LuF, Durchschnittssatzbesteuerung teilweise gemeinschaftsrechtswidrig: § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG 1999, wonach Gewerbebetriebe kraft Rechtsform die für Land- und Forstwirte geltende Durchschnittssatzbesteuerung nicht in Anspruch nehmen können, auch wenn im Übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes vorliegen, verletzt das Gemeinschaftsrecht und ist daher nicht anzuwenden (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 1.12.2009, IV B 8 - S 7410/08/10002, BStBl 2009 I S. 1611 = SIS 09 36 54). - Urt.; BFH 16.4.2008, XI R 73/07; SIS 08 27 41
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine eingetragene
Genossenschaft. Sie bewirtschaftet ein Forstareal, das ca. 23 ha
umfasst.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte mit Bescheid vom 25.5.2004 die
Umsatzsteuer 2002 auf 1.560,43 EUR fest. Dabei unterwarf das FA
abweichend von der Steuererklärung, in der die Klägerin
nach § 19 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) in der
im Streitjahr geltenden Fassung auf die Anwendung der
Kleinunternehmerregelung verzichtet hatte, die erklärten
Umsätze von 11.356 EUR netto der Regelbesteuerung und
ließ die geltend gemachten Vorsteuern in Höhe von 256,53
EUR zum Abzug zu, weil die Durchschnittssatzbesteuerung für
eine Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft nicht anwendbar sei.
Den Einspruch wies es zurück. Die hiergegen erhobene Klage
blieb ohne Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in
EFG 2007, 1648 = SIS 07 30 70 veröffentlicht.
Mit der Revision beruft sich die
Klägerin auf die Verletzung materiellen Rechts.
Sie gehöre als eingetragene
Genossenschaft zwar zu den gesetzlich von der Anwendung der
Durchschnittssatzbesteuerung ausgenommenen Gewerbebetrieben kraft
Rechtsform (§ 2 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG - ).
Sie sei aber eine typische Waldgenossenschaft, für die
aufgrund der gesetzlichen Benennung die Ausnahmevorschrift des
§ 3 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) gelte.
Waldgenossenschaften seien hiernach nur insoweit
körperschaftsteuerpflichtig, als sie einen Gewerbebetrieb i.S.
des § 15 des Einkommensteuergesetzes unterhielten. Dies treffe
hier aber nicht zu. Ihre Einkünfte seien unmittelbar bei den
Beteiligten zu versteuern. Obwohl sie eine Körperschaft sei,
werde sie steuerlich in vollem Umfang als Mitunternehmerschaft
angesehen. Die Genossen erzielten Einkünfte aus Land- und
Forstwirtschaft. Die Auffassung des FG, dass es offenbleiben
könne, ob sie unter § 3 Abs. 2 KStG falle, sei
unzutreffend. § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG verwende den aus dem
Ertragsteuerrecht stammenden Begriff „Gewerbebetrieb kraft
Rechtsform“. Dies setze voraus, dass die juristische Person
dort auch so behandelt werde. Hier werde die Waldgenossenschaft
ertragsteuerlich eben nicht als Gewerbebetrieb kraft Rechtsform
behandelt, sondern wie eine Mitunternehmerschaft mit
Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft. Nach dem Prinzip der
Einheit der Rechtsordnung sei für die Auslegung ein
widerspruchsfreies Zusammenspiel steuerrechtlicher Vorschriften
anzustreben.
Auch eine verfassungskonforme Auslegung
nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gebiete die Anwendung der
Durchschnittssatzbesteuerung.
Ferner verstoße § 24 Abs. 2 Satz
3 UStG gegen Gemeinschaftsrecht.
Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2002 in
Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung dahingehend
abzuändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 EUR festgesetzt
wird.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
Der Einwand der Klägerin, aufgrund der
Ausnahmebestimmung in § 3 Abs. 2 KStG sei die
Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG auch auf sie
anwendbar, greife nicht. Denn die Klägerin falle nicht in den
Anwendungsbereich von § 3 Abs. 2 KStG, weil sie nach ihrer
tatsächlichen rechtlichen Struktur keine Realgemeinde
sei.
