Insolvenz, USt-Ausweis: In Insolvenzfällen kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass der spätere Insolvenzschuldner die Absicht hat, die von ihm in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht zu entrichten. - Urt.; BFH 28.2.2008, V R 44/06; SIS 08 18 05
I. Streitig ist die Haftung eines
Leistungsempfängers gemäß § 25d des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) für die vom Leistenden nicht
abgeführte Umsatzsteuer.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH, betreibt einen
„Montageservice“. Sie erwarb im November 2004 von der
… (B-GmbH) verschiedene Gegenstände des
Anlagevermögens (Maschinen usw.) zum Preis von 7.300 EUR
zuzüglich 1.168 EUR Umsatzsteuer (Rechnung vom
12.11.2004).
Zum Erwerbszeitpunkt befand sich die B-GmbH
im vorläufigen Insolvenzverfahren. Das Amtsgericht hatte mit
Beschluss vom 18.8.2004 gemäß §§ 21, 22 der
Insolvenzordnung (InsO) zur Sicherung der künftigen
Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts
verschiedene Sicherungsmaßnahmen angeordnet und einen
vorläufigen Insolvenzverwalter - Herrn M - bestellt. In dem
Beschluss heißt es u.a.:
„Verfügungen der Schuldnerin
über Vermögensgegenstände sind nur noch mit
Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§
21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO).
Der vorläufige Insolvenzverwalter ist
nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe,
durch Überwachung der Schuldnerin das Vermögen zu sichern
und zu erhalten.
Den Schuldnern der Schuldnerin
(Drittschuldnern) wird verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der
vorläufige Insolvenzverwalter wird ermächtigt,
Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen
sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Drittschuldner werden
aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser Anordnung zu leisten
(§ 23 Abs. 1 Satz 3
InsO).“
Der vorläufige Insolvenzverwalter
genehmigte den Verkauf, lehnte jedoch die Abführung der in der
Rechnung vom 12.11.2004 gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer in
Höhe von 1.168 EUR ab.
Am 3.12.2004 wurde über das
Vermögen der B-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. M
wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) nahm die Klägerin durch Haftungsbescheid
vom 17.8.2005 nach vorheriger Anhörung als Haftungsschuldnerin
für Steuerrückstände der B-GmbH gemäß
§ 25d UStG in Höhe von 1.168 EUR in Anspruch. Zur
Begründung heißt es u.a.: Aufgrund der Hinweise auf der
Rechnung auf ein Gespräch mit dem Insolvenzverwalter sei davon
auszugehen, dass die Klägerin während der
Kaufpreisverhandlungen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter
von dem gestellten Insolvenzantrag und den gerichtlich angeordneten
Sicherungsmaßnahmen Kenntnis erlangt habe. Zumindest aber
hätte sie unter Zugrundelegung der Sorgfalt eines ordentlichen
Kaufmannes hiervon Kenntnis haben müssen. Es hätte dann
der Klägerin zumindest bewusst sein müssen, dass die
Insolvenzschuldnerin wegen der Sicherungsmaßnahmen die in der
Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an das FA abführen
würde.
Im Haftungsverfahren hatte der
Insolvenzverwalter der B-GmbH gegenüber dem FA mit Schreiben
vom 15.6.2005 die folgenden Angaben gemacht:
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„Die Geschäftsführerin der
Insolvenzschuldnerin hat während der vorläufigen
Insolvenzverwaltung beabsichtigt, die entstehenden
Umsatzsteuerbeträge abzuführen. Frau ... durfte über
die Beträge nicht verfügen. Sie konnte auch nicht
Vorkehrungen treffen, um die Zahlungen der Umsatzsteuerbeträge
sicherzustellen.
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Aufgrund des Insolvenzverfahrens ist es mir
nicht möglich, die Umsatzsteuerbeträge, die vor
Insolvenzeröffnung entstanden sind, an das Finanzamt
abzuführen.
