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A. Die Kläger, Revisionskläger
und Revisionsbeklagten (Kläger) haben 1984 zusammen mit R als
Miteigentümer das Grundstück E in K sowie 1988 das
Grundstück „Haus L“ in B erworben. Sie
gründeten für jedes Objekt eine GbR, bauten die Objekte
als Tagungshotels um und führten dort gegen Entgelt
verschiedenste Aus- und Fortbildungsmaßnahmen durch.
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Der Beklagte, Revisionsbeklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) stellte die
Einkünfte der beiden GbR jeweils einheitlich und gesondert
fest und veranlagte die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer.
Seit 1990 erwirtschaftete die L-GbR durchgehend Verluste. Dies
führte bei der Einkommensteuer der Kläger zu
Verlustvorträgen.
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Das Haus L wurde 1995 unter
Fortführung des Gewerbebetriebs verpachtet. Das Objekt E wurde
1996/1997 veräußert. Diese GbR wurde aufgelöst.
Nach Beendigung ihrer aktiven Tätigkeit in den beiden GbR
führten die Kläger Teile des Angebots im eigenen Namen
weiter. Mit den daraus erzielten Einnahmen aus selbständiger
und nichtselbständiger Arbeit sowie Gewinnen aus der
Auflösung der E-GbR wurde der Verlustvortrag verrechnet. Ende
1997 verblieb den Klägern ein Verlustvortrag in Höhe von
72.905 DM.
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1998 wurde die L-GbR aufgelöst und
1999 das Haus L zwangsversteigert. Die L-GbR war mit 2 Mio. DM
bilanziell überschuldet. Hauptgläubiger waren die
Volksbank R und die Eheleute C, die Erwerb und Umbau des Objekts
Haus L finanziert hatten. Von den 4 Mio. DM Verbindlichkeiten
konnten 1,4 Mio. DM durch den Versteigerungserlös getilgt
werden. Der Versteigerungserlös unterschritt den Buchwert des
Grundstücks (1,9 Mio. DM) deutlich. In der Folgezeit schlossen
die Kläger und R mit den beiden Hauptgläubigern der L-GbR
Vergleichsvereinbarungen. Danach sollten mit der Zahlung bestimmter
Beträge alle Ansprüche abgegolten sein. Im Ergebnis
wurden von den 4.044.473 DM Verbindlichkeiten 2.268.194 DM gezahlt
bzw. von anderen Gläubigern weiterhin kreditiert. Die
restlichen 1.776.279 DM haben die Gläubiger der L-GbR Anfang
2002 erlassen (§ 397 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
- BGB - ). Den Beteiligungsquoten an der L-GbR entsprechend
entfallen hiervon 15,5 % (= 275.323,25 DM) auf den Kläger und
35,5 % (= 630.579,29 DM) auf die Klägerin.
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Mit Schriftsätzen vom 9. November, 14.
und 30.12.2004 beantragten die Kläger, die Einkommensteuer
für die Streitjahre 1998 bis 2002 zu erlassen, soweit darin
ein Sanierungsgewinn enthalten sei. Das FA lehnte den Antrag
ab.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat
mit in EFG 2008, 1555 = SIS 08 33 93 veröffentlichtem Urteil
erkannt, die Ablehnung des FA, die Einkommensteuer 1998 zu
erlassen, sei rechtswidrig i.S. des § 102 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO). Für die Jahre 1999 bis 2002 habe
das FA ermessensfehlerfrei entschieden, dass die Voraussetzungen
eines Erlasses (§ 227 der Abgabenordnung - AO - ) wegen
sachlicher Unbilligkeit nicht gegeben seien.
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Mit ihrer Revision rügen die
Kläger Verletzung materiellen Rechts.
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Im erstinstanzlichen Verfahren sei auch
streitig gewesen, ob die Frage des Erlasses des Sanierungsgewinns
aus sachlichen Billigkeitsgründen im Rahmen der einheitlich
und gesonderten Gewinnfeststellung der L-GbR oder auf der Ebene der
Gesellschafter bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger
zu entscheiden sei. Das FG habe - aus Sicht der Kläger
zutreffend - erkannt, dass diese Frage im Streitfall zu klären
sei. Es habe die Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1998
abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Gegen das Urteil des FG
vom 24.4.2008 6 K 2489/06 (EFG 2009, 811 = SIS 09 14 18)
hätten die Kläger fristwahrend Nichtzulassungsbeschwerde
erhoben (IV B 86/08).
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Zutreffend sei das FG davon ausgegangen,
dass auch nach Abschaffung des § 3 Nr. 66 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. Billigkeitsmaßnahmen bei
unternehmerbezogenen Sanierungen ebenfalls erforderlich seien. Im
Übrigen liege im Streitfall nach den Begriffsbestimmungen der
ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine
unternehmer-, sondern eine unternehmensbezogene Sanierung vor.
Daher sei das FA schon aufgrund des Schreibens des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27.3.2003 IV A 6 - S 2140
- 8/03 (BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23) zum Erlass der auf dem
Sanierungsgewinn beruhenden Einkommensteuer der Kläger
verpflichtet. Der BFH gehe von einer unternehmerbezogenen Sanierung
aus, wenn sich der Schuldner ins Privatleben zurückziehe,
einen neuen Betrieb aufmache oder sich in ein unselbständiges
Angestelltenverhältnis begebe. All diese Voraussetzungen
würden auf die Kläger nicht zutreffen. Sie seien schon
vor dem Schuldenerlass, während der Sanierung und schon Jahre
vor der Sanierung neben ihrer Beteiligung an der L-GbR
einzelunternehmerisch tätig gewesen. Der Schuldenerlass habe
zum Erhalt der bereits bei Beginn der Sanierung vorhandenen
Unternehmen der Kläger beigetragen. Diese Begriffsbestimmung
sei vom BFH in jüngster Zeit (Senatsurteil vom 12.10.2005 X R
42/03, BFH/NV 2006, 715 = SIS 06 14 95) bestätigt
worden.
