1
|
I. Die Beteiligten streiten über die
Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines
Verzögerungsgelds gemäß § 146 Abs. 2b der
Abgabenordnung (AO).
|
|
|
2
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) führte ab November 2009 bei der
Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH,
eine Betriebsprüfung (betreffend die Jahre 2005 bis 2007)
durch. Am 24./25.11.2009 forderte die Prüferin die
Klägerin erstmals auf, Nachweise über die
„sonstigen Rückstellungen (management creativ)“
sowie die Verträge zwischen der Klägerin und der
„V-Ltd. (Darlehensvertrag, Managementvertrag
o.ä.)“ vorzulegen und die „Kosten für die
Management Fee“ zu erläutern. Anlässlich einer
Betriebsbesichtigung (1.12.2009) wurde der Prüferin
erläutert, dass die angeforderten Unterlagen einem
Wirtschaftsprüfungsunternehmen übersandt worden seien.
Mit Schreiben vom 14.12.2009 setzte die Prüferin eine Frist
zur Vorlage der Unterlagen bis zum 22.1.2010; die Frist wurde mit
weiterem Schreiben vom 3.2.2010 bis zum 25.2.2010 verlängert.
Nachdem die Klägerin im Rahmen der Schlussbesprechung
(23.3.2010) erneut auf die angeforderten Nachweise hingewiesen
worden war, teilte der von der Klägerin bevollmächtigte
Steuerberater am 12.4.2010 der Prüferin telefonisch mit, dass
die Unterlagen unterwegs seien; am 23.4.2010 gab er an, dass die
Unterlagen noch nicht vollständig seien, er sie aber am selben
Tage absenden würde. Mit Schreiben vom 12.5.2010 forderte das
FA die Klägerin erneut auf, die vorgenannten Nachweise und
Unterlagen (betreffend Rückstellung „management creativ;
Darlehens- und Managementverträge mit der V-Ltd.;
Erläuterung der Kosten der Management Fee“) bis
25.5.2010 einzureichen; zugleich wies das FA darauf hin, dass ein
Verzögerungsgeld von mindestens 2.500 EUR und maximal 250.000
EUR festgesetzt werde, wenn die Klägerin die Unterlagen nicht
fristgerecht und vollständig einreiche.
|
|
|
3
|
Da die Klägerin auch dieser
Aufforderung nicht nachkam, setzte das FA mit Bescheid vom
31.5.2010 ein Verzögerungsgeld in Höhe von 5.000 EUR
fest. Nach dem Begründungsteil des Bescheids ergibt sich
dieser Betrag aus der Dauer der Fristüberschreitung sowie
daraus, dass die Beendigung der Betriebsprüfung
beeinträchtigt worden sei.
|
|
|
4
|
In dem am 9.6.2010 erstellten
Prüfungsbericht wurden - jeweils wegen fehlender Nachweise -
die Rückstellungen für „management creativ“
zum 31.12.2006 sowie zum 31.12.2007 in Höhe von 20.000 EUR
aufgelöst und die nicht abziehbaren Aufwendungen um die Kosten
für die Management Fee (2006: 47.095 EUR; 2007: 39.038 EUR)
erhöht.
|
|
|
5
|
Zur Begründung ihres Einspruchs gegen
den Bescheid vom 31.5.2010 hat die Klägerin mit Schreiben vom
30.6.2010 vorgetragen, dass - wie der Prüferin bekannt sei -
bei der Gesellschaft im Hinblick auf den geplanten Verkauf der
Unternehmensgruppe eine Due Diligence Prüfung vorgenommen
werde und deshalb die Erlangung der Unterlagen aus
Großbritannien äußerst schwierig gewesen sei. Die
Höhe des Verzögerungsgelds sei - so die Klägerin
weiter - unangemessen, die Unterlagen würden spätestens
Anfang nächster Woche eingereicht.
|
|
|
6
|
Der Einspruch wurde mit Bescheid vom
30.7.2010 zurückgewiesen. Der Tatbestand des § 146 Abs.
