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Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen

Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen: 1. Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes sind zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Anschluss an BFH-Urteile vom 28.7.2004, XI R 63/03, BFHE 207 S. 205, BStBl 2006 II S. 866 = SIS 04 41 12, und vom 9.12.2009, X R 41/07, BFH/NV 2010, 860 = SIS 10 11 86). - 2. Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Beschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. - 3. Für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist nicht auf die künftigen Betreuungsaufwendungen für den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Steuerpflichtigen künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen. - 4. Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen setzt voraus, dass der Steuerpflichtige zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist. - 5. Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten und gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. e EStG abzuzinsen. - 6. Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar. - 7. Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung. Der (voraussichtliche) Zeitaufwand ist im Einzelnen darzulegen. - 8. Die Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist. Die Aufzeichnungen sind "vertragsbezogen" zu führen. - 9. Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision. - 10. Der Steuerpflichtige trägt im Fall eines "non-liquet" die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die von ihm behaupteten Aufwendungen für nachträgliche Betreuungsleistungen. (Hinweis aus BStBl 2012 II S. 856 auf BMF-Schreiben vom 20.11.2012, IV C 6 - S 2137/09/10002 = SIS 12 30 69) - Urt.; BFH 19.7.2011, X R 26/10; SIS 11 33 69

Kapitel:
Unternehmensbereich > Gewinnermittlung > Rückstellungen
Fundstellen
  1. BFH 19.07.2011, X R 26/10
    BStBl 2012 II S. 856
    DStR 2011 S. 1990
    LEXinform 0928060

