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Abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen

Abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen: 1. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO wird in einem gesonderten Verwaltungsverfahren getroffen. - 2. Eine gesetzliche Frist, nach deren Ablauf eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO nicht mehr beantragt werden kann, bestand vor Inkrafttreten des § 171 Abs. 10 Satz 2 AO nicht. - 3. Die Ermessensentscheidung nach § 163 AO darf jedoch ein Zeitmoment berücksichtigen. - 4. Gerichte haben Verwaltungsanweisungen nicht selbst auszulegen, sondern nur darauf zu überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist. - Urt.; BFH 21.7.2016, X R 11/14; SIS 16 23 96

Kapitel:
Verschiedenes > Billigkeitsmaßnahmen
Fundstellen
  1. BFH 21.07.2016, X R 11/14 (ECLI:DE:BFH:2016:U.210716.XR11.14.0)
    BStBl 2017 II S. 22
    DStR 2016 S. 2753

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 21.12.2016
    -/- in NWB 48/2016 S. 3578
    T. Carlé in DStZ 1-2/2017 S. 10
    J. Förster in BFH/PR 2/2017 S. 60
Normen
[FGO] § 46, § 102 Satz 1, § 110 Abs. 1 Satz 1, § 126 Abs. 3 Nr. 1
[AO 1977] § 157 Abs. 2, § 163, § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 179, § 181
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Münster, 08.05.2013, SIS 14 14 79, Abweichende Steuerfestsetzung, Billigkeitsmaßnahme, Grundstückshandel, Verwirkung, Antrag
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Nürnberg 6.9.2023, SIS 23 18 70, Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung wegen eines krankheitsbedingten Umbau des Wohnhauses: 1. Ziel de...
  • FG Münster 12.1.2023, SIS 23 03 26, Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit: 1. Ein Antrag auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme kann auch nach E...
  • FG Hamburg 14.4.2022, SIS 22 09 86, Abgabenordnung, Vorläufige Festsetzung von Erstattungszinsen: 1. Die vorläufige Festsetzung von Erstattun...
  • BFH 6.4.2022, SIS 22 21 35, Restschuldbefreiung bei Betriebsaufgabe: 1. Die Erteilung der Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolve...
  • Hessisches FG 21.3.2022, SIS 24 04 30, Vorsteuerberichtigung und keine Geschäftsveräußerung im Ganzen bei einem steuerbefreiten Verkauf eines ve...
  • BFH 28.10.2021, SIS 22 00 59, Keine Korrekturmöglichkeit für Feststellung der tatsächlich zu zahlenden Gewerbesteuer, wenn Gewerbesteue...
  • BFH 5.10.2021, SIS 22 02 35, Restaurierung von historischen Gebäuden und Denkmälern als durch den Auslandstätigkeitserlass (ATE) begün...
  • BFH 13.7.2021, SIS 21 20 78, Vereinbarkeit der Verwaltungspraxis nach Abschn. I Nr. 4 ATE i.V. mit § 34 c Abs. 5 EStG mit dem Unionsre...
  • FG Münster 25.3.2021, SIS 21 08 25, Frage des Vorliegens einer umsatzsteuerlichen Organschaft: 1. Im Streitfall war die Steuerpflichtige selb...
  • FG Berlin-Brandenburg 22.3.2021, SIS 21 09 48, Nachträgliche Behandlung des Verkaufs von Telefonkarten im Ausland ansässiger Telefonanbieter in den Jahr...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 26.8.2020, SIS 20 17 77, Anspruch des Steuerpflichtigen auf Anwendung der sog. Kostendeckelung für einen Veranlagungszeitraum Ausl...
  • BFH 17.6.2020, SIS 20 17 25, Billigkeitserlass nach § 34 c Abs. 5 EStG bis zur Festsetzungsverjährung: Der Antrag auf Steuererlass nac...
  • FG Baden-Württemberg 17.10.2019, SIS 19 19 99, Steuerfreiheit von Aufwandsentschädigungen nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG bei in Personalunion ehrenamtlich ...
  • BFH 26.9.2019, SIS 19 19 00, Billigkeitsregelung zur Organschaft: Die Billigkeitsregelung zur Organschaft im BMF-Schreiben vom 5.7.201...
  • FG des Landes Sachsen-Anhalt 8.3.2019, SIS 20 08 52, Erinnerungsverfahren gegen Kostenrechnung als kontradiktorisches Verfahren: 1. Beim einem einen Kostenans...
  • Sächsisches FG 24.1.2019, SIS 19 03 19, Kein Vorsteuerabzug aus einer Rechnung bei Nichterreichbarkeit des Rechnungsausstellers unter der in der ...
  • FG München 25.7.2018, SIS 18 15 06, Keine sachliche Unbilligkeit bei Festsetzung von ErbSt bei Erwerb des Eigentumsanwartschaftsrechts auf ei...
  • Hessisches FG 5.12.2017, SIS 18 05 49, Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses nach Bestandskraft des Steuerbescheides: 1. Ob von der Möglichke...
  • FG Bremen 15.11.2017, SIS 17 23 81, Werbungskostenabzug im Billigkeitswege für Vorfälligkeitsentschädigung im Zusammenhang mit der nicht eink...
  • FG des Saarlandes 30.8.2017, SIS 18 01 72, Vorsteuerabzug des geschäftsführenden Gesellschafters einer (neuen) Steuerberatungsgesellschaft nach Über...
  • Hessisches FG 8.3.2017, SIS 17 13 61, Übertragung gewerbesteuerlicher Verluste einer gewerbesteuerlichen Mehrmütterorganschaft aus Billigkeitsg...
Fachaufsätze
  • LIT 03 50 98 M. Brühl, DStZ 20/2017 S. 751: Billigkeit und Zeitmoment - zugleich Besprechung des BFH-Urteils vom 21.7.2016, X R 11/14 - Lit.; M. Brüh...

