Fünftelregelung, Verfassungsmäßigkeit für VZ 1999: Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob die zu § 34 Abs. 1 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl 1999 I, 402) ergangene Anwendungsregelung des § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 mit Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG insoweit vereinbar ist, als Entschädigungen i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG, die vor der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.3.1999 vereinbart und ausgezahlt worden sind, mit einer höheren Steuer belegt werden, als es das im Zeitpunkt der Auszahlung geltende Gesetz vorgesehen hat. - Urt.; BFH 2.8.2006, XI R 34/02; SIS 06 40 87
A.
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) vereinbarte am 22.11.1998 mit seinem Arbeitgeber die
Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum 30.6.1999. Er sollte
als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine
Abfindung erhalten, die mit der Gehaltsabrechnung für den
Monat März 1999 fällig sein sollte. Ausweislich der
Abrechnung des Arbeitgebers vom 22.3.1999 zahlte er als
Entschädigung einen Betrag in Höhe von 36.000 DM
steuerfrei aus und unterwarf einen Betrag von brutto 209.211 DM der
Lohnsteuer mit dem halben Steuersatz.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) versteuerte in dem Einkommensteuerbescheid
für 1999 vom 13.3.2001 den Betrag von 209.211 DM mit dem
ermäßigten Steuersatz (sog. Fünftelregelung) nach
§ 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002)
vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304).
Mit ihrem Einspruch begehrten die
Kläger die Besteuerung der Abfindung mit dem halben Steuersatz
gemäß § 34 Abs. 1 EStG in der Fassung, die im
Zeitpunkt der Auszahlung der Entschädigung gegolten habe. Der
Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Es entschied, die in § 52 Abs. 47 Satz 1 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/2002 angeordnete rückwirkende Anwendung des
§ 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
verstoße nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip
hergeleiteten Grundsatz des Vertrauensschutzes. Es liege keine
grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung, sondern
lediglich eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche
Rückanknüpfung) vor. Diese sei zulässig, da im
Streitfall kein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen
des Klägers an der Anwendung des bisherigen Rechts
festzustellen sei. Das Urteil ist in EFG 2003, 97
veröffentlicht.
Mit ihrer Revision halten die Kläger
an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die Besteuerung der am
22.3.1999 ausgezahlten Abfindung i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
verfassungswidrig sei. Der Kläger habe im November 1998 noch
nicht damit rechnen können, dass seine Abfindung unter die
neue Rechtslage fallen werde. Das Vertrauen des Steuerbürgers
in die Gültigkeit bestehender Gesetze sei bei Abwägung
der Interessen höher zu bewerten als das fiskalische Interesse
des Staates.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 13.3.2001 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 4.7.2001 dergestalt zu ändern, dass
die Abfindung von 209.211 DM mit dem halben durchschnittlichen
Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1 EStG a.F. besteuert
wird.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
B.
Entscheidungsgründe
Der Senat legt die Vorlagefrage dem
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1
Satz 1 des Grundgesetzes (GG), § 80 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) zur Entscheidung vor und setzt
bis dahin das Verfahren aus.
Nach der Überzeugung des Senats ist die
zu § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
ergangene Anwendungsregelung des § 52 Abs. 47 EStG insoweit
verfassungswidrig, als die Gesetzesänderung, soweit sie sich
steuererhöhend auswirkt, auf den gesamten Veranlagungszeitraum
1999 und damit auch auf solche Entschädigungen anzuwenden ist,
die vor der am 31.3.1999 erfolgten Verkündung des StEntlG
1999/2000/2002 vereinbart und ausbezahlt worden sind. Diese
Anwendungsregelung begründet (ebenso wie bei deren teilweiser
Nichtigkeit der dann eingreifende § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG
i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 bzw. bei dessen teilweiser
Nichtigkeit Art. 18 Abs. 1 des StEntlG 1999/2000/2002) nach der -
von der Rechtsprechung des BVerfG abweichenden - Ansicht des Senats
für solche Entschädigungen, die vor der Verkündung
des Gesetzes vereinbart und ausgezahlt worden sind, nicht eine
unechte, sondern eine echte Rückwirkung, die gemäß
Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG unzulässig ist, soweit
sie sich steuererhöhend auswirkt, da keine
Rechtfertigungsgründe für eine rückwirkende
Anwendung vorliegen.
I. Rechtsentwicklung der im Streitfall
maßgeblichen Vorschriften
1. § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG lautete
i.d.F. der Bekanntmachung vom 16.4.1997 (BGBl I 1997, 821), die bis
zum In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999
gegolten hat, wie folgt:
„Sind in dem zu versteuernden
Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist
die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem
ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Dieser beträgt
für den Teil der außerordentlichen Einkünfte, der
den Betrag von 15 Millionen Deutsche Mark nicht übersteigt,
die Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes, der sich
ergäbe, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten
zu versteuernden Einkommen zuzüglich der dem
Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen
wäre.“
Nach der ausdrücklichen
Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 24a EStG i.d.F. des Gesetzes
zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I
1997, 2590, BStBl I 1997, 928) war § 34 Abs. 1 EStG in der
vorstehend wiedergegebenen Fassung für die
Veranlagungszeiträume 1998 bis 2000 anzuwenden.
Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG
kommen als außerordentliche Einkünfte im Sinne des
Absatz 1 „Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr.
1“ in Betracht.
§ 24 Nr. 1 Buchst. a und b EStG
lautet:
„Zu den Einkünften im Sinne des
§ 2 Abs. 1 gehören auch
1.
|
Entschädigungen, die gewährt
worden sind
|
|
a)
|
als Ersatz für entgangene oder
entgehende Einnahmen oder
|
|
b)
|
für die Aufgabe oder
Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer
Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche; ...
„
|
§ 34 EStG ist durch das StEntlG
1999/2000/2002 wie folgt geändert worden:
„(1) Sind in dem zu versteuernden
Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist
auf unwiderruflichen Antrag die auf alle im Veranlagungszeitraum
bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende
Einkommensteuer nach den Sätzen 2 bis 4 zu berechnen. Die
für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende
Einkommensteuer beträgt das Fünffache des
Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um
diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen
(verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer
für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich
eines Fünftels dieser Einkünfte. Ist das verbleibende zu
versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen
positiv, so beträgt die Einkommensteuer das Fünffache der
auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden
Einkommensteuer. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für
außerordentliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 2 Nr.
1, wenn der Steuerpflichtige auf diese Einkünfte ganz oder
teilweise § 6b oder § 6c anwendet.“
§ 52 Abs. 47 Satz 1 und 2 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/ 2002 bestimmt:
„§ 34 in der Fassung der
Bekanntmachung vom 16.4.1997 (BGBl I S. 821) ist letztmals für
den Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden. § 34 in der Fassung
des Gesetzes vom 24.3.1999 (BGBl I S. 402) ist erstmals für
den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden.“
2. Die Vorschläge zur Änderung des
§ 34 EStG und zur Geltung der Änderung ab dem 1.1.1999
wurden am 9.11.1998 in einem Entwurf des StEntlG 1999/2000/2002 der
Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks
14/265) eingebracht. Ein entsprechender Entwurf der Bundesregierung
wurde am 20.11.1998 dem Bundesrat zugeleitet (BTDrucks 14/265).
