1. Auf die Revision des Beklagten wird das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 08.11.2019 - 5
K 1626/19 = SIS 20 11 77 aufgehoben, soweit es die Einkommensteuer
2015 und 2016 betrifft.
Die Einkommensteuer 2016 wird unter Abänderung des Bescheids
vom 27.05.2019 auf den Betrag festgesetzt, der sich ergibt, wenn
die im Vorjahr gebildeten aktiven Rechnungsabgrenzungsposten in
Höhe von 1.341 EUR gewinnmindernd aufgelöst werden.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. In Bezug auf die Einkommensteuer 2017 wird
die Revision des Beklagten als unbegründet
zurückgewiesen.
3. Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen
der Beklagte zu 5/8 und die Kläger zu 3/8.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) hielt den Ansatz aktiver
Rechnungsabgrenzungsposten für erforderlich und erließ
für die Streitjahre 2015 und 2016 geänderte und für
das Streitjahr 2017 erstmalig Einkommensteuerbescheide. Das FA
erhöhte die Gewinne aus Gewerbebetrieb des Klägers um
1.341 EUR (2015), 1.550 EUR (2016) und 1.315 EUR (2017), ohne
jedoch die aktiven Rechnungsabgrenzungsposten im jeweiligen
Folgejahr gewinnmindernd aufzulösen.
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Die Kläger legten zunächst
Einspruch ein und erhoben erst anschließend Sprungklage, der
das FA zustimmte. Die Klage hatte Erfolg (EFG 2020, 435 = SIS 20 11 77). Das Finanzgericht (FG) entschied unter Bezugnahme auf den
Senatsbeschluss vom 18.03.2010 - X R 20/09 (BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22), dass wegen der geringen Bedeutung der Aufwendungen
Rechnungsabgrenzungsposten nicht gebildet werden mussten. Für
die Frage, wann ein Fall von geringer Bedeutung vorliegt,
orientierte sich das FG an der 410 EUR-Grenze des in den
Streitjahren geltenden § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes
(EStG).
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Mit der Revision bringt das FA vor, dass
auf eine Rechnungsabgrenzung auch in Fällen von geringer
Bedeutung nicht verzichtet werden könne. Der Kostenbeschluss
in BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22 sei über den entschiedenen
Einzelfall hinaus nicht anwendbar. Eine analoge Anwendung des
§ 6 Abs. 2 EStG komme nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe
bewusst auf die Schaffung einer vergleichbaren Regelung für
Rechnungsabgrenzungsposten verzichtet. Ein Wahlrecht verstoße
gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
Eine periodengerechte Abbildung von Aufwendungen unterhalb der 410
EUR-Grenze stehe im Einklang mit den Bilanzierungsgrundsätzen
der Vollständigkeit und Wahrheit.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Revision zurückzuweisen.
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Das FG habe zu Recht auf die Bildung von
Rechnungsabgrenzungsposten verzichtet. Der Grundsatz der
Wesentlichkeit gebiete, unwesentliche Elemente bei der Bilanzierung
und Bewertung außer Betracht zu lassen. So lasse das
Handelsgesetzbuch (HGB) an mehreren Stellen erkennen, dass aus
unterschiedlichen Gründen der Ausweis unwesentlicher
Positionen entbehrlich sei. Das EStG verzichte in bestimmten
Fällen ebenfalls auf einen periodengerechten Ausweis.
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II. Die Revision ist im Hinblick auf die
Streitjahre 2015 und 2016 begründet, und der Senat kann in der
Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Sie führt insoweit zur
Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils; im Einkommensteuerbescheid
für 2016 ist eine Gewinnminderung in Höhe von 1.341 EUR
zu berücksichtigen; im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
In Bezug auf das Streitjahr 2017 ist die Revision im Ergebnis
unbegründet und insoweit zurückzuweisen (§ 126 Abs.
4 FGO).
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Im Streitfall konnte die Sprungklage nach
Einlegung des Einspruchs noch in zulässiger Weise erhoben
werden (dazu unten 1.). Unter den Voraussetzungen des § 5 Abs.
