1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin
ihres 2007 verstorbenen Ehemanns (E). E hatte im Streitjahr (2000)
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. In ihrer
am 22.10.2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA
- ) eingereichten Einkommensteuererklärung für das
Streitjahr machten die Eheleute Unterhaltsaufwendungen für
ihren Sohn (S) als außergewöhnliche Belastungen geltend.
Aus der Erklärung ergab sich, dass S als Student in Frankreich
lebte und dort einen gemeinsamen Haushalt mit Ehefrau und zwei
Kindern unterhielt. Die Klägerin und E teilten die eigenen
Einkünfte des S, die sich im Streitjahr tatsächlich auf
31.047 DM beliefen, durch vier und gaben sie nur in Höhe von
7.762 DM an. Darüber hinaus gaben sie in der Anlage N der
Steuererklärung die von E im Streitjahr bezogenen und auf der
Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesenen pauschalbesteuerten
Arbeitgeberleistungen für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte in Höhe von 7.020 DM nicht an.
|
|
|
2
|
In dem am 24.10.2001 vom zuständigen
Sachbearbeiter freigegebenen Einkommensteuerbescheid vom 7.11.2001
berücksichtigte das FA die Unterhaltsaufwendungen für S
in Höhe von 6.938 DM als außergewöhnliche
Belastungen. Das FA ging dabei von eigenen Einkünften des S in
Höhe von 7.762 DM aus. Im Bereich der Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit ließ es die erwähnten
Arbeitgeberleistungen unberücksichtigt.
|
|
|
3
|
S hatte seine Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr am 9.10.2001 beim FA abgegeben. Er war vom
selben Sachbearbeiter bereits mit Bescheid vom 29.10.2001 veranlagt
worden, nachdem dieser am 12.10.2001 die abschließende
Zeichnung vorgenommen hatte. Der Gesamtbetrag der Einkünfte
belief sich auf 31.047 DM.
|
|
|
4
|
Das FA änderte den Bescheid vom
7.11.2001 am 19.12.2002 gemäß § 129 der
Abgabenordnung (AO) und § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Es
berücksichtigte die Arbeitgeberleistungen für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und kürzte die
Werbungskosten des E bei seinen Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit entsprechend. Darüber hinaus
ließ das FA in diesem Bescheid wegen der Höhe der
Einkünfte des S die Unterhaltsaufwendungen nicht mehr zum
Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu.
|
|
|
5
|
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet
zurück. Allerdings berücksichtigte das FA im während
des Klageverfahrens gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO geänderten Bescheid vom 2.7.2009 die Unterhaltskosten als
außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 3.920
DM.
|
|
|
6
|
Das FG vertrat die Auffassung, das FA habe
die Änderung des Bescheids zu Recht auf § 173 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 AO hinsichtlich der außergewöhnlichen
Belastungen und auf § 129 AO bezüglich der Werbungskosten
gestützt.
|
|
|
7
|
Der Sachbearbeiter des FA habe erst im
Verfahren betreffend die Änderung des ursprünglichen
Steuerbescheids Kenntnis davon erlangt, dass S über
höhere zu berücksichtigende Einkünfte verfügt
habe. Aus dem Vortrag der Beteiligten und aus den Akten folge
nichts Gegenteiliges. Der vom FA vorgetragene und mit dem
Akteninhalt übereinstimmende Geschehensablauf spreche
dafür, dass erst im Zuge der Überprüfung, wie der
pauschalbesteuerte Aufwendungsersatz für beruflich veranlasste
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in den Vorjahren
behandelt worden sei, der neue Sachbearbeiter auch die
Einkünfte des S überprüft habe.
|
|
|
8
|
Dem FA könne die Kenntnis des
(früheren) Sachbearbeiters aus den Akten des S für den
Steuerfall der Klägerin nicht zugerechnet werden. Zwar seien
der zuständigen Dienststelle des FA der Inhalt der dort
geführten Akten sowie die dem zuständigen Sachbearbeiter
für seine Arbeit zugänglichen Dateien bzw. elektronischen
Akten zuzurechnen, ohne dass es auf dessen individuelle Kenntnis im
Einzelfall ankomme. Dabei komme es jedoch nur auf die denselben
Steuerfall, d.h. die dasselbe Steuersubjekt betreffenden Akten an.