Das Gesetz wurde am 4.3.1999 im Bundestag
beschlossen. Der Bundesrat stimmte ihm am 19.3.1999 zu. Das Gesetz
wurde am 24.3.1999 ausgefertigt. Es wurde in der Ausgabe des BGBl
vom 31.3.1999 veröffentlicht.
Das StEntlG 1999/2000/2002 ist nach seinem
Art. 18 Abs. 1 bezüglich der Vorschriften, die die
Einkommensteuer betreffen, mit Wirkung vom 1.1.1999 in Kraft
getreten (BStBl I 1999, 304, 398).
II. Einfachgesetzliche Beurteilung des
Streitfalles unter Berücksichtigung der Pflicht zur
verfassungskonformen Auslegung
Bei einer Entscheidung des Streitfalles auf
einfachgesetzlicher Grundlage ist die dem Kläger zugeflossene
Entschädigung nach der sog. Fünftelregelung des § 34
Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu versteuern.
1. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig
und auch das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die zwischen
dem Kläger und seinem Arbeitgeber im November 1998 vereinbarte
Entschädigung eine solche i.S. des § 24 Nr. 1 EStG ist
und zu den außerordentlichen Einkünften i.S. des §
34 Abs. 2 Nr. 2 EStG gehört.
Die am 22.3.1999 ausgezahlte
Entschädigung ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1
EStG im Streitjahr 1999 zu versteuern.
2. Die Rechtsfrage, nach welcher Fassung des
§ 34 Abs. 1 EStG die Entschädigung zu versteuern ist, hat
das FG auf der Grundlage des einfachen Gesetzes zutreffend dahin
beantwortet, dass die sog. Fünftelregelung des § 34 Abs.
1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 anzuwenden ist. Denn nach
§ 52 Abs. 47 EStG ist § 34 EStG i.d.F. der Bekanntmachung
vom 16.4.1997 (BGBl I 1997, 821) letztmals für den
Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden. § 34 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) ist
erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden.
Das FG hat zu Recht angenommen, dass die
Voraussetzungen für eine den Wortlaut des § 52 Abs. 47
EStG korrigierende Auslegung nicht vorliegen (vgl. zur
verfassungskonformen Auslegung auch bereits den Vorlagebeschluss
des Senats vom 6.11.2002 XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003,
257 = SIS 03 11 51 zum Lohnsteuerabzug). Denn weder die
Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift noch sonstige Umstände
lassen Raum dafür, sie abweichend von ihrem Wortlaut
berichtigend dahin zu interpretieren, dass die Neufassung nicht
für vor der Verkündung des StEntlG 1999/2000/ 2002
vereinbarte und ausgezahlte Entschädigungen gilt. Es liegen
keine Anhaltspunkte (z.B. ein sog. Redaktionsversehen) dafür
vor, dass der Gesetzgeber bezüglich der zeitlichen Anwendung
der Änderungsvorschrift in Wirklichkeit andere Vorstellungen
gehabt haben könnte als diejenigen, die im Wortlaut des
Gesetzes zum Ausdruck gekommen sind. Vielmehr wird auch in der
Begründung der Bundesregierung unmissverständlich zum
Ausdruck gebracht, dass die Gewährung des halben
durchschnittlichen Steuersatzes für außerordentliche
Einkünfte „ab 1.1.1999 gestrichen“ wird
(BTDrucks 14/265, S. 189).
Zwar braucht eine - verfassungskonforme -
Auslegung nicht am Wortlaut einer Norm haltzumachen. Doch kann ein
Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar
geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde,
auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung begründet
werden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 19.6.1973 1 BvL 39/69, 1
BvL 14/72, BVerfGE 35, 263; vom 11.1.2005 2 BvR 167/02, BVerfGE
112, 164 = SIS 05 30 28). Vorliegend entsprach es dem klar
geäußerten Willen des Gesetzgebers, die geänderte
Fassung des § 34 Abs. 1 EStG rückwirkend ab dem 1.1.1999
anzuwenden. Dieser ist dabei auch von einer zutreffenden
Einschätzung der Auswirkungen dieser Änderung
ausgegangen. Denn es war offensichtlich und auch beabsichtigt, dass
die Fünftelregelung nicht etwa eine ausschließlich
begünstigende Wirkung hat, sondern bei Beziehern hoher
regulärer Einkünfte zu einer steuerlichen Mehrbelastung
führen würde (vgl. auch BRDrucks 910/98, S. 183).
Unter diesen Umständen würde eine
vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung durch die Gerichte
die Grenzen einer zulässigen - verfassungskonformen -
Auslegung überschreiten. Dass eine
„berichtigende“ Auslegung nicht zulässig
ist, wenn der zeitliche Geltungsanspruch des Änderungsgesetzes
in diesem selbst durch die Angabe eines Datums benannt ist und
keine Anhaltspunkte für eine davon abweichende Vorstellung des
Gesetzgebers vorliegen, entspricht auch der Auffassung des BVerfG
(vgl. Beschluss vom 7.7.1992 2 BvR 1631, 1728/90, BVerfGE 87, 48,
60; vgl. zu den Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung bei
einer Datumsangabe in einer Anwendungsvorschrift auch den
Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.12.2003 IX R
46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 299 = SIS 04 05 46, unter
V.2.b bb der Gründe).
3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für
eine abweichende Steuerfestsetzung im Wege einer
Billigkeitsmaßnahme nach § 163 der Abgabenordnung (AO
1977) liegen nicht vor (vgl. zur Verfassungspflicht zum
Billigkeitserlass z.B. BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998 2 BvR
1220/93, BVerfGE 99, 268, BStBl II 1999, 193 = SIS 99 04 08,
m.w.N.).
Eine sachliche Unbilligkeit i.S. des §
163 AO 1977 liegt vor, wenn die Festsetzung der Steuer zwar
äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des
Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwider läuft, dass die
Festsetzung der Steuer unbillig erscheint, wenn also nach dem
erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers
angenommen werden kann, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu
einem vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis
führt (ständige Rechtsprechung, vgl. Nachweise z.B.
Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 163 Rz. 32, 51; Loose in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO
Tz. 40). Das einfache Recht eröffnet keine Möglichkeit,
die bewusst vom Gesetzgeber mit der rückwirkenden Ersetzung
des halben Steuersatzes durch die Fünftelregelung in Kauf
genommenen Härten für entlassene Arbeitnehmer zu
korrigieren. Zudem könnte einer Verpflichtung zur
Billigkeitsmaßnahme - anders als unter der Geltung des §
131 der Reichsabgabenordnung - nicht in diesem Verfahren
entsprochen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 21.9.2000 IV R 54/99, BFHE 193, 301, BStBl II 2001,
178 = SIS 01 02 66, unter 2., m.w.N.; BFH-Beschluss in BFHE 200,
560, BStBl II 2003, 257 = SIS 03 11 51).
III. Verfassungsrechtliche Beurteilung des
§ 52 Abs. 47 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/2000/2002
Der Senat ist der Überzeugung, dass die
zu § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 ergangene Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 47
EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002 insoweit gegen das
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i.V.m. dem Grundsatz der
Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) verstößt, als danach auch
Entschädigungen in solchen Fällen nach der sog.
