Verheiratetes Kind, Kindergeld, Mangelfall: 1. Anspruch auf Kindergeld für ein verheiratetes Kind besteht nur dann, wenn die Einkünfte des Ehepartners für den vollständigen Unterhalt des Kindes nicht ausreichen, das Kind ebenfalls nicht über ausreichende eigene Mittel für den Unterhalt verfügt und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind aufkommen müssen - sog. Mangelfall - (Fortführung der BFH-Urteile vom 2.3.2000 VI R 13/99, BFHE 191 S. 69, BStBl 2000 II S. 522 = SIS 00 07 54, und vom 23.11.2001 VI R 144/00, BFH/NV 2002, 482 = SIS 02 58 15). - 2. Ein Mangelfall ist anzunehmen, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners niedriger sind als das steuerrechtliche - dem Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entsprechende - Existenzminimum. - Urt.; BFH 19.4.2007, III R 65/06 ; SIS 07 24 93
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) bezog für seine am 25.9.1980 geborene, seit
September 2002 verheiratete Tochter R im Jahr 2003 Kindergeld in
Höhe von 1.848 EUR.
R war im Jahr 2003 Studentin und erhielt
nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
Zuschüsse von 2.303 EUR sowie unverzinsliche Darlehen in
gleicher Höhe. Der Kläger zahlte an R zusätzlich
einen Betrag von 2.700 EUR (monatlich 225 EUR). Die besonderen
Ausbildungskosten von R beliefen sich auf 1.494,60 EUR.
Ihr Ehemann (E) erzielte im Jahr 2003 einen
Nettoarbeitslohn von 15.964,60 EUR. Streit besteht hinsichtlich der
Höhe seiner Werbungskosten. Nach der Berechnung des
Klägers betrugen die Einkünfte von E 14.545,92 EUR, nach
Auffassung der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse)
dagegen 14.883,40 EUR.
Die Familienkasse hob mit Bescheid vom
11.10.2004 die Kindergeldfestsetzung für R mit Wirkung ab
Januar 2003 auf und forderte das für den Zeitraum Januar bis
Dezember 2003 bezahlte Kindergeld vom Kläger zurück, weil
die Einkünfte und Bezüge von R den für das Jahr 2003
geltenden Grenzbetrag in Höhe von 7.188 EUR überstiegen
hätten. Denn zu ihren Einkünften und Bezügen seien
auch die Unterhaltsleistungen ihres Ehemannes zu rechnen. Der
Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit in
EFG 2006, 1530 = SIS 06 36 71 veröffentlichtem Urteil
statt.
Das FG führte im Wesentlichen aus: Ein
Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges Kind bestehe
nach dessen Eheschließung nur dann, wenn der Ehepartner
aufgrund seines geringen Einkommens zum Unterhalt des Kindes nicht
in der Lage sei und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind
aufkommen müssten. Das sei der Fall, wenn die Einkünfte
und Bezüge des Kindes einschließlich der
Unterhaltsleistungen seines Ehepartners den Jahresgrenzbetrag des
§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht
überstiegen, d.h. unter dem Existenzminimum des Kindes
lägen.
Im Streitfall hätten die
Einkünfte und Bezüge von R auch unter
Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen von E den
maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR im Jahr 2003
unterschritten, so dass der Kläger trotz Heirat der R
weiterhin Anspruch auf Kindergeld habe.
Die eigenen Bezüge von R
(Zuschüsse nach dem BAföG in Höhe von 2.303 EUR)
hätten abzüglich der Kostenpauschale von 180 EUR sowie
der besonderen Ausbildungskosten von 1.494,60 EUR insgesamt 628,40
EUR betragen. Hinzuzurechnende Unterhaltsleistungen des Ehemannes
würden nach der Lebenserfahrung ungefähr in Höhe der
Hälfte der Differenz zwischen den dem Kind zur Verfügung
stehenden Mitteln und dem Nettoverdienst des Ehemannes
zufließen. Im Streitfall sei aber zu berücksichtigen,
dass R für den Unterhalt sowohl Darlehen nach dem BAföG
als auch Zahlungen von ihrem Vater erhalten habe. Zumindest in
Höhe der Zahlungen von ihrem Vater sei sie nicht
unterhaltsbedürftig und dementsprechend ihr Anspruch auf
Familienunterhalt gegen E gemindert gewesen. Für die
Berechnung der Unterhaltszahlungen des E sei daher davon
auszugehen, dass R für den Unterhalt 3.328,40 EUR
(Zuschüsse 628,40 EUR + Zahlungen des Vaters 2.700 EUR) zur
Verfügung gestanden hätten. Die Differenz zu den
Einkünften des E in Höhe von 14.883,40 EUR betrage daher
11.555 EUR. Rechne man die Hälfte dieses Betrages als
Unterhaltszahlungen des E den eigenen Bezügen von R hinzu (628
EUR + 5.777,50 EUR = 6.405,90 EUR), ergebe sich - auch wenn man die
Einkünfte des E mit dem von der Familienkasse angenommenem
höheren Betrag von 11.883,40 EUR ansetze -, dass R insgesamt
Bezüge zugeflossen seien, die unterhalb des maßgeblichen
Jahresgrenzbetrags von 7.188 EUR lägen. Es könne daher
offen bleiben, ob die nach dem BAföG ausgezahlten Darlehen den
Unterhaltsanspruch gegenüber E ebenfalls gemindert
hätten.