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Nicht unberücksichtigt bleiben
dürfe, dass der Kläger Berufsbetreuer nach §§
1896 ff. BGB sei und beide Kläger im Rahmen der
Insolvenzberatung und der außergerichtlichen
Schuldenbereinigung arbeiten würden. Entgegen der Behauptung
des FA sei es ihnen daher nicht möglich, eine
Restschuldbefreiung über ein Insolvenzverfahren zu erreichen,
ohne ihre berufliche Existenz zu verlieren. Im Übrigen
könnten nach dem BMF-Schreiben vom 22.12.2009 IV C 6 - S
2140/07/10001-01 (BStBl I 2010, 18 = SIS 10 00 07) auch
Sanierungsgewinne aus einer Restschuldbefreiung oder einer
Verbraucherinsolvenz erlassen werden. Rz 2 Satz 2 des
BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 sei nicht
anwendbar. Damit bestätige das BMF erstmals die Anwendbarkeit
des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 auf
unternehmerbezogene Sanierungen. Die Bevorzugung der Schuldner in
einem gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren gegenüber
denjenigen, die eine außergerichtliche Schuldenbereinigung
erreichen würden, wäre ein Verstoß gegen den
Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes - GG - ). Auch sei - wie
das FG zutreffend ausgeführt habe - kein sachlicher Grund
ersichtlich, die unternehmerbezogene Sanierung im Vergleich zur
unternehmensbezogenen Sanierung nicht zu begünstigen. Solle
nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 ein
Sanierungsgewinn begünstigt werden, soweit keine
Doppelbegünstigung durch die unbeschränkte
Verlustverrechnungsmöglichkeit und die gleichzeitige
Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns entstehe, müsse auch die
unternehmerbezogene Sanierung zu einem Billigkeitserlass
führen. Diese Auslegung entspreche zudem der Systematik des
Einkommensteuerrechts, wonach nicht der Betrieb, sondern die
natürliche Person Steuersubjekt sei.
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Dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 =
SIS 03 19 23 sei nicht zu entnehmen, dass Verluste und
Verlustvorträge zunächst mit dem ermäßigt
besteuerten Sanierungsgewinn und nicht vorrangig mit positiven
laufenden Einkünften zu verrechnen seien. Betrachte man die
Begründung der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. und
die Einführung von Billigkeitsmaßnahmen durch das
BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23, werde im
Gegenteil deutlich, dass nur Verlustvorträge oder laufende
Verluste, die nicht mit laufenden Einkünften verrechnet werden
könnten, gegen einen Sanierungsgewinn zu verrechnen seien.
§ 3 Nr. 66 EStG a.F. sei nach der Gesetzesbegründung
abgeschafft worden, weil zwischenzeitlich eine unbegrenzte
Verlustverrechnungsmöglichkeit bestanden habe. Deshalb setze
der Gesetzeszweck logisch und zwingend voraus, dass die
Verlustverrechnungsmöglichkeit, die sich vor Entstehen des
Sanierungsgewinns nur auf sonstige laufende Einkünfte des
Steuerpflichtigen beziehen könne, fortbestehen müsse. Das
FG habe daher den Verlustvortrag der Kläger in Höhe von
72.905 DM sowie die laufenden Verluste des Jahres 1998 zutreffend
mit den sonstigen laufenden Einkünften der Kläger
verrechnet.
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Zu Unrecht habe das FG den Anspruch der
Kläger auf Erlass der Einkommensteuer 1999 bis 2002 verneint.
Werde nicht der gesamte im Jahr 1998 erzielte Sanierungsgewinn in
vollem Umfang steuerfrei gestellt, wie es § 3 Nr. 66 EStG a.F.
bis 1997 vorgesehen habe, komme es zu einem Verstoß gegen das
Übermaßverbot und den Grundsatz der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit. Nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. seien
Sanierungsgewinne weder mit laufenden Verlusten noch mit
Verlustvorträgen zu verrechnen gewesen; vielmehr sei ein
Sanierungsgewinn bei der Ermittlung der Einkünfte
gänzlich unberücksichtigt geblieben. Der Sanierungsgewinn
der Klägerin in Höhe von 630.579 DM und des Klägers
in Höhe von 275.323 DM sei daher von dem im
Einkommensteuerbescheid 1998 enthaltenen
Veräußerungsgewinn abzuziehen. Einschließlich des
laufenden Verlustes führe dies zu negativen Einkünften
aus Gewerbebetrieb der Klägerin in Höhe von 526.466 DM
und des Klägers in Höhe von 229.866 DM. Der negative
Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres 1998 betrage 607.228 DM
und gemeinsam mit dem Verlustvortrag zum 31.12.1997 verbleibe zum
31.12.1998 ein Verlustvortrag in Höhe von 680.133 DM. Dieser
Verlustvortrag führe in den Jahren 1999 bis 2002 zu einer
Einkommensteuer von 0 DM.
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Im Übrigen hätten die Kläger
lange vor Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. die
Verfügungsbefugnis über das Gesellschaftsvermögen
der L-GbR verloren und Sanierungsverhandlungen mit den
Gläubigern aufgenommen. Auch wenn mit der nachträglichen
Verlängerung des zeitlichen Geltungsbereichs des § 3 Nr.
66 EStG a.F. auf das Jahr 1997 nicht mehr von einer echten
Rückwirkung auszugehen sei, liege doch im Streitfall eine
unzulässige unechte Rückwirkung vor. Das Vertrauen der
Kläger sei schutzwürdig, weil die
Sanierungsbemühungen vor der erstmaligen Veröffentlichung
der Pläne des Gesetzgebers zur Abschaffung des § 3 Nr. 66
EStG a.F. begonnen hätten (so auch Kanzler in
Hermann/Heuer/Raupach - HHR -, § 3 Nr. 66 EStG, Rz G 2, S. 3
unten, 191. Lieferung Januar 1998). Die L-GbR sei bereits 1995
überschuldet gewesen und die Gläubiger, die 2002 einen
Teil der Verbindlichkeiten erlassen haben, hätten bereits 1995
die Zwangsverwaltung und -versteigerung beantragt.