5 Satz 1 Nr. 1 EStG sind aktive Rechnungsabgrenzungsposten zu
bilden (dazu unten 2.). Weder aus dem Grundsatz der Wesentlichkeit
noch aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt
ein Recht, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine
periodengerechte Gewinnermittlung verzichten zu können (dazu
unten 3.). Für die streitgegenständlichen Aufwendungen
mussten in den Streitjahren aktive Rechnungsabgrenzungsposten
angesetzt werden (dazu unten 4. und 5.). In den Jahren 2016 und
2017 hat das FA jedoch übersehen, dass die jeweils im Vorjahr
berücksichtigten Posten gewinnmindernd aufzulösen sind
(dazu unten 5.).
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1. Im Streitfall konnte eine Sprungklage vor
dem FG erhoben werden. Es ist anerkannt, dass dies auch noch nach
Einlegung eines Einspruchs innerhalb der Rechtsbehelfsfrist
möglich ist und sich die Klageerhebung dann als Umwandlung des
Einspruchs in eine Klage darstellt (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 08.11.2016 - I R 1/15, BFHE 256, 195,
BStBl II 2017, 720 = SIS 17 03 76, Rz 11). Sie bedarf nach §
45 Abs. 1 Satz 1 FGO der Zustimmung des FA, die vorliegend erteilt
worden ist.
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2. Die Voraussetzungen für die Bildung
von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten ergeben sich aus § 5
Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Erforderlich sind Ausgaben vor dem
Abschlussstichtag, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach
diesem Tag darstellen. Die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten
dient dazu, Einnahmen und Ausgaben periodengerecht in dem Jahr
auszuweisen, dem sie wirtschaftlich zuzuordnen sind
(Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22, Rz 26;
BFH-Urteil vom 24.06.2009 - IV R 26/06, BFHE 225, 144, BStBl II
2009, 781 = SIS 09 25 66, unter II.1.; im Fall eines passiven
Rechnungsabgrenzungspostens zuletzt BFH-Urteil vom 15.02.2017 - VI
R 96/13, BFHE 257, 244, BStBl II 2017, 884 = SIS 17 10 52, Rz
18).
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a) Dem Aktivierungsgebot des § 5 Abs. 5
Satz 1 Nr. 1 EStG unterfallen zunächst nur solche
Aufwendungen, die - wie im Streitfall - zunächst als laufende
Betriebsausgaben abziehbar sind (z.B. vor dem Bilanzstichtag
gezahlte, aber als Gegenleistung für die Zeit nach dem
Bilanzstichtag bestimmte Miet-, Pacht-, Darlehenszinsen,
Versicherungsprämien und ähnliche wiederkehrende
Leistungen, BFH-Urteil vom 29.10.1969 - I 93/64, BFHE 97, 350,
BStBl II 1970, 178 = SIS 70 00 95; für in einem
Wirtschaftsjahr gezahlte Kraftfahrzeugsteuer, soweit die Steuer auf
die voraussichtliche Zulassungszeit des Fahrzeugs im nachfolgenden
Wirtschaftsjahr entfällt, BFH-Urteil vom 19.05.2010 - I R
65/09, BFHE 230, 25, BStBl II 2010, 967 = SIS 10 22 25; bei
Werbemaßnahmen die Ausgaben, die getätigt worden sind,
um für einen nach dem Stichtag liegenden Zeitraum die
Möglichkeit zu schaffen, Werbung zu betreiben, vgl. Hessisches
FG, Urteil vom 06.11.2008 - 9 K 2244/04, DStRE 2010, 329 = SIS 09 24 19). Dienen die Aufwendungen hingegen dem Erwerb eines
Wirtschaftsguts, das erst in späterer Zeit genutzt werden
soll, sind die Aufwendungen als vorweggenommene Anschaffungskosten
für das zu erwerbende Wirtschaftsgut zu aktivieren; die
Absetzung für Abnutzung beginnt erst mit der späteren
Nutzung (vgl. BFH-Urteil vom 13.10.1983 - IV R 160/78, BFHE 139,
273, BStBl II 1984, 101 = SIS 84 01 08, unter A.1.; Schmidt/Kulosa,
EStG, 40. Aufl., § 6 Rz 51).
