Anteilsveräußerung wegen bevorstehender Gesetzesänderung, Vertrauensschutz: Veräußert ein Steuerpflichtiger Gesellschaftsanteile gezielt im Hinblick auf eine bevorstehende gesetzliche Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG und tritt die Gesetzesänderung wie erwartet ein, so kann er sich - beim Scheitern einer rechtzeitigen Anteilsübertragung - nicht auf Vertrauensschutz berufen. - Urt.; BFH 9.10.2008, IX R 73/06; SIS 08 44 63
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte
Ehegatten. Ihr Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1999
(Streitjahr) wurde zurückgewiesen. Nach Klageerhebung wurde
der Einkommensteuerbescheid nach § 164 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) geändert, nachdem dem Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) bekannt geworden war, dass
der Kläger mit notariellen Verträgen vom 18. und
21.12.1998 im Privatvermögen gehaltene Anteile an der X-GmbH,
an der er wesentlich beteiligt war, veräußert hatte und
das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen laut vertraglicher
Regelung mit Wirkung vom 1.1.1999 auf die Käufer
übergegangen war. Das FA setzte einen entsprechenden
Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 1, 2
des Einkommensteuergesetzes (EStG) an.
Der Kläger war zunächst zu unter
25 % an der GmbH beteiligt; nach der Anteilsveräußerung
vom 18.12.1998 war er zu über 10 % sowie nach der weiteren
Anteilsveräußerung vom 21.12.1998 an die Klägerin
nur noch zu unter 10 % beteiligt. Im Vertrag vom 21.12.1998 ist -
wie auch im Vertrag vom 18.12.1998 - geregelt, dass der
Geschäftsanteil mit sofortiger unmittelbarer dinglicher
Wirkung übertragen und abgetreten wird (III. Ziff. 2), ferner,
dass alle mit dem übertragenen Geschäftsanteil
verbundenen Rechte und Pflichten, insbesondere das
Gewinnbezugsrecht, mit Wirkung vom 1.1.1999 auf die Erwerberin
übergehen, das Gewinnbezugsrecht für das
Geschäftsjahr 1998 also beim Veräußerer verbleibt
(IV. Ziff. 1). Der jeweilige Kaufpreis für die
übertragenen Anteile wurde im Jahr 1998 bezahlt.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in EFG 2006, 493 = SIS 06 13 78 veröffentlichten Urteil, dass die Erwerber vor dem
1.1.1999 kein wirtschaftliches Eigentum an den übertragenen
Anteilen erlangt hätten. Gegen die Anwendung der
Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I
1999, 402) - StEntlG 1999/2000/2002 - bestünden auch keine
verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit ihrer Revision machen die Kläger
Verfahrensfehler geltend und rügen die Verletzung materiellen
Rechts (§ 17 Abs. 1 EStG, § 39 AO) sowie die
Verfassungswidrigkeit der Anwendung von § 17 Abs. 1 EStG
i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002. Insbesondere sei die
Veräußerung bereits im Dezember 1998 dinglich vollzogen
gewesen. In den notariellen Übertragungsverträgen sei
lediglich geregelt, dass der Kläger (Veräußerer)
die später für das Kalenderjahr 1998 ausgeschütteten
Gewinne dem Erwerber auszuzahlen habe. Dies beeinflusse den
Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht. Im Übrigen
sei bei Übertragung von Geschäftsanteilen zum
Jahreswechsel unter Würdigung aller Umstände zu
entscheiden, in welchem Besteuerungszeitraum der
Veräußerungsvorgang stattgefunden habe.
Demgegenüber habe das FG allein auf die Formulierung
„mit Wirkung vom 1.1.1999“ abgestellt und den
wirtschaftlichen Gehalt der getroffenen Vereinbarung und den
Parteiwillen unberücksichtigt gelassen.
Die Kläger beantragen, das Urteil des
FG aufzuheben, soweit es die Einkommensteuerveranlagung 1999
betrifft, und den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom
13.12.2004 dahingehend zu ändern, dass kein
Veräußerungsgewinn bei den Einkünften des
Klägers aus Gewerbebetrieb angesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Recht hat das FG die
Übertragung der streitbefangenen GmbH-Anteile im Jahr 1998
verneint und im Streitjahr 1999 einen Veräußerungsgewinn
des Klägers gemäß § 17 Abs. 1 EStG
angesetzt.
1. Die gerügten Verfahrensmängel
erachtet der Senat nicht für durchgreifend (§ 126 Abs. 6
Satz 1 FGO).
2. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1
EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der
Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer
Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der
letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich
beteiligt war und er die Beteiligung im Privatvermögen hielt.
Wesentlich ist eine Beteiligung für
Veräußerungsvorgänge ab dem Veranlagungszeitraum
1999 ab einer Quote von 10 % (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/ 2000/2002, vgl. Blümich/Ebling, § 17
EStG Rz 82), für Veräußerungsvorgänge davor ab
einer Quote von mehr als 25 %. Bei welcher Anteilshöhe eine
wesentliche Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG
anzunehmen ist, bestimmt sich nach der im Zeitpunkt der
Veräußerung geltenden Gesetzeslage (Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.11.2004 VIII B 129/04, BFH/NV 2005,
540 = SIS 05 15 86; s. auch BFH-Urteil vom 1.3.2005 VIII R 92/03,
BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398 = SIS 05 18 68). Eine
Veräußerung i.S. von § 17 EStG wird mit der
Übertragung des rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums
i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf den Erwerber verwirklicht
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 209,
285, BStBl II 2005, 398 = SIS 05 18 68; Blümich/Ebling,
a.a.O., Rz 166).
