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I. Der Vater des Klägers und
Revisionsbeklagten (Kläger) war im Jahr 2001 mit 90 % an einer
Gebäude Service GmbH (GmbH) beteiligt, deren Stammkapital
70.000 DM betrug. Er schenkte dem Kläger im Jahr 2001 einen
Gesellschaftsanteil im Nennbetrag von 21.000 DM (30 %). Die
Anschaffungskosten des Vaters betrugen 175.392,86 DM. Im Jahr 2002
erwarb der Kläger einen Geschäftsanteil im Nennbetrag von
2.300 DM (3,29 %) für 150.000 DM von einer (weiteren)
Anteilseignerin. Im Rahmen der Euroumstellung wurde das
Stammkapital der GmbH im Jahr 2004 geringfügig auf 36.000 EUR
angehoben.
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Aufgrund notariell beurkundeten Vertrags
vom 16.3.2004 übertrug der Vater dem Kläger drei weitere
Gesellschaftsanteile von 12.550 EUR, 8.700 EUR und 2.450 EUR,
insgesamt also 23.700 EUR (65,83 %). Die Anschaffungskosten des
Vaters für diese GmbH-Anteile beliefen sich auf 293.270,11
EUR. Der Vater behielt sich gemäß Ziffer III dieses
Vertrags an den übertragenen Beteiligungen den
lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch vor. Dem
Nießbraucher gebührten danach die während des
Nießbrauchs auf die Beteiligungen entfallenden
ausgeschütteten Gewinnanteile. Zwar standen die mit den
übertragenen Beteiligungen verbundenen Mitgliedschaftsrechte
wie z.B. das Stimmrecht dem Kläger zu. Er bevollmächtigte
jedoch den Vater unwiderruflich zur Ausübung des Stimmrechts
in sämtlichen Gesellschaftsangelegenheiten und verpflichtete
sich gegenüber dem Vater (u.a.), von seinem eigenen Stimmrecht
hinsichtlich der übertragenen Anteile keinen Gebrauch zu
machen bzw. ersatzweise nach Weisung des Nießbrauchers (des
Vaters) zu stimmen. Außerdem wurde vereinbart, dass der
Kläger im Falle des früheren Ablebens seines Vaters
seiner Mutter als dauernde Last einen monatlichen Betrag in
Höhe von 2.000 EUR zahlen musste. Nach
Vertragsdurchführung betrugen die Anteile des Klägers am
Stammkapital der GmbH 35.700 EUR (99,17 %) und der Anteil des
Vaters 300 EUR (0,83 %).
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Der Kläger und sein Vater verkauften
sämtliche Anteile an der GmbH aufgrund des notariell
beurkundeten Vertrags vom 29.11.2006 für 3.220.000 EUR an eine
KG. Die Übertragung war aufschiebend bedingt bis zur - nicht
vor dem 8.1.2007 zu erfüllenden - Zahlung des Kaufpreises. Im
Rahmen einer Vereinbarung vom 15.12.2006 verzichtete der Vater des
Klägers auf seine eingeräumten Nießbrauchrechte und
die Mutter des Klägers auf die aufschiebend bedingte dauernde
Last. Als Gegenleistung für den Verzicht vereinbarten die
Vertragsparteien (Vater, Mutter und der Kläger) einen
Ablösebetrag von 1.679.800 EUR, der für den Kläger
unmittelbar von der KG auf das Konto des Vaters zu zahlen
war.
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In seiner Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr (2007) erklärte der Kläger einen
Veräußerungsgewinn von 525.636,90 EUR, den er wie folgt
ermittelte:
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erkannte den vom Kläger an den Vater
gezahlten Ablösebetrag nicht als nachträgliche
Anschaffungskosten an, ermittelte einen
Veräußerungsgewinn von 2.731.073 EUR und unterwarf
diesen in Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens zur
Hälfte der Besteuerung.
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Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) gelangte in seinem in EFG 2011, 131 = SIS 10 33 86
veröffentlichten Urteil zu der Auffassung, dass der
Kläger Gesellschaftsanteile aufgrund der notariellen
Schenkungsurkunde unentgeltlich erworben habe und dass er die
Ablösungszahlung von 1.679.800 EUR als nachträgliche
Anschaffungskosten habe aufwenden müssen, um sich die
vollständige rechtliche und wirtschaftliche
Verfügungsmacht an den Anteilen zu verschaffen. Das FG setzte
die Einkommensteuer für das Streitjahr im Urteil vom 6.8.2010
zunächst auf 274.468 EUR fest, änderte diese Festsetzung
allerdings auf Antrag des Klägers durch Ergänzungsurteil
vom 17.9.2010, indem es die Einkommensteuer 2007 auf nunmehr
269.269 EUR festsetzte.
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Hiergegen richten sich die Revisionen des
FA, die es auf rechtsfehlerhafte Anwendung des § 17 Abs. 2
Satz 5 EStG i.d.F. des Streitjahres (2007) stützt.
