Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Sächsischen Finanzgerichts vom 29.10.2015 6 K 1104/13
aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des
Revisionsverfahrens übertragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine Gemeinde, ist Alleingesellschafterin der
K-GmbH, die ihrerseits Alleingesellschafterin der A-GmbH ist. Die
Klägerin errichtete im Zeitraum 2001 bis 2008 ein Sportzentrum
in drei Bauabschnitten, bestehend aus einer Dreifeldturnhalle,
einem Verbindungsbau und einem Freizeitbad. Mit
„Vorvertrag“ vom 20.12.2007 vermietete die
Klägerin die Dreifeldturnhalle mit Gastronomiekomplex und
Inventar an die A-GmbH mit Wirkung ab 1.1.2008 zu einem monatlichen
Mietzins von 900 EUR. Die Klägerin verpflichtete sich, den
beim Betrieb des Sportzentrums entstehenden handelsrechtlichen
Verlust auszugleichen. Mit Vertrag vom 28.10.2008 übertrug die
Klägerin rückwirkend zum 1.1.2008 den Betrieb des
Sportzentrums auf die A-GmbH, die sich verpflichtete, das
Sportzentrum im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu betreiben.
Für die Festsetzung der Eintrittspreise bedurfte es der
Zustimmung durch den Stadtrat der Klägerin. Die Klägerin
verpflichtete sich wiederum zum Ausgleich der handelsrechtlichen
Verluste. Der voraussichtliche Verlust für 2008 sollte sich
auf 350.400 EUR belaufen. Bei dem Verlustausgleich sollte es sich
um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss handeln. Nach
Fertigstellung des Sportbades übertrug die Klägerin auch
diesen Betriebsteil auf die A-GmbH. Nach dem Ergänzungsvertrag
vom 30.6.2009 belief sich das Nutzungsentgelt unter
Berücksichtigung von beweglichem Anlagevermögen ab
1.12.2008 auf monatlich 5.974,50 EUR. Aufgrund der vertraglichen
Vereinbarungen leistete die Klägerin
Verlustausgleichszahlungen in Höhe von 350.400 EUR (2008),
663.582,69 EUR (2009) und 639.084,95 EUR (2010).
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Für die Errichtung des Sportzentrums
machte die Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 einen
Vorsteuerabzug von insgesamt ca. 1,8 Mio. EUR geltend. Die Mieten
behandelte sie als Entgelt für umsatzsteuerpflichtige
Leistungen.
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Mit den Änderungsbescheiden vom 1. und
vom 5.10.2012 hob der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) die für die Klägerin ergangenen
Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2006 bis 2010 auf,
da diese keinen Betrieb gewerblicher Art unterhalten habe. Der
Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht
(FG) der Klage statt. Nach dem in EFG 2016, 940 = SIS 16 06 83
veröffentlichten Urteil ist die Klägerin aus den
Errichtungskosten für das Sportzentrum zum Vorsteuerabzug nach
§ 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berechtigt. Die
Klägerin habe mit der Verpachtung des Sportzentrums einen
Betrieb gewerblicher Art unterhalten. Dem stehe der
Verlustausgleich nicht entgegen, da er weder zu einem Entfallen der
Einnahmeerzielungsabsicht noch zu einer Unentgeltlichkeit
geführt habe.
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Hiergegen wendet sich das FA mit seiner
Revision. Die Klägerin habe nur geringe Pachteinnahmen von
15.874 EUR (2008), 71.694 EUR (2009) und 71.684 EUR (2010)
vereinnahmt. Verlustausgleich und Pachtzahlungen seien miteinander
zu saldieren, da es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise
ankomme. Klägerin und A-GmbH seien auch nahestehende Personen.