2b AO sei - so das FA - erfüllt. Umstände, die es
rechtfertigten, von der Festsetzung eines Verzögerungsgelds
abzusehen, lägen nicht vor. Da zwischen der ersten und der
letzten Aufforderung ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten
gelegen habe, seien auch die geltend gemachten Schwierigkeiten bei
der Beschaffung der Unterlagen aus Großbritannien sehr
großzügig beachtet worden; zudem habe die Klägerin
auf die letzte Fristsetzung (vom 12.5.2010) nicht reagiert. Im
Hinblick auf die Höhe des Verzögerungsgelds wiederholt
die Einspruchsentscheidung zum einen die Erläuterungen des
Bescheids vom 31.5.2010 (Dauer der Fristüberschreitung;
Beeinträchtigung des Prüfungsabschlusses; s.o.); zum
anderen führt die Einspruchsentscheidung aus, dass das
Verzögerungsgeld für zwei Pflichtverletzungen (kein
Nachweis der Rückstellung „management creativ“
sowie der Kosten für (die) „Management Fee“)
jeweils in Höhe des vorgeschriebenen Mindestbetrags (2.500
EUR) festgesetzt worden sei. Schließlich sei auch der Vollzug
des Festsetzungsbescheids nicht entsprechend der Regelung des
§ 335 AO einzustellen. Die Vorschrift sei auf das
Verzögerungsgeld, bei der es sich um eine eigenständige
steuerliche Nebenleistung handle, nicht anwendbar. Im Übrigen
seien die geforderten Nachweise auch im Verlauf des
Einspruchsverfahrens nicht erbracht worden.
|
|
|
7
|
Mit der Klage wurde u.a. geltend gemacht,
dass die Vertragsunterlagen in London bzw. Amerika zusammengetragen
worden und die Unterlagen für die Management Fee nicht
auffindbar gewesen seien. Zudem sei die beauftragte Buchhalterin
aufgrund der Erkrankung ihres Ehemanns aus einem Urlaub
„über den Jahreswechsel“ nicht zurückgekehrt.
Hinzu komme, dass das FA unmittelbar nach der Festsetzung des
Verzögerungsgelds den Prüfungsbericht fertiggestellt und
die nicht aufgeklärten Sachverhalte zu Lasten der
Klägerin gewertet habe. Insbesondere hält die
Klägerin die Festsetzung des Verzögerungsgelds für
zwei Pflichtverletzungen für
unverhältnismäßig. Auch sei die Anforderung
über den Nachweis der Kosten für die Management Fee
unangemessen gewesen, da sich die Gründe für dieses
Entgelt aus der - der Prüferin bekannten - Gesamtkonstruktion
(Gründung einer deutschen Gesellschaft unter Rückgriff
auf Erfahrungen und Beratungsleistungen aus Großbritannien)
ergeben hätten.
|
|
|
8
|
Die Vorinstanz hat der Klage stattgeben
(vgl. Finanzgericht - FG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.1.2012
12 K 12205/10, EFG 2012, 898 = SIS 12 08 38). Dabei hat das FG
offengelassen, ob bereits deshalb von einem Ermessensfehlgebrauch
ausgegangen werden müsse, weil das FA auf die Gründe der
Säumnis und damit auf Verschuldensaspekte nicht eingegangen
sei. Jedenfalls sei ein Ermessensfehler darin zu sehen, dass nicht
für sämtliche Pflichtverstöße ein
einheitliches Verzögerungsgeld festgesetzt worden sei. Gegen
den vom FA beschrittenen Weg - Bemessung des Verzögerungsgelds
durch Multiplikation der Pflichtverstöße mit dem
Mindestbetrag (2.500 EUR) - spreche nicht nur der Wortlaut des
§ 146 Abs. 2b AO, sondern auch, dass die Vorgehensweise des FA
zu unverhältnismäßigen und willkürlichen
Festsetzungen führen könne. Letzteres zeige sich auch im
Streitfall, da die Klägerin gegen drei Vorlage- und
Auskunftspflichten verstoßen, das FA der Bemessung des
Verzögerungsgelds aber nur zwei Pflichtverstöße
zugrunde gelegt habe; umgekehrt sei - wenn man zwischen den
angeforderten Darlehens- und Managementverträgen unterscheide
- auch die Annahme von vier Verstößen denkbar
gewesen.