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Meines Erachtens konnte die Erwerberin
nicht wissen, daß die Verkäuferin die Umsatzsteuer nicht
entrichten wird. Zumindest habe ich ihr das nicht mitgeteilt. Im
übrigen war die Insolvenzschuldnerin in der Lage, die
Umsatzsteuer abzuführen. Aufgrund der vom Amtsgericht
ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen habe ich die
Überweisung jedoch nicht durchgeführt.“
|
Gegen den Haftungsbescheid erhob die
Klägerin gemäß § 45 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) Sprungklage, der das FA
zustimmte.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
und hob den Umsatzsteuer-Haftungsbescheid vom 17.8.2005
auf.
Zur Begründung führte das FG aus,
es lasse sich nicht feststellen, dass die Haftungsvoraussetzungen
gemäß § 25d Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt seien,
was zu Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen Beklagtenseite
zu gehen habe. Dass der Aussteller der Rechnung entsprechend seiner
vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet oder
sich hierzu vorsätzlich außer Stande gesetzt habe, sei
weder bewiesen noch aussagekräftig unter Beweis
gestellt.
Unabhängig davon könne auch der
Erwerberin nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass diese in
der Frage der Abführung der Umsatzsteuer bei vorläufiger
Insolvenzverwaltung mit sog. schwachem Verwalter das
insolvenzrechtliche Erfahrungswissen eines Finanzamts habe.
Die Beweiserleichterung gemäß
§ 25d Abs. 2 UStG greife ebenfalls nicht ein, weil die
Gerätschaften zu marktüblichen Konditionen
veräußert worden seien.
Das Urteil des FG ist in EFG 2006, 1869 =
SIS 06 43 53 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA
Verletzung von § 25d UStG und macht im Wesentlichen
geltend:
Das FG habe zu Unrecht dem Umstand, dass
bereits vor Abschluss des zur Umsatzsteuerschuld führenden
Rechtsgeschäfts ein Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B-GmbH gestellt
worden sei, nicht gebührend beachtet. Sei - wie hier - die
allgemeine Verfügungsbefugnis nicht auf den vorläufigen
Insolvenzverwalter übertragen worden, so gehöre die im
Insolvenzeröffnungsverfahren begründete Umsatzsteuer zu
den Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Der sog.
„schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter sei zu
ihrer Zahlung weder nach Steuerrecht noch nach Insolvenzrecht
verpflichtet. Ebenso wie nach alter Rechtslage der Sequester sei
der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis
wegen des Sicherungszwecks der Bestellung eines vorläufigen
Insolvenzverwalters nicht berechtigt, Zahlungen aus der
späteren Masse zu leisten, soweit diese nicht zur
Aufrechterhaltung des Betriebs zwingend erforderlich seien. Im
Eröffnungsverfahren begründete
Umsatzsteuerverbindlichkeiten gehörten nicht hierzu, da ihnen
grundsätzlich kein gleichwertiger Vorteil für die Masse
gegenüberstehe. Im Gesamtinteresse aller Gläubiger an
einer ordnungsgemäßen Verwaltung und den Belangen des
Schuldners könne der Insolvenzverwalter der Befriedigung der
im Zusammenhang mit einem während des
Eröffnungsverfahrens getätigten Rechtsgeschäft
begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeit und damit der
Abführung der Umsatzsteuer an das FA regelmäßig
nicht zustimmen.
Unter Berücksichtigung dieser
Rechtsausführungen habe die B-GmbH bzw. deren gesetzlicher
Vertreter von vornherein nicht davon ausgehen können, dass die
ausgewiesene Umsatzsteuer vorab an das FA abgeführt werde.
Vielmehr habe bereits bei Vertragsabschluss festgestanden, dass die
B-GmbH als Ausstellerin der Rechnung entsprechend einer
vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichten
werde, da sie habe wissen müssen, dass der Insolvenzverwalter
die Zustimmung zur Abführung der Umsatzsteuer nicht erteilen
werde.