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b) Bereits nach § 152 Abs. 9 Nr. 1 des
Aktiengesetzes a.F. durften Ausgaben als aktive
Rechnungsabgrenzungsposten nur insoweit ausgewiesen werden, als sie
Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag
darstellen. Bei dieser Vorschrift handelte es sich um einen
Grundsatz ordnungsgemäßer Buchführung, der
über § 5 EStG auch schon vor seiner
einkommensteuergesetzlichen Kodifizierung zunächst in § 5
Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F., heute in § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
für das Einkommensteuerrecht zu beachten war (vgl. BFH-Urteil
vom 04.03.1976 - IV R 78/72, BFHE 121, 318, BStBl II 1977, 380 =
SIS 77 02 17). Ein Rechnungsabgrenzungsposten muss seit jeher
steuerrechtlich gebildet werden, wenn ein Aufwand für eine
bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag vorliegt (vgl. Beschluss
des Großen Senats des BFH vom 03.02.1969 - GrS 2/68, BFHE 95,
31, BStBl II 1969, 291 = SIS 69 01 88). Dazu hat der Große
Senat des BFH ausgeführt: „... Da es dem Sinn und Zweck
der steuerrechtlichen Gewinnermittlung entspricht, den vollen
Gewinn zu erfassen, kann es nicht im Belieben des Kaufmanns stehen,
sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die
handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, oder durch den
Ansatz eines Passivpostens, der handelsrechtlich nicht geboten ist,
ärmer zu machen, als er ist. Bilanzierungswahlrechte im
Steuerrecht stünden auch schwerlich im Einklang mit dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung
(Art. 3 des Grundgesetzes).“ Der aktive
Rechnungsabgrenzungsposten setzt grundsätzlich voraus, dass
einer Vorleistung des Kaufmanns eine noch nicht erbrachte
zeitbezogene Gegenleistung des Vertragspartners gegenübersteht
(BFH-Urteil vom 19.01.1978 - IV R 153/72, BFHE 124, 320, BStBl II
1978, 262 = SIS 78 01 45).
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c) § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG statuiert
mit der Definition aktiver Rechnungsabgrenzungsposten für die
Steuerbilanz ein (abschließendes) Aktivierungsgebot für
Ausgaben, die der Definition entsprechen (Senatsbeschluss in BFH/NV
2010, 1796 = SIS 10 27 22, Rz 29; BFH-Urteile in BFHE 124, 320,
BStBl II 1978, 262 = SIS 78 01 45, und vom 26.04.1995 - I R 92/94,
BFHE 177, 444, BStBl II 1995, 594 = SIS 95 16 18; Schmidt/
Weber-Grellet, EStG, 40. Aufl., § 5 Rz 242); der
Steuerpflichtige hat schon nach dem Gesetzeswortlaut insoweit kein
Wahlrecht.
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3. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich
eine Einschränkung der Pflicht zum Ansatz von
Rechnungsabgrenzungsposten auf wesentliche Fälle entnehmen.
Somit fehlt es an einer rechtlichen Grundlage für ein
Wahlrecht zur Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten in
Fällen von geringer Bedeutung (vgl. zum Meinungsstand in der
handels- und einkommensteuerrechtlichen Literatur: ein Wahlrecht
verneinend, z.B. Richter in
Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, § 250 HGB
Rz 12; Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 12.
Aufl., § 250 HGB Rz 2; MüKoHGB/Ballwieser, 4. Aufl.,
§ 243 Rz 64; Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR
-, § 5 EStG Rz 2180; ein Wahlrecht bejahend, z.B.
Schubert/Waubke in Beck Bil-Komm., 12. Aufl., § 250 Rz 28;
MüKoBilanzR/Hennrichs, 1. Aufl., § 250 Rz 34; Reddig in
Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 5 Rz 109;
Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 242; Blümich/Krumm,
§ 5 EStG Rz 259; Abele, BB 2019, 1138; Marx, FR 2011, 267).
Insoweit gilt dasselbe wie bei der Bildung einer Rückstellung
für die Betreuung bereits abgeschlossener
Lebensversicherungsverträge (vgl. Senatsurteil vom 19.07.2011
- X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856 = SIS 11 33 69, Rz
30, wonach es an einer rechtlichen Grundlage für die Annahme
fehle, die Bildung einer Rückstellung sei nur bei wesentlichen
Verpflichtungen zulässig) oder bei der Aktivierung einer
geringfügigen Forderung (vgl. BFH-Urteil vom 28.09.1967 - IV R
284/66, BFHE 90, 72, BStBl III 1967, 761 = SIS 67 04 72, unter
II.2., wonach es im Gesetz keine Stütze finde, dass diese
nicht aktiviert werden müssten).