Mit der Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
Die Zahlungen des Klägers an seine
Tochter minderten deren Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann
nicht. Denn mit der Eheschließung sei vorrangig der
Ehepartner zum Unterhalt verpflichtet. Da sich diese
Unterhaltsverpflichtung nicht durch Zuwendungen Dritter
ändere, könnten sich die Zahlungen des Klägers an R
nicht auf die Unterhaltsverpflichtung des E auswirken. Blieben die
Unterhaltsleistungen des Klägers außer Betracht, ergebe
sich hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge von R ein
Betrag, der über dem Grenzbetrag von 7.188 EUR liege.
Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage
(§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Entgegen der Auffassung des FG steht dem
Kläger für R im Kalenderjahr 2003 kein Kindergeld zu.
1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1
Satz 2 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein
volljähriges Kind nur dann, wenn das Kind die
Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG erfüllt -
sich z.B. in einer Ausbildung für einen Beruf befindet - und
seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung
geeigneten Einkünfte und Bezüge einen bestimmten
Jahresgrenzbetrag (im Jahr 2003 7.188 EUR) nicht übersteigen
(§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) setzt der Anspruch auf Kindergeld für ein
volljähriges Kind darüber hinaus eine „typische
Unterhaltsituation“ der Eltern voraus, die nach der
Eheschließung des Kindes grundsätzlich nicht mehr
vorliegt, weil ab diesem Zeitpunkt dem Kind in erster Linie der
Ehepartner zum Unterhalt verpflichtet ist (§ 1608 Satz 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - i.V.m. §§ 1360,
1360a BGB). Es besteht nur noch eine nachrangige zivilrechtliche
Unterhaltspflicht der Eltern.
Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass das
Einkommen des Ehepartners so gering ist, dass er zum
(vollständigen) Unterhalt nicht in der Lage ist, das Kind
ebenfalls nicht über ausreichende eigene Einkünfte
verfügt und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind
aufkommen müssen - sog. Mangelfall - (vgl. BFH-Urteile vom
2.3.2000 VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522 = SIS 00 07 54, und vom 23.11.2001 VI R 144/00, BFH/NV 2002, 482 = SIS 02 58 15; Abschn. 63.4.2.5 Abs. 1 der Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X.
Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - ).
Ein Mangelfall ist bei kinderlosen Ehen
anzunehmen, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des
Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des
Ehepartners unterhalb des steuerrechtlichen Existenzminimums
liegen, das dem - am Existenzminimum eines Erwachsenen
ausgerichteten (vgl. BFH-Urteile vom 21.7.2000 VI R 153/99, BFHE
192, 316, BStBl II 2000, 566 = SIS 00 12 07, und vom 16.11.2006 III
R 15/06, BFH/NV 2007, 561 = SIS 07 06 05) - Jahresgrenzbetrag in
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht (vgl. auch Urteile des
Hessischen FG vom 3.9.2002 9 K 3071/97, EFG 2003, 550 = SIS 03 15 90, und des FG Münster vom 14.5.2003 13 K 7033/01 Kg, EFG
2003, 1484 = SIS 03 39 75).
2. Ein Mangelfall, der trotz vorrangiger
Unterhaltsverpflichtung des Ehepartners des Kindes einen Anspruch
des Klägers auf Kindergeld begründen würde, liegt im
Streitfall entgegen der Auffassung des FG nicht vor, da die
Einkünfte und Bezüge der R einschließlich der
Unterhaltsleistungen ihres Ehepartners das steuerrechtliche
Existenzminimum von 7.188 EUR überschreiten.
a) Die Unterhaltsleistungen des Ehepartners
sind regelmäßig zu schätzen, weil sie im
Allgemeinen sowohl in Geld- als auch in Sachleistungen bestehen.