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Das FA beantragt, die Vorentscheidungen
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revisionen
als unbegründet zurückzuweisen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 7.6.2011
die Verfahren IX R 51/10 (betreffend das ursprüngliche Urteil
des FG vom 6.8.2010) und IX R 60/10 = SIS 11 26 34 (betreffend das
Ergänzungsurteil vom 17.9.2010) unter dem erstgenannten
Aktenzeichen miteinander verbunden.
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II. Die Revisionen des FA sind begründet
und führen nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der angefochtenen Urteile
und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG.
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Die Urteile sind aufzuheben, weil das FG von
einem unentgeltlichen Erwerb der Gesellschaftsanteile durch den
Kläger aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags vom
16.3.2004 gemäß § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG ausgegangen
ist, ohne zu prüfen, ob ihm die Gesellschaftsanteile nach
§ 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zuzurechnen
sind.
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1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb
gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von
Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der
Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am
Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1
% beteiligt war. Ist danach die im Streitjahr vollzogene
Veräußerung an die KG unstreitig steuerbar, so ist
problematisch, welche Anschaffungskosten bei der Ermittlung des
Gewinns nach § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen
sind.
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a) Das FG geht mit den Beteiligten davon aus,
der Kläger habe die Gesellschaftsanteile vom Vater
unentgeltlich i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG erworben. Indes
kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht
prüfen, ob die Gesellschaftsanteile dem Kläger aufgrund
des notariell beurkundeten Vertrags auch nach § 39 Abs. 2 Nr.
1 AO zuzurechnen waren oder ob das wirtschaftliche Eigentum an den
Anteilen erst mit dem Verzicht des Vaters auf das
Nießbrauchrecht - und damit entgeltlich gegen Zahlung des
Ablösebetrags - übergegangen ist.
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b) Wirtschaftsgüter sind dem
Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO). Abweichend von
der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an
Wirtschaftsgütern sind Wirtschaftsgüter demjenigen
zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über ein
Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den
Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche
Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut
wirtschaftlich ausschließen kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).
Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil
geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf einen Erwerber über,
wenn er aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen)
Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf
den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm
gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann und die mit dem
Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (insbesondere
Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie das Risiko einer
Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn
übergegangen sind (ständige Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs - BFH -, vgl. die Urteile vom 26.1.2011 IX R 7/09,
BFHE 232, 463, BStBl II 2011, 540 = SIS 11 11 59, und vom 20.7.2010
IX R 38/09, BFH/NV 2011, 41 = SIS 10 39 67, jeweils m.w.N.).
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Diese Grundsätze gelten auch, wenn zu
entscheiden ist, ob der Veräußerer den
veräußerten Anteil unentgeltlich i.S. von § 17 Abs.
2 Satz 5 EStG „erworben“ hat. Hat er kein
wirtschaftliches Eigentum an dem Gesellschaftsanteil erlangt, hat
er ihn nicht erworben.
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c) Ist der Gesellschaftsanteil unter dem
Vorbehalt des Nießbrauchs „unentgeltlich“
übertragen worden, fehlt es am Erwerb des
Gesellschaftsanteils, wenn der übertragene
Geschäftsanteil als wirtschaftliches Eigentum nach § 39
Abs. 2 Nr. 1 AO dem Vorbehaltsnießbraucher zuzurechnen ist
(vgl. in diesem Sinne auch BFH-Urteil vom 10.12.2008 II R 34/07,
BFHE 224, 144, BStBl II 2009, 312 = SIS 09 05 64). Bereits
zivilrechtlich ist der Nießbraucher einem Gesellschafter mit
der Folge einer Zurechnung nach § 39 Abs. 1 AO
gleichzustellen, wenn der Nießbrauch die gesamte Beteiligung
umfasst und ihm eine Position vermittelt, die ihm (z.B. durch ihm
eingeräumte Stimmrechtsvollmachten) entscheidenden Einfluss
auf die Geschicke der Gesellschaft verschafft (Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 5.4.2011 II ZR 173/10, DStR 2011, 1475 ff.,
m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum).
