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Die Klägerin wies in der Rechnung
keine Umsatzsteuer aus. Das Ladenlokal vermietete sie ab 1.8.1996
auf unbestimmte Zeit an die GmbH. Der Mietvertrag konnte
gemäß der gesetzlichen Kündigungsfrist von jeder
Partei spätestens am dritten Werktag eines
Kalendervierteljahres zum Ablauf des folgenden
Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die GmbH führte
das Sportgeschäft fort und gab es zum 31.5.1998 auf.
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Die Klägerin behandelte die
Veräußerung des Warenbestands und der Ladeneinrichtung
als eine nach § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbare
Geschäftsveräußerung im Ganzen und gab die
Erlöse daraus nicht in ihrer Umsatzsteuererklärung
für das Jahr 1996 an. Der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA - ) vertrat dagegen die Auffassung, dass die
Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im
Ganzen nicht vorgelegen hätten, weil das Grundstück als
wesentliche Geschäftsgrundlage nicht mitveräußert
worden sei. Das FA setzte zuletzt mit Änderungsbescheid vom
24.7.2001 die Umsatzsteuer für 1996 auf ... DM fest.
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Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) war der Auffassung, dass die Übertragung des
Warenbestands und der Ladeneinrichtung nicht steuerbar sei. Die
Gesamtwürdigung der Umstände führe im Streitfall zum
Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.
von § 1 Abs. 1a UStG. Der zwischen der Klägerin und der
GmbH abgeschlossene Mietvertrag habe eine dauerhafte
Unternehmensfortführung ermöglicht. Die GmbH habe das
Unternehmen auch tatsächlich als organische Einheit dauerhaft
fortgeführt.
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Mit seiner Revision hat das FA im
Wesentlichen geltend gemacht, der Warenbestand und die
Ladeneinrichtung stellten für sich allein kein hinreichendes
Ganzes dar, um ein Einzelhandelsgeschäft betreiben zu
können. Ohne Ladenlokal sei der Betrieb eines
Einzelhandelsgeschäfts in der Regel nicht möglich. Eine
dauerhafte Fortführung des Unternehmens sei bei einem
Mietvertrag mit gesetzlicher Kündigungsfrist nicht
gewährleistet.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 14.7.2010
XI R 27/08 (BFHE 230, 480, BStBl II 2010, 1117 = SIS 10 27 00) das
Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
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„1. Liegt eine
‘Übertragung’ eines Gesamtvermögens i.S. von
Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG vor, wenn ein Unternehmer
den Warenbestand und die Geschäftsausstattung seines
Einzelhandelsgeschäfts an einen Erwerber übereignet und
ihm das in seinem Eigentum stehende Ladenlokal lediglich
vermietet?
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2. Kommt es dabei darauf an, ob das
Ladenlokal durch einen auf lange Dauer abgeschlossenen Mietvertrag
zur Nutzung überlassen wurde oder ob der Mietvertrag auf
unbestimmte Zeit läuft und von beiden Parteien kurzfristig
kündbar ist?“
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Der EuGH hat diese Fragen mit Urteil vom
10.11.2011 C-444/10 - Schriever - (UR 2011, 937 = SIS 11 39 84) wie
folgt beantwortet:
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„Art. 5 Abs. 8 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:
einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin
auszulegen, dass die Übereignung des Warenbestands und der
Geschäftsausstattung eines Einzelhandelsgeschäfts unter
gleichzeitiger Vermietung des Ladenlokals an den Erwerber auf
unbestimmte Zeit, allerdings aufgrund eines von beiden Parteien
kurzfristig kündbaren Vertrags, eine Übertragung eines
Gesamt- oder Teilvermögens im Sinne dieser Bestimmung
darstellt, sofern die übertragenen Sachen hinreichen, damit
der Erwerber eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit
dauerhaft fortführen kann.“
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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Die Beteiligten haben sich zu dem
EuGH-Urteil nicht geäußert und ihr Einverständnis
mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
erklärt.
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II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat im Ergebnis zu Recht
entschieden, dass im Streitfall eine nicht steuerbare
Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG
vorliegt.
