Betriebsarzt, USt-Freiheit: Betriebsärztliche Leistungen, die ein Unternehmer gegenüber einem Arbeitgeber erbringt und die darin bestehen, die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten sowie die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG), sind - soweit die Leistungen nicht auf Einstellungsuntersuchungen entfallen - gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1993 steuerfrei. - Urt.; BFH 13.7.2006, V R 7/05; SIS 06 42 39
(Anmerkung der Redaktion:
vgl. auch BMF-Schreiben vom 4.5.2007, IV A 5 - S 7100/07/0011/IV A
6 - S 7170/07/0003, BStBl 2007 I S. 481 = SIS 07 14 83)
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Rechtsnachfolger des TÜV. Dieser
übernahm gegenüber verschiedenen Arbeitgebern in den
Streitjahren (1993 bis 1995) u.a. sämtliche
betriebsärztlichen Aufgaben nach dem Gesetz über
Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere
Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) vom 12.12.1973
(BGBl I, 1885).
Nach Maßgabe dieses Gesetzes hat der
Arbeitgeber u.a. Betriebsärzte zu bestellen und ihnen die in
§ 3 ASiG genannten Aufgaben zu übertragen (§ 1 Satz
1, § 2 Abs. 1 ASiG). Die Betriebsärzte haben die Aufgabe,
den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung
in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen
(§ 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Sie haben u.a. die Arbeitnehmer zu
untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten sowie
die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten (§ 3
Abs. 1 Nr. 2 ASiG). Die Verpflichtung des Arbeitgebers,
Betriebsärzte zu bestellen, kann auch dadurch erfüllt
werden, dass der Arbeitgeber einen überbetrieblichen Dienst
von Betriebsärzten zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 3
ASiG verpflichtet (§ 19 ASiG).
Der TÜV nahm für die von ihm
gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG erbrachten
arbeitsmedizinischen Leistungen die Umsatzsteuerfreiheit nach
§ 4 Nr. 16 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993)
in Anspruch.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) versagte im Anschluss an eine
Betriebsprüfung die Umsatzsteuerfreiheit dieser Umsätze,
weil ein mit der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 3 ASiG
beauftragtes Unternehmen nicht als Einrichtung ärztlicher
Diagnostik oder Befunderhebung i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. c
UStG 1993 anzusehen sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der vom
Kläger nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage im
Wesentlichen statt.
Es führte zur Begründung aus,
zwar lägen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung
nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1993 entgegen der Auffassung
des Klägers nicht vor. Die streitigen Leistungen seien aber -
mit Ausnahme von Einstellungsuntersuchungen - gemäß
§ 4 Nr. 14 UStG 1993 steuerfrei. Diese Vorschrift sei
richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) seien von der
Steuer zu befreien die Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem
betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe erbracht würden. Unter diese
Bestimmung fielen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auch ärztliche
Untersuchungen von Personen im Auftrag von Arbeitgebern, wenn diese
in erster Linie dem Schutz der Gesundheit des Betroffenen dienen
sollten (Hinweis auf EuGH-Urteil vom 20.11.2003 Rs. C-307/01, Peter
d’Ambrumenil, UR 2004, 75 = SIS 04 01 35). Diese
Voraussetzungen seien - mit Ausnahme der durchgeführten
Einstellungsuntersuchungen - bei den streitigen Leistungen
erfüllt, da sie zum Ziel hätten, Beeinträchtigungen
der Gesundheit zu verhindern, bzw. diese frühzeitig zu
erkennen, damit ihren Auswirkungen - im Interesse der Gesundheit
des Arbeitnehmers - rechtzeitig begegnet werden könne.
Das Urteil ist in EFG 2005, 483 = SIS 05 13 64 veröffentlicht.
Das FA macht mit der vom FG zugelassenen
Revision im Wesentlichen geltend, die ärztlichen Leistungen
nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG dienten in erster Linie dem
auftraggebenden Arbeitgeber zur Erfüllung seiner gesetzlichen
Verpflichtungen in Bezug auf Arbeitsschutz und
Unfallverhütung. Ferner dienten diese Untersuchungen auch der
Planungssicherheit des Arbeitgebers in Bezug auf die
Einsatzmöglichkeiten seiner Arbeitskräfte und der
Verhinderung von Regressansprüchen, die durch
Arbeitsunfälle oder Produktionsfehler, z.B. bei dem
Führen von Maschinen durch gesundheitlich beeinträchtigte
Arbeitnehmer, entstehen könnten. Die Feststellung eines
Behandlungserfordernisses sei nicht Zweck der Untersuchungen,
sondern lediglich ein Nebeneffekt.
