Ehescheidung, Arbeitnehmer, Verzicht auf Versorgungsausgleich, WK-Abzug: Ausgleichszahlungen, die ein zum Versorgungsausgleich verpflichteter Ehegatte auf Grund einer Vereinbarung gemäß § 1587 o BGB an den anderen Ehegatten leistet, um Kürzungen seiner Versorgungsbezüge (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) zu vermeiden, sind sofort als Werbungskosten abziehbar. - Urt.; BFH 8.3.2006, IX R 107/00; SIS 06 16 49
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob die im Zusammenhang mit der Scheidung dem Ehepartner gezahlten
Ausgleichsbeträge für den Verzicht auf die
Durchführung des Versorgungsausgleichs als Werbungskosten
abziehbar sind.
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) erzielte im Streitjahr (1996) Einkünfte aus
nichtselbständiger Tätigkeit. Er hatte Anspruch auf eine
Altersversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Der
Kläger lebte seit Mai 1994 von seiner Ehefrau getrennt. Im
Zusammenhang mit der Scheidung verzichteten die Eheleute in einer
notariell beurkundeten Vereinbarung vom 18.4.1996 auf die
Durchführung des Versorgungsausgleichs. Zum Ausgleich sollte
der Kläger 16.500 DM an seine frühere Ehefrau zahlen. Das
Amtsgericht genehmigte den vereinbarten Ausschluss des
Versorgungsausgleichs und schied die Ehe durch Urteil vom
24.4.1996.
Die als Werbungskosten geltend gemachte
Ausgleichszahlung ließ der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA - ) unberücksichtigt. Das Finanzgericht
(FG) gab der Klage in seinem in EFG 2000, 351 = SIS 03 44 72
veröffentlichten Urteil statt. Die Zahlung, die nach seinen
Feststellungen nur zum Versorgungsausgleich geleistet worden sei,
hänge mit dem Erzielen späterer Einkünfte
gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) wirtschaftlich zusammen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
die es auf Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG stützt.
Ausgleichszahlungen an den geschiedenen Ehegatten zur Abwendung
einer drohenden Kürzung seiner Versorgungsbezüge seien
nicht durch das Erzielen späterer Versorgungsbezüge
veranlasst.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend die vom
Kläger im Zusammenhang mit seiner Ehescheidung an seine
Ehefrau geleistete Ausgleichszahlung als Werbungskosten
steuermindernd berücksichtigt.
1. Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und
Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen,
bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG), auch wenn
mit dem Aufwand zusammenhängende Einnahmen noch nicht erzielt
werden. Voraussetzung für die Berücksichtigung solcher
vorab entstandener Werbungskosten ist ein ausreichend bestimmter
wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der
Einkunftsart, der sich nach der wertenden Beurteilung des die
betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments richtet
(Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
4.7.1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 = SIS 90 18 09; BFH-Urteil vom 11.1.2005 IX R 15/03, BFHE 209, 77, BStBl II
2005, 477 = SIS 05 21 69).
2. Nach diesen Maßstäben sind die
Zahlungen des Klägers an seine Ehefrau als Werbungskosten bei
den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu
berücksichtigen. Der Kläger wandte sie auf, um nach
seiner Pensionierung weiterhin in den Genuss ungekürzter
Versorgungsbezüge zu gelangen.
a) Dabei ist die Vorinstanz in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (vgl.
BFH-Urteil vom 5.5.1993 X R 128/90, BFHE 172, 31, BStBl II 1993,
867 = SIS 93 22 03) zutreffend davon ausgegangen, dass es für
die Beurteilung des wirtschaftlichen Zusammenhangs keinen
Unterschied macht, ob der Ausgleichsverpflichtete die Minderung
seiner Pensionsbezüge (§ 57 des
Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - ) vermeidet, indem er sie
durch Beitragszahlungen wieder auffüllt (§ 58 BeamtVG)
oder ob er sie - wie hier - durch entsprechende Zahlungen an den
Ausgleichsberechtigten auf Grund einer Vereinbarung
gemäß § 1587o des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) von vornherein abwendet. In beiden Fällen stellt er den
ungeschmälerten Zufluss der nachträglichen Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG)
sicher.
b) Damit stehen Ausgleichszahlungen - ebenso
wie auch Wiederauffüllungszahlungen - ersichtlich in
wirtschaftlichem Zusammenhang mit künftigen Einnahmen des
Klägers und sind sofort als (vorab entstandene) Werbungskosten
abzuziehen (so die herrschende Meinung zu Zahlungen nach § 58
BeamtVG, vgl. das Bundesministerium der Finanzen - BMF - vom
20.7.1981, BStBl I 1981, 567 = SIS 81 18 01; Schmidt/Weber-Grellet,
EStG, § 22 Rz. 117; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach,
§ 19 EStG Anm. 317; Stuhrmann, DStR 1977, 468, <470>;
ders., DStR 1983, 255, <257>; ders. in Blümich, EStG,
§ 22 Rz. 166; Meilicke, Steuerberater-Jahrbuch - StbJb -
1977/1978, 243, <256>; Meincke, Steuerberaterkongress-Report
1978, 389, <400>; Biergans, DB 1979, 955, <958>;
Tiemann/Ferger, NJW 1977, 2137, 2140; Uelner, StbJb 1980/1981, 385,
409, <413>; Labus, BB 1977, 1041, <1043>; differenziert
von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9
Rdnr. B 700 Stichwort
„Versorgungsausgleichsleistungen“, m.w.N.; vgl.
