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I. Die Revisionsklägerin ist
Rechtsnachfolgerin der zwischenzeitlich verstorbenen Klägerin
des Ausgangsverfahrens. Letztere schloss im Jahr 2002 einen
schriftlichen Vertrag über die Gewährung eines
festverzinslichen Darlehens in Höhe von 250.000 EUR mit einer
GmbH ab. An dem Stammkapital der GmbH waren die Enkelkinder der
Klägerin (E 1 und E 2) zu jeweils 36 % und die Tochter der
Klägerin (T) zu 28 % beteiligt. Das Darlehen hatte eine
Laufzeit von fünf Jahren. Im Streitjahr 2009 erzielte die
Klägerin aus dem Darlehen Kapitalerträge in Höhe von
6.290 EUR.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid
für 2009 diese Zinserträge als Kapitaleinkünfte, die
der tariflichen Einkommensteuer gemäß § 32a Abs. 1
des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG)
unterliegen. Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin erfolglos
geltend, dass der gesonderte Steuertarif für Einkünfte
aus Kapitalvermögen in Höhe von 25 % anzuwenden sei
(§ 32d Abs. 1 EStG). Das FA führte in der
Einspruchsentscheidung aus, die Anwendung des Abgeltungsteuersatzes
gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2
EStG sei ausgeschlossen, da die Klägerin als Gläubigerin
der Kapitalerträge den Anteilseignern der GmbH, die zu
mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt seien, nahestehe. Die
hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in
EFG 2012, 242 = SIS 11 31 57 veröffentlichten Urteil vom
6.7.2011 4 K 322/10 ab.
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Die Revisionsklägerin trägt zur
Begründung der Revision im Wesentlichen vor, die Regelung des
§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG verstoße
gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit, da der
Begriff der dem Anteilseigner „nahestehenden Person“
nicht hinreichend abgrenzbar sei. Zudem diskriminiere die Regelung
Familienangehörige bei der Anwendung des gesonderten
Steuertarifs für Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1
EStG.
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Die Revisionsklägerin beantragt, das
Urteil des Niedersächsischen FG vom 6.7.2011 4 K 322/10
aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids
für 2009 vom 30.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 8.11.2010 die tariflich besteuerten Einkünfte aus
Kapitalvermögen um 6.290 EUR zu verringern, die nach §
32d Abs. 1 EStG besteuerten Einkünfte um diesen Betrag zu
erhöhen und die Einkommensteuer entsprechend
herabzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b
Satz 2 EStG verstoße nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, da
der Begriff der „nahestehenden Person“ durch die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur verdeckten
Gewinnausschüttung (vGA) und in anderen Gesetzen hinreichend
konkretisiert worden sei. Die Regelung solle dem Anreiz
entgegenwirken, betriebliche Gewinne in Form von Darlehenszinsen in
die steuerlich begünstigte Anlageebene zu verlagern. Dieser
Anreiz sei bei nahestehenden Personen zu vermuten, da bei diesen
der zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer bestehende
Interessengegensatz aufgehoben oder in der Regel eingeschränkt
sei. So sei auch vorliegend die Darlehensgewährung nicht wie
unter fremden Dritten üblich durchgeführt worden.
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II. Die Revision ist begründet und der
Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Sie führt zur Aufhebung der
Vorentscheidung und zur Abänderung des
Einkommensteuerbescheids für 2009 vom 30.8.2010 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 8.11.2010 mit der Maßgabe, dass
die tariflich besteuerten Einkünfte der Klägerin aus
Kapitalvermögen um 6.290 EUR verringert und die nach §
32d Abs. 1 EStG besteuerten Einkünfte um diesen Betrag
erhöht werden und die Einkommensteuer entsprechend
herabgesetzt wird. Die Berechnung der festzusetzenden
Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz
2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).
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1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen,
dass die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für
Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 EStG
gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2
EStG ausgeschlossen ist. Die Klägerin als Gläubigerin der
Kapitalerträge und E 1, E 2 und T als an der Schuldnerin der
Kapitalerträge mit mindestens 10 % beteiligte Anteilseigner
sind nicht als einander nahestehende Personen im Sinne dieser
Vorschrift anzusehen.