    Anmerkungen:
    jh in StuB 21/2011 S. 841
    I.v.R. in BB 46/2011 S. 2866
    W.D.H. in StuB 21/2011 S. 809
    M.H. in NWB 47/2011 S. 3934
    V.E. in DStR 48/2011 S. 2280
    TK in DStZ 22/2011 S. 805
    J.F. in BFH/PR 1/2012 S. 6
    M.P. in FR 1/2012 S. 36
    H.W.G. in BB 1/2012 S. 46
    S.T. in FR 1/2012 S. 22
    D.G. in StuB 2/2012 S. 55
    H.M.K. in AktStR 1/2012 S. 53
Normen
[EStG] § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3 a
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG München, 24.09.2009, SIS 10 34 50, Rückstellung, Versicherungsvertreter, Nachbetreuung, Erfüllungsrückstand
Zitiert in... / geändert durch...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 26.10.2021, SIS 23 08 06, Steuerliche Berücksichtigung von Forderungen im Zusammenhang mit Provisionsrückstellungen sowie Rückstell...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 26.10.2021, SIS 23 08 07, Steuerliche Berücksichtigung von Forderungen im Zusammenhang mit Provisionsrückstellungen sowie Rückstell...
  • BFH 2.7.2021, SIS 21 20 71, Rückstellung bei Werkzeugfertigung/-nutzung: 1. Stellt ein Zulieferbetrieb dem jeweiligen Auftraggeber zu...
  • BFH 16.3.2021, SIS 21 14 44, Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten auch in Fällen geringer Bedeutung: Aktive Rechnungsabgrenz...
  • FG Münster 25.7.2019, SIS 19 14 58, Erfüllungsrückstand aus Nachbetreuungsverpflichtungen, Vervielfältiger, Bewertung: 1. Für Nachbetreuungsl...
  • BFH 25.7.2019, SIS 19 18 11, Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen; Bindung de...
  • BFH 11.10.2017, SIS 17 24 85, Schlichter Änderungsantrag nach Einspruchsentscheidung innerhalb der Klagefrist, Zeitpunkt der Überprüfun...
  • BFH 13.7.2017, SIS 17 18 66, Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen: 1. Die Abz...
  • FG Münster 9.9.2016, SIS 16 22 72, Rückstellung für Nachbetreuungspflichten bei einem Versicherungsvertreter: Eine Verpflichtung des Vertret...
  • BFH 9.6.2015, SIS 15 26 00, Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands, Auslegung von Willenserklärungen: 1. Ein Versicher...
  • FG Köln 14.1.2015, SIS 15 11 89, Rückstellung für ausstehende Entsorgungsleistungen: Eine Rückstellung wegen noch zu erbringender Verwertu...
  • BFH 16.9.2014, SIS 14 34 49, Erfüllungsrückstand wegen Nachbetreuungspflichten bei einem für einen Versicherungsmakler tätigen Handels...
  • BFH 27.2.2014, SIS 14 20 91, Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands, Rechtspflicht zur Nachbetreuung von Versicherungsv...
  • BFH 7.1.2014, SIS 14 10 86, Darlegung der Höhe einer Rückstellung für Nachbetreuungsleistungen bei Versicherungsvertretern in Altfäll...
  • BFH 12.12.2013, SIS 14 11 21, Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen: 1. Die Abz...
  • FG Köln 26.9.2013, SIS 14 22 56, Rückstellung für Vertragspflege, Provisionen als verdeckte Gewinnausschüttung: 1. Für die Nachbetreuung v...
  • FG Münster 13.6.2013, SIS 13 23 55, Bildung und Bewertung einer Rückstellung für die Nachbetreuung von LV-Verträgen: 1. Die Bildung von Rücks...
  • FG Rheinland-Pfalz 4.6.2013, SIS 13 33 53, Rückstellungen für die Nachbetreuung von Versicherungsverträgen: Eine Klausel, mit der der Versicherungsv...
  • Hessisches FG 22.5.2013, SIS 13 24 08, Steuerbilanzielle Behandlung des sog. Fonds zur bauspartechnischen Absicherung bei einer Bausparkasse: 1....
  • BFH 23.1.2013, SIS 13 11 47, Beendigung der Verfahrensruhe im Einspruchsverfahren durch Vorläufigkeitsvermerk: Die Finanzbehörde kann ...
  • FG Münster 18.12.2012, SIS 13 12 10, Rückstellung wegen Erfüllungsrückstand: Wird für die Leistungen im Bereich "Betreuung und Erhaltung" des ...
  • FG des Landes Sachsen-Anhalt 5.12.2012, SIS 13 23 89, Rückstellungsbildung wegen Erfüllungsrückstand, Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, Nichtberücksi...
  • BMF 20.11.2012, SIS 12 30 69, Rückstellungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Versicherungen: Der BFH hat mit Urteil vom 19.7....
  • Hessisches FG 30.10.2012, SIS 13 09 36, Rückstellungen wegen Erfüllungsrückständen aus Versicherungs- und Bausparverträgen: 1. Voraussetzung für ...
  • FG Hamburg 6.9.2012, SIS 13 00 93, Einkommensteuergesetz, Rückstellungen wegen nachlaufender Betreuung von Versicherungsverträgen: 1. Ein Ve...
  • Hessisches FG 22.8.2012, SIS 13 00 32, Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen für Bestandspflege eines Versicherungsvertreters: 1. All...
  • BFH 6.6.2012, SIS 12 22 64, Rückstellungen wegen zukünftiger Betriebsprüfung bei Großbetrieben: In der Steuerbilanz einer als Großbet...
  • Niedersächsisches FG 6.6.2012, SIS 13 27 12, Versicherungsvertreter, Dokumentationspflichten: 1. Zu den Voraussetzungen der Bildung von Rückstellungen...
  • FG Münster 14.12.2011, SIS 12 04 93, Rückstellungen, Rechtlich entstandene Verpflichtungen müssen nicht vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich ...
  • BFH 8.11.2011, SIS 12 00 40, Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands: Ob ein Versicherungsvertreter, der von der Versicherung nicht nu...
  • BFH 19.7.2011, SIS 12 11 12, Rückstellung eines Versicherungsvertreters für die Nachbetreuung von Versicherungsverträgen: Rückstellung...
Fachaufsätze
  • LIT 02 35 04 H.M. Korth, AktStR 1/2012 S. 56: Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes sind zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussp...
  • LIT 02 30 04 I. von Rönne, BB 46/2011 S. 2866: Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Betreuung von Versicherungsverträgen -BB-Kommentar z...
  • LIT 02 28 54 V. Endert, DStR 48/2011 S. 2280: Bildung einer Rückstellung für Bestandspflege bei Versicherungsverträgen - Anmerkung zum BFH-Urteil vom 1...
  • LIT 02 29 31 M. Hilbertz, NWB 47/2011 S. 3934: Rückstellung für die Nachbetreuungspflicht von Versicherungsverträgen - BFH-Urteil vom 19.7.2011, X R 26/...
  • LIT 02 29 89 W.D. Hoffmann, StuB 21/2011 S. 809: Rückstellung für Nachbetreuung (Lebensversicherungsverträge) - BFH-Urteile vom 19.7.2011, X R 26/10 = SIS...
Anmerkung RiBFH Prof. Brandt

 

1

I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) begehren die Bildung einer Rückstellung für die Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversicherungsverträge.

 

 

2

Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte u.a. als Inhaber einer Versicherungsagentur und aus einem Autohandel nebst Autovermietung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ).

 

 

3

Der Kläger vermittelte im Rahmen seiner Versicherungsagentur zunächst für die X-AG Versicherungsverträge, für die er neben einer Abschlussprovision ein Pflegegeld für die Betreuung des jeweiligen Bestandes (Bestandspflegeprovision) erhielt. Nachdem die X-AG in die Z-AG aufgegangen war, erhielt der Kläger ab dem 1.12.2000 neben der erhöhten Abschlussprovision keine Bestandspflegeprovision mehr für ab dem 1.7.2000 vermittelte Renten- und Lebensversicherungen. Im Rahmen seiner Versicherungsagentur betreute der Kläger im Streitjahr 1.041 Lebensversicherungsverträge, für die er keine Bestandspflegeprovision erhielt. Insgesamt belief sich der betreute Bestand auf 1.413 Verträge. Der Kläger beschäftigte 2004 fünf Mitarbeiter.