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Die Kläger beantragen, das FG-Urteil
insoweit aufzuheben, als es die Klage hinsichtlich des Erlasses der
Einkommensteuer 1999 bis 2002 abgewiesen hat und das FA zu
verpflichten, die Einkommensteuer der Kläger auch für
diese Jahre in voller Höhe zu erlassen, hilfsweise das FA zu
verpflichten, den Antrag auf Erlass der Einkommensteuer für
1999 bis 2002 aus sachlichen Billigkeitsgründen unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden sowie
die Revision des FA als unbegründet
zurückzuweisen.
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben,
soweit es das Streitjahr 1998 betrifft, und die Klage auch insoweit
abzuweisen sowie die Revision der Kläger
zurückzuweisen.
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Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung von §§ 5, 227 AO und §§ 101, 102
FGO. Im Streitfall sei von einer unternehmerbezogenen Sanierung
auszugehen. Nach der Entscheidung des BFH in BFH/NV 2006, 715 = SIS 06 14 95 liege eine solche vor, wenn u.a. dem Schuldner der Aufbau
einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger
Position ermöglicht werden soll. Die Fortführung eines
bereits bestehenden weiteren Betriebs des/der Schuldner sei nicht
anders zu beurteilen. Dies habe auch das FG zutreffend angenommen.
Zu Unrecht habe es auf die unternehmerbezogene Sanierung jedoch die
Kriterien des § 3 Nr. 66 EStG a.F. angewendet. Es habe
übersehen, dass § 227 AO der Finanzbehörde ein
Ermessen sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen einer Unbilligkeit
als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen einräume. Die
Ermessensentscheidung der Finanzbehörde sei nach § 102
FGO nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar. Für
Billigkeitsmaßnahmen anlässlich von
Sanierungsmaßnahmen habe die Finanzverwaltung im
BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 allgemeine
Grundsätze für die Ermessensausübung entwickelt.
Danach sei ein Erlass von Einkommensteuer nur bei einer
unternehmensbezogenen Sanierung möglich. Aus wirtschafts- und
sozialpolitischen Gründen solle die Sanierung eines lebenden
Betriebs erleichtert werden, weil eine Sanierung häufig nur
möglich sei, wenn dadurch keine neuen Verbindlichkeiten - auch
nicht durch Ertragsteuern - ausgelöst werden. Es solle
verhindert werden, dass wegen der Ertragsteuerbelastung von
vornherein kein Sanierungsplan zustande komme. Bei einer
unternehmerbezogenen Sanierung griffen wirtschafts- und
sozialpolitische Gesichtspunkte nicht. Der Unternehmer, der seinen
Betrieb einstellen und schuldenfrei in das Privatleben wechseln
wolle, habe die Möglichkeit, durch eine Insolvenz eine
Restschuldbefreiung zu erreichen. Daher bestehe bei der sog.
unternehmerbezogenen Sanierung kein Bedarf für
steuerrechtliche Billigkeitsmaßnahmen. Diese grundlegende
Entscheidung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003,
240 = SIS 03 19 23 sei gerichtlich nicht nachprüfbar.
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Die Auffassung des FG,
Billigkeitsmaßnahmen auszusprechen, soweit bei einer
Sanierung keine Doppelbegünstigung vorliege, sei abzulehnen.
Die Besteuerung des Schuldenerlasses entspreche der gesetzlichen
Regelung und stelle die Korrektur von in früheren
Veranlagungszeiträumen entstandenen Gewinnminderungen dar.
Dies sei sachgerecht. Auch wenn die Vermeidung einer
Doppelbegünstigung der Grund für die Aufhebung des §
3 Nr. 66 EStG a.F. gewesen sei, könne hieraus nicht abgeleitet
werden, dass in Fällen ohne Doppelbegünstigung
Billigkeitsmaßnahmen erforderlich seien.
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Auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten
sei ein Erlass der Einkommensteuer nicht erforderlich. Die
Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. für ab dem 1.1.1998
endende Wirtschaftsjahre greife nicht in bereits abgeschlossene
Veranlagungszeiträume ein. Der frühere Verlustabzug werde
nicht durch die Besteuerung des Sanierungsgewinns tangiert. Nur der
in einem späteren Veranlagungszeitraum bewirkte Schuldenerlass
werde anders behandelt als nach der Rechtslage bis 1997. Die
gesetzliche Neuregelung knüpfe lediglich insoweit an einen
Sachverhalt in der Vergangenheit an, als der Schuldenerlass
voraussetze, dass sich die erlassenen Schulden in früheren
Veranlagungszeiträumen bereits ausgewirkt hätten. Darin
könne aber keine echte Rückwirkung oder
Rückbewirkung von Rechtsfolgen gesehen werden, selbst wenn die
Sanierungsverhandlungen bereits in früheren Jahren begonnen
haben sollten. Billigkeitsmaßnahmen zur Vermeidung einer
echten Rückwirkung seien daher nicht erforderlich.
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Eine unechte Rückwirkung oder
tatbestandliche Rückanknüpfung seien verfassungsrechtlich
zulässig. Der Steuerpflichtige habe auch nicht darauf
vertrauen dürfen, dass der Gesetzgeber bisher aus ordnungs-
oder konjunkturpolitischen Gründen gewährte
Steuervergünstigungen uneingeschränkt für die
Zukunft aufrecht erhalte (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -
BVerfG - vom 20.6.1978 2 BvR 71/76, BVerfGE 48, 403, 416 = SIS 78 03 11, m.w.N.). Darauf laufe aber das angefochtene Urteil hinaus.
Nach Sichtweise des FG wäre die bis 1997 geltende Regelung im
Billigkeitswege auch für spätere
Veranlagungszeiträume anzuwenden. Der festgestellte
Verlustvortrag werde den Klägern nicht entzogen. Nach der
gesetzlichen Neuregelung sei er auch mit solchen Einkünften zu
saldieren, die nach der alten Rechtslage steuerfrei geblieben
wären. Damit sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den
Verlustvortrag nach altem Recht geschützt. Zudem seien
Stichtagsregelungen zulässig und würden keine allgemeine
unbillige Härte begründen.