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 8.5.2013 3 K 3461/11 AO = SIS 14 14 79 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

 

1

A. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin hatte 1994 und 1995 ein Mehrfamilienhaus mit sieben Wohneinheiten errichtet und drei davon im Jahre 1995 veräußert. Das damals zuständige Finanzamt (FA X) behandelte dies nach Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung als gewerblichen Grundstückshandel und erfasste in dem Einkommensteuerbescheid 1995 bei der Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

 

 

2

Während des diesbezüglichen Klageverfahrens (7 K 8270/99 E) erging die Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.12.2001 GrS 1/98 (BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32). Der damalige Bevollmächtigte der Kläger wies mit Schriftsatz vom 10.3.2003 darauf hin, dass danach die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels vorliegen dürften. Allerdings sei das FA X aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 19.2.2003 IV A 6 - S 2240 - 15/03 (BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92) gehalten, die Rechtsprechung des BFH nicht auf die Klägerin anzuwenden. Diese Selbstbindung der Verwaltung müsse auch das Gericht beachten. In seiner am 7.4.2003 eingegangenen Erwiderung vertrat das FA X die Auffassung, das BMF-Schreiben sei im Falle der Klägerin nicht anzuwenden, da ihr Fall nicht in Folge der Entscheidung in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32 aufgegriffen worden sei. Mit Schriftsatz vom 10.6.2003 kündigte der Bevollmächtigte mit dem ausdrücklichen Bemerken, im vorliegenden Verfahren sei die Berücksichtigung des Schreibens nicht möglich, einen gesonderten auf § 163 der Abgabenordnung (AO) zu stützenden Erlassantrag beim FA X an, den er dem Finanzgericht (FG) zur Kenntnis geben wollte. Nach den Feststellungen des FG befindet sich ein solcher Antrag weder in der damaligen Gerichtsakte noch in den damals vorgelegten Steuerakten.

 

 

3

Mit Urteil vom 16.7.2003 7 K 8270/99 E wies das FG, soweit der gewerbliche Grundstückshandel dem Grunde nach in Frage stand, die Klage ab. Über eine Billigkeitsmaßnahme sei in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden. Die Höhe des zu erfassenden Gewinns war Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung. Die Klage gegen den entsprechenden Änderungsbescheid vom 19.9.2003 (3 K 892/12 E) nahmen die Kläger am 8.5.2013 zurück.

 

 

4

Mit Schreiben vom 11.6.2010 hatten sich die Kläger an den damaligen Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen gewandt und um Überprüfung der steuerlichen Würdigung des Vorgangs, insbesondere der Anwendung des BMF-Schreibens vom 19.2.2003 gebeten. Der mittlerweile zuständige Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) lehnte die abweichende Festsetzung u.a. unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 8.10.1980 II R 8/76 (BFHE 131, 446, BStBl II 1981, 82 = SIS 81 06 46) über verspätete Billigkeitsanträge sowie auf die Fristen des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO und des § 228 Satz 2 AO durch Bescheid vom 7.4.2011 ab. Der Veranlagungszeitraum liege 15 Jahre zurück, der Abschluss des Klageverfahrens mehr als sieben Jahre. Der nicht näher begründete Einspruch blieb erfolglos.