 

 

4

Die Betreuung der Versicherungsverträge, die durch Mitarbeiter der Versicherungsagentur übernommen wurde, umfasste die Bearbeitung der Bankverbindungen für den Einzug der laufenden Beiträge bei Änderungen, die Bearbeitung von Namensänderungen, die Bearbeitung der Änderungen für Bezugsrechte, die Bearbeitung und Übersendung von Angeboten für Beitragsfreistellungen auf Wunsch der Kunden, die Bearbeitung und Übersendung von Berechnungen der Ablaufsummen im Falle von Beitragsfreistellungen und von Reduzierungen der Versicherungssumme, die Bearbeitung und Berechnung der Rückkaufswerte für Bankfinanzierungen sowie die Bearbeitung von Abtretungen bzw. Sicherungsübereignungen im Falle von Bankfinanzierungen sowie die Abwehr von Abwerbeversuchen durch andere Finanzberater und Konkurrenzunternehmen der Versicherungsbranche.

 

 

5

In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte der Kläger erstmals eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 165.060 EUR, die er wie folgt berechnete:

 

 

 

 

6

Versicherungsbestand

1.400 Verträge

 

Durchschnittliche Laufzeit

25 Jahre

 

Geschätzter Betreuungsaufwand pro Jahr und Vertrag

1,5 Stunden

 

Berechnung: 52.500 Stunden x Abzinsungsfaktor 0,262 % x 12 EUR Lohn/Stunde

= 165.060 EUR

 

7

Mit Schreiben vom 6.10.2006 teilte der Kläger dem Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) mit, dass die Rückstellung für Bestandspflege (1.041 Verträge x 25 Jahre x 1,5 Stunden x 0,262 x 12 EUR/Stunde =) mindestens 122.734 EUR betragen müsse.

 

 

8

Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 26.10.2006 versagte das FA den Ansatz einer Rückstellung für Bestandspflege bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.

 

 

9

In der Einspruchsentscheidung vom 5.7.2007 wies das FA den Einspruch insoweit als unbegründet zurück. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.7.2004 XI R 63/03 (BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866 = SIS 04 41 12) sei nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28.11.2006 IV B 2 - S 2137 - 73/06 (BStBl I 2006, 765 = SIS 06 45 93) nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.

 

 

10

Mit der Klage machten die Kläger geltend, dass eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 122.734 EUR in der Gewinnermittlung des Klägers zu berücksichtigen sei. Die Nachbetreuung von 1.041 Verträgen stelle für das Unternehmen des Klägers eine wesentliche Belastung dar. Dafür seien 1.561,5 Arbeitsstunden oder 208 Arbeitstage bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden im Jahr erforderlich. Dem Versicherer sei die Nachbetreuung von Lebensversicherungsverträgen 1,5 % und von Rentenversicherungsverträgen 0,8 % des vom Kunden im Kalenderjahr zu zahlenden Beitrages wert. Das Beitragsvolumen sämtlicher 1.413 vom Kläger betreuter Lebens- und Rentenversicherungsverträge habe zum 31.12.2006 1.221.000 EUR betragen. Davon seien 310.117 EUR auf die pflegegeldpflichtigen Altverträge und 910.883 EUR der Beiträge auf die nicht pflegegeldpflichtigen Verträge entfallen. Bei 80 % nicht pflegegeldpflichtiger Lebensversicherungsverträge und 20 % nicht pflegegeldpflichtiger Rentenversicherungsverträge betrage die jährliche Bestandspflegeprovision 12.388 EUR [(728.706 EUR x 1,5 % = 10.930,60 EUR) + (0,8 % x 182.176,60 EUR = 1.457,41 EUR)]. Der Z-AG sei die Bestandspflege damit in 25 Jahren 309.700,25 EUR wert. Würde man diesen Betrag mit dem Faktor 0,262 abzinsen, sei mindestens eine Rückstellung von 81.141,47 EUR (= 12.388 x 25 x 0,262) anzusetzen. Abweichend davon sei der Berechnung der Rückstellung im Streitfall aber ein deutlich höherer Betreuungsaufwand des Klägers zugrunde zu legen.

 

 

11

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt (EFG 2010, 2105 = SIS 10 34 50). Die Rückstellung sei (nach dem BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866 = SIS 04 41 12) dem Grunde nach berechtigt; allerdings sei nur ein Aufwand von 0,5 Stunden pro Vertrag und pro Jahr anzusetzen, so dass die (im Schätzungsweg zu bestimmende) Höhe der Rückstellung 40.911 EUR betrage.

