1
|
I. Im Revisionsverfahren ist die Frage
streitig, ob die Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin) zusammen mit der X-GmbH als „verbundene
Unternehmen“ im Sinne der KMU-Empfehlung eine wirtschaftliche
Einheit bildet und die Schwellenwerte wegen der dann vorzunehmenden
Zusammenrechnung überschritten sind, mit der Folge, dass nur
ein Anspruch auf eine Investitionszulage in Höhe der
Grundzulage von 12,5 % nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 des
Investitionszulagengesetzes 2005 (InvZulG 2005) besteht.
|
|
|
2
|
Die Klägerin, eine GmbH, stellt
Platten, Folien, Schläuche und Profile aus Kunststoff her.
Gesellschafter sind A mit einem Gesellschaftsanteil in Höhe
von 24,8 %, seine Ehefrau B mit 62,8 % sowie C mit 12,4 %.
Geschäftsführer der Klägerin mit
Einzelvertretungsberechtigung sind A und C. A ist zusammen mit
seiner Mutter D zudem zu gleichen Teilen Gesellschafter der X-GmbH.
Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der X-GmbH
sind wiederum A und C.
|
|
|
3
|
In ihrer Anfangsphase wurde die
Klägerin durch Bürgschaften der X-GmbH unterstützt.
Des Weiteren schloss die Klägerin bei ihrer Gründung
für die Dauer der Finanzierungen, mindestens aber für
fünf Jahre mit Verlängerungsoption, einen
„Geschäftsbesorgungsvertrag“ mit der X-GmbH. Auf
dessen Grundlage erhält die Klägerin - jedenfalls bis zur
Entscheidung durch das Finanzgericht (FG) - sämtliche
Aufträge von der X-GmbH. Im Gegenzug übernimmt die X-GmbH
das gesamte Produktionsvolumen zu einem marktüblichen Preis
und vertreibt es. Am Markt - insbesondere im Internet - tritt nur
die X-GmbH in Erscheinung. Der Vertrag sieht weiter vor, dass ein
Vertreter der X-GmbH die Betriebsleitung der Klägerin laufend
fachlich anleitet. Die Klägerin hat zudem den kompletten
Einkauf sowie EDV und Forschung auf die X-GmbH ausgelagert und
nutzt eine von mehreren Bankverbindungen der X-GmbH für ihre
Zwecke.
|
|
|
4
|
Für sich betrachtet überschreitet
die Klägerin weder mit ihrer Mitarbeiterzahl noch mit ihren
Umsatz- oder Bilanzzahlen die Schwellenwerte im Sinne der
Empfehlung der Europäischen Kommission 2003/361/EG vom
6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der
kleinen und mittleren Unternehmen - KMU-Empfehlung - (Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2003 Nr. L 124, S. 36). Die
X-GmbH überschreitet die Schwellenwerte in den Jahren 2004 und
2005 sowohl mit der Mitarbeiterzahl als auch mit ihrem
Jahresumsatz.
|
|
|
5
|
Die Investitionsbank Sachsen-Anhalt vertrat
die Auffassung, bei der Klägerin handele es sich um ein KMU im
Sinne der KMU-Empfehlung und bewilligte ihr deshalb erhöhte
Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
(GA-Förderung).
|
|
|
6
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) ging aufgrund der Verflechtungen mit der X-GmbH
davon aus, dass die Klägerin ein mit der X-GmbH verbundenes
Unternehmen im Sinne der KMU-Empfehlung bilde und demzufolge die
KMU-Schwellenwerte überschritten seien. Er gewährte der
Klägerin für das Streitjahr 2006 deshalb nur die
Grundzulage (Zulagensatz 12,5 %) für das verarbeitende Gewerbe
gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 und
nicht die mit einem Zulagensatz von 25 % beantragte erhöhte
Investitionszulage für KMU nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1
InvZulG 2005. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung
vom 22.11.2007).