|
|
|
9
|
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA, dass die Festsetzung von Verzögerungsgeldern
nach der Anzahl der Pflichtverstöße mit dem Wortlaut des
§ 146 Abs. 2b AO vereinbar sei und der Ansicht der
Finanzverwaltung entspreche. Auch liege hierin - entgegen der
Auffassung der Vorinstanz - kein Verstoß gegen den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit, da die Festsetzung eines
Verzögerungsgelds auf „wesentliche Fälle“ zu
beschränken sei und im Hinblick auf die Höhe des
festzusetzenden Betrags nach dem Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen (BMF) vom 22.4.2010 (DStR 2011, 676) unter anderem die
Dauer der Fristüberschreitung, die Gründe der
Pflichtverletzung, die Häufigkeit der Verzögerung oder
Verweigerung sowie das Ausmaß der Beeinträchtigung der
Betriebsprüfung zu berücksichtigen seien. Im Streitfall
habe das FA sein Entschließungsermessen zutreffend
ausgeübt; insbesondere habe es - abweichend von den
Ausführungen der Vorinstanz - erläutert, weshalb die
geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Beschaffung der
angeforderten Unterlagen die Pflichtverletzungen der Klägerin
nicht entschuldigt hätten. Zudem habe die Klägerin noch
im April 2010 mitgeteilt, dass die Unterlagen nunmehr vorlägen
und übersandt würden. Auf den Ausfall der Buchhalterin
habe das FA nicht eingehen können, da dieser Umstand erstmals
im Klageverfahren vorgetragen worden sei; hiervon abgesehen
könne er die Nichtvorlage der Unterlagen über Monate
hinweg nicht rechtfertigen. Ebenso sei es nicht zu beanstanden,
dass das FA beide Verzögerungsgelder - ausgehend von den
Erwägungen im Rahmen des Entschließungsermessens - nach
dem gesetzlichen Mindestbetrag bemessen habe. Es liege somit keine
bloße Vervielfältigung dieses Betrags vor.
|
|
|
10
|
Das FA beantragt sinngemäß, das
Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
11
|
Die Klägerin hat im Revisionsverfahren
keine Stellungnahme abgegeben.
|
|
|
12
|
II. Die Revision ist nicht begründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtordnung - FGO - ).
|
|
|
13
|
1. Nach § 146 Abs. 2b AO kann ein
Verzögerungsgeld von 2.500 EUR bis 250.000 EUR festgesetzt
werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur
Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder
seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur
Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO, zur
Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter
Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer
Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen
Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde
nicht nachkommt. Die Vorschrift wurde durch Art. 10 Nr. 8 des
Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl
I 2009, 74) - JStG 2009 - mit Wirkung vom 25.12.2008 (Art. 39 Abs.
1 und Abs. 8 JStG 2009) als neue steuerliche Nebenleistung (§
3 Abs. 4 AO) eingeführt. Sie steht zwar im Zusammenhang mit
der ebenfalls durch das JStG 2009 geschaffenen Regelung in §
146 Abs. 2a AO, nach welcher das FA dem Steuerpflichtigen unter
bestimmten Voraussetzungen bewilligen kann, seine Buchführung
in das Ausland zu verlagern, und will für den Fall, dass die
hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht oder nicht mehr
gegeben sind, die zeitnahe Rückführung der
Buchführung flankieren (vgl. § 146 Abs. 2a Satz 3 i.V.m.
Abs. 2b AO). Gleichwohl ist in der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) anerkannt, dass ein Verzögerungsgeld im
Einklang mit dem Wortlaut der Vorschrift sowie der Intention des
Gesetzgebers (BTDrucks 16/10189, S. 81: „Vermeidung von
Ungleichbehandlungen“) auch dann festgesetzt werden kann,
wenn der Steuerpflichtige seine Bücher und Aufzeichnungen im
Inland führt und aufbewahrt, er jedoch der ihm im Rahmen einer
Außenprüfung obliegenden Mitwirkungspflicht zur
Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage von Unterlagen
(§ 200 Abs. 1 AO) innerhalb angemessener Frist nicht nachkommt
(BFH-Beschlüsse vom 16.6.2011 IV B 120/10, BFHE 233, 317,
BStBl II 2011, 855 = SIS 11 23 95; vom 28.6.2011 X B 37/11, BFH/NV
2011, 1833 = SIS 11 32 93, jeweils m.w.N.).
