Unterhaltsleistungen an Lebensgefährtin: Unterhaltsleistungen eines Steuerpflichtigen an seine mit ihm in einer Haushaltsgemeinschaft lebende, mittellose Lebenspartnerin sind ohne Berücksichtigung der sog. Opfergrenze als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Abs. 1 Satz 2 EStG abziehbar (gegen BMF-Schreiben vom 28.3.2003, BStBl 2003 I S. 243 = SIS 03 19 09). - Urt.; BFH 29.5.2008, III R 23/07; SIS 08 36 19
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) lebte im Streitjahr 2003 mit seiner damaligen
Verlobten und jetzigen Ehefrau in einer eheähnlichen
Gemeinschaft. Die Verlobte war wegen einer chronischen Erkrankung
nicht erwerbstätig und erzielte keine eigenen Einkünfte.
Nach einer Bescheinigung der Stadt erhielt sie im Streitjahr keine
Hilfe zum Lebensunterhalt. Anfang 2003 hatte sie für die
Zahlung des Krankenversicherungsbeitrags Sozialhilfe beantragt. Der
Antrag erledigte sich in sonstiger Weise, ohne dass das Sozialamt
Zahlungen aufgenommen hätte. Im Mai 2004 führte das
Sozialamt eine Probeberechnung für die Gewährung von
Sozialhilfe durch. Ausgehend von einem Nettoverdienst des
Klägers in Höhe von 1.100 EUR wurde dessen anrechenbares
Einkommen mit 943,13 EUR errechnet. Da dieses den mit 812 EUR
(Regelsätze für den Kläger 296 EUR und für die
Verlobte 237 EUR, Warmmiete 279 EUR) ermittelten Bedarf
überstieg, ergab sich kein Sozialhilfeanspruch der
Verlobten.
Der Kläger erhielt im Streitjahr 2003
einen Bruttoarbeitslohn von 16.169 EUR, dazu 594 EUR
Kurzarbeitergeld, 395 EUR steuerfreie Arbeitgeberleistungen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, 19 EUR
steuerfreie Auslösung sowie eine Einkommensteuererstattung
für das Vorjahr in Höhe von 1.129,55 EUR. Er zahlte
Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in
Höhe von 1.771 EUR und den Arbeitnehmeranteil am
Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 3.038 EUR. Ihm
entstanden Werbungskosten in Höhe von 1.560 EUR. Der danach
verbleibende Nettobetrag von 11.937 EUR stand dem Kläger und
seiner Verlobten für die gemeinsame Lebensführung zur
Verfügung.
Beide wohnten im Streitjahr im 1.
Obergeschoss eines Einfamilienhauses, in dem sich Wohnzimmer,
Schlafzimmer und ein Badezimmer befanden. Das Erdgeschoss mit
Wohnzimmer, Küche, Bad und Schlafzimmer sowie zwei
Souterrainräume des Hauses nutzten die Mutter der Verlobten
und deren Ehemann. Diese wirtschafteten nach den Feststellungen des
Finanzgerichts (FG) getrennt vom Kläger und seiner Verlobten
(z.B. getrennte Kühlschränke), was u.a. mit dem geringen
Einkommen der Mutter in Höhe von ca. 1.300 EUR monatlich
begründet wurde. Das Dachgeschoss mit Wohn- und Schlafzimmer
bewohnte der Bruder der Verlobten, der das Badezimmer des
Klägers und seiner Verlobten mitbenutzen durfte. Alle Personen
teilten die im Erdgeschoss gelegene Küche. Hauptmieter des
Gebäudes waren die Mutter der Verlobten und ihr Ehemann. Der
Kläger gab an, für seine Verlobte und sich an die Mutter
Miete gezahlt zu haben.
In seiner Einkommensteuererklärung
für 2003 machte der Kläger Unterhaltsleistungen für
Miete und Lebensunterhalt seiner Verlobten in Höhe von 7.188
EUR geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -
FA - ) berücksichtigte lediglich 2.741 EUR und begründete
dies damit, dass nach der sog. Opfergrenze nur 23 % des
Nettoeinkommens des Klägers abziehbar seien. Diese errechnete
das FA, indem es für jede vollen 500 EUR des mit 11.918 EUR
angenommenen Nettoeinkommens 1 % des Nettoeinkommens zum Abzug
zuließ. Das zu versteuernde Einkommen betrug danach 9.760 EUR
und die Einkommensteuer 657 EUR.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG gab der Klage mit Urteil vom
20.2.2007 13 K 206/05 (EFG 2007, 1169 = SIS 07 21 74) statt und
setzte die Einkommensteuer auf 0 EUR fest. Es führte aus, die
Opfergrenze sei nicht anzuwenden, wenn die
unterhaltsbedürftige Lebensgefährtin auf Grund des
Zusammenlebens mit dem Steuerpflichtigen keine Sozialhilfe erhalte;
dem entgegenstehenden Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen
(BMF) vom 28.3.2003 (BStBl I 2003, 243 = SIS 03 19 09) werde nicht
gefolgt.