Eine Tatsache sei nicht bekannt, wenn der Bearbeiter von ihr im
Zusammenhang mit der Bearbeitung eines anderen Steuerfalls Kenntnis
erlangt habe, weil dies die Anforderungen an das
Erinnerungsvermögen der innerhalb des FA zuständigen
Personen überspanne. Dem Sachbearbeiter müsse und
könne der Inhalt sämtlicher in seinem Veranlagungsbezirk
geführten Akten nicht bei der Bearbeitung einer jeden
Steuerfestsetzung bekannt sein.
|
|
|
9
|
Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht
könne dem FA nicht entgegengehalten werden. Für den
Sachbearbeiter des FA habe keine besondere Veranlassung bestanden,
bei der Veranlagung der Klägerin und des E die Steuerakten des
S beizuziehen, um die Akten zu überprüfen. Die Angaben zu
den Unterhaltsaufwendungen seien aus sich heraus nachvollziehbar
gewesen, so dass eine besondere Überprüfung nicht
angezeigt gewesen sei.
|
|
|
10
|
Die Voraussetzungen des § 129 AO
lägen vor. Bei der erstmaligen Veranlagung habe der
Sachbearbeiter offenkundig die pauschalversteuerten
Arbeitgeberleistungen übersehen, obwohl diese aus der der
Steuererklärung beigefügten Lohnsteuerkarte ohne weiteres
ersichtlich gewesen seien. Es sei aber nicht ersichtlich, dass der
Sachbearbeiter den Fahrtkostenersatz aufgrund eines Tatsachen- oder
Rechtsirrtums unberücksichtigt gelassen habe. Für einen
Tatsachen- oder Rechtsirrtum bestehe nicht der geringste
vernünftige Grund. Im Gegenteil: Die offenbare Unrichtigkeit
sei so offenkundig, dass sie jeglichen begründeten Zweifel
hieran ausschließe.
|
|
|
11
|
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt die Klägerin die Verletzung materiellen
Rechts.
|
|
|
12
|
Sie beantragt, das angefochtene Urteil, den
geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 19.12.2002 und die
Einspruchsentscheidung aufzuheben.
|
|
|
13
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
14
|
II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FA durfte zwar den
bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid wegen des
ursprünglich nicht berücksichtigten Aufwendungsersatzes
gemäß § 129 AO ändern. Zur Frage, ob das FA
auch berechtigt war, denselben Bescheid im Hinblick auf die
Berücksichtigung von Unterhaltskosten als
außergewöhnliche Belastungen gemäß § 173
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu berichtigen, fehlt es jedoch an
ausreichenden Feststellungen.
|
|
|
15
|
1. Soweit das FA im angefochtenen Bescheid bei
den Einkünften des Klägers die Werbungskosten
gekürzt hat, ergibt sich die Änderungsbefugnis aus §
129 AO. Die Würdigung des FG, dem FA sei insoweit beim Erlass
des ursprünglichen Bescheids ein die Berichtigung
ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum nicht
unterlaufen, hält einer revisionsrechtlichen
Überprüfung stand.
|
|
|
16
|
a) Nach § 129 AO können
Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare
Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen
sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten i.S.
des § 129 AO sind mechanische Versehen, wie beispielsweise
Eingabe- und Übertragungsfehler. Nicht erfasst sind hingegen
Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm,
unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffende Annahme eines
in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die
auf mangelnder Sachaufklärung bzw. der Nichtbeachtung
feststehender Tatsachen beruhen. Nach § 129 AO zu
berichtigende Fehler müssen auf einem
„Versehen“ beruhen; hingegen dürfen sie
nicht auf die unzulängliche Erfassung oder rechtliche
Würdigung eines Sachverhalts zurückzuführen
sein.
|
|
|
17
|
Besteht die Möglichkeit, dass der Fehler
auf Mängel bei der Ermittlung oder Würdigung des
Sachverhalts zurückgeht, kommt eine Berichtigung nach §
129 AO nicht in Betracht. Diese Möglichkeit darf allerdings
nicht nur theoretischer Natur sein. Vielmehr muss sie sich durch
vom Gericht festgestellte Tatsachen belegen lassen. Deuten die
Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin
und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf
rechtliche oder tatsächliche Erwägungen
zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden.
|
|
|
18
|
Mechanische Versehen können auch
Übertragungsfehler sein. Eine offenbare Unrichtigkeit kann
daher auch vorliegen, wenn der Veranlagungsbeamte den
Eingabewertbogen falsch ausfüllt oder Daten versehentlich
nicht in ein Computerprogramm eingibt. Ob ein mechanisches
Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die
Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen-
oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des
Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt
werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die
der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem
Umfang unterliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1.7.2010
IV R 56/07, BFH/NV 2010, 2004 = SIS 10 31 88, m.w.N.;
Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 11. Aufl., § 129 Rz 4).
|
|
|
19
|
Ein Fehler ist dann
„offenbar“ i.S. des § 129 AO, wenn er auf
der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist.
Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die
Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden
Unterlagen erkennen konnte. Maßgebend ist, ob der Fehler bei
Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen
Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist
(Senatsentscheidung vom 8.12.2011 VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694 =
SIS 12 10 01).
|
|
|
20
|
b) Im Streitfall hat das FG die
Nichtberücksichtigung der Arbeitgeberleistungen als Folge
eines versehentlichen Erfassungsfehlers im Wesentlichen mit der
Begründung angenommen, für einen Tatsachen- oder
Rechtsirrtum bestehe „nicht der geringste vernünftige
Grund“. Für das FG war offensichtlich
maßgeblich, dass sich nach Aktenlage ein Hinweis auf einen
solchen, die Berichtigung ausschließenden Irrtum nicht
belegen lässt. Vor diesem Hintergrund ist die
Schlussfolgerung, die Nichtberücksichtigung der
Arbeitgeberleistungen sei ein offen zutage liegender Umstand, noch
nachvollziehbar. Ohne eine entsprechende Kenntlichmachung in den
Akten kann nicht davon ausgegangen werden, der Bearbeiter
hätte den Ansatz bewusst außer Betracht lassen
wollen.
|
|
|
21
|
2. Anhand der Feststellungen des FG kann
jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob das FA den
angefochtenen Bescheid wegen neuer Tatsachen ändern
durfte.
|
|
|
22
|
a) Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern,
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt
werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die
Änderung eines Bescheids ist nach Treu und Glauben
ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene
Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner
Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings
muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht
erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das
FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in
der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge,
dass der Steuerbescheid geändert werden kann (ständige
Rechtsprechung des BFH, s. etwa Urteil vom 28.6.2006 XI R 58/05,
BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835 = SIS 06 37 73;
Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 80 ff.)
|
|
|
23
|
b) Nachträglich werden Tatsachen oder
Beweismittel bekannt, wenn deren Kenntnis nach dem Zeitpunkt
erlangt wird, in dem die Willensbildung über die
Steuerfestsetzung abgeschlossen ist.
|
|
|
24
|
Nach der Rechtsprechung des BFH kommt es dabei
nicht auf die Kenntnis der „Finanzbehörde“
als solche, sondern auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des
Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle an (a.A. Loose
in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173
AO Rz 31).
|
|
|
25
|
Dabei ist allerdings dieser Stelle
grundsätzlich das bekannt, was sich aus den bei ihr
geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle
Kenntnis des Bearbeiters ankommt (BFH-Urteil vom 28.4.1998 IX R
49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458 = SIS 98 16 74; kritisch
zur Rechtsprechung von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler -
HHSp -, § 173 AO Rz 183 ff.). Zu den Akten gehören alle
Schriftstücke, die bei der Dienststelle vorliegen oder sie im
Dienstgang erreichen. Bekannt sind der zuständigen
Dienststelle in diesem Sinn auch sämtliche Informationen, die
dem Bearbeiter von vorgesetzten Dienststellen zur Verfügung
gestellt werden (Senatsentscheidung vom 13.1.2011 VI R 61/09, BFHE
232, 5, BStBl II 2011, 479 = SIS 11 06 54). Ist dem Bearbeiter der
zuständigen Dienststelle im Zeitpunkt der Veranlagung der
Inhalt der Akten nach diesen Grundsätzen bekannt, so
können die hier aufgeführten Tatsachen nicht mehr
nachträglich bekannt werden und damit auch nicht mehr
Grundlage für die Änderung eines bestandskräftigen
Bescheids gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein
(BFH-Urteile vom 20.6.1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II
1985, 492 = SIS 85 18 44; vom 5.11.1970 V R 71/67, BFHE 101, 156,
BStBl II 1971, 220 = SIS 71 01 27).
|
|
|
26
|
Ergibt sich die Tatsache oder das Beweismittel
nicht aus den Akten, kommt es auf die Kenntnis derjenigen Person
oder Stelle innerhalb der Finanzbehörde an, die für die
Bearbeitung des Streitfalls organisationsmäßig berufen
war (BFH-Urteil in BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458 = SIS 98 16 74). Zu diesen Personen zählen regelmäßig der
Sachbearbeiter, der Sachgebietsleiter und der Vorsteher (BFH-Urteil
vom 14.11.2007 XI R 48/06, BFH/NV 2008, 367 = SIS 08 11 23).