|
|
|
7
|
Das FG wies die Klage mit dem in EFG 2011,
1921 = SIS 11 28 84 veröffentlichten Urteil vom 24.3.2011 1 K
1725/07 ab.
|
|
|
8
|
Mit ihrer Revision macht die Klägerin
geltend, das FG habe zunächst für die Frage, ob A, B und
D als Gesellschafter der Klägerin bzw. der X-GmbH eine
„gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen“
i.S. von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der KMU-Empfehlung
darstellen und der dabei vorzunehmenden Auslegung des unbestimmten
Rechtsbegriffs zu Unrecht auf über den Wortlaut der
KMU-Definition der KMU-Empfehlung hinausgehende europarechtliche
Rechtsgrundlagen oder Entscheidungen zurückgegriffen. Insoweit
sei vielmehr allein auf deutsches Recht bzw. die Rechtsprechung
deutscher Gerichte abzustellen, wonach aber gerade keine
„gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen“
vorliege. Insbesondere seien die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des
Anhangs der KMU-Empfehlung aufgezählten Kriterien nicht durch
zusätzliche Kriterien zu erweitern, sondern vielmehr
abschließend. Weiterhin habe sich das Gericht bei seiner
Begründung der Vermutung gleichgerichteter Interessen allein
auf Indizien gestützt, ohne dass der Beklagte einen konkreten
Beweis für die Gleichrichtung der Interessen innerhalb des
Familienverbundes erbracht hätte. Sie, die Klägerin,
könne jedoch nachweisen, dass zwischen den Mitgliedern der
Familie teilweise erhebliche Interessengegensätze vorliegen
würden.
|
|
|
9
|
Zudem habe das Gericht die Bindungswirkung
der Einstufung der Klägerin als KMU durch die Investitionsbank
des Landes Sachsen-Anhalt für Zwecke der GA-Förderung
nicht beachtet. Angesichts der in der Gesetzesbegründung
formulierten Absicht, eine regelmäßige Bindung der
Finanzverwaltung anzunehmen, sollten divergierende
Verwaltungsentscheidungen auf Fälle offensichtlicher
Fehlerhaftigkeit beschränkt bleiben. Eine offensichtlich
fehlerhafte Einstufung durch die GA-Behörde habe aber nicht
vorgelegen.
|
|
|
10
|
Der Senat hat mit Beschluss vom 20.12.2012
III R 30/11 (BFHE 239, 560, BStBl II 2013, 335 = SIS 13 06 41) das
Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
|
|
|
11
|
„1. a) Welche Anforderungen sind an
die Annahme eines gemeinsamen Handelns i.S. des Art. 3 Abs. 3
Unterabs. 4 des Anhangs der Empfehlung der Kommission 2003/361/EG
vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie
der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU-Empfehlung) zu stellen:
Genügt insoweit bereits jegliche unternehmensbezogene
Kooperation der an beiden Unternehmen beteiligten natürlichen
Personen, die ohne Streitigkeiten oder zu Tage tretende
Interessengegensätze stattfindet, oder ist vielmehr ein
erkennbar abgestimmtes Verhalten dieser Personen
erforderlich?
|
|
|
12
|
b) Falls ein abgestimmtes Verhalten
erforderlich ist: Folgt dieses bereits aus einer rein
tatsächlichen Kooperation?
|
|
|
13
|
2. Ist, wenn kein Fall der Verpflichtung zu
einem konsolidierten Abschluss besteht, bei der Frage, ob ein
Unternehmen mit einem anderen Unternehmen über eine Person
oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen
verbunden ist, über die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des
Anhangs der KMU-Empfehlung aufgeführten
„Beziehungen“ hinaus weiterhin eine wirtschaftliche
Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der Aspekte wie die
Eigentumsverhältnisse - hierbei insbesondere die
Zugehörigkeit der Anteilseigner zu einer Familie -, die
Beteiligungsstruktur und die wirtschaftliche Integration -
insbesondere auch die Identität der Geschäftsführer
- der betroffenen Unternehmen zu untersuchen sind?