Das FA begründet seine Revision damit,
dass die Opfergrenze auch Unterhaltsleistungen an bedürftige
Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft betreffe. Seit dem
Ausschluss des Abzuges von sittlich gebotenen Unterhaltsleistungen
durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 könnten nur noch
rechtlich zwangsläufige Unterhaltsleistungen
berücksichtigt werden. Eine derartige Zwangslage bestehe
gegenüber den durch § 33a Abs. 1 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) gleichgestellten Personen nach der
Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 23.10.2002 III R 57/99, BFHE
201, 31, BStBl II 2003, 187 = SIS 03 10 91) nur, wenn gesetzlich
unwiderleglich vermutet werde, dass der Unterhalt durch eine andere
Person sichergestellt sei und deshalb zum Unterhalt bestimmte
öffentliche Mittel gekürzt würden. Da nach §
1603 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) keinen Unterhalt zu
leisten brauche, wer dazu ohne Gefährdung seines eigenen
angemessenen Unterhalts außerstande sei, und Verlobte keinen
Unterhaltsvorrang genössen, sei der Abzug durch die
Opfergrenze beschränkt. Das FG leite einen vorrangigen
Unterhaltsanspruch zu Unrecht aus § 122 des
Bundessozialhilfegesetzes ab. Diese Vorschrift setze nicht die sich
aus § 1615i Abs. 3 BGB ergebende Nachrangigkeit der
Unterhaltsverpflichtung zwischen nichtehelichen Partnern
außer Kraft. Auch begründe sie keinen
Unterhaltsanspruch, sondern betreffe die Ermittlung des
Sozialhilfeanspruchs. Da nichteheliche Partner - im Gegensatz zu
Ehegatten und minderjährigen Kindern - keinen
Unterhaltsvorrang genössen, stehe die im BMF-Schreiben in
BStBl I 2003, 243 = SIS 03 19 09 vertretene Ansicht mit Art. 6 Abs.
1 des Grundgesetzes im Einklang; ihr komme zudem als
norminterpretierende Verwaltungsansicht die Qualität einer
Beweisregel zu. Eine über die Opfergrenze hinausgehende
Unterstützung der Verlobten sei vom Kläger nicht erwartet
worden.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG die Unterhaltsleistungen
des Klägers ohne Berücksichtigung einer Opfergrenze als
außergewöhnliche Belastung zum Abzug zugelassen.
1. Aufwendungen für den Unterhalt einer
gegenüber dem Steuerpflichtigen gesetzlich
unterhaltsberechtigten Person können nach § 33a Abs. 1
Satz 1 EStG auf Antrag bis zu einem bestimmten Betrag (im
Streitjahr bis zu 7.188 EUR) vom Gesamtbetrag der Einkünfte
abgezogen werden. Den gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen
ist nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG eine Person gleichgestellt,
wenn ihr zum Unterhalt bestimmte inländische öffentliche
Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des
Steuerpflichtigen gekürzt werden.
Dem Abzug der Unterhaltsleistungen des
Klägers steht nicht entgegen, dass seiner Verlobten mangels
Antragstellung zum Unterhalt bestimmte öffentliche Mittel
tatsächlich nicht gekürzt wurden.
Zu § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des
JStG 1996, nach dem eine Person gleichgestellt war,
„soweit ihr ... Mittel ... gekürzt werden“,
wurde die Auffassung vertreten, es müsse tatsächlich zu
einer Kürzung oder Versagung von öffentlichen Mitteln
gekommen sein; eine hypothetische Minderung oder Ablehnung von
Sozialleistungen genüge nicht (so Hessisches FG, Urteil vom
23.9.1999 11 K 1056/99, EFG 2000, 436 = SIS 01 53 29; offen
gelassen im Senatsurteil in BFHE 201, 31, BStBl II 2003, 187 = SIS 03 10 91). Seit der Änderung der Vorschrift durch das
Steueränderungsgesetz 2001 vom 20.12.2001 (BStBl I 2002, 4) -
Ersetzung des Wortes „soweit“ durch
„wenn“ - ist es nach vorherrschender Auffassung
nicht erforderlich, dass beantragte Sozialleistungen gekürzt
oder abgelehnt worden sind; es reicht aus, dass die unterhaltene
Person wegen der Unterhaltsleistungen keinen Anspruch auf
Sozialleistungen hat (BTDrucks 14/6877, 26; Pust in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33a
Rz 161; Schmidt/Loschelder, EStG, 27. Aufl., § 33a Rz 22;
BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 243, 244 = SIS 03 19 09). Der Senat
folgt dem schon deshalb, weil Steuerpflichtige, die im Vertrauen
auf die Verwaltungsansicht von einer erfolglosen Antragstellung bei
der Sozialbehörde abgesehen haben, nicht benachteiligt werden
dürfen.