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a) Dem Grundsatz der Wesentlichkeit kann ein
Wahlrecht zur Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten in
Fällen von geringer Bedeutung nicht entnommen werden.
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aa) Die Existenz des Grundsatzes der
Wesentlichkeit (BFH-Urteil vom 20.06.2000 - VIII R 32/98, BFHE 192,
502, BStBl II 2001, 636 = SIS 00 13 69) steht zwar außer
Frage. Wie im Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22,
Rz 32 und 35 ausgeführt, lässt das HGB auch an mehreren
Stellen erkennen, dass es in bestimmten Fällen aus
unterschiedlichen Gründen auf den Ausweis unwesentlicher
Positionen verzichtet, bzw. zeigt das Einkommensteuerrecht, z.B.
bei der Sofortabsetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern
nach § 6 Abs. 2 EStG, dass ein periodengerechter Ausweis
entbehrlich sein kann. Für ein Wahlrecht im Rahmen des §
5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG hätte es aber - wie in den in
BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22 aufgezeigten Fällen - einer
gesetzlichen Regelung bedurft, wonach es dem Steuerpflichtigen
erlaubt ist, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine genaue
Abgrenzung zu verzichten (ebenso im Ergebnis: HHR/ Tiedchen, §
5 EStG Rz 2180, die u.a. darauf hinweist, dass das Gesetz insoweit
keine Ausnahmeregelungen vorsieht), selbst wenn die Anwendung des
Grundsatzes der Wesentlichkeit dort umso eher begründbar sein
mag, wo es - wie bei Rechnungsabgrenzungsposten, die der
periodengerechten Zuordnung der ansonsten sofort aufwandwirksamen
Ausgaben dienen - nur um den zeitgerechten Ausweis geht.
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bb) Aus der Gesetzesbegründung
(BT-Drucks. V/3187, S. 4) ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber
bei § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise von einer
solchen Möglichkeit ausgegangen wäre. Dort heißt es
nur: „Da hinsichtlich (...) der Bilanzierung von
Rechnungsabgrenzungsposten zurzeit eine gewisse Rechtsunsicherheit
vorhanden ist, erscheint es erforderlich, die insoweit bestehenden,
den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger
Buchführung entsprechenden Ausweisverbote in § 5 EStG
ausdrücklich zu verankern“.
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cc) Die gesetzgeberischen Überlegungen
bei der Behandlung geringwertiger Wirtschaftsgüter in § 6
Abs. 2 EStG können nicht auf die Bildung von
Rechnungsabgrenzungsposten übertragen werden. Hiergegen
spricht, dass diese nicht als Wirtschaftsgüter zu
qualifizieren sind (vgl. zur rechtlichen Qualifikation als
Wirtschaftsgut: BFH-Urteil vom 14.11.2012 - I R 19/12, BFH/NV 2013,
1389 = SIS 13 21 87, Rz 12) und dass mit der Sofortabschreibung
geringwertiger Wirtschaftsgüter (neben der Vereinfachung)
gesetzlich auch der Zweck der „Verbesserung der
Selbstfinanzierung der Unternehmen“ verfolgt wird (vgl. dazu
Schmidt/ Kulosa, a.a.O., § 6 Rz 652; HHR/Dreixler, § 6
EStG Rz 1000, jeweils m.w.N.). Gerade dieser Förderzweck des
§ 6 Abs. 2 EStG macht deutlich, dass es dem Gesetzgeber
vorbehalten sein muss, diesem Zweck auch für § 5 Abs. 5
Satz 1 Nr. 1 EStG Geltung zu verschaffen. Eine analoge Anwendung im
Übrigen, die auch im Kostenbeschluss in BFH/NV 2010, 1796 =
SIS 10 27 22 nicht vertreten worden ist, ist mangels
Regelungslücke ausgeschlossen.
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b) Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schränkt die
Pflicht zur Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten ebenfalls nicht
auf wesentliche Fälle ein.