|
|
|
14
|
3. Für den Fall, dass auch unter der
Geltung der KMU-Empfehlung eine über die formale Betrachtung
hinausgehende wirtschaftliche Gesamtbetrachtung möglich ist:
Setzt dies die Absicht oder zumindest das Risiko der Umgehung der
KMU-Definition voraus?“
|
|
|
15
|
Der EuGH hat diese Fragen mit Urteil vom
27.2.2014 C-110/13 (ABlEU 2014, Nr. C 112 = SIS 14 10 43, S. 15)
wie folgt beantwortet:
|
|
|
16
|
„Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des
Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6.5.2003
betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen
und mittleren Unternehmen ist dahin auszulegen, dass Unternehmen
als „verbunden“ im Sinne dieses Artikels angesehen
werden können, wenn die Prüfung der zwischen ihnen
bestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ergibt,
dass sie, vermittels einer natürlichen Person oder einer
gemeinsam handelnden Gruppe natürlicher Personen, eine einzige
wirtschaftliche Einheit bilden, auch wenn sie formal nicht in einer
der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs aufgeführten
Beziehungen zueinander stehen.
|
|
|
17
|
Als gemeinsam handelnd im Sinne von Art. 3
Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs sind natürliche Personen
anzusehen, wenn sie sich abstimmen, um Einfluss auf die
geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen
auszuüben, so dass diese Unternehmen nicht als wirtschaftlich
voneinander unabhängig angesehen werden können. Dabei
kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, und es ist nicht
zwingend erforderlich, dass zwischen den fraglichen Personen
vertragliche Beziehungen bestehen oder dass sie auch nur die
Absicht haben, die Definition der Kleinstunternehmen sowie der
kleinen und mittleren Unternehmen im Sinne der genannten Empfehlung
zu umgehen.“
|
|
|
18
|
Die Beteiligten haben sich zu dem
EuGH-Urteil nicht mehr geäußert.
|
|
|
19
|
Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom
22.11.2007 den Investitionszulagenbescheid 2006 vom 6.8.2007
dahingehend zu ändern, dass die Investitionszulage auf
10.694,26 EUR heraufgesetzt wird.
|
|
|
20
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
21
|
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 121 FGO).
|
|
|
22
|
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die
Klägerin lediglich einen Anspruch auf Investitionszulage in
Höhe der vom FA im angefochtenen Investitionszulagenbescheid
festgesetzten Grundzulage von 12,5 % nach § 2 Abs. 6 Satz 1
Nr. 1 InvZulG 2005 hat.
|
|
|
23
|
1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf
eine erhöhte Investitionszulage nach § 2 Abs. 7 Satz 1
Nr. 1 InvZulG 2005 zu.
|
|
|
24
|
a) Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG
2005 erhöht sich die Investitionszulage für den Teil der
Bemessungsgrundlage, der auf Investitionen i.S. des § 2 Abs. 1
InvZulG 2005 entfällt, wenn die beweglichen
Wirtschaftsgüter während des Fünfjahreszeitraums in
einem begünstigten Betrieb verbleiben, der zusätzlich die
Begriffsdefinition für kleine und mittlere Unternehmen im
Sinne der Empfehlung 96/280/EG der Europäischen Kommission vom
3.4.1996 betreffend die Definition der kleinen und mittleren
Unternehmen - Empfehlung 96/280/EG - (Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften 1996 Nr. L 107, S. 4, ersetzt
durch die KMU-Empfehlung in ABlEU 2003 Nr. L 124, S. 36),
erfüllt, auf 25 % der Bemessungsgrundlage bei Investitionen in
Betriebsstätten, die - wie im Streitfall - im übrigen
Fördergebiet belegen sind. Bei dem InvZulG 2005 handelt es
sich um eine von der Kommission genehmigte Beihilfe (ABlEU 2005 Nr.