|
|
|
14
|
2. Der BFH hat es zwar in dem
Aussetzungsbeschluss in BFHE 233, 317, BStBl II 2011, 855 = SIS 11 23 95 als i.S. von § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO
ernstlich zweifelhaft angesehen, ob im Hinblick auf die
fortdauernde Nichtvorlage derselben Unterlagen ein
Verzögerungsgeld mehrfach festgesetzt werden kann (vgl.
nunmehr auch BMF-Schreiben vom 28.9.2011, Referat IV A 4, zu Frage
18; abrufbar unter
www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/Betriebspruefung/001_a1.html,
Suchwort: Verzögerungsgeld; a.A. Hopp/Bruns, DStR 2012, 1485).
Über die hiervon zu unterscheidende und gleichfalls
umstrittene Frage, ob im Falle der Verletzung mehrerer
Mitwirkungspflichten für jeden Pflichtverstoß jeweils
ein gesondertes Verzögerungsgeld - z.B. in Höhe des
Mindestbetrags von 2.500 EUR - ausgesprochen werden kann, hat der
BFH hingegen noch nicht entschieden. Die Ansichten hierzu sind
geteilt. Während nach Auffassung der Finanzverwaltung jede
Pflichtverletzung mit einem gesonderten
(„getrennten“) Verzögerungsgeld belegt
werden kann (vgl. BMF-Schreiben vom 28.9.2011, a.a.O., zu Frage
17), wird in der Rechtsprechung der FG eine Vervielfältigung
des Mindestsatzes (2.500 EUR) entsprechend der Anzahl der
Pflichtverstöße ohne deren eigenständige Gewichtung
als ernstlich zweifelhaft angesehen (Beschluss des Hessischen FG
vom 8.8.2011 8 V 1281/11, EFG 2011, 1949 = SIS 11 31 88; Beschluss
des FG Hamburg vom 16.11.2011 2 V 173/11, EFG 2012, 382 = SIS 12 02 86). Dem wird im Schrifttum teilweise zugestimmt (z.B. Drüen
in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 146
AO Rz 51b); andere vertreten hingegen die Ansicht, dass zwar das
Verzögerungsgeld für jede (einzelne) Verletzung der
Mitwirkungspflicht ausgesprochen werden könne, jedoch die
Aufforderung zur Vorlage mehrerer Urkunden in einem
Schriftstück als nur ein Mitwirkungsverlangen zu werten sei
und dessen Verletzung nur mit der Festsetzung eines
Verzögerungsgelds sanktioniert werden dürfe
(Klein/Rätke, AO, 11. Aufl., § 146 Rz 36).
|
|
|
15
|
3. Das anhängige Verfahren gibt dem Senat
keine Gelegenheit, zu diesem Meinungsstreit abschließend
Stellung zu nehmen. Insbesondere hat der Senat nicht darauf
einzugehen, ob dann, wenn beispielsweise im Rahmen einer
Außenprüfung die Mitwirkungsverlangen zu verschiedenen
Prüfungsfeldern ergehen und der Steuerpflichtige diesen nicht
entspricht, das FA befugt ist, für die die jeweiligen
(einzelnen) Prüfungsfelder betreffenden Verstöße
ein gesondertes Verzögerungsgeld auszusprechen, oder ob es
hierzu weiterer Voraussetzungen - wie z.B. der zeitlichen
Staffelung der Mitwirkungsaufforderungen - bedarf. Im Streitfall
kommt es hierauf nicht an, da selbst dann, wenn man im Falle des
Verstoßes gegen mehrere Mitwirkungspflichten die
gleichzeitige Festsetzung je eines Verzögerungsgelds für
grundsätzlich zulässig erachten würde, der
angefochtene Bescheid - wie vom FG im Ergebnis zu Recht erkannt -
aufzuheben wäre.
|
|
|
16
|
a) Die Festsetzung des Verzögerungsgelds
erfordert nach § 146 Abs. 2b AO neben den zwingenden
tatbestandlichen Voraussetzungen (z.B. Nichterfüllung der
Mitwirkungspflicht gemäß § 200 Abs. 1 AO) eine
zweifache Ermessensentscheidung der Behörde, nämlich
erstens im Hinblick darauf, ob im jeweiligen Einzelfall ein
Verzögerungsgeld festgesetzt wird (sog.
