Ausbildungsfreibetrag, Tätigkeit in anderen EU-Staaten: Zahlungen einer französischen Universität für einen von einem deutschen Steuerpflichtigen versehenen Lehrauftrag sind im Inland gemäß § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 18.12.2007 Rs. C-281/06 "Jundt", BFH/NV 2008, Beilage 2, 93 = SIS 08 10 47). - Urt.; BFH 22.7.2008, VIII R 101/02; SIS 08 33 42
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger wohnt und arbeitet in
seinem Hauptberuf als Rechtsanwalt in Deutschland. Er nahm im
Streitjahr 1991 einen 16 Stunden umfassenden Lehrauftrag an der
Universität Straßburg wahr, für den er im
Streitjahr 5.760 Französische Francs - FF - (brutto) erhielt.
Die Universität zahlte dem Kläger im Jahre 1991 nach
Abzug französischer Sozialabgaben 4.814,79 FF aus.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) unterwarf im Einkommensteuerbescheid 1991 die
Bruttozahlungen in Höhe von 1.612 DM (5.760 FF x 0,28) der
Einkommensteuer.
Mit dem Einspruch machten die Kläger
geltend, dass für die von der Universität Straßburg
erhaltenen Zahlungen der Freibetrag des § 3 Nr. 26 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) gewährt werden müsse. Die
Beschränkung dieser Vorschrift auf Vergütungen von
inländischen Körperschaften des öffentlichen Rechts
verstoße gegen den Vertrag zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft a.F. (EGV). Die einbehaltenen
französischen Zwangsabzüge dürften nicht angesetzt
werden, da sie dem Kläger nicht zugeflossen seien und er davon
niemals irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil haben werde. Der
Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die
Klage ab; die Entscheidung ist in EFG 2002, 1307
veröffentlicht.
Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH)
zugelassenen Revision machen die Kläger vor allem geltend:
§ 3 Nr. 26 EStG diskriminiere Tätigkeiten bei
Körperschaften des öffentlichen Rechts im EU-Ausland.
Außerdem habe das FA die gemäß § 53 EStG in
der für das Streitjahr geltenden Fassung erhöhten
Kinderfreibeträge nicht berücksichtigt.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die
festgesetzte Einkommensteuer unter Berücksichtigung
verfassungsmäßiger Kinderfreibeträge und nach
Maßgabe eines um 824,20 EUR - hilfsweise um 135,25 EUR -
verringerten Gesamtbetrags der Einkünfte
herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Der für dieses Revisionsverfahren
seinerzeit zuständige XI. Senat des BFH hat mit Beschluss vom
1.3.2006 XI R 43/02 (BFHE 212, 489, BStBl II 2006, 685 = SIS 06 27 08) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
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Ist Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 des
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft n.F.
- EG - ) dahingehend auszulegen, dass von seinem Schutzbereich auch
die nebenberufliche Tätigkeit als Lehrer im Dienst oder
Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
(Universität) erfasst wird, wobei für diese
Tätigkeit als quasi ehrenamtliche Tätigkeit nur eine
Aufwandsentschädigung geleistet wird?
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2.
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Für den Fall, dass Frage 1 bejaht
wird: Ist die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die
darin liegt, dass Entschädigungen nur steuerbegünstigt
sind, wenn sie von inländischen juristischen Personen des
öffentlichen Rechts gezahlt werden (hier: § 3 Nr. 26
EStG) dadurch gerechtfertigt, dass die nationalstaatliche
Steuerbegünstigung nur durch eine Tätigkeit zugunsten
einer inländischen juristischen Person des öffentlichen
Rechts legitimiert ist?
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3.
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Für den Fall, dass Frage 2 verneint
wird: Ist Art. 126 EGV (jetzt Art. 149 EG) dahin auszulegen, dass
eine steuerrechtliche Regelung, mit deren Hilfe das Bildungssystem
ergänzend gestaltet wird (wie hier § 3 Nr. 26 EStG), im
Hinblick auf die insoweit fortbestehende Verantwortung der
Mitgliedstaaten zulässig ist?