C 235, S. 3, 4) i.S. des Art. 87 Abs. 3 Buchst. a und c des
Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft -
jetzt Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union.
|
|
|
25
|
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist die § 2 Abs. 7 Satz 1 InvZulG 2005 zugrunde liegende
Definition der KMU europarechtlich zu interpretieren. Dies ergibt
sich bereits aus dem gesetzlich verankerten Verweis auf die
KMU-Empfehlung der Europäischen Kommission und entspricht dem
Willen des Gesetzgebers, im Unterschied zu der
Vorgängerregelung des § 2 Abs. 7 InvZulG 1999 den
europarechtlichen KMU-Begriff zu übernehmen (BTDrucks 15/2249,
S. 15, 16). Zwar ist die Verwendung der KMU-Definition für die
Mitgliedstaaten freiwillig (Benutzerhandbuch der Europäischen
Kommission zur neuen KMU-Definition - Benutzerhandbuch -, 2006, S.
6, abrufbar auf der Webseite der Europäischen Kommission unter
www.ec.europa.eu/ enterprise/policies/sme). Entscheidet sich ein
Mitgliedstaat - wie vorliegend die Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) - jedoch für die Übernahme, ist für
eine Interpretation anhand nationaler Rechtsprechung -
beispielsweise durch Übertragung der Kriterien für das
Vorliegen einer personellen Verflechtung bei der
Betriebsaufspaltung - kein Raum mehr. Eine Lösung von
Interpretationsproblemen anhand nationaler Rechtsprechung - wie von
der Klägerin geltend gemacht - würde insoweit dem mit der
KMU-Empfehlung einhergehenden Zweck zuwiderlaufen, die Vielzahl der
auf Gemeinschaftsebene verwendeten Definitionen von KMU und damit
einhergehende Inkohärenzen zu reduzieren und eine einheitliche
Ausrichtung von KMU-Maßnahmen auf der Ebene der Gemeinschaft
und der Mitgliedstaaten zu gewährleisten und damit die Gefahr
von Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. 1.
Erwägungsgrund der KMU-Empfehlung). Dadurch, dass Deutschland
dieser Empfehlung durch die explizite und unmittelbare Bezugnahme
in § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 2005 nachgekommen ist, wird
eine unionsrechtliche Auslegung somit auch dann erforderlich, wenn
es sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt (vgl.
EuGH-Urteile vom 21.12.2011 C-482/10, Slg. 2011, I-14139 Rz 19,
m.w.N.; vom 18.10.2012 C-583/10, ABlEU 2012, Nr. C 379, S. 5, ZESAR
2013, 235 Rz 47, m.w.N.).
|
|
|
26
|
2. Die KMU-Schwelle ist im Streitfall nach
Art. 2 des Anhangs der KMU-Empfehlung sowohl mit der
Mitarbeiterzahl als auch mit dem Jahresumsatz überschritten,
weil die Klägerin und die X-GmbH als „verbundene
Unternehmen“ i.S. des Art. 3 Abs. 3 des Anhangs der
KMU-Empfehlung der Kommission anzusehen sind.
|
|
|
27
|
a) Die KMU-Empfehlung unterscheidet bei der
Berechnung der Mitarbeiterzahlen und der finanziellen
Schwellenwerte drei maßgebliche Unternehmenstypen, die das
vormalige sog. Unabhängigkeitskriterium ersetzen, das formal
auf die Einhaltung einer Beteiligungsschwelle von bis zu 25 %
abstellte. Maßgeblich ist, ob ein Unternehmen
eigenständig ist oder ob es mit anderen Unternehmen - als
verbundene Unternehmen oder Partnerunternehmen - eine
wirtschaftliche Gruppe bildet.