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Im Übrigen stelle das FG die
Kläger im angefochtenen Urteil besser als Tz 8 des
BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 es vorsehe.
Danach seien Verluste vorrangig mit dem Sanierungsgewinn zu
verrechnen. Der Grundsatz, dass steuerliche Verrechnungen so
durchzuführen seien, dass sich diese für den
Steuerpflichtigen möglichst günstig auswirkten, gelte
nicht, weil die Besteuerung des Sanierungsgewinns das Korrektiv zum
Abzug von Verlusten in früheren Veranlagungszeiträumen
sei. Das FG ziehe zu Unrecht den Verlustvortrag und den laufenden
Verlust aus Gewerbebetrieb nicht von dem ermäßigt zu
besteuernden Veräußerungsgewinn, sondern von anderen
nicht ermäßigt zu besteuernden Einkünften ab.
Würden hingegen die Verluste im Streitfall vorrangig vom
Sanierungsgewinn abgezogen, würde sich eine zu erlassende
Einkommensteuer von lediglich 14.131 DM ergeben.
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B. I. Über den Antrag der Kläger auf
Erlass der Einkommensteuer 1998 bis 2002 ist im Rahmen des
Streitfalls zu entscheiden, auch wenn der zu steuerpflichtigen
Einkünften führende Sanierungsgewinn aus
Forderungsverzichten gegenüber der L-GbR entstanden ist.
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1. Im Verfahren der einheitlichen und
gesonderten Feststellung von Einkünften sind nach §§
179 Abs. 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO die
einkommensteuerpflichtigen Einkünfte festzustellen, wenn an
ihnen mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen
Personen steuerlich zuzurechnen sind. Im Rahmen dieser Feststellung
wurde auch darüber entschieden, ob bestimmte Einkünfte
infolge der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht
der Einkommensteuer unterliegen (vgl. BFH-Urteil vom 3.7.1997 IV R
31/96, BFHE 183, 509, BStBl II 1997, 690 = SIS 97 22 29).
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2. § 3 Nr. 66 EStG a.F. wurde durch Art.
1 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform
(UntStRFoG) vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928)
aufgehoben und ist letztmals anwendbar auf Erhöhungen des
Betriebsvermögens, die in vor dem 1.1.1998 endenden
Wirtschaftsjahren entstanden sind (§ 52 Abs. 2i EStG i.d.F.
des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen
Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom
19.12.1997, BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7). Das UntStRFoG ist
nach Auffassung des BVerfG verfassungsgemäß zustande
gekommen (Beschluss vom 15.1.2008 2 BvL 12/01, BVerfG 120, 56 = SIS 08 16 84).
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3. Nach der Streichung von § 3 Nr. 66
EStG a.F. kann persönlichen oder sachlichen
Härtefällen in Einzelfällen allenfalls im Stundungs-
und Erlasswege begegnet werden (vgl. auch BTDrucks 13/7480, S.
192). Diese Vorschriften (§§ 222, 227 AO) sind auf der
Ebene der Einkommensbesteuerung zu prüfen. Im
Feststellungsverfahren könnte - worauf auch das FG zutreffend
abstellt - nicht geklärt werden, ob bei den Gesellschaftern
ein steuerpflichtiger Veräußerungs- oder Aufgabegewinn
entsteht, ob dieser durch Verlustvorträge ausgeglichen wird
und ob die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses vorliegen
(vgl. hierzu auch das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23, Tz 8 Beispiel 2).
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II. Die Revision des FA betr. das Streitjahr
1998 ist begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des
FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 FGO). Zu Unrecht war das FG der Auffassung, das FA habe den
Billigkeitserlass der Einkommensteuer 1998 ermessensfehlerhaft
abgelehnt.
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1. Nach § 227 AO können die
Finanzbehörden Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach
Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine Unbilligkeit
kann entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der
wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben (BFH-Urteil vom
2.3.1961 IV 126/60 U, BFHE 73, 53, BStBl III 1961, 288 = SIS 61 01 96).
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2. Die Entscheidung über ein
Erlassbegehren aus Billigkeitsgründen ist eine
Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von §
102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann
(Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II
1972, 603 = SIS 72 03 54). Nach dieser Vorschrift ist die
gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die
Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann
das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101
Satz 1 i.V.m. § 121 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart
eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als
ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null;
ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom 26.10.1994
X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 = SIS 95 08 57; weitere
Nachweise bei von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -,
§ 227 AO Rz 392).
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3. Ein Erlass aus sachlichen Gründen
kommt in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz
entspricht, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen
des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig
erscheint (BFH-Urteile vom 23.3.1998 II R 41/96, BFHE 185, 270,
BStBl II 1998, 396 = SIS 98 15 06, und II R 26/96, BFH/NV 1998,
1098 = SIS 98 15 07); Billigkeit ist die Gerechtigkeit des
Einzelfalls (von Groll in HHSp, § 227 AO Rz 31). Dies setzt
voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer
verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. §
227 AO stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes
dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen
gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein
oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen
würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur
insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann,
der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende
Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des vorgesehenen
Erlasses entscheiden (BFH-Urteile in BFHE 185, 270, BStBl II 1998,
396 = SIS 98 15 06, und in BFH/NV 1998, 1098 = SIS 98 15 07).
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4. Für den Erlass von Sanierungsgewinnen
aus sachlichen Billigkeitsgründen hat das BMF im Einvernehmen
mit den obersten Finanzbehörden der Länder eine
Verwaltungsvorschrift in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 erlassen,
die die Anwendung der Billigkeitsregeln in diesen Fällen
vereinheitlichen soll. Dass nach Auffassung der Verwaltung
Sanierungsgewinne nach § 227 AO erlassen werden können,
tangiert nicht den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung (so auch Geist, BB 2008, 2658, 2660; Seer, FR 2010, 306;
Knebel, DB 2009, 1094; Wagner, BB 2008, 2671; Braun/Geist, BB 2009,
2508; Töben, FR 2010, 249; offen Kuhfus, EFG 2008, 1558; a.A.