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III. Der EuGH - 3. Kammer - hat mit Urteil
vom 18.12.2007 Rs. C-281/06 (BFH/NV 2008, Beilage 2, 93 = SIS 08 10 47) entschieden:
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1.
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Eine Lehrtätigkeit, die ein in einem
Mitgliedstaat Steuerpflichtiger im Dienst einer juristischen Person
des öffentlichen Rechts, hier einer Universität,
ausübt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet,
fällt auch dann in den Anwendungsbereich von Art. 49 EG, wenn
die Tätigkeit nebenberuflich und quasi ehrenamtlich
ausgeübt wird.
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2.
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Die Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass nach einer
nationalen Regelung nur das Entgelt, das im Inland ansässige
Universitäten, die juristische Personen des öffentlichen
Rechts sind, als Gegenleistung für eine nebenberufliche
Lehrtätigkeit zahlen, von der Einkommensteuer befreit ist,
während diese Befreiung versagt wird, wenn ein solches Entgelt
von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen
Universität gezahlt wird, ist nicht durch zwingende
Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.
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3.
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Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten
selbst für die Gestaltung ihres Bildungssystems zuständig
sind, ist nicht geeignet, eine nationale Regelung, nach der eine
Steuerbefreiung denjenigen Steuerpflichtigen vorbehalten ist, die
im Dienst oder Auftrag inländischer öffentlicher
Universitäten tätig sind, mit dem Gemeinschaftsrecht in
Einklang zu bringen.
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Hinsichtlich der Begründung wird auf
das genannte Urteil des EuGH Bezug genommen.
IV. Die Revision der Kläger ist
begründet. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das angefochtene Urteil des FG
aufzuheben und der Klage teilweise stattzugeben. FA und FG haben zu
Unrecht den von der Universität Straßburg an den
Kläger geleisteten Betrag von umgerechnet 1.612 DM (824,20
EUR) nicht gemäß § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei
gelassen. Hingegen sind die für die drei Kinder der
Kläger berücksichtigten Kinderfreibeträge
verfassungsgemäß.
1. Gemäß § 3 Nr. 26 EStG sind
u.a. Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche
Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher oder
für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit im
Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des
öffentlichen Rechts steuerfrei. Nach dem ausdrücklichen
Wortlaut der Vorschrift gilt diese Steuerbefreiung für den von
der Universität Straßburg an den Kläger gezahlten
Betrag nicht, weil der Kläger seinen Lehrauftrag nicht im
Auftrag einer inländischen, sondern einer ausländischen
juristischen Person des öffentlichen Rechts versehen hat.
Aufgrund des Urteils des EuGH in BFH/NV 2008,
Beilage 2, 93 ist indes geklärt, dass der Ausschluss der
Steuerbefreiung für Aufwandsentschädigungen, die von
ausländischen öffentlichen Körperschaften gezahlt
werden, eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) bedeutet und der Kläger
dadurch im Vergleich zu denjenigen Steuerpflichtigen diskriminiert
wird, die vergleichbare Dienstleistungen im Inland erbringen.
Aufgrund des Anwendungsvorrangs
gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der
gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) ist nach der bisherigen
Rechtsprechung des BFH der Tatbestand des § 3 Nr. 26 EStG in
normerhaltender Weise zu reduzieren, die einschlägige Regelung
aber als solche weiter anzuwenden (vgl. BFH-Urteile vom 20.9.2006 I
R 113/03, BFH/NV 2007, 220 = SIS 07 03 60 - zum Abzug von
Steuerberatungskosten eines niederländischen
Steuerpflichtigen, kritisch dazu Gosch, DStR 2007, 1895, 1996 - ;
vom 20.12.2006 I R 94/02, BFHE 216, 269 = SIS 07 07 84, unter
III.2. der Gründe; vom 13.6.2006 I R 78/04, BFHE 215, 82 = SIS 07 04 32; vom 24.4.2007 I R 39/04, BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95
= SIS 07 36 23, unter IV.5.b der Gründe). Mithin ist das
Merkmal „inländisch“ in § 3 Nr. 26
EStG bei der Rechtsanwendung nicht zu beachten.