Nach der Rechtsprechung des BFH entspricht es der Lebenserfahrung,
dass in einer kinderlosen Ehe, in der ein Ehegatte allein verdient
und ein durchschnittliches Nettoeinkommen erzielt, dem nicht
verdienenden Ehepartner ungefähr die Hälfte dieses
Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt
zufließt (BFH-Urteil vom 7.3.1986 III R 177/80, BFHE 146,
386, BStBl II 1986, 554 = SIS 86 14 05, und BFH-Beschluss vom
7.3.2002 VIII B 180/01, BFH/NV 2002, 1289 = SIS 02 93 77).
b) Verfügt das Kind auch über eigene
Mittel, ist zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr
verfügbares Einkommen teilen. Unterhaltsleistungen sind daher
in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den
Einkünften des unterhaltsverpflichteten Ehepartners und den
geringeren eigenen Mitteln des Kindes anzunehmen (vgl. auch Urteile
des FG Hamburg vom 8.8.1997 I 68/97, EFG 1998, 106, und des
Hessischen FG in EFG 2003, 550 = SIS 03 15 90). Das gilt jedoch
nur, soweit dem Ehepartner ein verfügbares Einkommen in
Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums verbleibt (gl.A.
Urteil des FG Münster in EFG 2003, 1484 = SIS 03 39 75; im
Ergebnis auch Abschn. 63.4.2.5 Abs. 3 DA-FamEStG).
c) Entgegen der Auffassung des FG sind bei der
Schätzung der Unterhaltsleistungen des Ehepartners Zuwendungen
der Eltern an ihr Kind nicht als eigene, den Unterhaltsanspruch
gegenüber seinem Ehepartner mindernde Mittel des Kindes zu
berücksichtigen. Dies widerspräche dem zivilrechtlichen
Vorrang der Unterhaltspflicht des Ehepartners vor der
Unterhaltsverpflichtung der Eltern (§ 1608 Satz 1 BGB).
d) Das im Rahmen des BAföG gewährte
unverzinsliche Darlehen von 2.303 EUR ist gleichfalls nicht
geeignet, die zivilrechtliche Unterhaltspflicht von E
gegenüber R zu mindern. Wegen der grundsätzlich
bestehenden Rückzahlungsverpflichtung werden Darlehen nicht
den zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung
geeigneten Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
zugerechnet (Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar,
Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 101; Abschn. 63.4.2.6 Abs. 2
DA-FamEStG). Folgerichtig können sie daher auch bei der
typisierenden Ermittlung der Unterhaltsleistungen des Ehepartners
nicht als den Unterhaltsanspruch mindernde Bezüge gewertet
werden.
e) Eine zum Anspruch auf Kindergeld
führende Unterhaltspflicht des Vaters kann sich auch nicht
daraus ergeben, dass bei der Ermittlung der Leistungen nach dem
BAföG Einkommen des Vaters angerechnet worden ist.
Im Kindergeldrecht wird trotz der vorrangigen
Unterhaltsverpflichtung des Ehepartners des Kindes eine
Unterhaltsverpflichtung der Eltern und damit ein Anspruch auf
Kindergeld typisierend angenommen, wenn die dem Kind und seinem
Ehepartner zur Verfügung stehenden Mittel unterhalb des
steuerlichen Existenzminimums liegen. Die Grundsätze, nach
denen bei verheirateten Kindern für die Bewilligung von
Leistungen nach dem BAföG Einkommen der Eltern anzurechnen
ist, haben hierauf keinen Einfluss.
3. Für die Entscheidung ist im Streitfall
unerheblich, ob bei der Berechnung der Unterhaltsleistungen des
Ehemannes dessen Einkünfte mit 14.883,40 EUR (so die
Familienkasse) oder mit 14.545,92 EUR (so der Kläger) zu
berücksichtigen sind. Auch bei Berücksichtigung des
niedrigeren Betrags ergeben sich Unterhaltsleistungen des
Ehepartners, die zusammen mit den eigenen Bezügen der R das
steuerrechtliche Existenzminimum von 7.188 EUR übersteigen;
der dem Ehepartner verbleibende Betrag liegt über dem
steuerrechtlichen Existenzminimum.
Denn bei Einkünften des Ehemannes in
Höhe von 14.545,92 EUR ergibt sich zu den Bezügen der R
in Höhe von 628,40 EUR eine Differenz von 13.917,52 EUR. In
Höhe der Hälfte dieses Differenzbetrags (= 6.958,76 EUR)
sind Unterhaltsleistungen des Ehemannes anzunehmen. Die
Einkünfte und Bezüge der R einschließlich der
Unterhaltsleistungen ihres Ehemannes (628,40 EUR + 6.958,76 EUR)
liegen daher mit 7.587,16 EUR über dem maßgebenden
Betrag von 7.188 EUR, so dass kein Mangelfall vorliegt, der trotz
vorrangiger Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes zu einem Anspruch
des Klägers auf Kindergeld führen könnte.