Jedenfalls sei es ihr anzulasten, dass sie
nicht dafür Sorge getragen habe, die steuerlichen Konsequenzen
des mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
abgeschlossenen Verkaufsgeschäfts abzuklären. Ein
Unternehmen, das sich im vorläufigen Insolvenzverfahren
befinde und bei dem das zuständige Amtsgericht
Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet habe,
wisse, dass es rechtsgeschäftliche Verfügungen, wozu auch
die Entrichtung von Steuern gehöre, nur mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters treffen könne.
Die B-GmbH als Rechnungsausstellerin habe
gewusst, dass sie während des
Insolvenzeröffnungsverfahrens über ihr Vermögen
nicht frei verfügen könne und ihr daher unter
Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen
Sicherungsmaßnahmen eine Abführung der Umsatzsteuer
nicht möglich gewesen sei. Dass sie das Rechtsgeschäft in
diesem Wissen dennoch abgeschlossen habe, lasse nur den
Rückschluss zu, dass sie die vereinnahmte Umsatzsteuer
entsprechend einer vorgefassten Absicht nicht entrichtet
habe.
Das FG habe ferner zu Unrecht auch die
Haftungsvoraussetzungen des § 25d Abs. 1 UStG in der Person
der Klägerin verneint. Diese habe zum Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses gewusst, dass sich die B-GmbH als
Rechnungsausstellerin seit geraumer Zeit im
Insolvenzeröffnungsverfahren befunden habe. Die Tatsache, dass
ein Insolvenzverfahren in Gang gesetzt worden sei, dokumentiere
öffentlich, dass das betreffende Unternehmen nicht mehr in der
Lage sei, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Als am
Wirtschaftsleben beteiligte Unternehmerin habe der Klägerin
nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns bekannt sein
müssen, dass die von ihr an die B-GmbH gezahlte Umsatzsteuer
von dieser nicht an das FA abgeführt werden
würde.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der
Vorentscheidung die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die gemäß § 90a Abs. 2
Satz 2 FGO statthafte Revision des FA ist unbegründet. Das FG
hat zu Recht entschieden, dass die Haftungsvoraussetzungen des
§ 25d Abs. 1 UStG nicht vorliegen.
1. Anzuwenden ist im Streitfall § 25d
UStG in der durch Art. 5 Nr. 31 Buchst. a des
Steueränderungsgesetzes 2003 (StÄndG 2003) vom 15.12.2003
(BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) geänderten, ab dem
1.1.2004 geltenden Fassung. Denn der Vertrag über den
streitigen Umsatz wurde im November 2004 abgeschlossen (vgl. zum
Anwendungsbereich der Vorschrift: Klenk in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuer, § 25d Rz 4).
Danach haftet der Unternehmer für die
Steuer aus einem vorangegangenen Umsatz, soweit diese in einer nach
§ 14 UStG ausgestellten Rechnung ausgewiesen wurde, der
Aussteller der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten Absicht
die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet oder sich vorsätzlich
außer Stande gesetzt hat, die ausgewiesene Steuer zu
entrichten und der Unternehmer bei Abschluss des Vertrages
über seinen Eingangsumsatz davon Kenntnis hatte oder nach der
Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte haben müssen
(§ 25d Abs. 1 Satz 1 UStG). Trifft dies auf mehrere
Unternehmer zu, so haften diese als Gesamtschuldner (§ 25d
Abs. 1 Satz 2 UStG).
Von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen
ist insbesondere auszugehen, wenn der Unternehmer für seinen
Umsatz einen Preis in Rechnung stellt, der zum Zeitpunkt des
Umsatzes unter dem marktüblichen Preis liegt (§ 25d Abs.