12

Bei einem Massengeschäft wie dem vorliegenden komme von vornherein nur eine überschlägige Bestimmung anhand der Anzahl der Verträge und dem jeweiligen Mindestaufwand pro Vertrag in Frage. Dafür aber, dass mindestens 1,5 Stunden pro Vertrag und Jahr hätten aufgewendet werden müssen, fehle es an einer näheren Darlegung über in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen, aus denen dies zu folgern wäre. Bei wie vielen Lebens- und Rentenversicherungsverträgen im Jahr 2004 Tätigkeiten zur Bestandspflege angefallen seien, sei heute ebenfalls nicht mehr feststellbar. Auch insoweit könnten deshalb keine Rückschlüsse auf einen zukünftigen Betreuungsaufwand gezogen werden. Bei Zugrundelegung eines Arbeitsaufwandes von 1,5 Stunden im Jahr ergäbe sich - bezogen auf die durchschnittliche Laufzeit von 25 Jahren - ein Betreuungsaufwand von 37,5 Stunden je Vertrag, was dem erkennenden Senat deutlich zu hoch erscheine, zumal Verträge vorhanden seien, die unstreitig keinerlei Betreuungsaufwand erforderten, und bei den anderen Verträgen Betreuungsleistungen allenfalls in zeitlichen Abständen von mehreren Jahren anfielen. Bei Würdigung der vom Kläger dargestellten Möglichkeiten, bei denen durch die Betreuung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen ein Aufwand entstehen könne, sei nur der Ansatz eines Betreuungsaufwandes von lediglich einer halben Mitarbeiterstunde je Vertrag und Jahr bzw. einer durchschnittlichen Betreuungsleistung von 12,5 Stunden je Vertrag gerechtfertigt.

13

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts:

 

 

14

(1) Das FG nehme zu Unrecht an, dass es sich bei der zu erbringenden Nachbetreuung um eine wesentliche Nebenleistung handele. Eine Verpflichtung zur Rückstellungsbildung sei zu verneinen, wenn der künftige Aufwand als unwesentlich anzusehen sei (BFH-Urteile vom 18.1.1995 I R 44/94, BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742 = SIS 95 13 07; vom 15.11.1960 I 189/60 U, BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48 = SIS 61 00 29). Die Verpflichtung sei nicht nach dem Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern nach der Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen zu beurteilen (BFH-Urteil vom 25.3.1992 I R 69/91, BFHE 168, 527, BStBl II 1992, 1010 = SIS 92 20 09). Eine Zusammenfassung aller zu betreuenden Verträge zu einer Bewertungseinheit sei nicht vorzunehmen; die Gesamtsumme der Einzelverpflichtungen sei unerheblich. Der Umstand, dass das Versicherungsunternehmen die Nachbetreuung nicht mehr durch eine laufende Folgeprovision vergüte, sei ein Indiz, dass auch das Versicherungsunternehmen die Verpflichtung als unwesentlich ansehe. In der Mehrzahl der abgeschlossenen Lebensversicherungen erscheine es unwahrscheinlich, dass überhaupt ein Nachbetreuungsaufwand entstehe.

 

 

15

Das FA sehe sich durch den BFH-Beschluss vom 18.3.2010 X R 20/09 (BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22) bestätigt; der Betrag von 39,30 EUR je Vertrag liege deutlich unter der Grenze des § 6 Abs. 2 EStG.

 

 

16

Sollte eine Rückstellung dem Grunde nach zulässig sein, sei die Schätzung des Betreuungsaufwandes entschieden zu hoch. Der Kläger habe keine Aufzeichnungen über die erforderlichen Arbeiten vorgelegt; die Aufklärungsanordnung des FG sei weitgehend unbeantwortet geblieben.

 

 

17

(2) Die Revision der Kläger sei zumindest unbegründet. Der Behauptung, dass der Versicherung die Nachbetreuung des Kunden 12.388 EUR wert sei, sei zu widersprechen. Mit der Vertragsänderung hätten sich auch die Vergütungskonditionen verändert.

 

 

18

Das FA beantragt,

19

das angefochtene Urteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision der Kläger zurückzuweisen.

 

 

20

Die Kläger beantragen,

21

die Revision des FA zurückzuweisen, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 27.8.2009 (unter Berücksichtigung einer Rückstellung in Höhe von 81.141 EUR) die Einkommensteuer auf 17.297 EUR herabzusetzen.