Fünftelregelung zu versteuern sind, in denen sich dies
steuererhöhend auswirkt und in denen die Entschädigungen
vor der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 vereinbart und
ausgezahlt worden sind.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des
BVerfG ist bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen
Zulässigkeit rückwirkender Normen zu unterscheiden
zwischen einer echten und einer unechten Rückwirkung bzw. der
Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen
Rückanknüpfung. Erstere liegt vor, wenn der Beginn des
zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm auf einen Zeitpunkt
festgelegt wird, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm
gültig geworden ist. Die Anordnung, eine belastende
Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der
Verkündung der Norm liegenden Zeitpunkt eintreten, ist
grundsätzlich unzulässig bzw. nur aus zwingenden
Gründen des Gemeinwohls zu rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom
3.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 = SIS 98 10 50, BGBl I 1998,
725). Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit
angehörenden Sachverhalt verstößt gegen das
verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit. Dieses Gebot
enthält als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips des Art.
20 Abs. 3 GG ein objektives Element; es verlangt eine gewisse
Rechtsbeständigkeit, Berechenbarkeit und die
Verlässlichkeit der geltenden Rechtsordnung (vgl.
BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 291 = SIS 04 05 46, m.w.N.).
Demgegenüber betrifft eine unechte
Rückwirkung nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht den
zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm.
Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach der
Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber
Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk
gesetzt“ worden sind (BVerfG-Beschluss vom 5.2.2002 2 BvR
305, 348/93, BVerfGE 105, 17, 37 = SIS 02 09 34). Die unechte
Rückwirkung unterliegt weniger strengen Beschränkungen
als die echte (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67 = SIS 98 10 50,
BGBl I 1998, 725).
a) Bei Veranlagungssteuern wie der
Einkommensteuer hat sich das BVerfG auf den Standpunkt gestellt,
aufgrund der Jahresbezogenheit der Einkünfte- und
Einkommensermittlung trete die durch das Verhalten des
Steuerpflichtigen ausgelöste Rechtsfolge erst in dem Zeitpunkt
ein, in dem die Steuerschuld entsteht (vgl. BVerfG-Beschlüsse
vom 14.5.1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 253, BStBl II 1986, 628
= SIS 86 25 18, unter C.II.2.b; vom 15.1.1992 2 BvR 1824/89, HFR
1992, 729; vom 8.2.1993 2 BvR 1765/92, HFR 1993, 329 = SIS 93 09 05). Da die Einkommensteuer gemäß § 36 Abs. 1 EStG
grundsätzlich erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, also
des Kalenderjahres (vgl. §§ 2 Abs. 7, 25 Abs. 1 EStG)
entsteht, bewirkt dieser Ansatz, dass Handlungen oder Vorgänge
während des Kalenderjahres unter dem Gesichtspunkt einer
unechten Rückwirkung zu würdigen sind.
Das BVerfG ist mit seinen grundlegenden
Ausführungen in dem Beschluss in BVerfGE 72, 200, BStBl II
1986, 628 = SIS 86 25 18, wonach für den Vertrauensschutz im
Steuerrecht der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld
maßgeblich sein soll, nicht der Rechtsauffassung des BFH
gefolgt. Dieser hatte in dem Vorlagebeschluss vom 3.11.1982 I R
3/79 (BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259 = SIS 83 06 37) die Ansicht
vertreten, dass bei solchen Steuertatbeständen, die an
Handlungen oder Vorgänge anknüpfen, die Steuerpflicht
bereits im Augenblick des Handelns oder mit Beendigung des Vorgangs
verwirklicht sei. Dass die geschuldete Steuer erst mit Ablauf des
Kalenderjahres entstehe, betreffe nur die steuertechnische
Seite.
b) In seiner neueren Rechtsprechung hat das
BVerfG seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit
rückwirkender Gesetze nach einer in der Literatur (P.
Kirchhof, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2000, 221, 223)
vertretenen Auffassung „grundlegend
modifiziert“. Der Zweite Senat hat in seinem Beschluss in
BVerfGE 97, 67 = SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725 im Falle einer
Verschonungssubvention im Schiffsbau (Sonderabschreibung
gemäß § 82f der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) entschieden, dass die
steuergesetzlichen Dispositionsbedingungen bereits mit der
Disposition, nicht erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums zu
einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage werden. Es hat im
„Maßstabsteil“ seines Beschlusses in
BVerfGE 97, 67, 79 f. = SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725 (so P.
Kirchhof, StuW 2000, 221, 223) für den Zeitpunkt des
schutzwürdigen Vertrauens und die Durchbrechung des
Rückwirkungsverbots die Frage nach einer echten oder unechten
Rückwirkung nicht mehr aufgegriffen und das Prinzip der
Verlässlichkeit der Rechtsordnung als eine Grundbedingung
freiheitlicher Verfassungen gemeinsam behandelt; es hat sodann bei
der Subsumtion des mehrstufigen Subventionstatbestandes, der
für die Investitionsentscheidung des Schiffsbaubestellers
rückwirkend Rechtsfolgen ändert, die davon abhängige
Steuervergünstigung für Kapitalanlagen aber erst für
zukünftige Anlageentscheidungen neu regelt, ausdrücklich
offengelassen, ob dieser Sachverhalt nach den Maßstäben
der echten oder unechten Rückwirkung zu beurteilen ist.
Das BVerfG hat mit seinen Ausführungen in
diesem Beschluss anerkannt, dass es jedenfalls für
Steuervergünstigungen bereits während des
Veranlagungszeitraums abgeschlossene Sachverhalte geben kann (vgl.
Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 215).
Deshalb hat die Entscheidung zur Schiffsbausubvention in der
Literatur auch die Hoffnung auf ein Umdenken des BVerfG im Hinblick
auf die Bedeutung des Jährlichkeitsprinzips geweckt (vgl.
Arndt/Schumacher, NJW 1998, 1538, 1539; Münch, Der
Steuerberater - StB - 1998, 266 f.; Brockmeyer, Harzburger
Steuerprotokoll 1998, S. 43, 58; Hey, Betriebs-Betrater - BB -
1998, 1444, 1447).
Auch in seinem Beschluss in BVerfGE 105, 17,
40 = SIS 02 09 34, der die Aufhebung des § 3a EStG
(Steuerfreiheit von Sozialpfandbriefzinsen) betrifft, hat das
BVerfG anerkannt, dass steuerrechtliche Dispositionsbedingungen vom
Tag der Entscheidung an eine Vertrauensgrundlage bilden, auf die
der Steuerpflichtige sein steuerlich geregeltes Verhalten
stützt. Das bedeutet, dass steuerrechtliche
Subventionsbedingungen mit der Disposition des Steuerpflichtigen,
nicht erst mit Eintritt der steuerlichen Belastungsfolgen nach
Ablauf des Veranlagungszeitraums zu einer schutzwürdigen
Vertrauensgrundlage werden (Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3 zu
Heft 20-21, 13 f.; Hey, BB 2002, 2312, 2313).
c) Nach Auffassung des IX. Senats des BFH
(Vorlagebeschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 292 = SIS 04 05 46) ist der verstärkte Schutz von Dispositionen, den das
BVerfG bisher nur für (Verschonungs-)Subventionen und
Steuervergünstigungen gewährt hat, auf alle
Steuerrechtsnormen zu erstrecken (vgl. auch P. Kirchhof, StuW 2000,
221, 226).