 

 

5

Mit der Klage beanstandeten die Kläger im Wesentlichen das Fehlen von Ermessenserwägungen. Das FG hat der Klage mit in EFG 2014, 972 = SIS 14 14 79 veröffentlichtem Urteil stattgegeben. Der Zeitablauf trage die Ablehnung nicht, da der Billigkeitserlass nach dem Gesetz keinen zeitlichen Beschränkungen unterliege und keine Umstände vorlägen, aus denen das FA ein Vertrauen darauf habe herleiten dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (dazu BFH-Urteil vom 7.6.1984 IV R 180/81, BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780 = SIS 84 21 15).

 

 

6

Mit seiner Revision macht das FA zum einen geltend, das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 betreffe nur Veräußerungsvorgänge, die zunächst unversteuert geblieben und sodann aufgrund der Rechtsprechung aufgegriffen worden seien. Zum anderen sei der Antrag auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme verfristet gestellt worden.

 

 

7

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

8

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

 

9

Die Kläger tragen vor, das FA X habe den Finanzgerichtsprozess nur aufgrund des Beschlusses in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32 gewinnen können. Damit hätten sie im Wege der Ermessensreduzierung auf Null einen Anspruch auf Anwendung der in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 enthaltenen Übergangsregelung.

 

 

10

Die Billigkeitsmaßnahme sei nicht verfristet. Sie bedürfe keines Antrags, so dass auch keine Antragsfrist versäumt werden könne. Eine Verwirkung scheitere sowohl am Zeit- als auch am Umstandsmoment. Im Übrigen hätten sie, die Kläger, bereits 2003 auf die Billigkeitsmaßnahme hingewiesen. Zudem sei das FA bereits aufgrund des Urteils vom 16.7.2003 7 K 8270/99 E zum Ausspruch der Billigkeitsmaßnahme verpflichtet. Nach dessen Tenor habe das FA X die Einkommensteuer nach Maßgabe der Urteilsgründe herabsetzen müssen, die ihrerseits den Hinweis auf die Billigkeitsentscheidung enthielten.

 

 

11

B. Die Revision ist begründet. Der Senat entscheidet nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache selbst und weist die Klage ab.

 

 

12

I. Das rechtskräftige Urteil vom 16.7.2003 7 K 8270/99 E begründet keine Verpflichtung zum Ausspruch der Billigkeitsmaßnahme. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden ist. Das FG hatte über § 163 AO nicht entschieden. Der Tenor jenes Urteils lautet: „Die Einkommensteuer 1994 und 1995 werden nach Maßgabe der Urteilsgründe herabgesetzt. Die Neuberechnung der jeweiligen Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen. ...“ Unter 1.c der Entscheidungsgründe hat das FG formuliert: „Über die Frage der Anwendung des BMF-Schreibens vom 19.02.2003 ist im vorliegenden Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung betrifft, nicht zu befinden. Auf Grund dieses Schreibens kommt eine Billigkeitsmaßnahme[n] in Betracht, über die das FA gesondert zu entscheiden hat.“ Damit ist unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Billigkeitsfestsetzung nach diesem Schreiben gerade nicht Gegenstand der Entscheidung ist.

 

 

13

II. Das FA hat den Antrag auf abweichende Billigkeitsfestsetzung ermessensfehlerfrei abgelehnt.

 

 

14

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. § 163 AO soll sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (vgl. Senatsurteil vom 12.12.2013 X R 39/10, BFHE 244, 485, BStBl II 2014, 572 = SIS 14 15 56, unter II.1., m.w.N.).

 

 

15

Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen der abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO ebenso wie des Erlasses nach § 227 AO nicht näher konkretisiert, sondern die Entscheidung in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Zur Vereinheitlichung der Anwendung von Billigkeitsregeln kann wiederum das BMF Verwaltungsvorschriften erlassen, die die entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreiben und damit deren Ermessen auf Null reduzieren (vgl. Senatsentscheidungen in BFHE 244, 485, BStBl II 2014, 572 = SIS 14 15 56, unter II.3., sowie vom 25.3.2015 X R 23/13, BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696 = SIS 15 12 88, unter B.IV.1.b).