|
|
|
28
|
Nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der
KMU-Empfehlung sind Unternehmen dann verbunden, wenn ein
Unternehmen am anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte
hält, die Befugnis zur Bestellung und Abberufung der Mehrheit
der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums
des anderen Unternehmens hat, aufgrund eines Vertrags oder einer
Satzungsklausel einen beherrschenden Einfluss auf das andere
Unternehmen hat oder kraft einer Vereinbarung die alleinige
Kontrolle über die Mehrheit der Stimmrechte in dem anderen
Unternehmen ausüben kann. Unternehmen, die durch eine
gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in
einer der vorstehend aufgeführten Beziehungen stehen, gelten
nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der KMU-Empfehlung als
verbundene Unternehmen, sofern sie ganz oder teilweise in demselben
Markt oder in benachbarten Märkten tätig sind.
|
|
|
29
|
b) Vorliegend ist keiner der in Art. 3 Abs. 3
Unterabs. 1 des Anhangs genannten Fälle gegeben. Die
Klägerin gilt aber nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs
der KMU-Empfehlung über die „gemeinsam handelnde
Gruppe natürlicher Personen“ als ein mit der X-GmbH
verbundenes Unternehmen.
|
|
|
30
|
aa) Nach dem Urteil des EuGH im
Vorabentscheidungsverfahren (in ABlEU 2014, Nr. C 112, S. 15)
können auch Unternehmen, die zueinander in keiner der in Art.
3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung genannten
Beziehungen stehen, aber wegen der Rolle, die eine natürliche
Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher
Personen spielt, eine einzige wirtschaftliche Einheit darstellen
und damit als verbundene Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung
angesehen werden, sofern sie ganz oder teilweise in demselben Markt
oder in benachbarten Märkten tätig sind (Rz 34). Da als
KMU-Unternehmen nur tatsächlich unabhängige Unternehmen
erfasst werden sollen, ist die Struktur von KMU zu untersuchen, die
eine wirtschaftliche Gruppe bilden, deren Bedeutung über die
eines solchen Unternehmens hinausgeht, und es ist darauf zu achten,
dass die Definition der KMU nicht durch eine rein formale
Erfüllung der Kriterien umgangen wird (Rz 33).
|
|
|
31
|
bb) An dieses EuGH-Urteil im
Vorabentscheidungsverfahren ist das nationale Gericht bei seiner
Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits gebunden (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.5.2013 XI R 11/09, BFHE 242, 84 =
SIS 13 20 49, m.w.N.). Der erkennende Senat ist daher nicht befugt,
die Auslegung des KMU-Begriffs abweichend vom EuGH zu
entscheiden.
|
|
|
32
|
cc) Das FG hat die vom EuGH vorgegebenen
Grundsätze bereits im ersten Rechtsgang zutreffend angewandt.
Es hat zu Recht nicht allein auf die rein formale Erfüllung
des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der KMU-Empfehlung
abgestellt, sondern im Rahmen einer wirtschaftlichen
Betrachtungsweise das Vorliegen einer KMU-Eigenschaft der
Klägerin verneint. Hinsichtlich der wirtschaftlichen und
finanziellen Beziehungen zwischen der Klägerin und der X-GmbH
hat es dabei „die mehrheitliche Beteiligung der Familie,
... die identische Geschäftsführung in beiden
Unternehmen, ... den Geschäftsbesorgungsvertrag als auch die
komplette Auslagerung von Einkauf, EDV und Forschung“
sowie die „gemeinsame Bankverbindung und nicht zuletzt ...
die Mitverpflichtung der ... (X-GmbH) bei Mietkauf- und
Darlehnsverträgen“ berücksichtigt. In der
Gesamtschau dieser tatsächlichen Umstände hat das FG, da
weder ein erkennbar abgestimmtes Verhalten bezüglich einzelner
Geschäfte noch eine über die tatsächliche
Kooperation hinausgehende vertragliche Bindung erforderlich ist,
auf ein als wirtschaftliche Einheit zu betrachtendes verbundenes
Unternehmen zwischen der Klägerin und der X-GmbH geschlossen
und damit zu Recht eine Überschreitung der Schwellenwerte
angenommen.
