urteil in BFHE
205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51, m.w.N.).
Dementsprechend können Leistungen einer Stiftung mit bei ihr
angestellten Diplompsychologen (EuGH-Urteil
Christoph-Dornier-Stiftung in Slg. 2003, I-12911, BFH/NV Beilage
2004, 40, und BFH-Urteil vom 1.4.2004 V R 54/98, BFHE 205, 505,
BStBl II 2004, 681 = SIS 04 27 05) oder einer GmbH (EuGH-Urteile
Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH in Slg. 2002, I-6833,
BFH/NV Beilage 2003, 30, UR 2002, 513 = SIS 02 97 10, und vom
8.6.2006 C-106/05, L. u. P. GmbH, BFH/NV
Beilage 2006, 442 = SIS 06 29 72; BFH-Urteil in BFHE 205,
514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51, und vom 15.3.2007 V R
55/03, DStR 2007, 946 = SIS 07 16 76) nach § 4 Nr. 14 UStG
steuerfrei sein. Dies gilt auch für Leistungen, die durch
Personengesellschaften erbracht werden.
Unabhängig von der Rechtsform des
Leistenden müssen aber stets die Personen, die für eine
Kapital- oder Personengesellschaft oder Stiftung die Heilbehandlung
durchführen, über die erforderliche Berufsqualifikation
verfügen. Zur Frage, welche Personen über die
Berufsqualifikation verfügen müssen, gilt nach der
Rechtsprechung Folgendes: Heilbehandlungsleistungen einer GmbH sind
nur steuerfrei, wenn entweder ihr Gesellschafter (EuGH-Urteil
L. u. P. GmbH in BFH/NV Beilage 2006,
442, und BFH-Urteil vom 15.3.2007 V R 55/03, DStR 2007, 946
= SIS 07 16 76) oder das bei der GmbH angestellte
Krankenpflegepersonal (EuGH-Urteil Ambulanter Pflegedienst
Kügler GmbH in Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, UR
2002, 513 = SIS 02 97 10, und BFH-Urteil in BFHE 205, 514, BStBl II
2004, 849 = SIS 04 27 51) über die erforderliche
Berufsqualifikation verfügt. Im Hinblick auf die gebotene
Rechtsformneutralität gilt dies auch für
Personengesellschaften wie die der Klägerin. Dies entspricht
im Übrigen der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung,
nach der eine Personengesellschaft auch dann Anspruch auf
Kassenzulassung als Heilmittelerbringer hat, wenn die
Zulassungsvoraussetzungen nicht in der Person eines
Gesellschafters, sondern nur bei einem Angestellten der
Personengesellschaft vorliegen (Urteil des Bundessozialgerichts vom
28.2.1996 3 RK 5/95, NJW 1996, 3228).
2. Ob hiernach die Leistungen der
Klägerin nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind, kann der
Senat nicht selbst entscheiden. Die Feststellungen des FG reichen
nicht aus, um zu beurteilen, ob es sich bei den Leistungen der
Klägerin um eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin
handelte und über welche beruflichen Befähigungsnachweise
ihre Angestellten im Einzelnen verfügten. Das FG hat insoweit
lediglich festgestellt, die Angestellten der Klägerin
erfüllten die i.S. des § 18 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes erforderliche Qualifikation, ohne dies
weiter zu erläutern. Des Weiteren ist zu berücksichtigen,
dass nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreie Heilbehandlungen der
medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen
Gesundheitsstörung dienen müssen (vgl. z.B. EuGH vom
20.11.2003 Rs. C-212/01, Margarete Unterpertinger, UR 2004, 70 =
SIS 04 01 34; vom 20.11.2003 Rs. C-307/01, Peter d’
Ambrumenil, Slg. 2003, I-13989, BFH/NV Beilage 2004, 115 = SIS 04 01 35; BFH-Urteil vom 15.7.2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II
2004, 862 = SIS 04 35 29). Das Hauptziel der Heilbehandlung muss
der Schutz der Gesundheit sein (BFH vom 13.7.2006 V R 7/05, BFHE
214, 458, BStBl II 2007, 412 = SIS 06 42 39). Leistungen, die
keinen unmittelbaren Krankheitsbezug aufweisen, weil sie lediglich
den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern sollen, sind dagegen
grundsätzlich steuerpflichtig (vgl. z.B. BFH vom 7.7.2005 V R
23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904 = SIS 05 42 05). Das FG hat
hierzu keine Feststellungen getroffen, so dass sein Urteil
aufzuheben war.