Entschließungsermessen), sowie zweitens - falls das
Entschließungsermessen zu Lasten des Steuerpflichtigen
ausgeübt wird - eine Entscheidung über die Höhe der
Sanktion innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von
mindestens 2.500 EUR bis höchstens 250.000 EUR (sog.
Auswahlermessen; vgl. insgesamt BFH-Beschlüsse in BFHE 233,
317, BStBl II 2011, 855 = SIS 11 23 95; in BFH/NV 2011, 1833 = SIS 11 32 93). Diese zweistufige Ermessensprüfung entspricht auch
dem Willen des Gesetzgebers: Während der Gesetzentwurf der
Bundesregierung - zur Wahrung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. dazu
nachfolgend zu II.3.a bb) - einen behördlichen
Ermessensspielraum nur im Hinblick auf die Höhe des
Verzögerungsgelds eröffnen wollte (vgl. BTDrucks
16/10189, S. 26, 81), ist der letzte Halbsatz des § 146 Abs.
2b AO - auf Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestags
(BTDrucks 16/11055, S. 81) mit dem ausdrücklichen Ziel
geändert worden („kann ... festgesetzt
werden“), ein „Entschließungsermessen
einzufügen“ (BTDrucks 16/11108, S. 47).
|
|
|
17
|
aa) Der Ermessenscharakter des § 146 Abs.
2b AO hat allgemein zur Folge, dass die Finanzgerichte die
Festsetzung des Verzögerungsgelds nur eingeschränkt
überprüfen können. Sind die tatbestandlichen
Voraussetzungen der Bestimmung gegeben und hat das FA den für
die Ermessensausübung maßgeblichen Sachverhalt
vollständig ermittelt sowie seine Entscheidung hinreichend
begründet (§ 121 AO, ggf. i.V.m. § 126 AO; vgl. auch
§ 102 Satz 2 FGO), ist der gerichtlichen Kontrolle die Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
(Einspruchsentscheidung) zugrunde zu legen. Des Weiteren ist die
Prüfung nach § 102 Satz 1 FGO darauf beschränkt, ob
die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden
sind (sog. Ermessensüberschreitung), ob das FA von seinem
Ermessen in einer dem Zweck der (Ermessens-)Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (sog. Ermessensfehlgebrauch)
oder ein ihm zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hat (sog.
Ermessensunterschreitung) oder ob die Behörde die
verfassungsrechtlichen Schranken der Ermessensbetätigung,
insbesondere also den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
missachtet hat (vgl. zu allem Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 102 FGO Rz 61 ff.,
Rz 86 ff., Rz 94 ff., jeweils mit umfangreichen Nachweisen).
|
|
|
18
|
bb) Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, nach dem das eingesetzte
Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht nur
erforderlich und geeignet, sondern hierzu auch in einem
angemessenen, d.h. für den Betroffenen zumutbaren
Verhältnis stehen muss (vgl. Wernsmann in HHSp, § 5 AO Rz
169), genießt Verfassungsrang und ist deshalb stets auch bei
der Auslegung und Anwendung von Normen des einfachen Rechts -
mithin auch bei der Ermessensausübung durch die
Finanzämter - zu beachten (vgl. Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 9.11.1976 2 BvL 1/76, BVerfGE 43,
101, 106). Hiermit übereinstimmend hat auch der Gesetzgeber
durch die Ausgestaltung des § 146 Abs. 2b AO als
Ermessensvorschrift eine dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende
Handhabung der Vorschrift durch die Finanzbehörden
„gewährleisten“ wollen (BTDrucks 16/10189,
S. 81).
|
|
|
19
|
aaa) Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass
das FA die Höhe des Verzögerungsgelds, dessen Zweck nach
herrschender Meinung nicht nur darin zu sehen ist, den
Steuerpflichtigen zur zeitnahen Erfüllung seiner
Mitwirkungspflichten anzuhalten (BTDrucks 16/10189, S. 81), sondern
auch die Verletzung der Mitwirkungspflichten zu sanktionieren (vgl.
z.B. Klein/Rätke, a.a.O., § 146 Rz 25, m.w.N.; kritisch
Drüen in Tipke/Kruse, § 146 AO Rz 48), insbesondere an
der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem
Ausmaß der Pflichtverletzung/en sowie der
Beeinträchtigung der Außenprüfung auszurichten hat
(vgl. auch BMF-Schreiben vom 28.9.2011, a.a.O.).
|
|
|
20
|
bbb) Da aber das Verzögerungsgeld in
Höhe von mindestens 2.500 EUR festzusetzen ist und es sich
hierbei nicht um einen Bagatellbetrag handelt, müssen die
nämlichen Merkmale auch bei der Ausübung des sog.