Die von der Klägerin vorgebrachten
verwaltungstechnischen Schwierigkeiten beruhten auf der Annahme,
dass sie ertragsteuerlich als Mitunternehmerschaft zu behandeln sei
und damit weit geringere Anforderungen an die
Aufzeichnungspflichten zu stellen seien. Nachdem es sich jedoch um
eine körperschaftsteuerpflichtige Genossenschaft handele,
träfen sie die im Urteil der Vorinstanz aufgeführten
Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten.
Im Übrigen sei § 24 Abs. 2 Satz 3
UStG weder europarechts- noch verfassungswidrig.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Unrecht die
Anwendung der begehrten Durchschnittssatzbesteuerung für land-
und forstwirtschaftliche Betriebe versagt.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass die Klägerin nach der nationalen Regelung keinen Anspruch
auf Anwendung der begehrten Durchschnittssatzbesteuerung hat.
Die Durchschnittssatzbesteuerung gilt
gemäß § 24 UStG grundsätzlich für alle
land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. Ein Gewerbebetrieb kraft
Rechtsform soll aber gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG
auch dann nicht als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb
anzusehen sein, wenn im Übrigen die Merkmale eines land- und
forstwirtschaftlichen Betriebes vorliegen. Da die Klägerin als
eingetragene Genossenschaft zu den Gewerbebetrieben kraft
Rechtsform nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG gehört,
stünde ihr hiernach die begehrte Durchschnittssatzbesteuerung
nicht zu.
2. § 24 UStG „beruht“
auf Art. 25 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG)
und muss daher mit dieser Bestimmung und den
gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen im Einklang stehen (vgl.
z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22.9.2005 V R 28/03,
BFHE 211, 566, BStBl II 2006, 280 = SIS 05 49 02, und vom
12.10.2006 V R 36/04, BFHE 215, 356, BStBl II 2007, 485 = SIS 07 03 18, jeweils m.w.N., und Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer,
§ 24 Rz 6 ff.). Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG enthält
nicht die in § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG vorgesehene
Beschränkung und ermächtigt den nationalen Gesetzgeber
wegen des gemeinschaftsrechtlich geltenden Neutralitätsgebots
auch nicht dazu, eine entsprechende Regelung zu treffen. § 24
Abs. 2 Satz 3 UStG ist daher nicht anwendbar.
a) Nach Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG können die Mitgliedstaaten „auf
landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen
Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten
Regelung nach Artikel 24 auf Schwierigkeiten stoßen
würde, als Ausgleich für die Belastung durch die
Mehrwertsteuer, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen
Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird, eine
Pauschalregelung nach diesem Artikel anwenden“.
Die in Art. 25 Abs. 1 bis 12 der Richtlinie
77/388/EWG vorgesehene Pauschalregelung ist die allgemeine
Rechtsgrundlage für die nationale Regelung der
Durchschnittssatzbesteuerung in § 24 UStG (vgl. z.B.
BFH-Urteil in BFHE 211, 566, BStBl II 2006, 280 = SIS 05 49 02,
m.w.N.). Eine der Bestimmung in § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG
vergleichbare Ausnahme von der Anwendung der Pauschalregelung sieht
Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG nicht vor.
b) Art. 25 Abs. 9 der Richtlinie 77/388/EWG
ermächtigt den nationalen Gesetzgeber auch nicht dazu, eine
derartige Ausnahme zu schaffen.
aa) Diese Bestimmung eröffnet jedem
Mitgliedstaat „die Möglichkeit, bestimmte Gruppen
landwirtschaftlicher Erzeuger sowie diejenigen landwirtschaftlichen
Erzeuger von der Pauschalregelung auszunehmen, bei denen die
Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls
der vereinfachten Regelung nach Artikel 24 Absatz 1 keine
verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich
bringt“.