2 Satz 1 UStG). Dasselbe gilt, wenn der ihm in Rechnung gestellte
Preis unter dem marktüblichen Preis oder unter dem Preis
liegt, der seinem Lieferanten oder anderen Lieferanten, die am
Erwerb der Ware beteiligt waren, in Rechnung gestellt wurde (§
25d Abs. 2 Satz 2 UStG). Weist der Unternehmer nach, dass die
Preisgestaltung betriebswirtschaftlich begründet ist, finden
die Sätze 1 und 2 keine Anwendung (§ 25d Abs. 2 Satz 3
UStG).
2. § 25d UStG hat in der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
- Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage - (Richtlinie 77/388/EWG) kein Vorbild. Die
Vorschrift findet jedoch in Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie
77/388/EWG ihre Grundlage. Danach können die Mitgliedstaaten
in den Fällen nach Art. 21 Abs. 1 und 2 der Richtlinie
77/388/EWG bestimmen, dass eine andere Person als der
Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten
hat.
a) Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG
ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat ermächtigt,
eine Regelung zu erlassen, wonach ein Steuerpflichtiger, an den
eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung
bewirkt worden ist und der wusste oder für den hinreichende
Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser
oder einer früheren oder späteren Lieferung oder
Dienstleistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise
unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem
Steuerschuldner auf Zahlung dieser Steuer in Anspruch genommen
werden kann. Eine solche Regelung muss jedoch den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung
sind und zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und
der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen
(vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
- EuGH - vom 11.5.2006 Rs. C-384/04, Federation of Technological
Industries, Slg. 2006, I-4191; BFH/NV Beilage 2006, 312, UR 2006,
410 = SIS 06 24 65).
b) Hierzu hat der EuGH in dem bezeichneten
Urteil u.a. ausgeführt:
Was insbesondere den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit betreffe, so sei es zwar
legitim, dass von dem Mitgliedstaat auf der Grundlage von Art. 21
Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG erlassene Maßnahmen darauf
abzielten, die Ansprüche des Staates möglichst wirksam zu
schützen; sie dürften jedoch nicht über das
hinausgehen, was hierzu erforderlich sei (Rdnr. 30).
Soweit sich der Mitgliedstaat bei einer
derartigen Regelung auf Vermutungen stütze, dürften diese
nicht in einer Art und Weise formuliert werden, dass es für
den Steuerpflichtigen praktisch unmöglich oder
übermäßig schwierig werde, sie durch den
Gegenbeweis zu widerlegen. Solche Vermutungen würden sonst de
facto ein System der unbedingten Haftung einführen, das
über das hinausginge, was erforderlich sei, um die
Ansprüche des Staates zu schützen (Rdnr. 32).
Wirtschaftsteilnehmer, die alle
Maßnahmen träfen, die vernünftigerweise von ihnen
verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass ihre
Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehörten, die einen
mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließe,
müssten nämlich auf die Rechtmäßigkeit dieser
Umsätze vertrauen können dürfen, ohne Gefahr zu
laufen, für die Zahlung dieser von einem anderen
Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer gesamtschuldnerisch in
Anspruch genommen zu werden (Rdnr. 33).
Es sei Sache des nationalen Gerichts, zu
beurteilen, ob eine nationale Regelung den allgemeinen
Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts genüge (Rdnr.
34).
3. Ob die - bereits im Gesetzgebungsverfahren
sowie in der Literatur umstrittene - Vorschrift des § 25d UStG
diesen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt,
könnte insbesondere angesichts des weiten Wortlauts der
Vorschrift (vgl. dazu z.B. Widmann, DB 2002, 166, 168; Forster/
Schorer, UR 2002, 361; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer,
§ 25d Rz 9; Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG,
§ 25d Rz 34; Tehler in Reiß/Krauesel/Langer, UStG,
§ 25d Rz 28 ff.; Blesinger in Offerhaus/Söhn/Lange,
§ 25d UStG Rz 7 ff., 12 f.) zweifelhaft sein.