 

 

16

Verfahrensrechtlich wird die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO, die keines Antrags bedarf, in einem gesonderten Verwaltungsverfahren getroffen. Sie ist sodann ein für die Festsetzung einer Steuer bindender Verwaltungsakt und damit Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung i.S. des § 171 Abs. 10 AO, die folglich nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 1.10.2015 X R 32/13, BFHE 251, 298, BStBl II 2016, 139 = SIS 15 26 29, unter II.2.b, m.w.N.).

 

 

17

2. Das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 war eine solche ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift.

 

 

18

a) Zur Abgrenzung der privaten Vermögensverwaltung vom Gewerbebetrieb im Bereich des Grundstückshandels hatte der BFH mit Urteil vom 9.12.1986 VIII R 317/82 (BFHE 148, 480, 483, BStBl II 1988, 244 = SIS 87 07 05) die sog. Drei-Objekt-Grenze eingeführt, nach der kein gewerblicher Grundstückshandel vorlag, sofern weniger als vier Objekte veräußert worden sind. Allein für Großobjekte galt dies nicht. Die Verwaltung hatte sich dieser Rechtsprechung angeschlossen, die als Vereinfachungsregelung und damit als Freigrenze für die Veräußerung von bis zu drei Objekten verstanden werden konnte (BMF-Schreiben vom 20.12.1990 IV B 2 - S 2240 - 61/90, BStBl I 1990, 884 = SIS 91 02 06; zum Verständnis als Freigrenze BFH-Beschluss in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32, unter C.III.2., C.III.5.). Der Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32 hat in der Anzahl der veräußerten Objekte keine unwiderlegliche Typisierung mehr gesehen, sondern dieser nur noch indizielle Bedeutung zugemessen. So konnte auch die Veräußerung von weniger als vier Objekten unter besonderen Umständen eine gewerbliche Betätigung darstellen. Insoweit hat der Beschluss in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32 die Rechtslage für den Steuerpflichtigen verschärft.

 

 

19

b) Nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 sind die Grundsätze des Beschlusses in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32 zur Anwendung der Drei-Objekt-Grenze, soweit sich hieraus nachteilige Folgen für den Steuerpflichtigen ergeben, erst auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem 31.5.2002 (Datum der Veröffentlichung des Beschlusses) stattgefunden haben. Das neuere BMF-Schreiben vom 26.3.2004 IV A 6 - S 2240 - 46/04 (BStBl I 2004, 434 = SIS 04 14 21) hat diese Regelung übernommen (Rz 36 bzw. VI. Satz 2). Allerdings ändert eine Gerichtsentscheidung, auch wenn sie von der vorgehenden Rechtsprechung abweicht, die Rechtslage nicht, sondern beurteilt sie lediglich abweichend. Sie wäre daher vorbehaltlich der besonderen Vertrauensschutzregelung in § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO materiell-rechtlich grundsätzlich unbegrenzt rückwirkend anwendbar. Es handelt sich bei dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 daher um eine Übergangsregelung aus Billigkeitsgründen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 17.12.2003 XI R 22/02, BFH/NV 2004, 1629 = SIS 04 40 37; vom 15.11.2006 X B 11/06, BFH/NV 2007, 209 = SIS 07 03 52).

 

 

20

3. Die Ermessensausübung im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO darf auch ein Zeitmoment berücksichtigen.

 

 

21

a) Es existiert keine gesetzliche Frist für die Entscheidung nach § 163 AO, die als vorrangiges Recht stets zu beachten wäre.

 

 

22

aa) Eine abweichende Festsetzung nach § 163 AO ist unter dem im Streitfall noch geltenden Recht zeitlich nicht mit der Steuerfestsetzung verknüpft, von der aus Billigkeitsgründen abgewichen werden soll. Sie ist nach hergebrachter Rechtsprechung auch möglich, wenn Letztere bereits bestandskräftig ist (vgl. BFH-Urteil vom 17.6.2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505 = SIS 04 38 49, unter 2.c der Entscheidungsgründe), und zwar selbst dann, wenn für diesen Bescheid bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist (BFH-Urteil vom 17.3.1987 VII R 26/84, BFH/NV 1987, 620; Oellerich in Beermann/Gosch, AO [FGO] § 163 AO Rz 215; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 163 AO Rz 21; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 163 Rz 2, 2a, 3). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ermöglicht gleichwohl die Folgeänderung des Steuerbescheids.