Entschließungsermessens, d.h. bei der Entscheidung der
Finanzbehörden darüber zum Tragen kommen, ob
gegenüber dem Steuerpflichtigen ein Verzögerungsgeld
festgesetzt wird. Maßstab auch dieser Ermessensentscheidung
des FA sowie nachvollziehbarer Gegenstand ihrer Begründung
(§ 121 AO) muss deshalb sein, ob die Festsetzung eines
Verzögerungsgelds in Höhe der Sanktionsmindestgrenze
(2.500 EUR) mit Rücksicht auf die Umstände der zu
beurteilenden Pflichtverletzung/en sowie das Ausmaß der
Beeinträchtigung der Prüfung angemessen ist. Demnach ist
es ausgeschlossen, im Rahmen des Entschließungsermessens von
einer Vorprägung auszugehen, wonach jede Verletzung der
Mitwirkungspflichten (§ 200 Abs. 1 AO) - unabhängig
davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft -
grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds
führt; erforderlich ist vielmehr auch insoweit eine an der
Sanktionsuntergrenze (2.500 EUR) auszurichtende Würdigung des
Einzelfalls. Nur diese Beurteilung stellt sicher, dass die
Festsetzung des Verzögerungsgelds durchgängig den
verfassungsrechtlichen Vorgaben des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entspricht
(überwiegende Meinung; z.B. Klein/Rätke, a.a.O., §
146 Rz 30; Kuhfus in: Kühn/v.Wedelstädt, 20. Aufl., AO,
§ 146 AO Rz 14g; Dißars in Schwarz, AO, § 146 Rz
49; Göttker in juris Lexikon Steuerrecht,
Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO, Rz 16 ff.;
Drüen, Die Unternehmensbesteuerung 2011, 83, 87 f.;
Hopp/Bruns, DStR 2012, 1485, 1487; FG Schleswig-Holstein, Beschluss
vom 3.2.2010 3 V 243/09, EFG 2010, 686 = SIS 10 07 58; FG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.2.2012 3 V 3006/12, EFG 2012,
1225 = SIS 12 12 46; a.A. insoweit BMF-Schreiben vom 28.9.2011,
a.a.O., zu Frage 6; Gebbers, Die steuerliche Betriebsprüfung -
StBp - 2009, 162, 167; derselbe, StBp 2009, 196; Geißler,
Neue Wirtschafts-Briefe 2009, 4076, 4080).
|
|
|
21
|
ccc) Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert damit
zugleich, dass der Gegenstand des Entschließungsermessens mit
demjenigen des Auswahlermessens übereinstimmt. Er ist demnach
verletzt, wenn die Entscheidung, ob es überhaupt angemessen
ist, ein Verzögerungsgeld in Höhe von mindestens 2.500
EUR auszusprechen (Entschließungsermessen), aus der Summe
(d.h. dem Bündel) der Pflichtverletzungen abgeleitet wird, bei
der hieran anschließenden Ermessenentscheidung dazu, ob es -
im nämlichen Fall - angemessen und zumutbar ist, den
Mindestsatz zu überschreiten (Auswahlermessen), das FA
hingegen auf die einzelne Pflichtverletzung abstellt und diese
jeweils - ohne weitere die Gesamtheit der Verstöße
betreffende Erwägungen - in Höhe von 2.500 EUR
(Mindestsatz) sanktioniert. Letzteres kann zur Wahrung des
verfassungsrechtlichen Gebots der
Verhältnismäßigkeit nur dann in Betracht kommen,
wenn das FA im Rahmen der Ausübung seines
Entschließungsermessens zu dem nachvollziehbaren und
begründeten Ergebnis gekommen ist, dass jede einzelne der in
Frage stehenden Mitwirkungspflichten - für sich genommen - die
Belastung des Steuerpflichtigen mit einem Verzögerungsgeld in
Höhe von mindestens 2.500 EUR rechtfertigt.