Dies widerspricht auch nicht dem Willen des
Gesetzgebers, denn der Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes
2009 erstreckt den Tatbestand des § 3 Nr. 26 EStG
rückwirkend auf solche Tätigkeiten, die für in
EU-Mitgliedstaaten belegene juristische Personen des
öffentlichen Rechts erbracht worden sind (Nacke, DB 2008,
1396, 1397).
Da im Streitfall die übrigen Merkmale der
Vorschrift erfüllt sind, ist der von der Universität
Straßburg an den Kläger gezahlte Betrag steuerfrei.
2. Da der Hauptantrag der Kläger in Bezug
auf die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26 EStG in
vollem Umfang Erfolg hat, ist über den Hilfsantrag, der die in
Frankreich einbehaltenen und abgeführten Sozialabgaben
betrifft, nicht mehr zu entscheiden.
3. Zu Unrecht begehren die Kläger jedoch
aus verfassungsrechtlichen Gründen den Ansatz höherer
Kinderfreibeträge.
Nach der durch das Gesetz zur
Familienförderung vom 22.12.1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I
2000, 4) eingeführten Vorschrift des § 53 EStG ist
für das Streitjahr als Existenzminimum für jedes Kind ein
Betrag von 5.388 DM steuerfrei zu belassen. Mit dieser Vorschrift
hat der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) in verfassungskonformer Weise umgesetzt (s.
Beschlüsse des BVerfG vom 10.11.1998 2 BvL 42/93 = SIS 99 04 07, 2 BvR 1220/93 = SIS 99 04 08 und 2 BvR 1852, 1853/97 = SIS 99 04 09, BVerfGE 99, 246, 268, 273, BStBl II 1999, 174, 193, 194;
BFH-Urteil vom 22.2.2001 VI R 115/96, BFH/NV 2001, 1110 = SIS 01 72 10; BFH-Beschlüsse vom 5.2.2002 VI B 165/99, BFH/NV 2002, 781
= SIS 02 67 29; vom 9.9.2003 VI B 114, 115/02, BFH/NV 2004, 180 =
SIS 04 04 64).
Zu Unrecht schließen die Kläger aus
dieser Vorschrift, dass für ihre Kinder jeweils ein
Kinderfreibetrag von 5.388 DM berücksichtigt werden
müsse. Vielmehr ist gemäß Satz 3 der Vorschrift
für die Prüfung, ob die gebotene Steuerfreistellung des
Existenzminimums bereits erfolgt ist, das dem Steuerpflichtigen
zustehende Kindergeld mit dem auf das bisherige zu versteuernde
Einkommen anzuwendenden Grenzsteuersatz in einen Freibetrag
umzurechnen. Nur dann, wenn die Summe aus den bisher abgezogenen
Kinderfreibeträgen (im Streitfall jeweils 3.024 DM) und dem in
Freibeträge umgerechneten Kindergeld das steuerfrei zu
lassende Kindesexistenzminimum (im Streitfall jeweils 5.388 DM)
nicht erreicht, ist in Höhe der Differenz ein weiterer Abzug
vom Einkommen vorzunehmen (§ 53 Satz 6 EStG). Danach wäre
für das Streitjahr ein weiterer Abzug vom Einkommen nur
vorzunehmen, wenn das zu versteuernde Einkommen der Kläger den
Betrag von 182.952 DM erreicht hätte (zur Berechnung vgl.
Anlage 2, Buchst. f des Schreibens des Bundesministeriums der
Finanzen vom 14.3.2000 IV C 4 - S 2282 a - 35/00, BStBl I 2000,
413, 418 = SIS 00 04 90). Das ist jedoch nicht der Fall.
4. Da die Vorentscheidung auf einer
abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache
ist spruchreif. Die Einkommensteuer ist nach Maßgabe eines um
die Zahlung der Universität Straßburg (1.612 DM)
verringerten Einkommens herabzusetzen. Im Übrigen ist die
Klage abzuweisen.