FG München, Urteil vom 12.12.2007 1 K 4487/06, EFG 2008, 615 =
SIS 08 12 84; Blümich/Erhard, § 3 EStG Rz 820). Zwar hat
der Gesetzgeber § 3 Nr. 66 EStG a.F. aufgehoben, in dem die
Steuerfreiheit von (unternehmens- wie unternehmerbezogenen)
Sanierungsgewinnen bis einschließlich des
Veranlagungszeitraums 1997 spezialgesetzlich geregelt war. Damit
hat er jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, für
Sanierungsgewinne gebe es keine Erlassmöglichkeit. Vielmehr
zeigt die Gesetzesbegründung, dass die Steuerbefreiung einen
Ausgleich für nicht abziehbare Verluste habe bewirken sollen
und dieser Ausgleich seit Einführung eines unbegrenzten
Verlustvortrags nicht mehr gerechtfertigt sei. Einzelnen
persönlichen oder sachlichen Härtefällen könne
- so die Gesetzesbegründung - im Stundungs- und Erlasswege
begegnet werden (BTDrucks 13/7480, S. 192). Auch in der
Begründung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom
14.8.2007 (BGBl I 2007, 1912) ging der Gesetzgeber davon aus, dass
von der Besteuerung von Sanierungsgewinnen, die nicht mit
Verlustvorträgen verrechnet werden können, ohne
ausdrückliche gesetzliche Regelung im Billigkeitswege nach dem
BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 abgesehen werden
könne (BTDrucks 16/4841, S. 76). In seiner Stellungnahme zum
Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von
Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz
Krankenversicherung) vom 3.4.2009 (BRDrucks 168/09, S. 30) hat der
Bundesrat seinen Änderungsantrag zu § 34 Abs. 7b Satz 1
des Körperschaftsteuergesetzes damit begründet, die
Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen durch Verwaltungsanweisung
(Sanierungserlass) sei nicht ausreichend, negative Effekte zu
verhindern. Hinzu kommt, dass nach dem Gesetz zur Umsetzung der
Protokollerklärung der Bundesregierung zur
Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom
22.12.2003 (BGBl I 2003, 2840) Verluste, die weder im
Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des
Verlustrücktrags ausgeglichen werden können, ab dem
Veranlagungszeitraum 2004 (vgl. § 52 Abs. 25 EStG 2004) im
Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig
sind. Angesichts der Verknüpfung der Aufhebung des § 3
Nr. 66 EStG a.F. mit einem unbeschränkten Verlustabzug kommt
möglichen Billigkeitsmaßnahmen nach dem BMF-Schreiben in
BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 eine besondere Bedeutung zu (vgl.
auch Seer, FR 2010, 306). Im Übrigen hat die Rechtsprechung
bereits vor Einführung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. durch das
Körperschaftsteuerreformgesetz vom 31.8.1976 (BGBl I 1976,
2597, BStBl I 1976, 445) erkannt, dass der durch eine Sanierung
herbeigeführte Gewinn unter bestimmten Voraussetzungen
einkommensteuerrechtlich außer Betracht zu bleiben habe
(Urteil des Reichsfinanzhofs vom 21.10.1931 VI A 968/31, RFHE 29,
315, RStBl 1932, 160) bzw. die Besteuerung eines Sanierungsgewinns
sachlich unbillig sein könne (Senatsurteil in BFHE 176, 3,
BStBl II 1995, 297 = SIS 95 08 57). Der Auffassung des FG
München im Urteil in EFG 2008, 615 = SIS 08 12 84, die
Finanzverwaltung habe mit dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 =
SIS 03 19 23 eine Verwaltungspraxis contra legem eingeführt,
kann daher in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.
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5. Ob die Verwaltung im BMF-Schreiben in BStBl
I 2003, 240 = SIS 03 19 23 gemessen an der Intention des
Gesetzgebers zu weit reichende Billigkeitsmaßnahmen für
möglich hält, braucht der Senat im Streitfall nicht zu
entscheiden. Die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses nach den
Vorgaben im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23
liegen nicht vor, da im Streitfall von einer unternehmerbezogenen
Sanierung auszugehen ist.
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a) Nach der Rechtsprechung (vgl. z.B.
Senatsurteil in BFH/NV 2006, 715 = SIS 06 14 95) ist von einer
unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen, wenn dem Schuldner durch
den Erlass eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens und
der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder
nichtselbständiger Position ermöglicht wird, ohne dass er
durch Schulden aus einer früheren unternehmerischen
Tätigkeit belastet bleibt. Auf die Sanierungseignung des
Unternehmens ist in diesen Fällen nicht abzustellen. Eine
unternehmensbezogene Sanierung soll hingegen den Fortbestand des
Unternehmens sichern. Es soll vor dem Zusammenbruch bewahrt und
wieder ertragsfähig gemacht werden (BFH-Urteil vom 18.12.1990
VIII R 39/87, BFHE 164, 404, BStBl II 1991, 784 = SIS 91 17 12).