 

 

22

(1) Die Bearbeitung von Versicherungsverträgen sei keine unwesentliche Nebenleistung. Der Z-AG sei die Nachbetreuung pro Jahr 12.388 EUR wert. Für einen Teil der Versicherungen werde eine Bestandspflegeprovision bezahlt, für die anderen nicht; nur bei diesen bestehe ein Erfüllungsrückstand. Die unterschiedliche Behandlung der Nachbetreuung durch die Versicherung (Bestandspflegeprovision oder höhere Abschlussprovision) zeige deutlich, dass der Nachbetreuung erhebliche Bedeutung zukomme. Ihn, den Kläger, treffe eine Nachbetreuungsverpflichtung für seinen gesamten Kundenstamm. Auch die Rückstellung für Jahresabschlusskosten könne nicht auf die Kosten für die einzelnen Buchungen verteilt werden. Entgegen der Auffassung des FA habe sich vom 1.12.2000 an die Vertragslage nicht geändert. Für die Altverträge würden immer noch Bestandspflegeprovisionen gezahlt. Der Versicherer würde auch für die Neuverträge diese Beträge zahlen, wenn er, der Kläger, sich nicht für die Zahlung der höheren Provisionen entschieden hätte. Die im Einzelnen zu erbringenden Leistungen seien im Schriftsatz vom 31.8.2007, Seite 4 und im Schriftsatz vom 7.12.2007 genau bezeichnet worden. Im Revisionsverfahren könne das FA die Schätzung nicht angreifen.

 

 

23

Der Beschluss in BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22 sei zu Rechnungsabgrenzungsposten ergangen; es habe mit Rückstellungen nichts zu tun. Eine Auflösung der Rückstellung komme nur bei wesentlichen Bestandsänderungen in Betracht.

 

 

24

(2) Ihre eigene Revision stützen die Kläger auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 

 

25

Es sei ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Versicherer nichts verschenke; der nachgewiesene Betrag von 12.388 EUR sei daher zwingend der Mindestbetrag. Daraus errechne sich - abgezinst - eine Rückstellung von 81.141 EUR. Die Aufklärungsrüge sei begründet; für die Bemessung der Rückstellung komme es nicht auf den tatsächlichen Betreuungsaufwand für das Jahr 2004 an, sondern auf den voraussichtlichen Betreuungsaufwand in den Folgejahren. Aus Aufzeichnungen könne auf die Verhältnisse der Vergangenheit geschlossen werden; Aufzeichnungen aus drei Monaten dürften - angesichts der Vielzahl der Versicherungsverträge - genügen.

 

 

26

Das BMF ist dem Verfahren beigetreten und trägt vor: Für die Beantwortung der Frage, ob eine Nebenpflicht wesentlich sei, gebe es kein allgemeingültiges quantitatives Kriterium. Die Zahlung einer einmaligen Abschlussprovision spiegele die zu erbringende Arbeitsleistung des Versicherungsvertreters ausreichend wider. Da die Versicherung keine Bestandspflegeprovision zahle, sei davon auszugehen, dass auch keine wesentliche Verpflichtung bestehe. Sollte eine Rückstellung dem Grunde nach zulässig sein, sei zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige die Feststellungslast trage. Die einzelnen Nachbetreuungsleistungen seien aufzuzeichnen; spätere Aufzeichnungen seien problematisch. Ggf. sei die Rückstellung ratierlich aufzulösen.

 

 

27

II. Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben, die Sache wird gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückverwiesen.

 

 

28

1. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden; geboten ist ein Bilanzausweis u.a. aber bei Vorleistungen und Erfüllungsrückständen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23.6.1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735 = SIS 97 19 27, m.w.N.). Es entspricht der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866 = SIS 04 41 12; Senatsurteil vom 9.12.2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860 = SIS 10 11 86; vgl. auch Wendt, Festschrift für Herzig, Unternehmensbesteuerung, 2010, 517; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz 84 und Rz 550, Stichwort „Bestandspflege“).

 

 

29

a) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit gegenüber einem anderen voraus; es genügt, dass Grund und Höhe wahrscheinlich sind (Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 361, 376). In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung eingetreten sein (BFH-Urteile vom 19.10.2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371 = SIS 06 12 73, und vom 29.11.2007 IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557 = SIS 08 13 67).

 

 

30

b) Dem Einwand des FA, die Bildung der Rückstellung sei wegen Unwesentlichkeit der Verpflichtung ausgeschlossen (ebenso Nichtanwendungserlass des BMF vom 28.11.2006, BStBl I 2006, 765 = SIS 06 45 93), vermag der Senat nicht zu folgen. Es fehlt bereits an einer rechtlichen Grundlage für die Annahme, die Bildung einer Rückstellung sei nur bei wesentlichen Verpflichtungen zulässig (dazu unten aa). In jedem Fall wäre die hier gegebene - langfristige und mit erheblichen Aufwendungen verbundene - Verpflichtung aber als „wesentlich“ anzusehen (dazu unten bb).