bb) Trotz des insoweit den Mitgliedstaaten
eingeräumten Gestaltungsspielraums berechtigt diese Bestimmung
den nationalen Gesetzgeber nicht dazu, die in § 24 Abs. 2 Satz
3 UStG enthaltene Ausnahme für die Anwendung der
Durchschnittssatzbesteuerung vorzusehen. Denn der Grundsatz der
steuerlichen Neutralität verbietet es, dass
Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei
der Mehrwertsteuererhebung - z.B. abhängig von der Rechtsform
des Steuerpflichtigen - unterschiedlich behandelt werden (Urteile
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom
10.9.2002 Rs. C-141/00 - Kügler -, Slg. 2002, I-6833 = SIS 02 97 10, und vom 6.11.2003 Rs. C-45/01 - Dornier -, Slg. 2003,
I-12911 = SIS 04 01 38). Daher dürfen die Mitgliedstaaten auch
bei der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG die
ihr zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze, insbesondere
den genannten Grundsatz der steuerlichen Neutralität, nicht
beeinträchtigen (EuGH-Urteile vom 12.1.2006 Rs. C-246/04 -
Turn- und Sportunion Waldburg -, Slg. 2006, I-589 = SIS 06 10 92,
und vom 28.6.2007 Rs. C-363/05 - JP Morgan
Fleming Claverhouse Investment Trust plc -, Slg. 2007, I-5517 = SIS 07 28 60). Dieser Rechtsprechung des EuGH hat sich auch der
BFH angeschlossen (BFH-Beschluss vom 12.10.2004 V R 54/03, BFHE
207, 558, BStBl II 2005, 106 = SIS 05 04 73, und BFH-Urteil vom
26.9.2007 V R 54/05, BFH/NV 2008, 170 = SIS 08 01 99). Eine dem
Neutralitätsgrundsatz entsprechende Regelung würde z.B.
dann vorliegen, wenn nach §§ 140 ff. der Abgabenordnung
buchführungspflichtige Steuerpflichtige von der Anwendung des
§ 24 UStG ausgeschlossen wären. Ebenso wäre es dem
Gesetzgeber zumindest im Grundsatz nicht verwehrt, nach
Tätigkeiten zu differenzieren.
cc) Der nationale Gesetzgeber war mithin nicht
befugt, Steuerpflichtige lediglich wegen ihrer Rechtsform von der
Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung auszuschließen,
wie dies § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG vorsieht (vgl. auch Tehler,
UR 2005, 367 ff.). § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG ist daher nicht
anwendbar (vgl. allgemein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -
BVerfG - vom 8.4.1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 = SIS 87 23 29;
EuGH-Urteil vom 9.3.1978 Rs. C-106/77 - Simmenthal -, Slg. 1978,
629).
c) Eine Vorlage an den EuGH gemäß
Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EG) ist nicht erforderlich.
Denn nach Art. 234 Satz 3 EG beurteilen die
innerstaatlichen Gerichte in eigener Zuständigkeit, ob
für den Erlass ihrer eigenen Entscheidung eine Entscheidung
des EuGH über eine gemeinschaftsrechtliche Frage erforderlich
ist. Insbesondere dann, wenn die gestellte Frage bereits Gegenstand
einer Vorabentscheidung gewesen ist und der EuGH sie in einer
gesicherten Rechtsprechung gelöst hat, kann eine Vorlage
entfallen. Dies gilt auch dann, wenn die strittigen Fragen nicht
vollkommen identisch sind (vgl. BFH-Urteil vom 10.2.2005 V R 76/03,
BFHE 208, 507, BStBl II 2005, 509 = SIS 05 17 28, m.w.N.).
Das Neutralitätsgebot war bereits
Gegenstand mehrerer Urteile des EuGH (s. oben unter II. 2. b, bb);
es besteht eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH, dass das
Neutralitätsgebot durch den nationalen Gesetzgeber nicht
verletzt werden darf. Damit ist eine erneute Vorlage zu dieser
Frage entbehrlich.
d) Da die Klägerin nach den den Senat
bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die
Voraussetzungen von § 24 UStG im Übrigen erfüllt,
hat sie einen Anspruch auf die Anwendung der beantragten
Durchschnittssatzbesteuerung.
3. Unerheblich ist, ob die Klägerin sich
in diesem Zusammenhang mit Erfolg auf die behauptete fehlende
Körperschaftsteuerpflicht nach § 3 Abs. 2 KStG berufen
könnte und ob gegen § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG wegen einer
möglichen Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG auch
verfassungsrechtliche Bedenken bestehen (vgl. BVerfG-Beschluss vom
10.11.1999 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160 =
SIS 99 23 42).
4. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung war
aufzuheben. Da das FG zur Höhe der Umsatzsteuerfestsetzung
für das Streitjahr 2002 noch keine Feststellungen getroffen
hat, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
FG zurückzuverweisen.