|
|
|
33
|
dd) Diese vom FG aufgrund der
Gesamtwürdigung vorgenommene Schlussfolgerung, die
verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und nicht
durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen
beeinflusst ist, ist für das Revisionsgericht bindend, auch
wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist (§ 118
Abs. 2 FGO; vgl. BFH-Urteile vom 1.4.1971 IV R 195/69, BFHE 102,
85, BStBl II 1971, 522 = SIS 71 02 74; vom 6.3.2007 IX R 38/05,
BFH/NV 2007, 1281 = SIS 07 19 90). Zu den der Bindung
unterliegenden Feststellungen gehören auch die
Schlussfolgerungen tatsächlicher Art (BFH-Urteil vom 28.2.2008
V R 44/06, BFHE 221, 415, BStBl II 2008, 586 = SIS 08 18 05; Lange
in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 118 FGO Rz 140
ff.).
|
|
|
34
|
ee) Es ist revisionsrechtlich auch nicht zu
beanstanden, dass das FG bei seiner Gesamtwürdigung dem
pauschalen Bestreiten von gleichgerichteten Interessen innerhalb
der Familie keine besondere Bedeutung beigemessen hat. Soweit die
Klägerin vorträgt, dass sie die teilweise zwischen den
Familienmitgliedern bestehenden erheblichen
Interessengegensätze anhand von einzeln aufgeführten
Streitfällen nachweisen könne, kann der Senat
offenlassen, ob die erstmals im Revisionsverfahren dargestellten
Differenzen zwischen den Familienangehörigen und der X-GmbH
das FG zu einer anderen Gesamtbetrachtung veranlasst hätte.
Denn der BFH muss seiner Entscheidung die im angefochtenen Urteil
getroffenen tatsächlichen Feststellungen zugrunde legen
(§ 118 Abs. 2 FGO) und darf deshalb Tatsachen, die von den
Beteiligten erstmals im Revisionsverfahren vorgetragen werden,
grundsätzlich nicht berücksichtigen (BFH-Urteile vom
17.12.1997 X R 88/95, BFHE 185, 40, BStBl II 1998, 343 = SIS 98 09 22; vom 18.11.1998 X R 143/95, BFH/NV 1999, 915 = SIS 98 58 38), es
sei denn, es wären dagegen zulässige und begründete
Revisionsgründe vorgebracht oder Gegenrügen des
Revisionsbeklagten erhoben worden (BFH-Urteil vom 13.8.2002 VIII R
54/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869 = SIS 03 01 44). Das ist
hier nicht der Fall.
|
|
|
35
|
3. Soweit die Klägerin für Zwecke
der Förderung nach der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ von der Investitionsbank des Landes
Sachsen-Anhalt (GA-Behörde) als KMU-Unternehmen behandelt
worden ist, hat diese Entscheidung keine Bindungswirkung.
|
|
|
36
|
a) Der Einordnung der GA-Behörde kommt
keine bindende Grundlagenfunktion zu. (Bindende)
Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung - AO - )
liegen grundsätzlich nur vor, wenn die Bindungswirkung
gesetzlich angeordnet ist (Beschluss des Großen Senats des
BFH vom 11.4.2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679 = SIS 05 31 02; BFH-Urteil vom 26.10.2011 VII R 64/10, BFH/NV 2012, 712 =
SIS 12 10 16, m.w.N.; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 207). Im
vorliegenden Fall fehlt es an einer gesetzgeberischen
Verfahrensentscheidung.