 

 

23

§ 171 Abs. 10 Satz 2 AO verlangt zwar für einen Grundlagenbescheid außerhalb von § 181 AO einen Antrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei der zuständigen Behörde. Die Vorschrift ist jedoch nach Art. 97 § 10 Abs. 12 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung erst für die am 31.12.2014 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen anwendbar. Die Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid 1995 war aber spätestens am 8.5.2013 abgelaufen, als die Kläger die Klage gegen den infolge des Urteils vom 16.7.2003 7 K 8270/99 E erlassenen Änderungsbescheid zurücknahmen.

 

 

24

bb) Die Billigkeitsmaßnahme unterliegt aber auch unmittelbar keinen gesetzlichen Fristen. Die Regeln über die Festsetzungsverjährung nach §§ 169 ff. AO sind nicht anwendbar. Trotz der insoweit missverständlichen Formulierung der Überschrift („Abweichende Festsetzung ...“) sowie in § 163 Satz 1 AO („... niedriger festgesetzt ...“) und § 163 Satz 3 AO („... abweichende Festsetzung ...“) handelt es sich bei der Entscheidung nach § 163 AO nicht um eine Steuerfestsetzung i.S. des § 169 Abs. 1 Satz 1 AO, sondern um einen Grundlagenbescheid für diese (vgl. Senatsurteil in BFHE 251, 298, BStBl II 2016, 139 = SIS 15 26 29, unter II.3.b). Erst der Folgebescheid setzt die Steuer fest.

 

 

25

Die Entscheidung nach § 163 AO ist auch keine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 179 Abs. 1 AO, was zur Folge hätte, dass die Regeln über die Feststellungsfrist nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. §§ 169 ff. AO sowie ggf. nach § 181 Abs. 5 AO anwendbar wären. Wie bereits der Bezug des § 179 Abs. 1 AO auf § 157 Abs. 2 AO verdeutlicht, betrifft die gesonderte Feststellung nach §§ 179 ff. AO Besteuerungsgrundlagen, die nach materiellem Recht in die Steuerfestsetzung einzugehen haben, was bei Abweichungen aus Billigkeitsgründen nicht der Fall ist.

 

 

26

b) Grundsätzlich kann der Zeitablauf gleichwohl im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden.

 

 

27

aa) Es ist eine dem Grunde nach zulässige Ausübung des Ermessens, einen verhältnismäßig spät gestellten Erlassantrag im Hinblick auf den Zeitablauf zwischen Zahlung und Antragstellung abzulehnen und sich dabei an den zu Rechtsverlusten führenden gesetzlichen Fristen zu orientieren (BFH-Entscheidungen in BFHE 131, 446, BStBl II 1981, 82 = SIS 81 06 46; in BFH/NV 1987, 620; vom 15.3.1994 VII B 196/93, BFH/NV 1995, 4; ebenso Urteil des Niedersächsischen FG vom 1.8.2012 4 K 342/11, EFG 2012, 2086 = SIS 12 31 36, Revisionsverfahren VIII R 40/12 durch Hauptsacheerledigung beendet). Allerdings enthält das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92, das Grundlage der Billigkeitsmaßnahme ist, keine Aussage zu der Frage des Zeitablaufs und insbesondere keine Antragsfrist (anders etwa die Richtlinien, die Gegenstand des BFH-Urteils vom 3.2.1976 VII R 47/74, BFHE 118, 3 waren).

 

 

28

bb) Äußert sich eine Verwaltungsvorschrift zu einem nach allgemeinen Grundsätzen als Ermessenskriterium dienenden Punkt überhaupt nicht, hier zum Zeitfaktor, kann dies bedeuten, dass sie die Berücksichtigung des zeitlichen Elements generell ausschließen will. Sie kann aber auch so begriffen werden, dass sie sich auf die Nichtregelung beschränkt und die Lücke mit Hilfe der allgemeinen Grundsätze aufzufüllen ist. Das FA hat das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 erkennbar in der zuletzt genannten Weise verstanden, da es andernfalls nicht auf das Zeitelement hätte abstellen können. Dieses Verständnis ist maßgebend. Die Gerichte haben Verwaltungsanweisungen nicht selbst auszulegen, sondern nur darauf zu überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteil vom 13.1.2011 V R 43/09, BFHE 233, 58, BStBl II 2011, 610 = SIS 11 13 62, unter II.2.b, m.w.N.). Daran bestehen im Streitfall keine Zweifel. Es gibt keine Hinweise darauf, dass das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 die Berücksichtigung des Zeitablaufs kategorisch ausblenden wollte. Dieser lediglich verfahrensmäßige Aspekt hat mit der zugrundeliegenden sachlichen Unbilligkeit in Gestalt der verschärfenden Rechtsprechung zum gewerblichen Grundstückshandel unmittelbar nichts zu tun, sondern gilt für alle Billigkeitsmaßnahmen.