 

 

31

aa) Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Einschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. Entgegen der Auffassung des FA folgt ein solcher Rechtssatz auch nicht aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

 

 

32

(1) In dem genannten BMF-Schreiben ist ausschließlich das BFH-Urteil in BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742 = SIS 95 13 07, unter II.5. erwähnt. Dort verweist der BFH auf frühere Rechtsprechung zur Bedeutung unwesentlichen Aufwands. Tragend ist diese Urteilspassage jedoch nicht, weil der BFH im konkreten Fall die Wesentlichkeit bejaht hat.

 

 

33

(2) Verfolgt man die Verweise in dem genannten BFH-Urteil zurück, zeigt sich, dass auch das BFH-Urteil vom 25.2.1986 VIII R 134/80 (BFHE 147, 8, BStBl II 1986, 788 = SIS 86 18 22, unter II.3.) keine tragenden Aussagen zu den hier interessierenden Fragen enthält. Vielmehr findet sich lediglich ein knapper Verweis auf frühere Rechtsprechung, wobei die Wesentlichkeit im konkreten Fall bejaht worden ist. Dabei ging es um eine Verpflichtung zur Erstellung von Abrechnungen; die Rückstellung belief sich auf 3,9 % des Forderungsbetrags.

 

 

34

(3) Letztlich verweisen die beiden vorgenannten BFH-Entscheidungen auf das BFH-Urteil in BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48 = SIS 61 00 29. Dabei handelt es sich - soweit ersichtlich - um die einzige Entscheidung, in der der vom BMF herangezogene „Wesentlichkeitsgrundsatz“ bisher tragende Bedeutung erlangt hat.

 

 

35

In der Sache selbst ging es um die Bewertung von Rückstellungen für die Rückvergütung von Rabattmarkenheften. Zwischen den dortigen Beteiligten war unstreitig, dass die Verpflichtung der Klägerin aus der künftigen Einlösung von Rabattmarken um den Anteil an Heften zu kürzen war, die erfahrungsgemäß niemals mehr zurückgegeben wurden. Das FA wollte die Rückstellung aber darüber hinaus noch um 300 DM bzw. 400 DM je Bilanzstichtag für die künftige Einlösung sog. „Schlussmarken“ kürzen. Dabei handelte es sich um einen Teilbetrag von 0,15 DM je Markenheft im Wert von 3,15 DM, den die dortige Klägerin bei den künftigen Einlösungsvorgängen einbehalten hatte. Diese weitere Kürzung der Rückstellung - so der BFH - könne aus Vereinfachungsgründen unterbleiben, da es sich um Kleinbeträge handele, die in den ersten Monaten des folgenden Geschäftsjahrs ausgeglichen würden und deshalb das Ergebnis nicht wesentlich beeinflussten.

 

 

36

In dieser Entscheidung hat der BFH - anders als das BMF offenbar meint - nicht etwa die Bildung einer Rückstellung unter Verweis auf deren angebliche Unwesentlichkeit versagt, sondern er ist einer Kürzung der gebildeten Rückstellung durch das FA nicht gefolgt, weil die Kürzung nur unwesentlich sei.

 

 

37

bb) Selbst wenn die Bildung von Rückstellungen für unwesentliche Verpflichtungen - entgegen der Auffassung des Senats - unzulässig wäre, müsste der Senat aufgrund der den Streitfall prägenden Umstände die von dem Kläger übernommenen künftigen Betreuungspflichten als „wesentlich“ würdigen.

 

 

38

Der Sachverhalt, der der unter aa (3) genannten BFH-Entscheidung zugrunde lag, ist nicht einmal ansatzweise mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Denn die Betreuungsverpflichtung für Lebensversicherungsverträge realisiert sich bei dem Kläger nicht bereits innerhalb der ersten Monate des folgenden Geschäftsjahrs, sondern verteilt sich über die folgenden 25 Jahre. Der absolute Betrag der Rückstellung liegt im Streitfall um Größenordnungen oberhalb der in dem angeführten BFH-Urteil einschlägigen 300 bzw. 400 DM.

 

 

39

cc) Entgegen der Auffassung des FA ist für die Beurteilung der Wesentlichkeit nicht auf die künftigen Betreuungsaufwendungen für den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Klägers künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen. Für die vom FA vertretene Atomisierung der Verpflichtungen bietet weder das Gesetz noch die bisherige Rechtsprechung eine Grundlage. Vielmehr ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt, dass nicht der Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern die Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen maßgebend ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742 = SIS 95 13 07, unter II.5., betr. die einzelnen Jahresabrechnungen eines Versorgungsunternehmens). Auch in dem unter aa (3) angeführten BFH-Urteil in BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48 = SIS 61 00 29 ist die Bildung einer Rückstellung für die künftige Einlösung von Rabattmarkenheften zugelassen worden, obwohl pro Heft lediglich 3 DM auszuzahlen waren und sich die Wesentlichkeit erst aus der Summe der - jeweils nur geringfügigen - Einzelverpflichtungen ergab.