Anders als § 25d UStG beschränkt
sich etwa die in Großbritannien geltende Regelung, die
Gegenstand des bezeichneten EuGH-Urteils war, auf folgende Waren:
Telefone und andere zur Verwendung im Zusammenhang mit Telefonen
oder Telekommunikation hergestellte oder modifizierte Geräte,
einschließlich Teile und Zubehör sowie Computer und
andere zur Verwendung im Zusammenhang mit Computern oder
Computersystemen hergestellte oder modifizierte Geräte,
einschließlich Teile, Zubehör und Software (vgl. Rdnr. 6
des EuGH-Urteils Federation of Technological Industries in Slg.
2006, I-4191, BFH/NV Beilage 2006, 312, UR 2006, 410).
4. Im Streitfall braucht der Senat diesen
Zweifeln nicht nachzugehen. Denn eine Haftung der Klägerin
nach § 25d UStG scheidet aus.
a) Voraussetzungen für eine Haftung nach
§ 25d Abs. 1 Satz 1 UStG sind (vgl. auch Abschn. 276d Abs. 2
der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - ):
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Die aus einem vorangegangenen Umsatz
geschuldete Umsatzsteuer wurde nicht entrichtet.
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Diese Umsatzsteuer wurde in einer Rechnung
nach § 14 UStG ausgewiesen.
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Die ausgewiesene Steuer wurde vom Aussteller
der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten Absicht nicht
entrichtet oder er hat sich vorsätzlich außer Stande
gesetzt, diese zu entrichten.
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Der in Haftung zu nehmende
Leistungsempfänger hatte bei Abschluss des Vertrages über
seinen Eingangsumsatz vom vorsätzlichen Handeln des
Rechnungsausstellers Kenntnis oder hätte nach der Sorgfalt
eines ordentlichen Kaufmanns Kenntnis haben müssen.
|
Dabei liegt die Darlegungs- und
Feststellungslast grundsätzlich bei dem für den Erlass
des Haftungsbescheides zuständigen FA (zutreffend Abschn. 276d
Abs. 4 UStR).
b) Die Würdigung des FG, es lasse sich
(bereits) nicht feststellen, dass die B-GmbH als Ausstellerin der
Rechnung entsprechend ihrer vorgefassten Absicht die ausgewiesene
Steuer nicht entrichtet oder sich hierzu vorsätzlich
außer Stande gesetzt habe, ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der
Klägerin als Leistungsempfängerin kommt es deshalb nicht
mehr an.
aa) Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der
Bundesfinanzhof (BFH) an die im angefochtenen Urteil getroffenen
tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in
Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete
Revisionsgründe vorgebracht sind. Zu den der Bindung
unterliegenden Feststellungen gehören auch die
Schlussfolgerungen tatsächlicher Art auf das Vorliegen
bestimmter subjektiver Tatbestandsmerkmale – wie hier
gemäß § 25d Abs. 1 Satz 1 UStG: Absicht und Vorsatz
(vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27.8.1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330,
BStBl II 1992, 9 = SIS 92 01 38, unter 3. b).
Die Bindung des BFH entfällt nur dann,
wenn die Folgerungen mit den Denkgesetzen oder
Erfahrungssätzen unvereinbar sind. Die Gesamtwürdigung
durch das FG bindet das Revisionsgericht auch dann, wenn sie zwar
nicht zwingend, aber möglich ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 165, 330, BStBl II
1992, 9 = SIS 92 01 38, unter 3. b).
bb) Die Würdigung des FG im Streitfall
verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen
Erfahrungssätze. Das FG konnte zu dem Schluss kommen, es sei
nicht bewiesen, dass die B-GmbH als Ausstellerin der Rechnung
entsprechend ihrer vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer
nicht entrichtet oder sich hierzu vorsätzlich außer
Stande gesetzt habe.