|
|
|
22
|
b) Demnach kann im Streitfall die Festsetzung
des Verzögerungsgelds gegenüber der Klägerin keinen
Bestand haben. Dabei kann unentschieden bleiben, ob - was dem Senat
naheliegend erscheint - der Bescheid vom 31.5.2010 (in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 30.7.2010) auf die Festsetzung nur eines
Verzögerungsgelds gerichtet ist, dessen Höhe (5.000 EUR)
aus der Verdoppelung des Mindestsatzes abgeleitet wurde (Variante
1), oder ob die Einspruchsentscheidung dahin zu verstehen sein
könnte, dass gegenüber der Klägerin in
zusammengefasster Form sowohl für die Nichtvorlage der
Nachweise zur Rückstellung „management
creativ“ als auch angesichts der fehlenden
Erläuterungen und Nachweise bezüglich der
„Management Fee“ jeweils ein
Verzögerungsgeld in Höhe von 2.500 EUR ausgesprochen
worden ist (Variante 2).
|
|
|
23
|
Der von der Klägerin angefochtene
Bescheid ist ungeachtet dieses Auslegungsspielraums zum einen
bereits deshalb ermessensfehlerhaft, weil das FA der Ausübung
seines Entschließungsermessens (Entscheidung über die
Festsetzung eines Verzögerungsgelds) die Nichtvorlage der
angeforderten prüfungsrelevanten Unterlagen und
Erläuterungen und damit eine zusammenfassende Würdigung
aller Pflichtverletzungen der Klägerin zugrunde gelegt hat,
und es hiernach gemäß den vorstehenden
Erläuterungen ausgeschlossen ist, diesen
Beurteilungsgegenstand im Rahmen des Auswahlermessens
aufzulösen, d.h. für jede einzelne Verletzung der
Mitwirkungspflichten ein Verzögerungsgeld in Höhe von
2.500 EUR anzusetzen (Auslegungsvariante 1) oder festzusetzen
(Auslegungsvariante 2). Zum anderen kann der Bescheid auch deshalb
keinen Bestand haben, weil auch Ermessensentscheidungen zu
begründen sind (§ 121 AO; Lange in HHSp, § 102 FGO
Rz 89) und sich weder der Einspruchsentscheidung noch dem Bescheid
vom 31.5.2010 mit der gebotenen Sicherheit entnehmen lässt,
dass das FA sein Entschließungsermessen über die
Festsetzung des Verzögerungsgelds mit Rücksicht auf die
Sanktionsuntergrenze von 2.500 EUR ausgeübt hat. Vielmehr legt
die Einspruchsentscheidung die Vermutung nahe, dass die
Behörde - im Einklang mit der Verwaltungspraxis (vgl.
BMF-Schreiben vom 28.9.2011, a.a.O., dort zu Frage 6) - von einer
verschuldensunabhängigen Vorprägung ihrer
Ermessensbefugnis in dem Sinne ausgegangen ist, dass die Verletzung
der Mitwirkungsverpflichtungen grundsätzlich die Sanktion des
Verzögerungsgelds trage. Ein solches Verständnis ist
jedoch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht
vereinbar.
|
|
|
24
|
4. Da die gerichtliche Kontrolle darauf
beschränkt ist, die Ermessensentscheidung des FA in den
aufgezeigten Grenzen zu überprüfen und dem Senat hiernach
auch nicht die Befugnis zusteht, sein eigenes Ermessen an die
Stelle der Verwaltungsbehörde zu setzen (vgl. z.B. BFH-Urteile
vom 13.1.2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460 = SIS 05 17 27; vom 14.3.2012 XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493 = SIS 12 21 93,
jeweils m.w.N.), war der angefochtene Bescheid ungeachtet dessen
aufzuheben, ob im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung
die Festsetzung eines Verzögerungsgelds - sei es in Höhe
von 5.000 EUR, sei es mit einem geringeren Betrag - hätte
gerechtfertigt sein können.
|