 

 

40

dd) Das FA kann sich auch nicht auf den Beschluss des erkennenden Senats in BFH/NV 2010, 1796 = SIS 10 27 22 berufen, nach dem es einem Steuerpflichtigen erlaubt ist, in Fällen von geringer Bedeutung (nach dem Maßstab des § 6 Abs. 2 EStG) auf eine genaue Abgrenzung zu verzichten. Zum einen war der Steuerpflichtige nach wie vor zum Bilanzansatz berechtigt, zum anderen sind die Größenverhältnisse des Streitfalls auch nicht ansatzweise vergleichbar.

 

 

41

2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Würdigung, der Kläger sei rechtlich zur Nachbetreuung der Versicherungsverträge verpflichtet. Zwar bindet die Vertragsauslegung des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO den BFH, wenn sie den Auslegungsgrundsätzen entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25.2.2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268 = SIS 09 21 57). Im Streitfall sind die vom FG getroffenen Feststellungen, dass die Verpflichtungen des Klägers auf dem Vertrag vom 21.10.1998 in Verbindung mit dem Nachtrag vom 8.12.2000 bzw. 8.1.2001 beruhten, indes zu vage, als dass hieraus die von den Klägern behaupteten umfangreichen Rechtspflichten gegenüber dem Versicherungsunternehmen abgeleitet werden könnten. Das FG begnügt sich mit dem Hinweis auf den Vertrag, ohne auf den Inhalt und den Umfang der Pflichten einzugehen. In dem Vertretungsvertrag (Muster, Einkommensteuerakte Bl. 45) heißt es: „Um die bestehenden Versicherungen zu erhalten, pflegt der Vertreter im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Versicherungsnehmern, berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch. Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist und bleibt.“ Diese Formulierungen deuten eher darauf hin, dass die laufende Kontaktaufnahme dem Abschluss weiterer Verträge dienen soll. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Kläger folgt eine entsprechende Verpflichtung auch nicht unmittelbar aus § 84 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB ist der Handelsvertreter ständig damit betraut, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Werbung und Betreuung sind daher nicht kennzeichnend oder bestimmend für diesen Vertragstyp (vgl. Hopt, in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., § 84 Rz 22 f., 41 f.). Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang die Frage zu klären haben, ob und in welchem Umfang der Kläger zur Betreuung der Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen im Einzelnen rechtlich verpflichtet war. Leistungen, die der Kläger gegenüber seinen Kunden ohne Rechtspflicht erbracht hat, sind für die Bemessung der Rückstellung irrelevant (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2010, 860 = SIS 10 11 86).

 

 

42

3. Sofern die weiteren Ermittlungen des FG ergeben, dass eine Rechtspflicht zur weiteren Betreuung der abgeschlossenen Versicherungsverträge bestanden hat, sind hinsichtlich der Höhe der Rückstellung folgende Grundsätze zu beachten:

 

 

43

a) Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten.

 

 

44

b) Abzustellen ist auf die Anzahl der Versicherungsverträge, für die noch künftige Betreuungsleistungen aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu erbringen sind, für die aber kein weiteres Entgelt beansprucht werden kann.

 

 

45

Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar.

 

 

46

Nicht einzubeziehen ist der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des Betriebsinhabers; Vertreter ohne angestelltes Personal können daher von vornherein keine Rückstellung bilden. Sollte neben dem angestellten Personal auch der Einzelunternehmer selbst in die Betreuung eingeschaltet sein, könnte für den von ihm erbrachten Teil der Leistungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.

 

 

47

c) Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung; zur Darlegung des (voraussichtlichen) Zeitaufwandes ist im Einzelnen notwendig:

48

- die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten; die Darstellung muss das FA und das FG in die Lage versetzen, anhand der rechtlichen Anforderungen zu prüfen, ob der Aufwand für die jeweilige Tätigkeit zur Bildung einer Rückstellung berechtigt;

49

- die Angabe, welchen Zeitbedarf die jeweilige Tätigkeit mit sich bringt, wenn sie im Einzelfall anfällt;

50

- die Angabe, wie oft die jeweilige Tätigkeit über die Gesamtlaufzeit des jeweiligen Vertrags zu erbringen ist;

51

- die Höhe der Personalkosten pro Stunde Betreuungszeit;

52

- die Laufzeit bzw. Restlaufzeit der einzubeziehenden Verträge; dabei ist vor allem auch der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verträge vorzeitig gekündigt wird.