Daran fehlt es, wenn das Unternehmen seine werbende Tätigkeit
bereits vor dem Schuldenerlass eingestellt hat. Abzustellen ist
stets auf das konkrete Unternehmen. Zwar ist die Sanierungseignung
nach der Gesamtheit der Betriebe zu beurteilen, wenn zu einem
Unternehmen mehrere Betriebe gehören. Es muss sich aber um die
Betriebe eines Unternehmens handeln (BFH-Urteil vom 22.1.1985 VIII
R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501 = SIS 85 14 15). Im
Streitfall wollten die Gläubiger die L-GbR nicht vor dem
Zusammenbruch bewahren. Das von der L-GbR betriebene
Verpachtungsunternehmen war nach der Zwangsversteigerung des Hauses
L nicht mehr sanierungsfähig. Die Gläubiger wollten nach
den Feststellungen des FG mit dem Teilerlass erreichen, dass die
Gesellschafter der L-GbR und somit auch die Kläger die
verbleibenden Verbindlichkeiten abtragen, um ihnen die
Möglichkeit zu geben, wieder in geordneten wirtschaftlichen
Verhältnissen leben zu können. Somit ist im Streitfall
von einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen, obwohl sowohl
Kläger als auch Klägerin parallel zum Zusammenbruch der
L-GbR eine neue selbständige berufliche Existenz aufgebaut
haben. Auch wenn, wie die Kläger im Revisionsverfahren
vortragen, der Schuldenerlass Voraussetzung für die
Fortführung dieser neuen selbständigen Tätigkeit
war, liegen die Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen
Sanierung nicht vor, weil die von den Klägern neu
gegründeten Unternehmen nicht Betriebe der L-GbR sind.
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b) Nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240
= SIS 03 19 23 sind Billigkeitsmaßnahmen nur in Fällen
einer unternehmensbezogenen Sanierung möglich (vgl. Tz 1,
wonach eine Sanierung als Maßnahme beschrieben wird, die ein
Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen
Zusammenbruch bewahren und wieder ertragsfähig machen soll =
unternehmensbezogene Sanierung; Verfügung der
Oberfinanzdirektion Hannover vom 19.9.2008 S 2140 - 8 - StO 241, DB
2008, 2568 = SIS 09 06 97); nicht begünstigt ist die
unternehmerbezogene Sanierung (vgl. Tz 2 Satz 2). Ein
Billigkeitserlass entsprechend den Regeln im BMF-Schreiben in BStBl
I 2003, 240 = SIS 03 19 23 kommt im Streitfall damit nicht in
Betracht.
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Daran ändert auch der Umstand nichts,
dass nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 18 = SIS 10 00 07 Tz 2
Satz 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 in
Fällen der Restschuldbefreiung und der Verbraucherinsolvenz
nicht anzuwenden und Billigkeitserlasse möglich sind.
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aa) Gegenstand der gerichtlichen
Überprüfung i.S. des § 102 FGO ist die
Ermessensentscheidung der Finanzbehörde so, wie sie
(regelmäßig nach Abschluss des außergerichtlichen
Rechtsbehelfsverfahrens) getroffen wurde. Maßgeblich für
die gerichtliche Überprüfung ist daher die Sach- und
Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
(Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., §
102 Rz 13, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Im Streitfall galt im
Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung (2006) Tz 2 Satz
2 des BMF-Schreibens in BStBl 2003, 240 uneingeschränkt. Der
Erlass von Steuerschulden, der dem Steuerpflichtigen einen
schuldenfreien Übergang in sein Privatleben oder den Aufbau
einer anderen Existenzgrundlage ermöglichen
(unternehmerbezogene Sanierung) sollte, war damit
ausgeschlossen.
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bb) Zudem liegen im Streitfall weder die
Voraussetzungen einer Restschuldbefreiung i.S. der §§ 286
ff. der Insolvenzordnung (InsO) noch die der Verbraucherinsolvenz
nach §§ 304 ff. InsO vor. Im Umstand, dass in Fällen
eines außergerichtlich erreichten, unternehmerbezogenen
Sanierungsgewinns nach den Verwaltungserlassen keine
Billigkeitsmaßnahmen möglich sind, ist kein
Verstoß gegen Art. 3 GG zu sehen. Ziel eines
Insolvenzverfahrens ist die gleichmäßige Befriedigung
der Gläubiger nach Verwertung des Vermögens des
Insolvenzschuldners. Dem redlichen Schuldner soll so Gelegenheit
gegeben werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu
befreien (§ 1 InsO). Eine Restschuldbefreiung kommt nur in
Betracht, wenn der Schuldner für die Dauer von sechs Jahren
seine pfändbaren Bezüge an einen Treuhänder abtritt
(§ 287 Abs. 2 InsO) und ererbtes Vermögen zur Hälfte
an diesen herausgibt (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Während
der Laufzeit der Abtretungserklärung muss er eine angemessene
Erwerbstätigkeit ausüben oder sich um eine solche
bemühen (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Schuldner
unterliegt Anzeigepflichten und darf keinem Gläubiger einen
Sondervorteil verschaffen (§ 295 Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO).
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Bei der Verbraucherinsolvenz muss der
Schuldner einen Schuldenbereinigungsplan vorlegen. Unter
Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sowie der
Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse des
Schuldners ist darzulegen, wie die Schulden angemessen bereinigt
werden können (§ 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Zudem
müssen die Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan
zustimmen (§ 308 InsO) oder die Zustimmung muss durch das
Insolvenzgericht ersetzt werden (§ 309 InsO; Voraussetzung ist
u.a., dass mehr als die Hälfte der vom Schuldner benannten
Gläubiger, die mehr als die Hälfte der
Gesamtansprüche geltend machen, dem Schuldenbereinigungsplan
zugestimmt haben müssen und jeder Gläubiger im
Verhältnis zu den anderen angemessen berücksichtigt
wird). Derartig strengen Regeln unterliegen außergerichtliche
Vergleichsverhandlungen nicht. Es hängt vom
Verhandlungsgeschick des Schuldners und der Bereitschaft der
Gläubiger zu Zugeständnissen ab, ob der Schuldner sein
ganzes Vermögen einsetzen muss; mehrere Gläubiger
können sich mit unterschiedlichen Quoten einverstanden
erklären; auch müssen sich nicht alle Gläubiger am
außergerichtlichen Vergleich beteiligen. Angesichts dieser
unterschiedlichen Vorgaben konnte die Verwaltung in ihrem Erlass in
BStBl I 2010, 18 = SIS 10 00 07 ohne Verstoß gegen Art. 3
Abs. 1 GG den Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen
bei unternehmerbezogenen Sanierungen auf die Steuern
beschränken, die aufgrund einer Restschuldbefreiung oder einer
Verbraucherinsolvenz entstehen.