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aa) Zwar gilt dieser Grundsatz auch im
Steuerrecht. Danach müssen Mittel und Zweck in einem
angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Dies ist z.B. nicht
gewahrt, wenn eine Tätigkeit von ganz untergeordneter
Bedeutung, die kaum in Erscheinung tritt, eine wesentlich
bedeutsamere Tätigkeit in eine gewerbliche nach § 15 Abs.
3 Nr. 1 Alternative 1 EStG umqualifizieren würde. In diesem
Fall würde die „schädliche“ Tätigkeit
eine unverhältnismäßige Rechtsfolge auslösen
und damit eine Bedeutung erlangen, die ihr von ihrem Gewicht her
nicht zukommt (vgl. BFH-Urteile vom 11.08.1999 - XI R 12/98, BFHE
189, 419, BStBl II 2000, 229 = SIS 99 22 22, und vom 27.08.2014 -
VIII R 6/12, BFHE 247, 513, BStBl II 2015, 1002 = SIS 15 03 13; zu
§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG: BFH-Urteil vom
06.06.2019 - IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649 = SIS 19 10 33).
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bb) Durch den Ansatz eines
Rechnungsabgrenzungspostens kann - auch in Fällen mit
geringfügigen Beträgen - eine solche
unverhältnismäßige Folge indes nicht
herbeigeführt werden. Der Ansatz bewirkt ausschließlich,
dass sich der Gewinn in genau der Größenordnung des
gebildeten Postens erhöht; weitergehende Folgen sind nicht
ersichtlich.
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cc) Darüber hinaus kann der Senat nicht
erkennen, dass bei der Rechnungsabgrenzung in Fällen von
geringer Bedeutung ein Aufwand erforderlich wäre, der in
keinem Verhältnis zur Verbesserung des Einblicks in die
Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens stünde bzw.
der zu der Annahme führte, die periodengerechte Ermittlung des
Aufwandes würde im Interesse einer Vereinfachung der
Buchführung übertrieben werden (anders noch der BFH in
den Urteilen vom 16.09.1958 - I 351/56 U, BFHE 67, 492, BStBl III
1958, 462 = SIS 58 02 72, und vom 02.06.1960 - IV 114/58, HFR 1961,
73). Denn für die (zeitraumbezogene) Berechnung der Höhe
der Rechnungsabgrenzungsposten nach den Verhältnissen der noch
ausstehenden Gegenleistung zur gesamten Leistung (zur Berechnung:
BFH-Urteil in BFHE 97, 350, BStBl II 1970, 178 = SIS 70 00 95) sind
- vgl. nur die streitgegenständlichen Posten - keine
Schwierigkeiten ersichtlich, die zu einem
unverhältnismäßigen Aufwand führen würden
(a.A. z.B. Bauer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, §
5 Rz F 112; Blümich/Krumm, § 5 EStG Rz 259). Stehen die
Werte der Rechnungsabgrenzungsposten eindeutig fest, sind sie auch
in die Bilanz aufzunehmen, selbst wenn sie einen
verhältnismäßig geringen Betrag aufweisen (vgl.
Hessisches FG in DStRE 2010, 329, Rz 50; vgl. zum ähnlichen
Fall der Aktivierung geringfügiger Forderungen: BFH in BFHE
90, 72, BStBl III 1967, 761 = SIS 67 04 72, unter II.2., wonach
für „einfach zu überblickende Sachverhalte“
nicht die Ansicht vertreten werden könne, von einer
Bilanzierung wegen Geringfügigkeit abzusehen; a.A. Hoffmann in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar,
§§ 4, 5, Rz 804, der es für wenig sinnvoll erachtet,
bei unbedeutenden Posten, wie häufig
Rechnungsabgrenzungsposten, eine exakte Ermittlung der
Bilanzansätze durchzuführen, nur weil sie hier
ausnahmsweise möglich ist).
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dd) Zudem kann es bei einer Vielzahl in der
Gewinnermittlung nicht berücksichtigter, geringfügiger
aktiver Rechnungsabgrenzungsposten doch - insgesamt - zu einer
bedeutenden Verzerrung des Einblicks in die Vermögens- und
Ertragslage kommen (vgl. Marx, FR 2011, 267, 270, der insoweit
einen relativen Schwellenwert für die Gesamtheit der Posten
fordert).