 

 

53

d) Neben dem zeitlichen Umfang der Betreuungsleistungen ist für die Bemessung der Rückstellung der Stundenlohn der vom Kläger für die Nachbetreuung eingesetzten Mitarbeiter von Bedeutung. Wie das FG sieht auch der Senat konkret keine Veranlassung, die vom Kläger angesetzten Beträge in Höhe von 12 EUR zu beanstanden.

 

 

54

e) Kommt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand auszuweisen ist, wird diese gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG - wie bereits im ersten Rechtsgang geschehen - abzuzinsen sein.

 

 

55

4. Über die unter 3. bezeichneten Angaben sind Aufzeichnungen zu führen und vorzulegen.

 

 

56

a) Diese Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass eine Rückstellung ein Passivposten ist, der eine dem Grund und/oder der Höhe nach noch ungewisse (also nur wahrscheinliche) künftige Verbindlichkeit zum Ausdruck bringt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Rückstellung jedes Jahr angepasst werden muss und jedes Jahr zu prüfen ist, in welchem Umfang der rückgestellte Aufwand tatsächlich eingetreten ist und ob für die Zukunft Korrekturen vorzunehmen sind.

 

 

57

Dieser Natur des Rückstellungspostens entsprechend (Schätzung von Aufwand, der auf u.U. sehr langfristigen Verpflichtungen beruht) kann ggf. auch auf spätere Aufzeichnungen zurückgegriffen werden, sofern sie geeignet sind, die voraussichtlich anfallenden Kosten zu belegen.

 

 

58

b) Die laufenden Aufzeichnungen sind „vertragsbezogen“ zu führen; der Steuerpflichtige hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten (z.B. Fälle von Namens- und Adressenänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen, Änderungskündigungen) in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrags (typischerweise) anfallen werden. Diese Prüfung muss nicht für alle Verträge einzeln vorgenommen werden; im Einzelfall können fundierte Stichproben (z.B. anhand eines bestimmten Prozentsatzes der Verträge oder nach bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen) ausreichen, um eine hinreichende Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen.

 

 

59

c) Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision. Dabei muss die Vergleichbarkeit der Versicherungen gewährleistet sein; so darf etwa der Teil der Bestandspflege, der auf den Inhaber der Versicherungsagentur entfällt, nicht berücksichtigt werden.

 

 

60

d) Eine derartige Dokumentation der Beratungsleistungen erlegt dem Steuerpflichtigen keine unangemessenen und unverhältnismäßigen Belastungen auf. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass der zu führende Belegnachweis sich auf Vorgänge bezieht, die sich allein in der Sphäre des Steuerpflichtigen zugetragen haben und die zu einem späteren Zeitpunkt nur in eingeschränktem Umfang und nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand auf ihre zutreffende Erfassung hin überprüft werden können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 9.11.2005 VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408 = SIS 06 13 16, unter II.1.c, zu den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch). Zum anderen sind auch angesichts der Höhe und der Zeitdauer des vom Kläger geltend gemachten Erfüllungsrückstandes aussagekräftige Aufzeichnungen geboten.

 

 

61

5. Zutreffend ist das FG im ersten Rechtsgang davon ausgegangen, dass die Kläger letzten Endes die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die von ihnen behaupteten Aufwendungen für Betreuungsleistungen tragen. Da es sich um Angaben aus der Sphäre der Steuerpflichtigen handelt, die von der Finanzverwaltung regelmäßig nur eingeschränkt nachgeprüft werden können und die zudem der Herbeiführung einer Steuerminderung dienen, tragen die Steuerpflichtigen die volle Feststellungslast für ihre entsprechenden Tatsachenbehauptungen (vgl. BFH-Urteil vom 28.11.2007 X R 11/07, BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335 = SIS 08 11 99).

 

 

62

III. Die Revision der Kläger ist ebenfalls begründet; auch im Umfang der Klageabweisung beruht das angefochtene Urteil auf der beanstandeten Vertragsauslegung (s. oben unter II.2.).

 

 

 

 

 

Anmerkung RiBFH Prof. Brandt

1. Nach Ansicht des BFH hätte der Kläger die streitige Rückstellung selbst dann bilden können, wenn man mit der Finanzverwaltung von der Notwendigkeit einer Wesentlichkeit der Verpflichtung ausginge, weil sich im Streitfall die Betreuungsverpflichtung für Lebensversicherungsverträge auf über 25 Jahre erstrecke und für die Wesentlichkeit nicht auf den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Klägers künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen sei. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nicht der Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern die Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen maßgebend (vgl. BFH v. 18.1.1995 I R 44/94, BStBl 1995 II S. 742 = SIS 95 13 07).

2. Für die Bemessung der Rückstellung ist der Ansatz eines Stundenlohns der zur Nachbetreuung eingesetzten Mitarbeiter mit 12 EUR/Std. „nicht zu beanstanden“.

3. Des Weiteren hat der BFH in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der Abzinsung der Rückstellung hingewiesen.