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a) Gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG gilt der gesonderte Steuertarif des
§ 32d Abs. 1 EStG nicht, wenn die Kapitalerträge nach
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG von einer Kapitalgesellschaft an einen
Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der
Gesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist. Diese
Ungleichbehandlung der Anteilseigner im Vergleich zu den durch den
Abgeltungsteuersatz begünstigten Steuerpflichtigen
verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1
des Grundgesetzes, da sie durch sachliche Gründe
gerechtfertigt ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen
des Senats im Urteil vom 29.4.2014 VIII R 23/13 (zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt) wird verwiesen.
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b) Nach Satz 2 des § 32d Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 Buchst. b EStG ist die Anwendung des gesonderten Steuertarifs
für Kapitaleinkünfte auch dann ausgeschlossen, wenn der
Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner
nahestehende Person ist.
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aa) Bei dem Begriff der
„nahestehenden Person“ handelt es sich um einen
unbestimmten Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig ist. Dies
steht dem rechtsstaatlichen Erfordernis nach Normenbestimmtheit
nicht entgegen, da unüberwindliche Auslegungsprobleme nicht
ersichtlich sind.
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bb) Was unter dem Begriff der
„nahestehenden Person“ zu verstehen ist, wird im
Einkommensteuergesetz selbst nicht geregelt. Zwar ist der Begriff
in § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) und §
138 der Insolvenzordnung (InsO) gesetzlich definiert. Eine analoge
Anwendung ist jedoch aufgrund des unterschiedlichen Zwecks der
Regelungen ausgeschlossen. Während es Ziel des § 1 Abs. 2
AStG ist, das ertragsteuerliche Ergebnis am Maßstab des
Fremdvergleichs zu korrigieren, ist nach dem Wortlaut des §
32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG die Marktüblichkeit der
Zinsvereinbarung für den Ausschluss des Abgeltungsteuersatzes
ohne Bedeutung. Gegen eine analoge Anwendung der Definition des
§ 138 InsO spricht, dass diese auf einen anderen
Regelungsbereich zugeschnitten ist (vgl. auch Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 17.2.2011 IX ZR 131/10, BGHZ 188, 363).
Gleiches gilt für den von der Rechtsprechung des BFH
entwickelten Begriff der „nahestehenden Person“
bei einer vGA (Worgulla, Der Erbschaft-Steuer-Berater - ErbStB -
2010, 151, 154; Behrens/Renner, BB 2008, 2319, 2321; a.A.
Blümich/Treiber, § 32d EStG Rz 69; Lambrecht in Kirchhof,
EStG, 13. Aufl., § 32d Rz 11) und für die Regelung des
§ 10 Abs. 5 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes.
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cc) Nach dem Wortsinn fallen unter den Begriff
der „nahestehenden Person“ alle natürlichen
und juristischen Personen, die zueinander in enger Beziehung
stehen. Hierzu gehören auch Angehörige i.S. des § 15
der Abgabenordnung (AO), da bei diesem Personenkreis bereits das
auf der Verwandtschaft, dem Verlöbnis oder der
Eheschließung beruhende Näheverhältnis auf eine
enge Bindung schließen lässt (so zur Regelung des §
32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG das Bundesministerium der
Finanzen in seinen Schreiben vom 22.12.2009 IV C 1-S 2252/08/10004,
BStBl I 2010, 94 = SIS 09 37 93, und vom 9.10.2012 IV C 1-S
2252/10/10013, BStBl I 2012, 953 = SIS 12 30 48, jeweils Rz 136;
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 33. Aufl., § 32d Rz 8; Boochs in
Lademann, EStG, § 32d EStG Rz 18a; a.A. Storg in Frotscher,
EStG, Freiburg 2011, § 32d Rz 20a; Baumgärtel/Lange in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 20; Worgulla, ErbStB
2010, 151, 154; Behrens/Renner, BB 2008, 2319, 2321; Schulz/Vogt,
DStR 2008, 2189, 2191 ff.; Blümich/Treiber, a.a.O., § 32d
Rz 69; Lambrecht in Kirchhof, a.a.O., § 32d Rz 11; Fischer,
DStR 2007, 1898 f.; Harenberg/Zöller, Abgeltungsteuer 2011, 3.
Aufl., S. 124; Griesel/Mertes, Die neue Abgeltungsteuer, Rz 200
ff.).