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c) Mit (Kosten-)Beschluss in BFH/NV 2010, 1796
= SIS 10 27 22 hatte der Senat zwar das von den Klägern
begehrte Wahlrecht in Bezug auf aktive Rechnungsabgrenzungsposten
noch bejaht. Hieran hält er aus den vorstehend genannten
Gründen aber nicht mehr fest.
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4. Eine Vorlage an den Großen Senat des
BFH ist nicht erforderlich, weil der Senat nicht in einer
Rechtsfrage von der Entscheidung eines - anderen - Senats oder des
Großen Senats des BFH abweicht (§ 11 Abs. 2 FGO).
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Soweit der VI. Senat in seinem Urteil vom
03.09.2015 - VI R 27/14 (BFHE 251, 5, BStBl II 2016, 174 = SIS 15 25 91) unter Bezugnahme auf den Senatsbeschluss in BFH/NV 2010,
1796 = SIS 10 27 22 ausgeführt hat, es sei entsprechend den
allgemeinen Grundsätzen der Gewinnermittlung nicht
ausgeschlossen, bei nur geringfügigen Beträgen auf den
Ansatz eines Rechnungsabgrenzungspostens zu verzichten, wie z.B.
bei Steuern und Versicherungen für einen nur aus wenigen
Fahrzeugen bestehenden Fuhrpark, ist auch diesbezüglich eine
Vorlage an den Großen Senat des BFH entbehrlich, denn die
Ausführungen waren im dortigen Streitfall nicht
entscheidungserheblich (zur Entscheidungserheblichkeit vgl.
Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 11 Rz
4).
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Des Weiteren ist der Senat nicht aufgrund der
BFH-Urteile in BFHE 67, 492, BStBl III 1958, 462 = SIS 58 02 72,
und in HFR 1961, 73 verpflichtet, den Großen Senat des BFH
anzurufen. In diesen Entscheidungen ist zwar eine entsprechende
Aktivierungspflicht verneint worden. Die Urteile sind aber vor
Inkrafttreten der FGO (31.12.1965) ergangen und nicht
gemäß § 64 der Reichsabgabenordnung (RAO) i.d.F.
der Bekanntmachung vom 22.05.1931 (RGBl I 1931, 161)
veröffentlicht worden, so dass § 11 FGO insoweit nicht
anzuwenden ist (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO i.d.F. vom 06.10.1965,
BGBl I 1965, 1477; vgl. Senatsurteil vom 03.03.2004 - X R 12/02,
BFHE 205, 451, BStBl II 2004, 722 = SIS 04 23 43, unter II.2.a cc;
BFH-Urteil vom 21.03.1989 - IX R 58/86, BFHE 156, 201, BStBl II
1989, 778 = SIS 89 11 09; zur Veröffentlichung nach § 64
RAO vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 20.02.2013 - GrS 1/12, BFHE 140, 282, BStBl II
2013, 441 = SIS 13 11 96, Rz 16).
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5. Demzufolge mussten - wie vom FA für
die Einkommensteuerbescheide in den Streitjahren zu Recht
angenommen - für die streitgegenständlichen Aufwendungen
aktive Rechnungsabgrenzungsposten in Höhe von 1.341 EUR
(2015), 1.550 EUR (2016) und 1.315 EUR (2017) gebildet werden.
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6. Gegenläufig hätten aber in den
Jahren 2016 und 2017 jeweils die im Vorjahr gewinnerhöhend
berücksichtigten Rechnungsabgrenzungsposten aufgelöst
werden müssen. Für das Jahr 2016 ergibt sich danach eine
Gewinnminderung in Höhe von 1.341 EUR; insoweit ist der
Einkommensteuerbescheid für 2016 abzuändern. Im
Streitjahr 2017 überschreitet die gewinnmindernde
Auflösung (1.550 EUR) die Höhe der gebildeten
Rechnungsabgrenzungsposten (1.314 EUR), so dass die Revision
insoweit im Ergebnis unbegründet ist; im Übrigen gilt das
Verböserungsverbot, das auch im Revisionsverfahren anzuwenden
ist (§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO).
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7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136
Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kosten des gesamten Verfahrens haben der
Beklagte zu 5/8 und die Kläger zu 3/8 zu tragen.
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