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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine zum 1.1.2010 gegründete Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR), an der Herr A und Frau B jeweils
hälftig beteiligt waren. Die Klägerin betrieb eine mobile
podologische Praxis. A ist ausgebildeter Podologe und hatte am
2.11.2009 die Prüfung nach § 4 des Podologengesetzes
(PodG) bestanden. Die Erlaubnis zur Führung der
Berufsbezeichnung Podologe wurde A erst am 10.1.2011 erteilt. B ist
medizinische Fußpflegerin.
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Die Klägerin ging davon aus, dass sie
steuerfreie Umsätze ausführe, da die podologische
Berufsausbildung des A dazu berechtige, im Rahmen der GbR auch
für die von B durchgeführten Behandlungen die
Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 des
Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) in Anspruch zu nehmen.
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Im Anschluss an eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) davon aus, dass alle
Leistungen der Klägerin steuerpflichtig seien. A habe im Jahr
2010 noch nicht über die zur Führung der
Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis verfügt, die ihm
erst am 10.1.2011 erteilt worden sei. B fehle als medizinische
Fußpflegerin die erforderliche Berufsqualifikation. Das FA
erließ entsprechend geänderte
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide 2010.
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Hiergegen legte die Klägerin Einspruch
ein, den sie im Einspruchsverfahren nur für den
Voranmeldungszeitraum Dezember 2010 aufrechterhielt. Sie ging in
Übereinstimmung mit dem FA davon aus, dass ihr Gesellschafter,
Herr A, 75 % der Umsätze ausgeführt habe und machte
geltend, dass ihre Leistungen in diesem Umfang steuerfrei seien.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30.6.2011 wies das FA den Einspruch
als unbegründet zurück.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Nach seinem in EFG 2012, 1789 = SIS 12 20 42 veröffentlichten
Urteil ist die erforderliche Berufsqualifikation bereits mit
erfolgreicher Ablegung der staatlichen Prüfung zum Podologen
nach § 4 Satz 2 PodG gegeben. Die Erlaubnis (§ 1 Abs. 1
Satz 1 PodG) sei für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14
Buchst. a Satz 1 UStG nicht maßgeblich.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision. Für die steuerrechtliche Qualifizierung komme es auf
die fachgerechte Berufsausübung und damit auf die Berechtigung
zur Führung der jeweiligen Berufsbezeichnung an.
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Während des Revisionsverfahrens erging
am 4.9.2012 der Umsatzsteuerjahresbescheid 2010. Die Beteiligten
haben mitgeteilt, dass sich der Streitstoff nicht verändert
und sich lediglich der Streitwert erhöht habe und nunmehr ...
EUR betrage.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 4.9.2012
dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um ... EUR
herabgesetzt wird.
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II. Die Revision des FA ist aus anderen als
den geltend gemachten Gründen begründet.
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1. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während
des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen
Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte,
geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
).
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Das FG hat über den
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Dezember 2010 vom 14.4.2011
entschieden. An dessen Stelle ist während des
Revisionsverfahrens der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010
vom 4.9.2012 getreten, der nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121
Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. z.B. Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4.11.1999 V R 35/98, BFHE 190, 67,
BStBl II 2000, 454 = SIS 00 03 04). Das angefochtene Urteil ist
daher gegenstandslos geworden und aufzuheben (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17.1.2008 VI R 44/07,
BFHE 220, 269, BStBl II 2011, 21 = SIS 08 12 30; vom 10.11.2010 XI
R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311 = SIS 10 42 41).
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2. Die nicht spruchreife Sache wird zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Zwar hat
das FG zu Recht entschieden, dass der Gesellschafter der
Klägerin, Herr A, im Streitjahr über die erforderliche
Berufsqualifikation verfügte. Das FG hat aber keine
Feststellungen zum Vorliegen einer Heilbehandlung getroffen.
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a) Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG
sind steuerfrei die „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit
als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder
einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit
durchgeführt werden“. Diese Vorschrift beruht auf
Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL), nach der „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem
betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe erbracht werden“, steuerfrei
sind. § 4 Nr. 14 UStG ist nach ständiger
BFH-Rechtsprechung entsprechend dieser Bestimmung auszulegen (vgl.
z.B. BFH-Urteile vom 30.4.2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II
2009, 679 = SIS 09 20 83, unter II.1., und vom 2.9.2010 V R 47/09,
BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195 = SIS 10 39 03, unter II.1. zur
gleichlautenden Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG).
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Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin
sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nur steuerfrei, wenn
sie von Personen erbracht werden, die die hierfür
erforderlichen „beruflichen
Befähigungsnachweise“ (Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Union - EuGH - vom 10.9.2002 C-141/00,
Kügler, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV 2003, 30 = SIS 02 97 10,
Beilage 1 Rdnr. 27) und damit die erforderlichen
„beruflichen Qualifikationen“ besitzen, damit
die Heilbehandlungen unter Berücksichtigung der beruflichen
Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität
aufweisen (EuGH-Urteil vom 27.4.2006 C-443/04 und C-444/04,
Solleveld u.a., Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299 = SIS 06 24 66,
Beilage 3 Rdnr. 37; BFH-Urteil in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195
= SIS 10 39 03, unter II.2.).
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Auch für die Steuerfreiheit nach § 4
Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG kommt es unter Berücksichtigung
von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL darauf an, dass eine
Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch einen Unternehmer
erbracht wird, der über einen beruflichen
Befähigungsnachweis und damit über die für die
Leistungserbringung erforderliche Berufsqualifikation verfügt.