Das FG hat hierzu ausgeführt, im Falle
der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne
Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots verbleibe die
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die
steuerrechtliche Verantwortlichkeit beim Insolvenzschuldner. Die
B-GmbH bzw. deren Geschäftsführer seien daher
verpflichtet gewesen, die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer
abzuführen. Daran ändere der hier angeordnete allgemeine
Zustimmungsvorbehalt zugunsten des vorläufigen
Insolvenzverwalters nichts (Hinweis auf BFH-Beschluss vom
30.12.2004 VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665 = SIS 05 18 14).
Dementsprechend komme es in der Haftungsfrage auf die innere
Einstellung der veräußernden Insolvenzschuldnerin bzw.
ihrer Geschäftsführer an. Dass diese die vorgefasste
Absicht hatten, die in der ausgestellten Rechnung ausgewiesene
Umsatzsteuer nicht zu entrichten, könne unter den vorliegenden
Bedingungen nicht ohne weiteres unterstellt werden. Das FA
stütze seine anderweitige Tatsachenbeurteilung in erster Linie
auf die Erfahrungstatsache, dass während der Phase der
vorläufigen Insolvenzverwaltung vom Insolvenzschuldner
ausgewiesene Umsatzsteuer mangels Zustimmung des vorläufigen
Insolvenzverwalters üblicherweise nicht entrichtet werde.
Diese Tatsache möge zwar im Wesentlichen zutreffend sein,
reiche aber - für sich genommen - nicht aus, um dem
Rechnungsaussteller eine entsprechende vorgefasste Absicht zu
unterstellen. Zu berücksichtigen sei nämlich, dass der
Insolvenzschuldner - wenn auch nur mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters und/ oder des
Insolvenzgerichts - an der Entrichtung der Umsatzsteuer nicht
gehindert sei. Dass aber ein jeder Insolvenzschuldner ungeachtet
seiner persönlichen Insolvenzerfahrungen von vornherein die
spätere Ablehnung des vorläufigen Insolvenzverwalters ins
Kalkül einbeziehe, sei nicht durch hinreichende
Erfahrungstatsachen belegt.
Die Ablehnung der Abführung der
Umsatzsteuer durch den vorläufigen Insolvenzverwalter sei im
Streitfall auch nicht rechtlich vorbestimmt gewesen. Dem Beschluss
des Insolvenzgerichts vom 18.8.2004 lasse sich zu einer solchen
Ablehnungsverpflichtung nichts entnehmen. Hinzu komme, dass es dem
vorläufigen Insolvenzverwalter im Zweifelsfalle durchaus
möglich gewesen wäre, eine insolvenzgerichtliche
Genehmigung zu beantragen. Das Insolvenzgericht könne einen
vorläufigen Insolvenzverwalter auch ohne begleitendes
allgemeines Verfügungsverbot dazu ermächtigen, einzelne,
im Voraus festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren
Insolvenzmasse einzugehen, soweit sie für eine erfolgreiche
Verwaltung nötig erschienen (Hinweis auf Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18.7.2002 IX ZR 195/01, BGHZ 151,
353, NJW 2002, 3326, 3329).
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich
die Insolvenzschuldnerin hier vorsätzlich außer Stande
gesetzt habe, die ausgewiesene Umsatzsteuer zu entrichten, seien
weder vorgetragen noch sonst den Akten zu entnehmen. In seinem
Schreiben vom 15.6.2005 habe der vorläufige Insolvenzverwalter
dem FA mitgeteilt, dass die B-GmbH sehr wohl die Abführung der
ausgewiesenen Umsatzsteuer beabsichtigt habe.
cc) Diese Ausführungen des FG stehen im
Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zur Rechtsstellung des
vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 21
Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO.
Der vorläufige
Insolvenzverwalter, auf den die
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das
Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist, wird auch
als ‘schwacher’ vorläufiger
Insolvenzverwalter bezeichnet. Seine
Rechtsstellung unterscheidet sich deutlich von der des sog.
‘starken’ Insolvenzverwalters, auf den infolge eines
allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners
übergegangen ist. So gelten die von einem
‘starken’ vorläufigen Insolvenzverwalter
begründeten Verbindlichkeiten nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten
(§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Bei Rechtsstreiten, die das
Vermögen des Schuldners betreffen, wird das Verfahren nach
§ 240 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen, wenn
die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das
Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen
Insolvenzverwalter übergeht. Bei dem
sog. schwachen Insolvenzverwalter treten diese Rechtsfolgen
nicht ein.