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1. Nach § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG
unterliegen die Umsätze im Rahmen einer
Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer
für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Eine
Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein
Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert
geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich
übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (§
1 Abs. 1a Satz 2 UStG). Der erwerbende Unternehmer tritt an die
Stelle des Veräußerers (§ 1 Abs. 1a Satz 3
UStG).
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2. Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich
auf Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG)
- nunmehr Art. 19 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -
(Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 347/1). Danach
können die Mitgliedstaaten die Übertragung des
Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich
oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft
erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen
vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als
Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.
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3. Nach der im Streitfall ergangenen
Entscheidung des EuGH (Urteil in UR 2011, 937 = SIS 11 39 84) muss,
damit eine Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines
selbständigen Unternehmensteils i.S. von Art. 5 Abs. 8 der
Richtlinie 77/388/EWG festgestellt werden kann, die Gesamtheit der
übertragenen Bestandteile hinreichen, um die Fortführung
einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu
ermöglichen (Rz 25). Weiter ist für die Anwendung von
Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG erforderlich, dass der
Erwerber beabsichtigt, den übertragenen Geschäftsbetrieb
oder Unternehmensteil weiterzuführen und nicht nur die
betreffende Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln und
gegebenenfalls den Warenbestand zu verkaufen (Rz 37).
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Bezogen auf den Streitfall führt der EuGH
aus:
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Aus den beim Gerichtshof eingereichten
Unterlagen geht hervor, dass im Ausgangsverfahren die
Übertragung des Warenbestands und der Ausstattung des
Sportartikelgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des
Geschäftslokals dem Erwerber erlaubt haben, die zuvor vom
Verkäufer ausgeübte selbständige wirtschaftliche
Tätigkeit fortzuführen. In diesem Zusammenhang steht
fest, dass diese Übertragung nicht als einfacher Verkauf eines
Warenbestands angesehen werden kann. Denn sowohl der Warenbestand
als auch die Geschäftsausstattung gehörten zur Gesamtheit
der übertragenen Sachen. Außerdem bestätigt der
Umstand, dass der Erwerber den Betrieb des Sportgeschäfts fast
zwei Jahre lang fortgeführt hat, dass er nicht beabsichtigte,
die betreffende Tätigkeit sofort abzuwickeln.
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Demnach stellte es im Ausgangsverfahren
kein Hindernis für die Fortführung der Tätigkeit des
Verkäufers durch den Erwerber dar, dass das
Geschäftslokal an den Erwerber nur vermietet und nicht
verkauft wurde.
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Schließlich wirft das vorlegende
Gericht die Frage auf, ob die Dauer des Mietvertrags und die
Bedingungen für seine Beendigung bei der Beurteilung, ob die
Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines
Unternehmensteils als Übertragung eines Gesamtvermögens
im Sinne von Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie angesehen werden
kann, zu berücksichtigen sind.
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Dazu ist festzustellen, dass Elemente wie
die Dauer des gewährten Mietvertrags und die für seine
Beendigung vereinbarten Bedingungen bei der Gesamtbeurteilung des
Vorgangs einer Vermögensübertragung im Sinne von Art. 5
Abs. 8 der Sechsten Richtlinie berücksichtigt werden
müssen, da sie Auswirkungen auf diese Beurteilung haben
können, falls sie ein Hindernis für die dauerhafte
Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit sein
können.
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Die Möglichkeit, einen Mietvertrag auf
unbestimmte Zeit kurzfristig zu kündigen, ist jedoch nicht als
solche für die Schlussfolgerung entscheidend, dass der
Erwerber beabsichtigte, den übertragenen Geschäftsbetrieb
oder Unternehmensteil sofort abzuwickeln. Demnach kann die
Anwendung von Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie nicht allein
aus diesem Grund abgelehnt werden.“
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4. Danach unterliegt die
streitgegenständliche Lieferung des Warenbestands und der
Ladeneinrichtung als Umsatz im Rahmen einer
Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG
nicht der Umsatzsteuer. Dieser Umsatz ermöglichte der GmbH
nach den Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) die
Fortführung des Geschäftsbetriebs. Anhaltspunkte
dafür, dass die GmbH die Absicht hatte, die
Geschäftstätigkeit sofort abzuwickeln, hat das FG nicht
festgestellt.
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