 

 

29

4. Bei der nach § 102 Satz 1 FGO gebotenen Prüfung der finanzbehördlichen Entscheidung nach diesen Maßstäben ist die Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme nicht zu beanstanden. Das FA hat weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

 

 

30

a) Das dem FA nach § 163 AO eingeräumte Ermessen war nicht in der Weise auf Null reduziert, dass allein der Ausspruch der Billigkeitsmaßnahme rechtmäßig gewesen wäre.

 

 

31

aa) Die Kläger haben erstmals im Jahre 2010 einen Antrag auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen gestellt. Die noch im Klageverfahren 7 K 8270/99 E getätigten Äußerungen waren keine Anträge, sondern lediglich Rechtsausführungen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem anhängigen Klageverfahren, in dem sie allerdings unerheblich waren. Wie dem Schriftsatz des damaligen Bevollmächtigten vom 10.6.2003 zu entnehmen ist, hat dieser seine eigenen Äußerungen zum damaligen Zeitpunkt selbst nicht als Antrag verstanden wissen wollen, das FA X sie ersichtlich auch nicht als solchen angesehen.

 

 

32

bb) Sowohl die Bestandskraft der zugrundeliegenden Steuerfestsetzung als auch die Zahlung der betreffenden Steuerschuld, die ausweislich des in dem Änderungsbescheid vom 19.9.2003 enthaltenen Abrechnungsteils zu jenem Zeitpunkt schon vorgenommen worden war, lagen bei Antragstellung im Jahre 2010 bereits zumindest sieben Jahre zurück. Das ist eine Zeitspanne, bei der die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme wegen Zeitablaufs nach den unter B.II.3.b aa (s.o.) genannten Kriterien jedenfalls ernstlich in Betracht kommt. Sie überschreitet sowohl die regelmäßige Festsetzungsverjährungsfrist als auch die regelmäßige Zahlungsverjährungsfrist. Inwieweit zusätzlich der zeitliche Abstand von immerhin 15 Jahren zu dem Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden kann, kann dahinstehen.

 

 

33

Soweit das FG davon ausgeht, Verwirkung sei nicht eingetreten, ist dies zwar zutreffend, aber unerheblich. Das Zeitmoment bildet im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 163 AO einen selbständigen Grund für den Rechtsverlust. Er tritt neben die Verwirkung und ist von dieser zu trennen.

 

 

34

cc) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10.3.2003 auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 hingewiesen hatten. Selbst wenn das FA X daraufhin zunächst auch ohne förmlichen Antrag gehalten gewesen sein sollte, eine Billigkeitsentscheidung zu treffen, geht es zu Lasten der Kläger, nicht insistiert zu haben. Bereits mit dem Schriftsatz des FA X vom 7.4.2003 war den Klägern bekannt, dass das FA X das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 tatbestandlich nicht für anwendbar hielt und deshalb keine Billigkeitsmaßnahme ergreifen würde. Es oblag von diesem Zeitpunkt an wieder den Klägern, auf förmlicher Bescheidung zu bestehen, ggf. im Wege des Untätigkeitseinspruchs nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO und der Untätigkeitsklage nach § 46 FGO.

 

 

35

dd) Das FG hat im Übrigen keine besonderen Umstände festgestellt, die die Berücksichtigung des Zeitablaufs ausschlössen und die angenommene Ermessensreduzierung auf Null trügen.

 

 

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b) Vielmehr hat das FA mit Rücksicht auf den Zeitablauf die Billigkeitsmaßnahme ermessensfehlerfrei abgelehnt. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob das Ermessen sogar in der Weise auf Null reduziert gewesen sein könnte, dass allein die Ablehnung der Billigkeitsentscheidung rechtmäßig war. Ebenso kann offenbleiben, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 171 = SIS 03 16 92 gegeben waren. Denn bereits die Berufung auf den Zeitablauf trägt die angefochtene Entscheidung. Das FA hat die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO zutreffend beschrieben. Es hat vor diesem Hintergrund den zeitlichen Abstand zwischen der Bestandskraft der Steuerfestsetzung und dem Antrag der Kläger auf Erteilung des Billigkeitserweises gewertet und diesen kurz, aber ohne Außerachtlassung wesentlicher Umstände des Falls abgelehnt.

 

 

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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.