2. Die sog.
Veranlagungszeitraum-Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 72, 200,
BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18, wonach bei Veranlagungssteuern
für die Unterscheidung zwischen echter und unechter
Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Entstehung der
Einkommensteuerschuld, also auf den Ablauf des Kalenderjahres,
abzustellen sei, ist ganz überwiegend auf Kritik
gestoßen.
a) Bereits der Richter des BVerfG Steinberger
hatte in seinem abweichenden Votum zu dem Beschluss in BVerfGE 72,
200, BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18 die Auffassung der Mehrheit
abgelehnt. Er hat die Mehrheitsmeinung, nach der der
Steuerpflichtige nicht darauf vertrauen dürfe, dass
Einkünfte, die er während eines Veranlagungszeitraums
erzielt habe, nach Maßgabe jener Rechtslage in die
Veranlagung und die Berechnung seiner Jahressteuerschuld eingingen,
wie sie zur Zeit des Zuflusses dieser Einnahmen gegolten habe, als
einen Schlag gegen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung
bezeichnet. Das Einkommensteuerrecht sei kein Feld, auf dem
Wettläufe zwischen Bürger und Steuergesetzgeber wie
zwischen Hase und Igel ausgetragen werden sollten (BVerfGE 72, 276
ff.).
b) Auch in der Literatur ist der
Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628 =
SIS 86 25 18 zur Maßgeblichkeit des Ablaufs des
Veranlagungszeitraums weitgehend die Zustimmung versagt worden. K.
Vogel (Juristenzeitung - JZ - 1988, 833, 838) hat gefordert, dass
der Gesetzgeber es entgegen der Rechtsprechung des BVerfG dann bei
der Anwendung der günstigeren älteren Regelung zu
belassen habe, wenn der wirtschaftliche Vorgang, an den die
Steuerpflicht anknüpft, in seinem Kern bereits vor
Verkündung des neuen Gesetzes verwirklicht worden ist und es
lediglich systematisch-technische Gründe sind, die den
formalen Gesetzestatbestand erst nach der Neuregelung eintreten
lassen.
Er hat dargelegt, dass die Dogmatik des
Einkommensteuerrechts der Annahme, es könne nicht entscheidend
auf die Entstehung der Steuerschuld und den Ablauf des
Kalenderjahres ankommen, nicht entgegensteht (K. Vogel, in
Festschrift für Martin Heckel, S. 875, 882 f.). Bei den
Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG)
ergäben sich die Überschüsse aus einzelnen
Wirtschaftsvorgängen, die sich jeweils zu einem bestimmten
Zeitpunkt ereignet hätten. Auch bei den Gewinneinkünften
(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG) beruhe der Unterschiedsbetrag
gemäß § 4 Abs. 1 EStG zwischen dem
Betriebsvermögen am Schluss eines Wirtschaftsjahres und
demjenigen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zum
allergrößten Teil auf einzelnen
Geschäftsvorfällen, die gesondert verbucht würden.
Nicht zeitlich zuordenbare Wertminderungen oder -erhöhungen
könnten pro rata temporis aufgeteilt werden. Nach seiner
Formulierung ist deshalb auch für Steuergesetze eine echte
Rückwirkung dann anzunehmen, „wenn und soweit eine im
Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch oder
nur in Fällen gelten soll, in denen die
Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung
des Gesetzes erfüllt worden sind“ (K. Vogel, a.a.O.,
S. 875, 878).
Die Rechtsansicht, dass für den durch
Art. 20 Abs. 3 GG gewährten Vertrauensschutz nicht der Ablauf
des Kalenderjahres, sondern nur diejenige Rechtslage
maßgebend sein kann, die im Zeitpunkt der Handlung des
Steuerpflichtigen bzw. der Verwirklichung der Voraussetzungen des
gesetzlichen Tatbestandes bestanden hat, entspricht der ganz
überwiegenden Meinung in der Literatur (z.B. Kruse, in
Festschrift für Klaus Tipke, S. 277, 284; Schwenke, FR 1997,
45, 48; Hey, BB 1998, 1444, 1446; dieselbe,
Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 212 ff.; Lang,
Die Wirtschaftsprüfung - WPg - 1998, 163, 170;
Arndt/Schumacher, NJW 1998, 1538; Rensmann, JZ 1999, 168, 170 f.;
Schaumburg, DB 2000, 1884, 1886 f.; dieselbe in EFG 2002, 1239;
Demuth/Strunk, DStR 2001, 57 f.; P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 223;
F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 196 f.; Offerhaus, DB 2001, 556;
derselbe in DStZ 2000, 9, 12 ff.; Reimer, DStZ 2001, 725, 730;
Pleyer, NJW 2001, 1985 f.; Seeger, FR 2003, 30; Weber-Grellet, StuW
2003, 278, 285; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip,
2002, S. 485, 568 f.; Spindler, DStR 1998, 953, 958; derselbe, DStR
2001, 725 f.; derselbe, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft -
DStJG - 27 (2004), S. 69, 86; Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3
zu Heft 20-21, 13 f.; derselbe, DStJG 27 (2004), S. 25, 43 f.;
derselbe, in Festschrift für Peter Bareis, S. 171, 187 ff.;
Birk in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 4 AO Rz. 739,
m.w.N.; Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz.
16; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung § 4 Rz. 80;
Klein/Gersch, a.a.O., § 4 Rz. 5; Lang in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 18. Aufl., § 4 Rz. 177 f.; vgl. auch Osterloh,
DStJG 24 (2001), S. 383, 404; Zustimmung zur
Veranlagungszeitraum-Rechtsprechung des BVerfG äußern:
R. Schmidt, DB 1993, 2250, 2258; Fiedler, NJW 1988, 1624, 1628 f.;
Wernsmann, Juristische Schulung 2000, 39, 42).
3. Nach Auffassung des Senats wird die
Rechtsprechung des BVerfG, die zur Unterscheidung zwischen echter
und unechter Rückwirkung bei der Einkommensteuer auf den
Ablauf des Kalenderjahres abstellt, dem berechtigten und durch Art.
20 Abs. 3 GG geschützten Vertrauen des Bürgers auf die
Verlässlichkeit der Rechtsordnung nicht gerecht.
a) Nach § 38 AO 1977 entstehen
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der
Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht
knüpft. Diese Vorschrift gilt gemäß § 1 AO
1977 für alle Steuern. Zu den Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis gehört gemäß § 37
Abs. 1 Satz 1 AO 1977 u.a. der Steueranspruch.
Der Gesetzgeber unterscheidet in § 38 AO
1977 zwischen der Verwirklichung des Tatbestandes, d.h. der
Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einerseits, und der
Entstehung der Leistungspflicht, d.h. der Rechtsfolge,
andererseits. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind beispielsweise
für die im Streitfall zu beurteilende Entschädigung in
den §§ 8, 19 Abs. 1, 24 Nr. 1, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG
festgelegt. § 34 Abs. 1 EStG bestimmt die Rechtsfolge. Bei
einer Entschädigung ist der Lebenssachverhalt mit dem Zufluss
der Einnahme, also der Entgegennahme der Zahlung, unabänderbar
abgeschlossen und ist der in § 38 AO 1977 angesprochene
„Tatbestand“ damit erfüllt und nicht mehr
rückgängig zu machen. Die Verwirklichung dieses
Tatbestandes ist der maßgebliche Grund, das Vertrauen auf den
Bestand des Rechts zu schützen.