Der Nachweis dieser Qualifikation kann sich nach ständiger
Rechtsprechung des Senats z.B. aus berufsrechtlichen Regelungen
ergeben (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679
= SIS 09 20 83, unter II.1.b, und vom 1.12.2011 V R 58/09, BFH/NV
2012, 1186 = SIS 12 16 13, unter II.1.c).
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b) Im Streitfall hat das FG zu Recht
entschieden, dass der Gesellschafter der Klägerin über
die für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG
erforderliche Berufsqualifikation verfügte.
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aa) Bei der Beurteilung, ob bereits die
erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung zum Podologen
nach § 4 Satz 2 PodG oder erst die Erlaubnis zur Führung
der Berufsbezeichnung als Podologe nach § 1 Abs. 1 PodG i.V.m.
§ 2 Abs. 1 PodG zum Erwerb der für die Steuerfreiheit
erforderlichen Berufsqualifikation führt, ist zu
berücksichtigen, dass es der Grundsatz der steuerlichen
Neutralität verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in
Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der
Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Heilbehandlungen im
Bereich der Humanmedizin sind dabei aber nur insoweit gleichartig,
als sie für die Behandelten eine gleichwertige Qualität
aufweisen (EuGH-Urteil Solleveld u.a. in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV
2006, 299 = SIS 06 24 66, Beilage 3 Rdnrn. 40 f.). Für die
erforderliche Qualifikation kann dabei z.B. die Tätigkeit in
einem rechtlichen Rahmen, unter der Kontrolle eines Medizinischen
Dienstes und gemäß spezifisch festgelegter Bedingungen
sprechen, deren Einhaltung durch die Eintragung in ein hierfür
vorgesehenes Register bescheinigt wird (EuGH-Urteil Solleveld u.a.
in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299 = SIS 06 24 66, Beilage 3
Rdnr. 46; BFH-Urteile in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195 = SIS 10 39 03, unter II.2., und in BFH/NV 2012, 1186 = SIS 12 16 13, unter
II.1.).
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bb) Danach hat das FG nach den
Verhältnissen des Streitfalls zu Recht entschieden, dass
bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung nach
§ 4 Satz 2 PodG im Regelfall zu der erforderlichen
Berufsqualifikation führt.
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Bereits mit der erfolgreichen Ablegung der
Prüfung wird im Regelfall eine dem Podologen qualitativ
gleichwertige Tätigkeit ausgeübt. Hierfür spricht
insbesondere, dass das PodG die Erbringung fußpflegerischer
Leistungen nicht unter einen Genehmigungsvorbehalt stellt. Der
Erlaubnisvorbehalt nach § 1 Abs. 1 PodG bezieht sich, wie das
FG zutreffend entschieden hat, vielmehr nur auf das Führen
einer Berufsbezeichnung. Verboten ist danach nur das Führen
einer durch das PodG geschützten Berufsbezeichnung ohne
entsprechende Erlaubnis, nicht aber die Leistungserbringung als
solche (Urteil des Bundessozialgerichts vom 7.10.2010 B 3 KR 12/09
R, SozR 4-2500 § 124 Nr. 2, unter 2.e). Der Erlaubnis nach
§ 1 Abs. 1 PodG kommt daher nicht die Bedeutung zu, das
Erbringen bestimmter Leistungen den Titelführungsberechtigten
vorzubehalten. Der Erlaubnis schließt sich auch kein
gesondertes Überwachungsverfahren nach dem PodG an, durch das
sichergestellt wird, dass die Qualität der Leistung
sichergestellt ist. Unter Berücksichtigung der
EuGH-Rechtsprechung zum Grundsatz der steuerlichen
Neutralität, der es verbietet, gleichartige und deshalb
miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich
der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln, ist daher davon
auszugehen, dass die Leistungen eines Unternehmers, der die in
§ 4 PodG vorgesehene staatliche Prüfung bestanden hat,
gleichartig zu den Leistungen sind, die ein Unternehmer erbringt,
der nicht nur diese Prüfung bestanden hat, sondern
darüber hinaus auf seinen Antrag auch die Erlaubnis erhalten
hat, die Berufsbezeichnung Podologe zu führen.
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cc) Für seine gegenteilige Auffassung
kann sich das FA nicht auf das von ihm in Bezug genommene
BFH-Urteil vom 7.7.1976 I R 218/74 (BFHE 119, 274, BStBl II 1976,
621 = SIS 76 03 41) berufen. Danach übt ein medizinischer
Fußpfleger keinen dem Beruf des Heilpraktikers oder des
Krankengymnasten ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr.
1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes aus. Auf die
einkommensteuerrechtliche Beurteilung kommt es indes im Hinblick
auf die gebotene richtlinienkonforme Auslegung (s. oben II.2.)
nicht an.
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dd) Für die Steuerfreiheit der für
die Klägerin durch Herrn A ausgeführten Leistungen
reichte es im Übrigen aus, dass ihr Gesellschafter (Herr A)
über die erforderliche Berufsqualifikation verfügte (vgl.
BFH-Urteil vom 26.9.2007 V R 54/05, BFHE 219, 241, BStBl II 2008,
262 = SIS 08 01 99, Leitsätze 1 und 2).
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c) Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat
kann nicht selbst entscheiden, da das FG keine Feststellungen zur
Frage getroffen hat, ob und inwieweit die Leistungen der
Klägerin als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin
anzusehen sind. Hieran würde es z.B. für Leistungen auf
vorwiegend kosmetischem Gebiet fehlen.
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