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Diese weite Auslegung des gesetzlichen
Tatbestands widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, den er
in der Gesetzesbegründung zu § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Buchst. a EStG zum Ausdruck gebracht hat. Danach soll ein
Näheverhältnis nur dann vorliegen, wenn die Person auf
den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben
kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen
beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person
auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die
Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung
der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den
Steuerpflichtigen oder die nahestehende Person einen
außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten
Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes
wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des
anderen hat (BTDrucks 16/4841, S. 61). Zwar enthält die
Gesetzesbegründung zu § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b
Satz 2 EStG keine entsprechenden Ausführungen. Es ist jedoch
davon auszugehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch bei
dieser Regelung ein lediglich aus der Familienangehörigkeit
abgeleitetes persönliches Interesse nicht ausreichen soll, um
ein Näheverhältnis zu begründen.
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Legt man der Auslegung des § 32d Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG diese vom Gesetzgeber in der
Gesetzesbegründung zu § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a
EStG gegebene Definition des Begriffs der „nahestehenden
Person“ zugrunde, ist der Ausschlusstatbestand vorliegend
nicht erfüllt. Es lag zwischen der Klägerin und den
Anteilseignern der GmbH kein Beherrschungsverhältnis vor.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich jede - also
auch eine natürliche - Person beherrscht werden kann, setzt
dies jedenfalls voraus, dass der beherrschten Person aufgrund eines
absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein
eigener Entscheidungsspielraum verbleibt. Dies gilt auch für
Beziehungen zwischen nahen Angehörigen, wie Eltern und Kindern
und Großeltern und Enkeln (vgl. Wassermeyer in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 1 Rz 841 f.). Dass dies bei der Klägerin, E 1, E 2 und
T der Fall war, ist nicht ersichtlich. Es gibt weder Anhaltspunkte
dafür, dass diese auf den jeweils anderen einen
außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten
Einfluss ausübten, noch dass die Vertragsparteien ein eigenes
wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des
anderen hatten. Eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung
des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus
Kapitalvermögen ist danach nicht ersichtlich.
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c) Diese nach dem Willen des Gesetzgebers
erforderliche Einschränkung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Buchst. b Satz 2 EStG ist auch aus verfassungsrechtlichen
Gründen geboten. Auf die Ausführungen hierzu im Urteil
vom 29.4.2014 VIII R 9/13 (zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt) wird verwiesen.
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2. Da die Klage aus den unter II.1.
ausgeführten Gründen in vollem Umfang Erfolg hat, ist
nicht darüber zu entscheiden, ob die von der Klägerin in
Höhe von 6.290 EUR erklärten Kapitaleinkünfte bei
der Steuerfestsetzung gänzlich unberücksichtigt bleiben
müssten, weil der von der Klägerin und der GmbH
geschlossene Darlehensvertrag einem Fremdvergleich nicht
standhält (hierzu im Einzelnen BFH-Urteile vom 22.10.2013 X R
26/11, BFHE 242, 516, BStBl II 2014, 374 = SIS 13 32 60; vom
17.7.2013 X R 31/12, BFHE 242, 209, BStBl II 2013, 1015 = SIS 13 28 34; vom 22.1.2013 IX R 70/10, BFH/NV 2013, 1067 = SIS 13 16 70).
Dies gilt auch für die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe
die Zinszahlungen der GmbH als vGA den Anteilseignern und nicht der
Klägerin zuzurechnen sein könnten und wie die
Weiterleitung dieses Vorteils an die Klägerin steuerlich zu
beurteilen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2010 VIII R 19/07,
BFH/NV 2011, 449 = SIS 11 05 11, m.w.N.). Aus dem Grundsatz der
Bindung an das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) folgt,
dass das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen
darf. Das heißt, das Gericht darf dem Kläger nicht etwas
zusprechen, was dieser nicht beantragt hat („ne ultra
petita“), und auch nicht über etwas anderes
(„aliud“) entscheiden, als der Kläger durch
seinen Antrag begehrt und zur Entscheidung gestellt hat (BFH-Urteil
vom 8.3.2012 V R 49/10, BFH/NV 2012, 1665 = SIS 12 24 85, m.w.N.).
Die Klägerin hat ihr Klagebegehren auf die Herabsetzung der
Einkommensteuer unter Anwendung des gesonderten Steuertarifs
für Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d
Abs. 1 EStG beschränkt, sodass eine weitere Herabsetzung der
Einkommensteuerfestsetzung nicht in Betracht kommt.
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