Dass nach § 36 Abs. 1 EStG die Entstehung
der Einkommensteuer, soweit im EStG nichts anderes bestimmt ist,
auf den Ablauf des Veranlagungszeitraums, also des Kalenderjahres
(§ 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1 EStG) verlegt wird, vermag daran
nichts zu ändern. § 36 EStG betrifft lediglich die
Erhebungstechnik. Denn die Vorschrift ist im VI. Teil des EStG
angesiedelt, der die Überschrift
„Steuererhebung“ trägt.
Die Sicht, die dem Beschluss des BVerfG in
BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18 zur
Maßgeblichkeit des Jahresablaufs und der Jahresbezogenheit
der Einkünfteermittlung (§ 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG)
bei Veranlagungssteuern zugrunde liegt, beruht somit auf einer rein
formalen, verwaltungstechnischen Betrachtungsweise. Sie
berücksichtigt nicht hinreichend die
vertrauensschutzbegründende Entstehung des einzelnen
Steueranspruchs i.S. des § 38 AO 1977. Wie der BFH bereits in
seinem Vorlagebeschluss in BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259 = SIS 83 06 37 ausgeführt hat, knüpft die Einkommensteuer an
eine Vielzahl von Einzeltatbeständen an, deren Voraussetzungen
schon vor dem Ablauf des Veranlagungszeitraums abschließend
erfüllt sein können. Mit der Verwirklichung aller
Merkmale eines bestimmten Besteuerungstatbestandes steht die
Steuerpflicht dem Grunde nach bereits fest.
b) Dementsprechend wird der Steuerpflichtige
aufgrund der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung tatsächlich
auch bereits vor Ablauf des Kalenderjahres vom Steuergläubiger
zu Steuerzahlungen herangezogen und belastet. Lebenssachverhalte,
die den Tatbestand einer steuerrechtlichen Vorschrift erfüllen
und die bereits abschließend vor Ablauf des Kalenderjahres
verwirklicht sind, führen zu einer - wenn auch nur
vorläufigen - Erhebung von Steuern auf die zugeflossenen
Einnahmen. So sind gemäß § 37 Abs. 3 EStG die
Einkommensteuer-Vorauszahlungen zu erhöhen, wenn sich
während des Veranlagungszeitraums ergibt, dass die
festzusetzende Einkommensteuer voraussichtlich höher sein wird
als bisher angenommen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn einem
Selbständigen im laufenden Jahr außerordentliche
Einnahmen zufließen (vgl. auch Seeger, FR 2003, 30).
Handelt es sich bei einer Einnahme (§ 8
Abs. 1 EStG) um Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 EStG,
entsteht gemäß § 38 Abs. 2 EStG die Lohnsteuer mit
Zufluss des entsprechenden Betrags. Gemäß § 38 Abs.
3 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des
Arbeitnehmers einzubehalten. Für den Fall, dass es sich - wie
im Streitfall - bei dem zugeflossenen Arbeitslohn um
steuerpflichtige Entschädigungen i.S. der §§ 24 Nr.
1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG handelt, hat der Gesetzgeber in
§ 39b Abs. 3 Satz 10 EStG a.F. bzw. in § 39b Abs. 3 Satz
9 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ausdrücklich
bestimmt, wie der Arbeitgeber die darauf entfallende Lohnsteuer zu
berechnen hat. § 39b Abs. 3 EStG in seiner jeweiligen Fassung
greift die jeweils in § 34 Abs. 1 EStG getroffene Regelung
für die Berechnung der Einkommensteuer auf (vgl. dazu auch den
Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 =
SIS 03 11 51).
Dieser Zugriff des Fiskus im Zeitpunkt des
Zuflusses (§ 11 Abs. 1 EStG) der Einnahme (§ 8 Abs. 1
EStG) verdeutlicht, dass der zu besteuernde Lebenssachverhalt
abgeschlossen ist und bereits jetzt unabänderbar dem Grunde
nach alle Tatbestandsmerkmale für die Entstehung des Anspruchs
aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 38 AO 1977) und
für die spätere Entstehung der Einkommensteuerschuld bei
Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 EStG) verwirklicht
sind. Es wäre nicht folgerichtig, wenn der Staat einerseits
bereits ab dem Zeitpunkt der Verwirklichung aller
Tatbestandsvoraussetzungen durch den Lohnsteuerabzug oder die
Erhebung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen an der erhöhten
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgers
partizipiert, diesem dann aber aus rein erhebungstechnischen
Gründen den Schutz seines Vertrauens in das Gesetz, das im
Zeitpunkt der Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen
gegolten hat, weitgehend versagt.
c) Der Bürger muss nicht nur bei seinen
Dispositionen, sondern auch bei Vorgängen, die eine
Steuerpflicht begründen (Zufluss von Einnahmen i.S. des §
8 Abs. 1 EStG), grundsätzlich davon ausgehen können, dass
das ordnungsmäßig gesetzte Recht in seinem zeitlichen
Geltungsbereich die normierten Rechtsfolgen auslöst. Wenn das
BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung für Zwecke des
Vertrauensschutzes auf das „rechtserhebliche
Verhalten“ des Bürgers abgestellt hat (vgl.
Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, 78 f. = SIS 98 10 50, BGBl I
1998, 725, und in BVerfGE 105, 17, 36 f. = SIS 02 09 34), ist dies
zutreffend, aber nicht ausreichend. Auch bei einem
rechtserheblichen Vorgang, wie ihn beispielsweise der Zufluss einer
steuerbefreiten oder steuerbegünstigten Einnahme darstellt,
ist das Vertrauen des Bürgers in die Rechtslage, die im
Zeitpunkt der Verwirklichung des Vorgangs gegolten hat,
schutzwürdig.
Deshalb sollte nach Ansicht des Senats -
abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG und in
Übereinstimmung mit der ganz überwiegend in der Literatur
vertretenen Auffassung - auch bei Steuergesetzen eine
„echte“ Rückwirkung dann angenommen werden,
wenn „eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene
Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen
ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor
Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind“
(so K. Vogel, a.a.O., S. 875, 878; seine Formulierung
übernehmen auch Leisner, a.a.O., S. 485; Spindler, DStJG 27
(2004), S. 69, 86).
4. Der Senat sieht grundsätzlich die
Verkündung (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG) des
Änderungsgesetzes als den Zeitpunkt an, bis zu dem das
Vertrauen des Steuerpflichtigen in die alte Rechtslage nach den
Grundsätzen einer echten Rückwirkung schutzwürdig
ist. Denn erst ab seiner Verkündung ist das geänderte
Gesetz rechtlich existent (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22.3.1983 2
BvR 475/78, BVerfGE 63, 343, 353).
a) Auch das BVerfG stellt bei seiner
Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung
zunächst auf die Existenz des Gesetzes und damit auf den
Zeitpunkt der Verkündung ab; der Steuerpflichtige müsse
im Rechtsstaat grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der
Verkündung einer steuerlichen Neuregelung darauf vertrauen
können, dass Einkünfte, die ihm bis dahin zugeflossen
seien, nicht nachträglich einer schärferen Belastung
unterworfen würden, als sie bis dahin gegolten habe (vgl.
Beschlüsse in BVerfGE 72, 200, 241 f. = SIS 86 25 18, 254,
BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18, und in BVerfGE 97, 67, 78 f. =
SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725). Doch sieht es sodann bei der
Prüfung des Vertrauensschutzes häufig den Zeitpunkt des
endgültigen Beschlusses des Bundestags gemäß Art.