Für die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft sei
unter Berücksichtigung von Art. 9 der Richtlinie 2006/112/EG
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 -
MwStSystRL - (zuvor: Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie
des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage 77/388/EWG - Richtlinie 77/388/EWG - ) eine
wirtschaftliche Tätigkeit erforderlich. Diese Bestimmung sei
nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch bei der
Auslegung des nationalen Rechts zu beachten. Das Urteil des FG
stehe auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH). Für die Unternehmereigenschaft
reiche danach eine Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage
nicht aus. Vielmehr komme es auch auf die allgemeine
Unternehmerdefinition an. Die Verpachtung des Sportkomplexes stelle
eine nichtsteuerbare Beistellung dar und begründe keine
Unternehmereigenschaft der Klägerin. Auch bei Vorliegen eines
Betriebs gewerblicher Art sei der allgemeine Unternehmerbegriff zu
beachten. Eine Organschaft komme schon deshalb nicht in Betracht,
weil die Klägerin in keiner Weise unternehmerisch tätig
sei. Ein Entgelt von dritter Seite könne nicht vorliegen, da
die Stadt auf eine an sich erbrachte Leistung zahle.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Bei der vom FA geforderten wirtschaftlichen
Betrachtungsweise sei zu berücksichtigen, dass die Kosten des
Bäderbetriebs nicht durch die Eintrittsgelder gedeckt werden
konnten. Ein wirtschaftlich unabhängiger Pächter
würde auf Dauer keine Verluste erwirtschaften. Die A-GmbH
könne die Eintrittspreise aber nicht anheben, da diese ihr von
der Klägerin vorgegeben werden. Klägerin und A-GmbH
handelten hinsichtlich des Betriebs des Sportkomplexes nicht wie
wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmer. Die
Verlustausgleichszahlungen seien als Entgelt von dritter Seite zu
behandeln. Die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage komme bei
Leistungen an zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer wie die
A-GmbH nicht in Betracht. Eine unentgeltliche Überlassung im
Rahmen einer Beistellung liege nicht vor. Die Rechtsauffassung des
FA führe dazu, dass die Klägerin als Betreiber des
Sportkomplexes anzusehen sei. Durch die Versagung des
Vorsteuerabzugs für den Betrieb eines Schwimmbades werde die
öffentliche Hand im Vergleich zu privaten Unternehmern
benachteiligt. Die A-GmbH sei auch nicht als Geschäftsbesorger
tätig. Sie sei zudem unternehmerisch tätig, da eine
Betriebsaufspaltung und damit ein Betrieb gewerblicher Art
vorliege. Sie sei zumindest organschaftlich nach § 2 Abs. 2
Nr. 2 UStG mit der A-GmbH verbunden. Es komme auch in Betracht,
ihre Zahlungen an die GmbH als Drittentgelt anzusehen. Die
Verlustübernahme sei aus Gründen der Daseinsvorsorge,
nicht aber aus nichtunternehmerischen Gründen erfolgt. Damit
handele es sich um ein Auffüllungsentgelt. Ohne
Verlustübernahme habe der GmbH Überschuldung
gedroht.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat im Streitfall die
Unternehmereigenschaft der Klägerin zu Unrecht bejaht.
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1. Eine juristische Person des
öffentlichen Rechts ist bei richtlinienkonformer Auslegung von
§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) entsprechend Art. 13
MwStSystRL nur dann Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche
Tätigkeit im Sinne einer nachhaltigen Tätigkeit zur
Erzielung von Einnahmen gemäß § 2 Abs. 1 UStG
ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung
heraushebt (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom
13.2.2014 V R 5/13, BFHE 245, 92 = SIS 14 15 48, unter II.1.a unter
Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 10.11.2011 V R 41/10, BFHE 235,
554 = SIS 12 04 24, und vom 1.12.2011 V R 1/11, BFHE 236, 235 = SIS 12 04 14).
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2. An der für die Unternehmereigenschaft
einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
erforderlichen Grundvoraussetzung der wirtschaftlichen
(unternehmerischen) Tätigkeit fehlt es nach dem EuGH-Urteil
Gemeente Borsele vom 12.5.2016 C-520/14 (EU:C:2016:334), wenn eine
Gemeinde über die von ihr vereinnahmten Beiträge nur
einen kleinen Teil ihrer Kosten deckt. Werden die Kosten nur zu 3 %
aus Einnahmen und im Übrigen mit öffentlichen Mitteln
finanziert, deutet diese Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und
den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen darauf hin, dass
kein Leistungsentgelt und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit
vorliegen (EuGH-Urteil Gemeente Borsele, EU:C:2016:334, Rz 33
f.).