2. Die Opfergrenze ist auf
Unterhaltsleistungen an den in Haushaltsgemeinschaft lebenden
nichtehelichen Partner nicht anzuwenden.
a) Unterhaltsaufwendungen für andere als
gemäß § 1609 BGB vorrangig unterhaltsberechtigte
Personen können nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats im Allgemeinen nur dann als zwangsläufig und folglich
als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn
sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des
Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen
noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs
für sich sowie ggf. für seine Ehefrau und seine Kinder
verbleiben (sog. Opfergrenze; vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs
vom 30.6.1989 III R 258/83, BFHE 157, 422, BStBl II 1989, 1009 =
SIS 89 19 01, m.w.N.). Denn nach § 1603 BGB ist nicht
unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen
Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines
angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Auf
Ehegatten wird die Opfergrenze wegen deren vorrangigen
Unterhaltsansprüchen nicht angewandt (Mellinghoff in
Kirchhoff, EStG, 8. Aufl., § 33a Rz. 37).
b) Gegenüber den nach § 33a Abs. 1
Satz 2 EStG gleichgestellten Personen besteht keine
Unterhaltspflicht. Der gesetzgeberische Grund der Gleichstellung
liegt darin, dass der Unterhalt Leistende sich in einer
vergleichbaren - sittlichen, nicht rechtlichen - Zwangslage wie der
gesetzlich zum Unterhalt Verpflichtete befindet, wenn der
Unterhaltsbedürftige durch Versagung von Sozialleistungen
praktisch auf das Einkommen seines Lebenspartners verwiesen
wird.
Die der Opfergrenze zugrunde liegende Wertung
lässt sich aber auch auf sittliche Unterhaltsverpflichtungen
übertragen, denn grundsätzlich wird von niemandem
erwartet, den eigenen angemessenen Unterhalt durch dem Grunde nach
sittlich gebotene Unterhaltsleistungen zu gefährden.
c) Dies ist aber anders, wenn zusammen lebende
Partner eine sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft bilden und daher
gemeinsam wirtschaften müssen. Erzielt nur einer der Partner -
wie hier der Kläger - Einkünfte oder Bezüge, so ist
es - jedenfalls bei Steuerpflichtigen in einfachen
Verhältnissen - praktisch unumgänglich, daraus die
größten Ausgaben wie Miete samt Nebenkosten,
Nahrungsmittel und Kleidung für beide zu begleichen.
In derartigen Fällen wäre es auch
sittlich nicht zu billigen, den bedürftigen Partner, welchem
mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen öffentliche
Mittel verweigert werden, nur unzureichend zu
unterstützen.
d) Die gleichmäßige Verteilung der
zur Verfügung stehenden Mittel unter in einer
Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen wird daher auch von der
Rechtsprechung als Erfahrungssatz angesehen. Nach dem Senatsurteil
vom 19.4.2007 III R 65/06 (BFHE 218, 70, BFH/NV 2007, 1753 = SIS 07 24 93, m.w.N.) entspricht es der Lebenserfahrung, dass in einer
kinderlosen Ehe, in der ein Ehepartner allein verdient und ein
durchschnittliches Nettoeinkommen erzielt, dem nicht verdienenden
Ehepartner ungefähr die Hälfte dieses Nettoeinkommens
zufließt, soweit dem verdienenden Ehepartner ein
verfügbares Einkommen in Höhe des steuerrechtlichen
Existenzminimums verbleibt.
Auch im Senatsurteil vom 19.6.2002 III R 28/99
(BFHE 199, 355, BStBl II 2002, 753 = SIS 02 95 29) wurde
unterstellt, dass mehrere in Haushaltsgemeinschaft lebende Personen
zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts die zur Verfügung
stehenden Beträge nach Köpfen aufteilen, ohne den
unterschiedlichen Unterhaltsbedarf der einzelnen Mitglieder zu
berücksichtigen (vgl. auch das Senatsurteil vom 12.11.1993 III
R 39/92, BFHE 174, 317, BStBl II 1994, 731 = SIS 94 20 04, betr.
Aufteilung des einheitlichen Unterstützungsbetrags auf die
Großeltern und das in ihrem Haushalt untergebrachte
Kind).
e) Die Anwendung der Opfergrenze stünde
zudem im Widerspruch zum Sozialrecht, da der Verlobten dann
sozialrechtlich - wie auch die spätere Proberechnung des
Sozialamtes belegt - ein höherer Anteil des Einkommens des
Klägers zugerechnet würde als dieser wegen der
Opfergrenze abziehen könnte. Einen derartigen Widerspruch
hatte der Senat bereits im Urteil in BFHE 199, 355, BStBl II 2002,
753 = SIS 02 95 29 (unter II. 2. c, betr. die Auslegung des §
33a Abs. 1 Satz 4 EStG) als nicht hinnehmbar beurteilt.