77 Abs. 1 GG als ausschlaggebend an (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom
19.12.1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261; vom 29.10.1969 1 BvL 19/69,
BVerfGE 27, 167, 173 f.; vom 8.2.1977 1 BvF 1/76 u.a., BVerfGE 43,
291, 392; in BVerfGE 72, 200, 260, BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18; vom 15.10.1996 1 BvL 44/92, BVerfGE 95, 64, 87; in BVerfGE 97,
67, 79 = SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725). Von diesem Zeitpunkt an
müssten die Betroffenen mit der Verkündung und dem
In-Kraft-Treten rechnen und sich mit ihrem Verhalten auf die
beschlossene Gesetzeslage einstellen (BVerfG in BVerfGE 72, 200,
261, BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18, und in BVerfGE 97, 67, 79 =
SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725).
b) Diese sog. Vorhersehbarkeitsrechtsprechung
des BVerfG ist auf Kritik gestoßen. Bereits die Richterin des
BVerfG Rupp-v. Brünneck hatte es in ihrem abweichenden Votum
zu dem Beschluss vom 20.10.1971 1 BvR 757/66 (BVerfGE 32, 111, 129,
138) für eine Überforderung gehalten, bei den
Bürgern generell die Kenntnis des Inhalts jedes
Gesetzesbeschlusses des Bundestags vorauszusetzen, soweit es sich
nicht um einfach zu verstehende Fragen von allgemeiner Bedeutung
handele. Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass
der Bürger nicht verpflichtet und aufgrund der Fülle und
Komplexität der Rechtsetzung auch kaum in der Lage sei, sich
ständig über den Stand des Gesetzgebungsverfahrens zu
informieren (vgl. Hey, BB 1998, 1444, 1450; Maurer,
Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: HSTR III
§ 60 Rn. 33; Berger, Zulässigkeitsgrenzen der
Rückwirkung von Gesetzen, 2002, S. 167). Es ist als eine
Verkehrung des Vertrauensschutzes in sein Gegenteil angesehen
worden, wenn man vom Normadressaten verlangen wolle, das
Gesetzgebungsverfahren zu verfolgen, um so dem Staat im Einzelfall
rückwirkende Gesetze zu ermöglichen (Kyrill-A. Schwarz,
Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 2002, S. 129 f., Maurer,
a.a.O., § 60 Rn. 33; vgl. auch Schlink, Abwägung im
Verfassungsrecht, 1976, S. 114; B. Pieroth, Rückwirkung und
Übergangsrecht, 1981, S. 87 f.). Nach Aschke
(Übergangsregelungen als verfassungsrechtliches Problem, 1987,
S. 285) untergräbt das BVerfG „heimlich“
den Leitsatz des grundsätzlichen Verbots echter
Rückwirkung, wenn es bei der Prüfung des
Vertrauensschutzes dann wieder auf einen vor der Verkündung
des Gesetzes liegenden Zeitpunkt abstellt.
Für die Maßgeblichkeit der
Verkündung spricht auch, dass die Formenstrenge der
Gesetzesverkündung dem Bürger ja gerade jene
Rechtssicherheit vermitteln soll, die das Rückwirkungsverbot
zu gewährleisten hat (so Lang, WPg 1998, 163, 172; vgl. auch
Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69, 85 f.; Rensmann, JZ 1999, 168,
174; Berger, a.a.O., S. 168). Der der Verkündung innewohnende
Rechtsgedanke der Publizität ist seinerseits Bestandteil der
Rechtsstaatlichkeit (vgl. Hey, BB 1998, 1444, 1450).
Zutreffend weist Schaumburg (EFG 2002, 1239,
1240) darauf hin, dass im Hinblick auf die Erfahrungen,
Unsicherheiten und Überraschungen in den heutigen schnellen
Gesetzgebungsverfahren der Zeitpunkt der Verkündung auch
deshalb gerechtfertigt sei, weil erst dann eine hinreichende
Klarheit bestehe. Die Ausrichtung auf den Gesetzesbeschluss des
Bundestags berücksichtigt die Rolle der anderen am
Zustandekommen eines Gesetzes beteiligten Verfassungsorgane
(Bundesrat, Vermittlungsausschuss, Bundespräsident) nicht
genügend. Der Beschluss des Bundestags bietet auch statistisch
betrachtet keine Gewähr dafür, dass das Gesetzesvorhaben
tatsächlich in dieser Fassung in Kraft treten wird. So wurde
in der 15. Legislaturperiode bei 401 Gesetzesvorhaben, die der
Bundestag beschlossen hatte, in 100 Fällen der
Vermittlungsausschuss angerufen. Davon betrafen 19 Gesetzesvorhaben
den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Im
Ergebnis wurden 88 der Gesetze im Anschluss an die Anrufung des
Vermittlungsausschusses verkündet und 12 nicht (vgl.
Bundesanzeiger vom 26.1.2006, Beilage 18a, Die Tätigkeit des
Vermittlungsausschusses in der 15. Wahlperiode des Deutschen
Bundestags, S. 9 f.). Erst der Zeitpunkt der Verkündung i.S.
des Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG ist der Zeitpunkt, ab dem das Gesetz
für den Gesetzgeber ohne eigenständigen gesetzgeberischen
Aufhebungsakt nicht mehr rückholbar in der Welt ist (vgl.
BFH-Urteil vom 6.3.2002 XI R 81/00, BFHE 198, 473, BStBl II 2002,
503 = SIS 02 10 26, m.w.N.).
c) Bei einem Steuergesetz kommt hinzu, dass es
als rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung
(Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) in den Schutzbereich der
Eigentumsgarantie eingreift, wenn der Steuerzugriff tatbestandlich
an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen
anknüpft und so den privaten Nutzen der erworbenen
Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit einschränkt
(BVerfG-Beschluss vom 18.1.2006 2 BvR 2194/99, HFR 2006, 507 = SIS 06 16 42, betreffend den sog. Halbteilungsgrundsatz). Wenn ein
Steuergesetz den Schutzbereich der Eigentumsgarantie zu Lasten des
Steuerpflichtigen stärker als bisher einschränkt, dann
verbietet das Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich, dass die
durch das Änderungsgesetz bewirkte Verschiebung der bisherigen
Schrankenbestimmung zu Lasten des Steuerpflichtigen bereits
für einen Zeitraum gelten soll, in dem das
Änderungsgesetz mangels Verkündung noch gar nicht
existiert hat. Liegt der Grund für das Verbot der echten
Rückwirkung belastender Vorschriften darin, dass das
Rechtsstaatsprinzip den Schutz des Vertrauens auf das in Kraft
befindliche Recht fordert, dann ist es folgerichtig, dieses
Vertrauen grundsätzlich auch für den Zeitraum bis zur
Verkündung des belastenden Änderungsgesetzes und nicht
nur bis zum Beschluss des Bundestags zu schützen.
d) Soweit ausnahmsweise zwingende Gründe
des gemeinen Wohls das Vertrauen in das geltende Recht bereits zu
einem früheren Zeitpunkt nicht mehr als schutzwürdig
erscheinen lassen, wäre es Sache des Gesetzgebers, diese
Gründe jeweils darzulegen (vgl. auch Rensmann, JZ 1999, 168,
174). Auf jeden Fall bedarf die Ausnahme, in der eine echte
Rückwirkung zulässig bleiben soll, einer besonderen
Legitimation (vgl. auch Maurer, a.a.O., § 60 Rn. 38).