Betriebsärztliche Leistungen nach
§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 ASiG dienten unstreitig keinen
therapeutischen Zwecken. Soweit der TÜV die gesamten in §
3 Abs. 1 ASiG genannten Leistungen erbracht habe, stelle dies eine
einheitliche, nicht steuerbefreite Leistung dar, da diese einem
einheitlichen Ziel, nämlich der fachkundigen
Unterstützung des Arbeitgebers beim Arbeitsschutz, diene. Die
Einheitlichkeit dieser Leistung ergebe sich auch daraus, dass der
erforderliche Umfang der betriebsärztlichen Betreuung nach dem
berufsgenossenschaftlichen Regelwerk, das das ASiG ergänze, in
einer für jeden Betrieb insgesamt zu ermittelnden
jährlichen Einsatzzeit in der Kategorie Stunde pro Jahr
bezogen auf alle Leistungen nach § 3 Abs. 1 ASiG angegeben
werde. Diese pauschalierte Bemessung des erforderlichen
betriebsärztlichen Einsatzes sei nur möglich, weil alle
Leistungen i.S. des § 3 Abs. 1 ASiG als zusammengehörend
betrachtet würden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das angefochtene Urteil lässt
keinen Rechtsfehler erkennen. Die Beurteilung des FG, die - im
vorliegenden Verfahren allein streitigen - Leistungen i.S. des
§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG seien steuerfrei, soweit sie nicht auf
Einstellungsuntersuchungen entfielen, ist revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden.
1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 sind
steuerfrei die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt,
Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer
ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18
Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Nach § 4 Nr. 16 UStG 1993 sind
steuerfrei
„die mit dem Betrieb der
Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen
ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung
sowie der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime ... eng
verbundenen Umsätze, wenn
a) diese Einrichtungen von juristischen
Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden oder
...
c) bei Diagnosekliniken und anderen
Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder
Befunderhebung die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht
erbracht werden und im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40
vom Hundert der Leistungen den in Nummer 15 Buchstabe b genannten
Personen zugute gekommen sind ...“.
2. § 4 Nr. 14 UStG 1993 (entspricht Art.
13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG) und § 4
Nr. 16 Buchst. c UStG (entspricht Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b
der Richtlinie 77/388/EWG) schließen sich gegenseitig aus
(vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1.4.2004 V R 54/98,
BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681 = SIS 04 27 05).
Für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs
von § 4 Nr. 14 und von § 4 Nr. 16 UStG 1993 kommt es
weniger auf die Art der Leistung als vielmehr auf den Ort ihrer
Erbringung an. Wenn es sich um Leistungen außerhalb von
Krankenhäusern oder vergleichbaren Einrichtungen handelt, ist
(nur) § 4 Nr. 14 UStG 1993 einschlägig. Dabei geht es um
diejenigen Heilbehandlungen, die außerhalb von
Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des
Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder - wie im Streitfall
- an einem anderen Ort außerhalb eines Krankenhauses erbracht
werden (vgl. BFH in BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681 = SIS 04 27 05, unter II.2; EuGH-Urteil vom 8.6.2006 Rs. C-106/05, L. u. P.
GmbH, IStR 2006, 453, DStRE 2006, 811 = SIS 06 29 72, Rdnr. 22,
m.w.N).
3. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass die somit im Streitfall einschlägige Vorschrift des
§ 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 richtlinienkonform auszulegen ist
und dass eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin i.S. des
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG
Tätigkeiten umfasst, die zum Zweck der Diagnose, der
Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten
oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten
ausgeführt werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25.11.2004 V R
44/02, BFHE 208, 80, BStBl II 2005, 190 = SIS 05 13 21, unter
II.2.; vom 7.7.2005 V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904 =
SIS 05 42 05).
a) Auch vorbeugende Untersuchungen, die zum
Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder
Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, sind
von der Steuerbefreiung erfasst (vgl. EuGH-Urteil L. u. P. GmbH in
IStR 2006, 453, DStRE 2006, 811 = SIS 06 29 72, Rdnr. 29,
m.w.N).