Bekannt sind diejenigen Tatsachen und Beweismittel, die der
zuständige Finanzbeamte in Ausübung seines Amtes erlangt.
Rein privates Wissen des Beamten ist demgegenüber der
Finanzbehörde nicht zuzurechnen (BFH-Urteil in BFHE 185, 370,
BStBl II 1998, 458 = SIS 98 16 74).
|
|
|
27
|
c) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu
Recht die Auffassung vertreten, dass dem FA nur der Inhalt der
Akten als bekannt gelten kann, die in der zuständigen
Dienststelle für den zu veranlagenden Steuerpflichtigen
geführt werden (BFH-Urteil in BFHE 101, 156, BStBl II 1971,
220 = SIS 71 01 27; Urteil des FG Köln vom 13.3.2003 6 K
5158/99, EFG 2003, 1060 = SIS 03 31 27; von Groll in HHSp, §
173 AO Rz 188; Frotscher in Schwarz, AO, § 173 Rz 123; von
Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 173 Rz 56.4 unter
Bezugnahme auf ein Urteil des FG Düsseldorf vom 31.10.1991 14
K 185/87 E; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 65).
Tatsachen, die sich aus den Akten anderer Steuerpflichtiger
ergeben, gelten auch dann nicht als bekannt, wenn für deren
Bearbeitung dieselbe Person zuständig ist. Denn
maßgeblich ist grundsätzlich die tatsächliche
Kenntnis der Finanzbehörde, nicht das Kennenkönnen oder
Kennenmüssen. Soweit die Rechtsprechung aktenkundige Tatsachen
stets als bekannt voraussetzt, handelt es sich um eine wesentliche
Einschränkung und Ausnahme vom Grundsatz der subjektiven
Gegebenheiten. Der Ausnahmecharakter gebietet die Beschränkung
auf zugängliche (s. dazu von Groll in HHSp, § 173 AO Rz
190) und den Steuerpflichtigen unmittelbar betreffende Akten.
|
|
|
28
|
d) Der Streitfall ist gleichwohl nicht
spruchreif. Denn das FG hat nicht aufgeklärt, ob der für
die Veranlagung der Klägerin und des S zuständige
Sachbearbeiter in sonstiger Weise im maßgeblichen Zeitpunkt
positive Kenntnis von der Höhe der Einkünfte des S hatte
(s. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 367 = SIS 08 11 23). Hierzu
bestand deshalb Anlass, weil der für die Klägerin und E
zuständige Sachbearbeiter nur wenige Tage zuvor den S
veranlagt hat. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ihm
die hieraus bekannt gewordene Höhe der Einkünfte des S
noch im Gedächtnis war oder ihm die Bruchstücke seiner
Erinnerung jedenfalls Anlass gaben, die Steuerakten des S
beizuziehen. Denn der zuständige Bearbeiter muss sich
jedenfalls das Wissen aus einem anderen steuerlichen Verfahren dann
zurechnen lassen, wenn zur Hinzuziehung des entsprechenden Vorgangs
nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt
der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten
Akten, eine besondere Veranlassung bestand mit der Folge, dass das
Unterlassen der Beiziehung eine Verletzung der Ermittlungspflicht
nach sich zöge (BFH-Urteil vom 13.7.1990 VI R 109/86, BFHE
161, 11, BStBl II 1990, 1047 = SIS 90 19 50).
|
|
|
29
|
Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang
aufklären müssen, ob der zuständige Sachbearbeiter
im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund
der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S
positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur
Klägerin sowie von dessen Einkünften im Streitjahr
besaß. Kann der Sachverhalt nicht (mehr) aufgeklärt
werden, ist nach den Regeln der Beweislast zu entscheiden (s. dazu
Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO Rz 53, m.w.N.).
|