5. Nach Überzeugung des Senats führt
die Annahme, es liege eine echte Rückwirkung vor, wenn eine im
Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann
oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre
Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung
des Gesetzes erfüllt worden sind, zu einer teilweisen
Verfassungswidrigkeit des § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002. Die rückwirkend auf den 1.1.1999 angeordnete
Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 ist insoweit verfassungswidrig und damit nichtig,
als sich die Gesetzesänderung steuererhöhend auswirkt und
als sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen (§§ 8, 19
Abs. 1, 24 Nr. 1, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG) für die Gewährung
des halben Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 1 EStG a.F.
spätestens am 31.3.1999 verwirklicht waren.
a) Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass
der Bürger nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht darauf
vertrauen kann, dass der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums
geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibt
(Beschluss vom 19.12.1961 2 BvR 1/60, BVerfGE 13, 274; zustimmend
Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25, 48; vgl. aber S. 67 zu
Sondertarifen; P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 231). Denn § 34
Abs. 1 EStG betrifft nicht den allgemeinen, sondern einen
Sondertarif für bestimmte außerordentliche
Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 EStG. Diese stellen eine
besondere Art von Einkünften innerhalb einer Einkunftsart dar;
sie sind von anderen Einkünften der gleichen Einkunftsart zu
trennen (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.1998 XI R 63/97, BFHE 188, 143,
BStBl II 1999, 588 = SIS 99 11 35). Ist der Sachverhalt, der die
tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung dieses
Sondertarifs erfüllt, abschließend vor Verkündung
des Änderungsgesetzes verwirklicht, kann nach Ansicht des
Senats der Vertrauensschutz nicht geringer sein als z.B. für
Steuerbefreiungen.
Mellinghoff (DStJG 27 (2004), S. 25, 43 f.)
weist darauf hin, dass dann, wenn ein Steuerpflichtiger im Februar
eine zu diesem Zeitpunkt steuerfreie Abfindung erhält, der
Tatbestand grundsätzlich erfüllt sei und der Gesetzgeber
nicht im November für diesen vollständig erfüllten
Tatbestand die Rechtsfolge ändern und die Zahlung der
Einkommensteuer unterwerfen dürfe. Der Senat teilt diese
Auffassung. Er vermag keine einleuchtenden Gesichtspunkte
dafür zu erkennen, weshalb etwas anderes für den
Sachverhalt gelten sollte, dass der im Zeitpunkt des Zuflusses
einer außerordentlichen Zahlung geltende Sondertarif
rückwirkend durch einen anderen Sondertarif ersetzt wird, wenn
und soweit sich dieser steuererhöhend auswirkt (vgl. auch
Kruse, a.a.O., S. 277, 284, zum Vertrauensschutz bei Zahlung einer
Abfindung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG). Der
Unterschied zwischen der Abschaffung einer vollständigen
Steuerbefreiung einerseits und der Änderung eines
günstigen Sondertarifs andererseits mit der Folge, dass sich
eine höhere Steuer ergibt, ist gradueller und nicht
prinzipieller Art.
b) Nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt
aus der Unterscheidung von echter und unechter Rückwirkung
kein absolutes Verbot der echten Rückwirkung, sondern nur ein
graduell unterschiedliches Maß zu schützenden
Individualvertrauens (vgl. Kyrill- A. Schwarz, a.a.O., S. 125). Aus
dem Rechtsstaatsprinzip, zu dessen wesentlichen Elementen die
Rechtssicherheit zählt, der auf Seiten des Einzelnen das
Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu
ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht, folgt, dass
eine echte Rückwirkung zwar grundsätzlich unzulässig
ist (BVerfG-Beschluss vom 25.5.1993 1 BvR 1509, 1648/91, BVerfGE
88, 384, 403). Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise dann, wenn
kein oder lediglich ein nur ganz unerheblicher Schaden verursacht
wird (sog. Bagatellvorbehalt, BVerfGE 72, 200, 259, BStBl II 1986,
628 = SIS 86 25 18; Beschluss in BVerfGE 95, 64, 86 f.), wenn die
rückwirkende Änderung der Beseitigung einer unklaren oder
verworrenen Rechtslage (BVerfGE 72, 200, 259, BStBl II 1986, 628 =
SIS 86 25 18, und in BVerfGE 88, 384, 404) oder der Ersetzung einer
ungültigen oder verfassungswidrigen Norm dient (BVerfGE 72,
200, 260, BStBl II 1986, 628 = SIS 86 25 18), wenn ein sog.
Ankündigungseffekt vermieden werden soll (BVerfGE 97, 67, 81
f. = SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725) oder wenn sonstige zwingende
Gründe oder überragende Belange des Gemeinwohls, die dem
Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende
Beseitigung der Norm erfordern (BVerfGE 72, 200, 260, BStBl II
1986, 628 = SIS 86 25 18, und in BVerfGE 88, 384, 404).
Ungeachtet der Frage, ob der Senat diese
Rechtsprechung uneingeschränkt für überzeugend
hält (vgl. zur Kritik Kyrill- A. Schwarz, a.a.O., S. 128 ff.),
liegen die genannten Voraussetzungen hier jedenfalls nicht vor.
aa) Die Steuerersparnis bei Anwendung des
§ 34 Abs. 1 EStG a.F. beträgt 61.912 DM. Dabei handelt es
sich nicht um einen Bagatellbetrag.
bb) Die durch das StEntlG 1999/2000/2002
geänderte Fassung des § 34 Abs. 1 EStG war unstreitig
gültig, klar und verfassungsgemäß.
cc) Auch der sog. Ankündigungseffekt
vermag die rückwirkend auf den 1.1.1999 angeordnete Anwendung
des geänderten § 34 Abs. 1 EStG nicht zu rechtfertigen.
Selbst wenn bei Bekanntwerden des Änderungsvorhabens in
einigen Fällen eine ohnehin bevorstehende Aufhebung eines
Arbeitsvertrages und die damit einhergehende Vereinbarung einer
Entschädigung aus steuerlichen Gründen vorgezogen worden
sein sollten, erscheint dies hinnehmbar. Die Auswirkungen
wären nicht stärker als in sonstigen Fällen
bevorstehender Steuererhöhungen (vgl. dazu auch Hey, DStJG 27
(2004), S. 63).
Dass die Rückwirkung nicht zur Vermeidung
eines sog. Ankündigungseffekts erforderlich war, belegt auch
diejenige Übergangsregelung, die der Gesetzgeber im
Zusammenhang mit der ersatzlosen Aufhebung des § 3 Nr. 9 EStG
in § 52 Abs. 4a EStG i.d.F. des Gesetzes zum Einstieg in ein
steuerliches Sofortprogramm vom 22.12.2005 (BGBl I 2005, 3682,
BStBl I 2006, 79) getroffen hat. Er hat durch das Gesetz vom
22.12.2005 die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 9 EStG für
Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten Auflösung
des Dienstverhältnisses ersatzlos aufgehoben. Er hat in §
52 Abs. 4a EStG bestimmt, dass § 3 Nr. 9 EStG in der bis zum
31.12.2005 geltenden Fassung weiter anzuwenden ist für vor dem
1.1.2006 entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer auf
Abfindungen oder für Abfindungen wegen einer vor dem 1.1.2006
getroffenen Gerichtsentscheidung oder einer am 31.12.2005
anhängigen Klage, soweit die Abfindungen dem Arbeitnehmer vor
dem 1.1.2008 zufließen. Die „Weiteranwendung der
bisherigen begrenzten Steuerfreiheit“ für vor der
Verkündung des Gesetzes geschlossene Verträge ist
ausdrücklich aus Vertrauensschutzgründen für geboten
gehalten worden (BTDrucks 16/105, S. 7).