Das wirtschaftliche Eigentum an einem
Kapitalgesellschaftsanteil geht auf einen Erwerber über
(§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO), wenn der Käufer des Anteils
(1) aufgrund eines
(bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine
rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete
Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr
entzogen werden kann, und
(2) die mit dem Anteil verbundenen
wesentlichen Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht;
BFH-Urteil vom 18.12.2001 VIII R 5/00, BFH/NV 2002, 640 = SIS 02 62 22) sowie
(3) das Risiko einer Wertminderung und die
Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (vgl.
BFH-Urteile vom 10.3.1988 IV R 226/85, BFHE 153, 318, BStBl II
1988, 832 = SIS 88 16 33; vom 11.7.2006 VIII R 32/04, BFHE 214,
326, BStBl II 2007, 296 = SIS 06 45 71).
Nach ständiger Rechtsprechung ist der
Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild
der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall
zu bestimmen. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberstellung
abweichende Zuordnung eines Wirtschaftsguts kann deshalb auch
anzunehmen sein, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen
nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Demgemäß ist
auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das
formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das
wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte
ausschlaggebend (BFH-Urteile vom 15.2.2001 III R 130/95, BFH/NV
2001, 1041, 1044 = SIS 01 67 18; in BFHE 214, 326, BStBl II 2007,
296 = SIS 06 45 71).
3. Nach diesen Grundsätzen ging
jedenfalls das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO)
an den streitbefangenen GmbH-Anteilen des Klägers erst im Jahr
1999 auf den jeweiligen Erwerber über.
Der Zeitpunkt des Übergangs des
wirtschaftlichen Eigentums gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1
AO ist davon abhängig, welche Rechtspositionen bzw. faktischen
Einflussnahmemöglichkeiten noch im Jahr 1998 übergegangen
sind. Um dies festzustellen, sind die Vertragsklauseln (III. Ziff.
2 und IV. Ziff. 1) der notariellen Verträge auszulegen. Das FG
hat diese Regelungen so gewürdigt, dass das wirtschaftliche
Eigentum erst im Jahr 1999 übergegangen ist, da „alle
mit dem übertragenen Geschäftsanteil verbundenen Rechte
und Pflichten, insbesondere das Gewinnbezugsrecht ... mit Wirkung
zum 1.1.1999“ übergehen sollten. Die
finanzgerichtliche Auslegung, wonach alle mit dem Anteil
(Stammrecht) verbundenen Rechte und Pflichten, auch das
Gewinnbezugsrecht „also“ (IV. Ziff. 1) im Jahr
1998 noch beim Kläger verbleiben sollten, ist jedenfalls
möglich und bindet insoweit den erkennenden Senat (vgl.
BFH-Urteil vom 5.11.2003 X R 55/99, BFHE 205, 30, BStBl II 2004,
706 = SIS 04 22 05).
Die Auslegung des FG verstößt nicht
gegen gesetzliche Auslegungsregeln (vgl. u.a. BFH-Urteil vom
22.11.1994 VIII R 44/92, BFHE 176, 138, BStBl II 1995, 900 = SIS 95 04 20, unter II. 2. a). Insbesondere verkennt das FG nicht das
Verbot der Abspaltung mitgliedschaftlicher Rechte von dem Eigentum
an einem GmbH-Anteil, wonach insbesondere das mitgliedschaftliche
Gewinnbezugsrecht nicht vom zivilrechtlichen Eigentum am Anteil
getrennt werden kann (allgemeine Meinung; Hueck/Fastrich in
Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., § 14 Rz 19). Nach der
finanzgerichtlichen Würdigung sollte der Anteilserwerber im
Jahr 1998 noch keinerlei Einflussnahmemöglichkeit auf das
Handeln der GmbH haben. Auf die Differenzierung zwischen dem
Anspruch auf Gewinnausschüttung und dem mitgliedschaftlichen
Gewinnbezugsrecht (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.6.2004 VIII
ZR 349/03, BB 2004, 1759, DStR 2004, 1713; vgl. auch Weber,
GmbH-Rundschau, 1995, 494; Loritz, DStR 1998, 84) kommt es insoweit
nicht an.
4. Die Anteilsveräußerungen
unterfallen auch der Wesentlichkeitsgrenze von 10 %
gemäß § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002, indem diese auf den Veranlagungszeitraum 1998
zurückwirkt (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG). Zu Unrecht berufen
sich die Kläger insoweit auf Vertrauensschutz. Denn der
Kläger hat seine Anteile gerade im Hinblick auf die sich
abzeichnende (vgl. Gesetzentwurf vom 9.11.1998, BTDrucks 14/23) und
in der Fachliteratur vielfach besprochene Herabsenkung der
Wesentlichkeitsgrenze i.S. von § 17 Abs. 1 EStG
veräußert und bei dieser Disposition nicht auf den
Fortbestand der ursprünglichen Wesentlichkeitsgrenze vertraut.
Vielmehr ist genau die Rechtslage eingetreten, die der Kläger
seiner Disposition zugrunde gelegt hat. Dass seine bewusst auf die
Gesetzesänderung abgestimmte Gestaltung aus rechtstechnischen
Gründen gescheitert ist, ändert daran nichts.
Die Frage, inwieweit die Anwendung der durch
das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 abgesenkten
Wesentlichkeitsgrenze für Veräußerungsvorgänge
zwischen dem 1.1.1999 und dem Tag des Gesetzesbeschlusses am
4.3.1999 veranlagungszeitraumbezogen zu beurteilen ist (dazu
BFH-Beschluss vom 2.8.2006 XI R 34/02, BFHE 214, 386, BStBl II
2006, 887 = SIS 06 40 87), kann im Streitfall dahinstehen.