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6. Zu Unrecht ging das FG im Streitfall davon
aus, dass die auf dem Sanierungsgewinn beruhenden Steuern
unabhängig von der Verwaltungsanweisung in BStBl I 2003, 240 =
SIS 03 19 23 nach § 227 AO zu erlassen sind. Auch im
Streitjahr 1998 und für eine Übergangszeit sind auf
sachlichen Gründen beruhende Billigkeitsmaßnahmen
jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die von der Verwaltung
formulierten Voraussetzungen für den Erlass der Steuern auf
einen Sanierungsgewinn in den Verwaltungsanweisungen in BStBl I
2003, 240 = SIS 03 19 23 und BStBl I 2010, 18 = SIS 10 00 07 nicht
vorliegen.
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a) Eine Verwaltungsregelung ist ausnahmsweise
aus Gründen der Gleichbehandlung von den Gerichten zu
beachten, wenn der Verwaltung durch Gesetz Entscheidungsfreiheit
eingeräumt wurde, die Regelung also den Bereich des Ermessens,
der Billigkeit (z.B. bei Änderung der Rechtsprechung) bzw. der
Typisierung oder Pauschalierung betrifft (BFH-Urteil vom 29.3.2007
IV R 14/05, BFHE 217, 525, BStBl II 2007, 816 = SIS 07 25 18, unter
II.2. der Gründe, m.w.N.). § 227 AO räumt der
Verwaltung Ermessen ein; die Ausübung dieses Ermessens aus
sachlichen Billigkeitsgründen wird in den Verwaltungserlassen
in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 und BStBl I 2010, 18 = SIS 10 00 07 abschließend geregelt.
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b) Dass die ermessenslenkenden
Verwaltungsvorschriften in BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23 und
BStBl I 2010, 18 = SIS 10 00 07 Billigkeitsmaßnahmen in
Fällen unternehmerbezogener Sanierungsgewinne
ausschließen, die nicht auf einer Restschuldbefreiung nach
§§ 286 ff. InsO bzw. einer Verbraucherinsolvenz
(§§ 304 ff. InsO) beruhen, entspricht dem berechtigten
Anliegen der Regelungen, nur das betroffene Unternehmen als solches
wieder ertragsfähig werden zu lassen. Diese
Verwaltungsvorschriften sind deshalb von der Finanzgerichtsbarkeit
zu beachten. Die in den Billigkeitsrichtlinien getroffenen
Regelungen halten sich insoweit innerhalb der Grenzen, die das GG
und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen (vgl.
BFH-Urteile vom 25.11.1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II
1981, 204 = SIS 81 25 23, unter C.II. 3.a; vom 19.3.2009 V R 48/07,
BFHE 225, 215, BStBl II 2010, 92 = SIS 09 16 48, unter II.4.b).
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aa) Die aus der Steuerfreiheit von
Sanierungsgewinnen und der Verlustverrechnungsmöglichkeit mit
positiven Einkünften bzw. dem uneingeschränkten
Verlustvortrag resultierende Doppelbegünstigung hat den
Gesetzgeber zur Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. bewogen.
Nur einzelnen persönlichen oder sachlichen
Härtefällen sollte im Stundungs- und Erlasswege begegnet
werden (BTDrucks 13/7480, S. 192). Da sich in der
Gesetzesbegründung keine Hinweise finden, wann aus Sicht des
Gesetzgebers die Besteuerung eines Sanierungsgewinns sachlich
unbillig ist, müssen die von der Rechtsprechung zu § 227
AO entwickelten Kriterien Anwendung finden. Auch der Erlass der
Steuern auf einen Sanierungsgewinn wegen sachlicher Unbilligkeit
ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen
werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu
entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des
vorgesehenen Erlasses entscheiden. Die Billigkeitsmaßnahme
darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die
vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte
Fallgruppen außer Kraft setzen würde (vgl. z.B.
BFH-Urteil in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396 = SIS 98 15 06).
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bb) Im Streitfall hat das FG die Notwendigkeit
eines Billigkeitserlasses mit dem Umstand begründet, dem
Auflösungsgewinn der Kläger in Höhe von insgesamt
297.542 DM (Sanierungsgewinn in Höhe von 905.902 DM
abzüglich Buchverluste aus der Veräußerung des
Betriebsgrundstücks etc.) stehe lediglich ein Verlustvortrag
zum 31.12.1997 in Höhe von 72.905 DM gegenüber. Dass ein
höherer, den Auflösungsgewinn deckender Verlustvortrag
nur deshalb im Veranlagungszeitraum 1998 nicht zur Verfügung
stand, weil die Verluste der Kläger aus der L-GbR mit ihren
positiven Einkünften aus selbständiger und
nichtselbständiger Arbeit sowie einem weiteren Gewerbebetrieb
verrechnet worden sind, war nach Auffassung des FG ohne Bedeutung.
Bis Ende 1997 verbrauchte Verluste hätten keine Auswirkung auf
die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns nach § 3 Nr. 66 EStG
a.F. gehabt und die Anrechnung bereits verbrauchter
Verlustvorträge würde zu einer verfassungsrechtlich
bedenklichen echten Rückwirkung oder Rückbewirkung von
Rechtsfolgen führen. Zudem wäre die Feststellung, in
welcher Höhe gerade die Verluste der aufgelösten L-GbR
verbraucht worden seien, mit erheblichem Aufwand verbunden. Die
Frage der sachlichen Unbilligkeit der Besteuerung eines
Sanierungsgewinns sei deshalb nach den Grundsätzen zu
beurteilen, die von der Rechtsprechung zu § 3 Nr. 66 EStG a.F.
entwickelt worden seien.
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cc) Bei dieser Beurteilung übersieht das
FG, dass Billigkeitsmaßnahmen nicht nach den Kriterien einer
Vorschrift beurteilt werden können, die der Gesetzgeber
bewusst wegen der aus seiner Sicht nicht mehr gerechtfertigten
Begünstigung bestimmter Steuerpflichtiger aufgehoben hat.