Wenn das Insolvenzgericht gemäß
§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO anordnet, dass
Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, haben Schuldner
und vorläufiger Insolvenzverwalter eine vergleichbar starke
Stellung; der vorläufige Insolvenzverwalter ist als
„Berater“ des Schuldners anzusehen (vgl.
BFH-Urteil vom 1.4.2004 V R 24/03, BFHE
204, 520, BStBl II 2004, 905 = SIS 04 21 98, unter II.2., m.w.N.;
BFH-Beschluss vom 13.6.2007 V B 47/06, BFH/NV 2007, 1936, UR 2007,
809 = SIS 07 32 82).
Zwar hat sich grundsätzlich auch der
vorläufige Insolvenzverwalter, der
lediglich mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde (§
21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt., § 22 Abs. 2 Satz 1
InsO), an dem Ziel zu orientieren, die künftige Masse
zu sichern und zu erhalten (§ 22
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO). Daraus folgt, dass er Forderungen
einzelner Gläubiger nur erfüllen - und somit das
Schuldnervermögen nur vermindern - darf, wenn dies im
Einzelfall zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben, etwa
zur Fortführung des Schuldnerunternehmens, im Interesse der
Gläubigergesamtheit erforderlich oder wenigstens
zweckmäßig erscheint (vgl. BGH-Urteil vom 4.11.2004 IX
ZR 22/03, BGHZ 161, 49, NJW 2005, 675, unter II.3.b bb (1)).
Gleichwohl bleibt trotz der Bestellung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt die
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905 = SIS 04 21 98;
BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1936, UR 2007, 809 = SIS 07 32 82).
Der Geschäftsführer einer GmbH ist deshalb an der
Entrichtung der Umsatzsteuer - wenn auch nur mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters - nicht grundsätzlich
gehindert (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 665 = SIS 05 18 14,
unter 1.a).
dd) Die Würdigung des FG erweist sich
auch deshalb als zutreffend, weil in Insolvenzfällen
jedenfalls nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass der
spätere Insolvenzschuldner (Rechnungsaussteller) die Absicht
hat, die von ihm ausgewiesene Umsatzsteuer nicht zu entrichten
(vgl. Klenk in Sölch/ Ringleb, Umsatzsteuer, § 25d Rz 13;
Forster/Schorer, UR 2002, 361, 363; Loose, EFG 2006, 1870; wohl
auch Farr, DStR 2007, 706, 708).
5. Das vorstehend begründete Ergebnis
steht schließlich im Einklang mit dem Zweck des § 25d
UStG.
Die Vorschrift dient der Bekämpfung des
Umsatzsteuerbetrugs, insbesondere in Form von
Karussellgeschäften, bei denen in den Fiskus schädigender
Absicht Rechnungen mit Umsatzsteuer ausgestellt werden, um dem
Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug zu ermöglichen,
ohne die ausgewiesene und geschuldete Steuer zu entrichten (so
ausdrücklich Abschn. 276d Abs. 1 UStR). Das ergibt sich aus
der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 14/7471; BTDrucks
15/1945; abgedruckt u.a. bei Klenk in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuer, § 25d Rz 2 f.).
Ein solcher Sachverhalt liegt in Fällen
der vorliegenden Art aber nicht vor.
Über die Frage, ob bei
Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers im Hinblick
auf die Absicht des Rechnungsausstellers, die ausgewiesene Steuer
nicht zu entrichten, eine Haftung des Leistungsempfängers nach
§ 25d UStG deswegen ausscheidet, weil dem
Leistungsempfänger schon der Vorsteuerabzug nicht zusteht
(Wäger in UR 2006, 599, 600), war deshalb nicht zu
entscheiden.