|
|
|
37
|
b) Selbst wenn man eine Tatbestandswirkung
ressortfremder Behördenentscheidungen auch ohne gesetzlich
angeordnete Bindungswirkung für möglich halten
würde, „wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die
Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst
nachzuprüfen vermag“ (so der erkennende Senat in den
Urteilen vom 13.12.1985 III R 204/81, BFHE 145, 545, BStBl II 1986,
245 = SIS 86 05 03; vom 10.6.1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl
II 1988, 981 = SIS 88 20 32; BFH-Beschlüsse vom 13.4.2005 VI B
197/04, BFH/NV 2005, 1231 = SIS 05 31 48; vom 26.10.2011 VII R
64/10, BFH/NV 2012, 712 = SIS 12 10 16; zweifelnd der Große
Senat des BFH in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679 = SIS 05 31 02),
tritt eine solche im vorliegenden Fall nicht ein. Die Einordnung
eines Unternehmens als groß oder klein, verbunden oder
unverbunden kann die Finanzbehörde kraft eigener Sachkunde
vornehmen.
|
|
|
38
|
c) Soweit nach dem Willen des Gesetzgebers
(BTDrucks 15/2249, S. 16) die Finanzämter die Einstufung der
Wirtschaftsbehörde übernehmen sollen, wenn diese nicht
offensichtlich unzutreffend ist, reicht dies für eine
Bindungswirkung nicht aus. Die gebotene und unverzichtbare
Rechtsgrundlage kann nicht durch allgemeine
Zweckmäßigkeitserwägungen oder vergleichbare
Überlegungen - auch nicht durch Verwaltungsvorschriften -
ersetzt werden (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE
209, 399, BStBl II 2005, 679 = SIS 05 31 02; vgl. BFH-Urteil in
BFHE 154, 68, BStBl II 1988, 981 = SIS 88 20 32). Durch die
Gesetzesbegründung (BTDrucks 15/2249, S. 16) hat der
Gesetzgeber der GA-Behörde hinsichtlich der rechtlichen
Einordnung eines Unternehmens auch kein nur eingeschränkt
überprüfbares administratives Letztentscheidungsrecht
eingeräumt. Der Gesetzgeber hat trotz seiner
Gesetzesbegründung eine verfahrensrechtliche oder
materiell-rechtliche Bindung gerade nicht in das InvZulG
übernommen. Vielmehr hat er die Entscheidung über den
Anspruch auf Investitionszulage ausdrücklich dem für die
Besteuerung des Anspruchsberechtigten nach dem Einkommen
zuständigen Finanzamt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1
InvZulG 2005 zugeordnet. § 3 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 2005 ist
eine Bestimmung sowohl für die örtliche als auch die
sachliche Zuständigkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 2 des
Gesetzes über die Finanzverwaltung i.V.m. § 16 AO. Selbst
wenn sich aus der Gesetzesbegründung eine Bindung der
Finanzbehörde an die Einordnung durch die GA-Behörde
ergeben sollte, ändert dies nichts am Umfang der gerichtlichen
Kontrolle. Die Interpretation der generell-abstrakten Rechtsnorm
und der in ihr enthaltenen (unbestimmten) Rechtsbegriffe ist eine
originäre Funktion der rechtsprechenden Gewalt, keine genuine
Verwaltungsfunktion, so dass die Beurteilung der rechtlichen
Maßstäbe, das heißt deren Auslegung und deren
Rechtmäßigkeit, den Gerichten obliegt (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10.12.2009 1 BvR 3151/07,
Deutsches Verwaltungsblatt 2010, 250). Darüber hinaus kann der
erkennende Senat auch keinen tragfähigen Sachgrund (vgl.
BVerfG-Beschluss vom 31.5.2011 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1 = SIS 11 23 01) für ein Letztentscheidungsrecht der GA-Behörde
erkennen. Jedenfalls gelangen weder die Finanzbehörden noch
die Gerichte bei der Überprüfung der Einstufung eines
Unternehmens als KMU-Unternehmen an die Grenzen ihrer
Funktionsfähigkeit.
|