Der Senat hält die Situation bei der
Änderung des § 34 Abs. 1 EStG mit derjenigen bei der
Abschaffung der Steuerbefreiung für Abfindungen vergleichbar.
Beide Regelungen - die Besteuerung von Abfindungen mit dem halben
Steuersatz und die (teilweise) Steuerbefreiung für Abfindungen
- hatten über Jahrzehnte hinweg gegolten, auch wenn die
jeweiligen Höchstbeträge sich verändert hatten.
dd) Auch sonstige zwingende Gründe des
gemeinen Wohls rechtfertigen die Durchbrechung des
rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots hier nicht. Wie der
Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss in BFHE 200, 560, BStBl II
2003, 257 = SIS 03 11 51 (unter B.II.3.c der Gründe)
ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber mit der Wahl des halben
Steuersatzes die Ursache für eine den Gesetzeszweck
überschreitende Begünstigung des § 34 Abs. 1 EStG
a.F. nicht nur selbst gesetzt, sondern hat daran über Jahre in
Kenntnis der zweckwidrigen Begünstigung der Bezieher hoher
Einkünfte festgehalten (vgl. z.B. Jochum, DB 2000, 343;
Gesetzesbegründung zum Steuerreformgesetz - StRG - 1990 vom
25.7.1988, BGBl I 1988, 1093, BRDrucks 100/88, S. 284). Die
Gesetzesänderung im StRG 1990 - Begrenzung auf 2 Mio. DM, im
Übrigen 2/3-Regelung - hat er wieder aufgehoben und durch eine
bloße Begrenzung auf 30 Mio. DM ersetzt (vgl. Gesetz zur
Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur
Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in
Privathaushalten vom 30.6.1989, BGBl I 1989, 1267). Die
Höchstbeträge, 30 Mio. DM bzw. 15 Mio. DM ab 1.8.1997 und
10 Mio. DM ab 2001, beließen einen begünstigenden
Steuereffekt für Steuerpflichtige mit hohem
„Normaleinkommen“ (vgl. auch § 32a Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 EStG 2002) und verdeutlichten, dass der Gesetzgeber
selbst ein Gemeinwohlinteresse an einer umgehenden
Gesetzeskorrektur für sämtliche Bezieher
außerordentlicher Einkünfte nicht gesehen hat.
IV. Entscheidungserheblichkeit der
Vorlagefrage
Die Entscheidung des Streitfalles hängt
von der Entscheidung des BVerfG über die Vorlagefrage ab.
1. Die Besteuerung nach der
Fünftelregelung gemäß § 34 Abs. 1 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/2000/2002 führt gemäß dem
angefochtenen Steuerbescheid für das Streitjahr 1999 zu einer
Einkommensteuer in Höhe von 161.619 DM. Dagegen würde
eine Besteuerung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG in der bis
zum In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999
geltenden Fassung eine Einkommensteuer von 99.707 DM ergeben. Die
Anwendung der Fünftelregelung hat für die Kläger
also eine Mehrbelastung von 61.912 DM zur Folge.
Die Revision der Kläger wäre
begründet und das finanzgerichtliche Urteil wäre
aufzuheben und der Klage wäre stattzugeben, wenn die in §
52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 getroffene
Regelung über die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/2000/2002 gemäß der Vorlagefrage
teilweise, nämlich insoweit verfassungswidrig und nichtig
wäre, als sie zu einer höheren Steuer führt und die
Entschädigung vor Verkündung des Gesetzes vereinbart und
ausgezahlt worden ist. Denn im Streitfall waren sämtliche
Tatbestandsvoraussetzungen (§§ 8, 19 Abs. 1, 24 Nr. 1, 34
Abs. 2 Nr. 2 EStG) für die Rechtsfolge, die in § 34 Abs.
1 EStG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16.4.1997 angeordnet ist
(Steuertarif), vor der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002
am 31.3.1999 erfüllt. Die Entschädigung war bereits im
November 1998 vereinbart worden und ist dem Kläger auch
vorher, nämlich am 22.3.1999, zugeflossen.
2. Die Entscheidungserheblichkeit der
Vorlagefrage entfällt nicht dadurch, dass die Revision
möglicherweise auch dann noch Erfolg haben könnte, wenn
das BVerfG die in § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des EStEntlG
1999/2000/2002 angeordnete Anwendung ab dem 1.1.1999 für
Sachverhalte der im Streitfall vorliegenden Art nicht als eine
grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung, sondern
als unechte Rückwirkung ansehen sollte. Bei Annahme einer
unechten Rückwirkung hätte das BVerfG im vorliegenden
Verfahren zu entscheiden, ob die Vorlagefrage jedenfalls insoweit
zu bejahen ist, als die Vereinbarung über die Abfindung am
22.11.1998 getroffen worden ist.
Diese Frage wird nicht bereits durch den
Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 =
SIS 03 11 51 (Az. des BVerfG: 2 BvL 1/03) abgedeckt. Darin hat der
Senat dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die
rückwirkende Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/2002 insoweit mit dem GG vereinbar ist, als sie
auch für Fälle gilt, in denen die Entschädigung nach
der Beschlussfassung des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590) und vor
Zuleitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum StEntlG
1999/2000/2002 an den Bundesrat (20.11.1998) vereinbart und nach
dem 31.12.1998 ausgezahlt worden ist. Er hat für
Entschädigungen innerhalb des aufgezeigten Zeitrahmens bei
Annahme einer unechten Rückwirkung einen erhöhten
Vertrauensschutz daraus abgeleitet, dass der Gesetzgeber in §
52 Abs. 24a Nr. 1 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 29.10.1997
ausdrücklich bestimmt hatte, dass die Höchstgrenze zur
Anwendung der Tarifbegünstigung von 15 Mio. DM und der halbe
Steuersatz auch für die Kalenderjahre 1998 bis 2000 gelten
sollten. Wegen der ausdrücklichen Anwendungsregelung habe im
Zeitpunkt der Disposition des Steuerpflichtigen die künftige
Besteuerung für das Jahr 1999 im Grundsatz festgestanden.
Der Streitfall unterscheidet sich von dem
Sachverhalt des Verfahrens 2 BvL 1/03 dadurch, dass hier die
Abfindung erst am 22.11.1998 und damit nach der Zuleitung des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung an den Bundesrat vereinbart
worden ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG kann
nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dies
bei Annahme einer unechten Rückwirkung im Rahmen der gebotenen
Abwägung zwischen dem Vertrauensschutz des Einzelnen
einerseits und dem staatlichen Änderungsinteresse andererseits
einen entscheidungserheblichen Unterschied macht und im Streitfall
ein geringerer Vertrauensschutz anzunehmen sein könnte als bei
einer Disposition vor dem 20.11.1998. Denn in seinem Beschluss in
BVerfGE 97, 67, 82 = SIS 98 10 50, BGBl I 1998, 725 hat das BVerfG
für den Wegfall des Vertrauensschutzes die Ankündigung
einer Gesetzesänderung durch die Bundesregierung ausreichen
lassen.