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Auch rechtfertigen die Überlegungen des
FG zur Rückwirkung im Streitfall ein solches Vorgehen nicht.
§ 3 Nr. 66 EStG a.F. wurde - entgegen den ursprünglichen
Plänen - nicht rückwirkend aufgehoben. Bereits die sog.
„Bareis-Kommission“ hat die Besteuerung der
Sanierungsgewinne gefordert (s. Thesen der
Einkommensteuer-Kommission zur Steuerfreistellung des
Existenzminimums ab 1996 und zur Reform der Einkommensteuer, BB
1994, Beilage 24 S. 7 re. Sp.). Die Aufhebung des § 3 Nr. 66
EStG a.F. sah auch der Entwurf des Steuerreformgesetzes 1999 vom
22.4.1997 vor (BTDrucks 13/7480). Das UntStRFoG ist am 29.10.1997
erlassen worden, wobei die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses, die ursächlich für die Aufhebung
der Bestimmung ab dem Veranlagungszeitraum 1998 war, vom 4.8.1997
datiert. Eine Rückwirkung kommt der zum 1.1.1998 in Kraft
getretenen Vorschrift somit nicht zu. Dass die Aufhebung von §
3 Nr. 66 EStG a.F. faktisch die Verrechnung von vor dem
Veranlagungszeitraum 1998 entstandener Verluste mit positiven
Einkünften des Steuerpflichtigen
„bestraft“, weil insoweit keine
Verlustvorträge mehr zur Verrechnung mit einem später
entstehenden Sanierungsgewinn zur Verfügung stehen, führt
nicht zu einer Rückwirkung im rechtlichen Sinn. Auf den
Fortbestand einer Sozialzweck- oder Lenkungsnorm - um eine solche
handelt es sich bei § 3 Nr. 66 EStG a.F. - kann kein
Steuerpflichtiger vertrauen (vgl. HHR/Kanzler, § 3 Nr. 66 EStG
Rz 6, 179. Lieferung Mai 1995).
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c) Wendet man im Streitfall die allgemeinen,
von der Rechtsprechung erarbeiteten Kriterien für einen
Steuererlass wegen sachlicher Unbilligkeit an, kommt eine
Billigkeitsmaßnahme nicht in Betracht. Die Streichung von
§ 3 Nr. 66 EStG a.F. beruht auf der Überlegung des
Gesetzgebers, Steuerpflichtige seien durch die
Verlustverrechnungsmöglichkeiten laufender Verluste mit
positiven Einkünften und der - den allgemeinen Regeln des
Steuerrechts widersprechenden - Steuerfreiheit des
Sanierungsgewinns doppelt begünstigt. Diese
Doppelbegünstigung sollte in Wirtschaftsjahren, die nach dem
31.12.1997 enden, entfallen. Würden im Billigkeitswege nun
Steuern auf Sanierungsgewinne erlassen, denen keine ausreichenden
Verlustvorträge gegenüberstehen, weil die laufenden
Verluste bereits mit positiven Einkünften verrechnet worden
sind, würde die gesetzgeberische Entscheidung außer
Kraft gesetzt. Da durch Billigkeitsmaßnahmen die
Doppelbegünstigung auch in den Veranlagungszeiträumen
1998 ff. fortgeführt würde, kann die bei einem sachlichen
Billigkeitserlass zu entscheidende Frage, hätte sie der
Gesetzgeber im Sinne des vorgesehenen Erlasses geregelt, nicht
bejaht werden. Die Billigkeitsmaßnahme würde auf
Erwägungen gestützt, die die Motive des Gesetzgebers ins
Leere laufen ließen (vgl. hierzu auch Wagner, BB 2008,
2671).
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Ob in Einzelfällen (große, sich
über mehrere Jahre hinziehende Sanierungsverhandlungen) die
Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ab dem Veranlagungszeitraum
1998 bedenklich und die Inkrafttretensregelung in Konflikt mit dem
Vertrauensschutz der Betroffenen geraten kann (vgl. hierzu das
Beispiel von Kanzler in H/H/R, § 3 Nr. 66 EStG Rz G 2, 191.
Lieferung Januar 1998, wonach ein großes Unternehmen bereits
1993 Konkurs beantragt hatte und im Zeitpunkt der Aufhebung der
Steuerbefreiung kurz vor Abschluss eines Zwangsvergleichs stand;
die Steuern auf den Sanierungsgewinn wurden hier auf ca. 600 Mio.
DM veranschlagt), braucht im Streitfall nicht entschieden zu
werden. In die Vergleichsverhandlungen der Kläger waren
lediglich zwei Gläubiger involviert; diese fanden nach den
Feststellungen des FG erst Anfang 2002, also mehr als vier Jahre
nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ihren Abschluss.
Vertrauensschutzüberlegungen dürfte zudem der Umstand
entgegenstehen, dass die vor 1998 entstandenen Verluste mit
laufenden Einkünften verrechnet worden sind, der nach Abzug
des Verlustvortrags zum 31.12.1997 verbleibende Sanierungs-
(Auflösungs-)gewinn hingegen ermäßigt zu besteuern
ist.
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7. Persönliche Billigkeitsgründe
haben die Kläger nach den - nicht mit Verfahrensrügen
angefochtenen und deshalb für den erkennenden Senat
gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden -
tatsächlichen Feststellungen des FG nicht geltend gemacht. Den
Klägern bleibt es aber unbenommen, vom FA bislang nicht
geprüfte persönliche Billigkeitsgründe in einem
weiteren Antrag auf Erlass ihrer Steuerschulden geltend zu
machen.
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III. Die Revision der Kläger wegen Erlass
von Einkommensteuer 1999 bis 2002 ist unbegründet. Das FA hat
den laufenden Verlust der Kläger im Veranlagungszeitraum 1998
zutreffend mit dem Sanierungsgewinn verrechnet. Zum 31.12.1998
bestand somit kein auf die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2002
vortragsfähiger Verlust.
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