dazu auch den BFH-Beschluss vom 1.2.2006 X B 166/05, DStR 2006, 313
= SIS 06 12 72, unter II. 4. b aa, m.w.N.).
aa) Sie wirken sich steuerrechtlich nach
§ 11 Abs. 2 EStG bereits im Jahr ihrer Zahlung (hier das
Streitjahr) aus. Das unterscheidet diese Aufwendungen von Zahlungen
zur Begründung einer Rentenanwartschaft, die als
Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 des
Handelsgesetzbuches (HGB) jedenfalls nicht schon bei Zahlung
steuerrechtlich zu berücksichtigen sind (ständige
Rechtsprechung, vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 29.7.1986 IX R
206/84, BFHE 147, 176, BStBl II 1986, 747 = SIS 86 18 41; BFH in
BFHE 172, 31, BStBl II 1993, 867 = SIS 93 22 03). Denn die
Einkünfte aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG müssen
bei Bezug voll versteuert werden. Die Norm unterscheidet anders als
§ 22 EStG nicht zwischen einem Kapital- und einem Zinsanteil.
Sie erfasst die Altersbezüge im Zuflusszeitpunkt in vollem
Umfang als steuerpflichtige Einnahmen. Deshalb sind im Gegenzug
Erwerbsaufwendungen voll als Werbungskosten abziehbar.
bb) Zwar fallen solche Aufwendungen
regelmäßig nicht an. Ein Beamter zahlt nur
„fiktive“ Beiträge. Für ihn werden
keine Beiträge abgeführt. Stattdessen zahlt der
Dienstherr entsprechend geringere Bezüge aus. Obschon der
Beamte als Gegenleistung für seine Dienst- und Treuepflicht
lebenslang alimentiert wird und er deshalb während seiner
Tätigkeit ein rechtlich geschütztes Anwartschaftsrecht
auf Versorgungsleistungen im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit
erwirbt, entsteht dieses Anwartschaftsrecht außerhalb der
einkommensteuerrechtlichen Zurechnungssphäre und vermittelt
ihm erst nach Abschluss der Erwerbssphäre eine geldwerte
Rechtsposition. Der Beamte wendet aus seinem Vermögen nichts
auf und erhält deshalb nach den Wertungen des Gesetzes mit der
Pension kein eigenes bereits versteuertes Kapital zurück (vgl.
dazu Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 6.3.2002 2
BvL 17/99, BStBl II 2002, 618 = SIS 02 04 93, unter C. II. 2. a,
aa, C. V. 1.; Söhn, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2003, 332
ff.; Weber-Grellet, DStR 2004, 1721, <1723>; Musil, StuW
2005, 278, <279 f.>).
cc) Aber auch dann, wenn Aufwendungen
anfallen, weil der Beamte einen Betrag leistet, um sich die volle
Pension zu sichern, erwirbt er damit keinen Kapitalanteil und
deshalb auch keinen ihm steuerrechtlich zuordenbaren
Vermögensgegenstand (Wirtschaftsgut). Es kommt weder jetzt
noch bei der Auszahlung zu einem bloßen Vermögenstausch;
Umschichtungen vollziehen sich vielmehr allein innerhalb des
öffentlichen Haushalts (so BVerfG-Urteil in BStBl II 2002, 618
= SIS 02 04 93, unter C. II. 2. a, aa). Was der Beamte z.B. im Fall
des § 58 BeamtVG an seinen Dienstherrn leistet, fließt
ihm nach seiner Pensionierung nicht wieder zurück. Diese
Zahlung und erst recht eine solche an den Ehegatten zur
Verhinderung des Versorgungsausgleichs mindern seine
Leistungsfähigkeit. Sie beschränken sich rechtlich und
wirtschaftlich darauf zu vermeiden, dass es zu einer Kürzung
der später zufließenden Pensionsbezüge kommt. Es
handelt sich um Kosten zur Erhaltung der Einnahmen, mithin um
(vorab entstandene) Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG. Ließe man sie unberücksichtigt, würden sie
doppelt besteuert. Denn der Steuerpflichtige wendet aus
versteuertem Einkommen etwas auf (die Ausgleichszahlung oder die
Wiederauffüllungszahlung), was später voll der
Besteuerung unterliegt.
c) Der Senat weicht damit nicht von der
Rechtsprechung des VI. Senats ab. Wenn dieser in seinem Urteil vom
21.10.1983 VI R 198/79 (BFHE 139, 524, BStBl II 1984, 106 = SIS 84 03 01) die Zahlung eines geschiedenen Ehegatten als
Versorgungsausgleich für seinen früheren Ehegatten nicht
als Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG)
berücksichtigte, so handelte es sich dort um die
Begründung einer Rentenanwartschaft im Rahmen der gesetzlichen
Rentenversicherung, die anders als bei § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 EStG schon bei Zahlung eine geldwerte Rechtsposition
vermittelte.