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3. Nach diesen Maßstäben ist das FG
rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Klägerin als
Unternehmerin zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG berechtigt
ist. Das Urteil des FG ist materiell-rechtlich mit den bei der
Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigenden Vorgaben
des EuGH, die das FG teilweise nicht berücksichtigen konnte,
unvereinbar. Es kommt dabei entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht darauf an, ob eine juristische Person des
öffentlichen Rechts im Rahmen einer gesetzlichen
Pflichtaufgabe oder „freiwillig“ tätig ist.
Das Urteil des FG ist daher aufzuheben.
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Soweit die Klägerin demgegenüber auf
das Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art im Sinne des
Körperschaftsrechts abstellt, lässt sie außer
Betracht, dass der erkennende Senat in ständiger
Rechtsprechung § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG
richtlinienkonform entsprechend Art. 13 MwStSystRL auslegt (s. oben
II.1.) und zudem entsprechend der übereinstimmenden Systematik
von nationalem Recht und Unionsrecht vor Anwendung dieser
Vorschriften zunächst der Grundtatbestand des
Unternehmerbegriffs in § 2 Abs. 1 UStG erfüllt sein
muss.
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4. Die Sache ist nicht spruchreif.
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a) In einem zweiten Rechtsgang wird zu
prüfen sein, ob entsprechend dem EuGH-Urteil Gemeente Borsele
(EU:C:2016:334) von einer Asymmetrie zwischen den Pachteinnahmen
und den Kosten, für die die Gemeinde den Vorsteuerabzug
geltend macht, auszugehen ist. Hierfür könnte auch
sprechen, dass die Klägerin selbst vorträgt, dass sie und
die A-GmbH nicht wie wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmer
handelten. Insoweit sind insbesondere Feststellungen zu den
einzelnen Kosten zu treffen, die bei der Klägerin für
unbewegliches und bewegliches Anlagevermögen angefallen
sind.
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b) Vor allem wird das FG zu prüfen haben,
ob Pacht und Verlustausgleich, die auf einer einheitlichen
vertraglichen Grundlage beruhen, nicht entsprechend dem Vorbringen
des FA miteinander zu saldieren sind. Dann scheitert die Annahme
einer Unternehmereigenschaft der Klägerin bereits daran, dass
der Nutzungsüberlassung an die A-GmbH keinerlei Entgelt
gegenübersteht, so dass von einer unentgeltlichen
Überlassung an die A-GmbH auszugehen wäre.
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Dabei könnte auch von einer Beistellung
der Klägerin (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 15.4.2010 V R
10/08, BFHE 229, 406, BStBl II 2010, 879 = SIS 10 18 85, unter
II.2.b bb) zu einer von der A-GmbH bezogenen Leistung auszugehen
sein, wenn die A-GmbH Betriebsführungsleistungen an die
Klägerin erbracht hätte (zur Betriebsführung
für juristische Personen des öffentlichen Rechts
BFH-Urteil vom 19.11.2009 V R 29/08, BFH/NV 2010, 701 = SIS 10 09 07). Derartige Beistellungen begründen keine unternehmerische
Tätigkeit des Beistellenden (BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R
30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863 = SIS 09 33 08, unter
II.2.c cc (2), so dass die Klägerin nur steuerpflichtige
Leistungen bezogen, solche aber nicht selbst erbracht hätte.
Die Zahlung von Nutzungsentgelten durch die A-GmbH an die
Klägerin wäre dann ein bloßer Verrechnungsposten
für die Leistungen der A-GmbH an die Klägerin.
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c) Vorsorglich weist der Senat zudem darauf
hin, dass die Klägerin auf der Grundlage des
übereinstimmenden Beteiligtenvortrags in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat mangels eigener Unternehmerstellung nicht
gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organträgerin der
A-GmbH sein kann (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 12.10.2016 XI R
30/14, Leitsatz 2, juris = SIS 16 27 85; BFH-Urteile vom 9.10.2002
V R 64/99, BFHE 200, 119, BStBl II 2003, 375 = SIS 03 05 87, unter
II.2., und vom 2.12.2015 V R 67/14, BFHE 251, 547 = SIS 16 00 93,
unter II.3.a).
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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