Eine steuerfreie Heilbehandlung setzt aber
voraus, dass ihr Hauptziel der Schutz der Gesundheit ist (vgl.
BFH-Urteil vom 30.6.2005 V R 1/02, BFHE 210, 188, BStBl II 2005,
675 = SIS 05 36 35). Dies ist z.B bei sog. Supervisionsleistungen
nicht der Fall, auch wenn dabei die ebenfalls bei Heilbehandlungen
eingesetzten Methoden angewandt werden und diese auch der
gesundheitlichen Prophylaxe dienen können (vgl. BFHE 210, 188,
BStBl II 2005, 675 = SIS 05 36 35).
b) Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der
Richtlinie 77/388/EWG hat der EuGH - wie das FG ebenfalls
zutreffend ausgeführt hat - entschieden, dass die in dieser
Bestimmung vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer u.a.
für ärztliche Untersuchungen von Personen im Auftrag von
Arbeitgebern gilt, wenn diese in erster Linie dem Schutz der
Gesundheit des Betroffenen dienen sollen; er hat diese Aussage wie
folgt konkretisiert (vgl. Rs. C-307/01, Peter d’Ambrumenil in
UR 2004, 75 = SIS 04 01 35, Rdnr. 66, 67):
Ärztliche Untersuchungen, die zu dem
Zweck durchgeführt werden, einem Arbeitgeber Entscheidungen
über Einstellungen oder über die Aufgaben, die ein
Arbeitnehmer wahrnehmen kann, zu ermöglichen, sollen in erster
Linie dem Arbeitgeber eine Entscheidungsfindung ermöglichen.
Diese Leistungen fallen daher nicht unter die nach Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuer befreiten
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin.
Hingegen können die von Arbeitgebern
veranlassten regelmäßigen ärztlichen Kontrollen
unter der Voraussetzung die Bedingungen dieser
Steuerbefreiungsregelung erfüllen, dass diese Kontrollen in
erster Linie der Krankheitsvorbeugung und -erkennung sowie der
Beobachtung des Gesundheitszustands der Arbeitnehmer dienen. Dass
solche ärztlichen Kontrollen auch den Eigeninteressen der
Arbeitgeber dienen könnten, schließt nicht aus, dass
Hauptzweck dieser Kontrollen der Gesundheitsschutz ist.
4. Das FG hat hiervon ausgehend im Einzelnen
dargelegt, dass die streitigen Leistungen i.S. des § 3 Abs. 1
Nr. 2 ASiG - mit Ausnahme von Einstellungsuntersuchungen - in
erster Linie der Krankheitsvorbeugung und -erkennung sowie der
Beobachtung des Gesundheitszustands der Arbeitnehmer dienen.
Der erkennende Senat schließt sich
dieser Würdigung an. Sie steht im Einklang mit der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Danach ist es
Aufgabe der nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG durchzuführenden
Untersuchungen, Gesundheitsgefährdungen des Arbeitnehmers
möglichst frühzeitig zu erkennen und den Arbeitnehmer vor
arbeitsbedingten Gesundheitsschäden zu bewahren; diese
Untersuchungen werden überwiegend im Interesse des
Arbeitnehmers durchgeführt (vgl. BAG-Urteil vom 22.1.1986 5
AZR 34/85, BAGE 50, 376, DB 1986, 1631, NJW 1986, 2903).
Der Senat vermag deshalb nicht der Auffassung
des FA zu folgen, die ärztlichen Leistungen nach § 3 Abs.
1 Nr. 2 ASiG dienten in erster Linie dem auftraggebenden
Arbeitgeber.
5. Die Steuerfreiheit der streitigen
Leistungen i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG scheitert - entgegen
der Auffassung des FA - nicht daran, dass die in § 3 Abs. 1
Nr. 1, 3 und 4 ASiG aufgeführten Leistungen unstreitig keinen
therapeutischen Zwecken dienten und sämtliche in § 3 Abs.
1 ASiG genannten Leistungen als Einheit zu betrachten seien.
Denn nach den bindenden Feststellungen des FG
(§ 118 Abs. 2 FGO) wurden die streitigen Leistungen in dem
vorgelegten Mustervertrag einzeln aufgeschlüsselt und auch
einzeln abgerechnet; die in § 3 Nr. 1 bis 4 ASiG
aufgeführten Leistungen konnten einzeln zugeordnet werden. Sie
waren demnach trennbar.