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Erst recht ist dem Nießbraucher unter
diesen Voraussetzungen der Gesellschaftsanteil steuerrechtlich nach
§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen. Er ist wirtschaftlicher
Eigentümer, wenn er nach dem Inhalt der getroffenen Abrede
alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte
(Vermögens- und Verwaltungsrechte) ausüben und im
Konfliktfall effektiv durchsetzen kann (BFH-Urteil vom 6.10.2009 IX
R 14/08, BFHE 228, 10, BStBl II 2010, 460 = SIS 10 05 38, zur
Quotentreuhand).
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2. Nach diesen Maßstäben sind die
angefochtenen Urteile aufzuheben. Das FG hat einen unentgeltlichen
„Erwerb“ der Anteile durch den Kläger von
seinem Vater angenommen, ohne § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 17
Abs. 2 Satz 5 EStG zu prüfen. Trotz des vom FG in Bezug
genommenen Notarvertrags vom 16.3.2004 und der darin dem Vater als
Nießbraucher eingeräumten unwiderruflichen
Stimmrechtsvollmacht in sämtlichen
Gesellschaftsangelegenheiten hat es die Anteile schon ab diesem
Zeitpunkt dem Kläger zugerechnet und ist deshalb von einem
unentgeltlichen Erwerb ausgegangen. Sofern aber das wirtschaftliche
Eigentum an den übertragenen Anteilen zunächst beim Vater
verblieben ist, hat dieser die Anteile wirtschaftlich erst mit dem
Verzicht auf den Nießbrauch im Jahr 2006 an den Kläger
übertragen, und zwar entgeltlich gegen die Ablösezahlung
als Gegenleistung.
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Auch dann sind dem Kläger allerdings
Anschaffungskosten in Höhe der nämlichen
Ablösungszahlung gemäß § 255 Abs. 1 des
Handelsgesetzbuches entstanden. Das führt aber nicht dazu,
dass sich das Urteil deshalb aus anderen Gründen als richtig
darstellte (§ 126 Abs. 4 FGO): Denn das FG hätte dann
einen zu niedrigen Gewinn der Besteuerung unterworfen. Es hat nach
§ 17 Abs. 2 Satz 5 EStG den maßgeblichen Gewinn - neben
dem Ausgleichsbetrag als nachträgliche Anschaffungskosten - um
die Anschaffungskosten des Vaters gemindert. Diese Vorschrift ist
aber nicht anzuwenden und der Gewinn damit nicht um die
Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers zu mindern, wenn die
Gesellschaftsanteile erst im Jahr 2006 entgeltlich übertragen
worden sind.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Zwar
spricht der vom FG in Bezug genommene Vertragsinhalt dafür,
dass das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Anteilen
beim Vater, dem Vorbehaltsnießbraucher, verblieben ist.
Trotzdem kann der Senat nicht durchentscheiden. Da der
Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild
der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall
zu beurteilen und nicht lediglich das formal Erklärte oder
formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte
und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend ist (BFH-Urteil
vom 9.10.2008 IX R 73/06, BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140 = SIS 08 44 63), bedarf es grundsätzlich einer tatrichterlichen
Würdigung (BFH-Urteil vom 22.7.2008 IX R 74/06, BFHE 222, 458,
BStBl II 2009, 124 = SIS 08 35 56), die der BFH als
Revisionsinstanz nicht selbst durchführen kann. Dies gilt im
Streitfall umso mehr, als die Beteiligten zum Aspekt des Verbleibs
des wirtschaftlichen Eigentums bisher - abgesehen vom
Gerichtsbescheid und der mündlichen Verhandlung - nicht
gehört worden sind und auch noch nicht vorgetragen haben.
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Ferner muss verfahrensrechtlich die
Beteiligung des Vaters am Verfahren gemäß § 174
Abs. 5 AO erwogen werden. Hat der Vater mit dem Verzicht auf den
Nießbrauch gegen den Ablösebetrag von 1.679.800 EUR sein
wirtschaftliches Eigentum an den Anteilen entgeltlich
übertragen, realisiert er einen Veräußerungsgewinn.
Dies geschieht aufgrund eines Rechtsbehelfs des Klägers, mit
dem dieser erreicht, dass der Ablösebetrag als
Anschaffungskosten seiner veräußerten
Gesellschaftsanteile den Gewinn mindert. Folglich kann das FA auch
dem Vater gegenüber nachträglich die richtigen
steuerlichen Folgerungen ziehen (§ 174 Abs. 4 AO), wenn er an
dem Verfahren des Klägers beteiligt wird (§ 174 Abs. 5
AO).
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