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Aufwendungen für heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastungen

Aufwendungen für heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastungen: Aufwendungen eines Ehepaares für eine heterologe künstliche Befruchtung können als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sein (Änderung der Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 18.5.1999, III R 46/97, BFHE 188 S. 566, BStBl 1999 II S. 761 = SIS 99 15 15). - Urt.; BFH 16.12.2010, VI R 43/10; SIS 11 05 55

Kapitel:
Privatbereich > Außergewöhnliche Belastungen (allgemeine)
Fundstellen
  1. BFH 16.12.2010, VI R 43/10
    BStBl 2011 II S. 414
    DStR 2011 S. 356
    NJW 2011 S. 2077
    LEXinform 0927921

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 8.4.2011
    St.G. in NWB 9/2011 S. 673
    St.Sch. in BFH/PR 5/2011 S. 177
    St.G. in HFR 4/2011 S. 414
    H.J.K. in FR 11/2011 S. 539
    KAM in Stbg 9/2011 S. M 8
Normen
[EStG] § 33
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 05.05.2010, SIS 10 24 91, Künstliche Befruchtung, außergewöhnliche Belastung
Zitiert in... / geändert durch...
  • BFH 10.8.2023, SIS 23 15 78, Keine außergewöhnlichen Belastungen bei Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Ersatzmutterschaft: Aufwen...
  • BFH 25.1.2022, SIS 22 06 26, Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung gespendeter Eizellen: 1. Aufwendungen für e...
  • BFH 25.1.2022, SIS 22 06 27, Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung gespendeter Eizellen: 1. Aufwendungen für e...
  • BFH 25.1.2022, SIS 22 06 28, Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung gespendeter Eizellen: 1. Aufwendungen für e...
  • Niedersächsisches FG 14.12.2021, SIS 22 07 85, Abziehbarkeit von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung im Sinne de...
  • FG Münster 7.10.2021, SIS 22 00 85, Aufwendungen eines homosexuellen Ehepaares für Leihmutterschaft in den USA keine agB: Ein aus zwei Männer...
  • FG Münster 24.6.2020, SIS 20 13 49, Kosten der künstlichen Befruchtung als außergewöhnliche Belastung: 1. Kosten der künstlichen Befruchtung ...
  • FG München 8.10.2019, SIS 19 19 90, Künstliche Befruchtung bei einer zu Beginn der Kinderwunschbehandlung 39 Jahre alten Frau im Anschluss an...
  • FG München 8.10.2019, SIS 19 19 91, Künstliche Befruchtung bei einer zu Beginn der Kinderwunschbehandlung 39 Jahre alten Frau im Anschluss an...
  • FG München 8.10.2019, SIS 19 19 92, Künstliche Befruchtung bei einer zu Beginn der Kinderwunschbehandlung 39 Jahre alten Frau im Anschluss an...
  • FG Berlin-Brandenburg 18.10.2018, SIS 18 19 70, Altersbedingt herabgesetzte Fertilität einer Frau keine der Empfängnisunfähigkeit vergleichbare Krankheit...
  • BFH 5.10.2017, SIS 17 22 63, Aufwendungen für IVF einer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden unfruchtbaren Frau als ...
  • BFH 5.10.2017, SIS 17 22 74, Aufwendungen für IVF einer in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden unfruchtbaren Frau als ...
  • BFH 17.5.2017, SIS 17 14 51, Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach der ICSI-Methode als außergewöhnliche Belastungen: 1. A...
  • Hessisches FG 15.11.2016, SIS 17 01 60, Aufwendungen für eine Hormonbehandlung und eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung: Un...
  • FG Münster 23.7.2015, SIS 15 25 01, Künstliche Befruchtung, gleichgeschlechtliche Beziehung: Aufwendungen einer in gleichgeschlechtlicher Par...
  • FG Baden-Württemberg 28.4.2015, SIS 17 25 54, Aufwendungen für im Jahr 2010 in österreichischer Klinik nach der ICSI-Methode vorgenommene künstliche Be...
  • BFH 14.4.2015, SIS 15 15 84, Aufwendungen für Arzneimittel bei Diätverpflegung als außergewöhnliche Belastung: 1. Aufwendungen für Arz...
  • BFH 10.3.2015, SIS 15 15 01, Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen: Aufwendungen für die Adoption eines Kindes sind keine a...
  • FG Berlin-Brandenburg 11.2.2015, SIS 15 09 78, Aufwendungen für eine in Deutschland verbotene, im Ausland durchgeführte "Eizellspende" nicht als außerge...
  • Niedersächsisches FG 14.3.2013, SIS 13 15 86, Kryokonservierung von Eizellen, steuerfreie Umsätze: 1. Umsätze aus der Kryokonservierung von Eizellen na...
  • FG Münster 16.11.2011, SIS 12 05 47, Kosten einer Diätverpflegung, Fahrkostenerstattung an Verlobte, Kosten einer Gruppentherapie: 1. Aufwendu...
  • FG Baden-Württemberg 10.10.2011, SIS 12 02 64, Keine Berücksichtigung von Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastung: 1. Kosten für eine Adoption si...
  • FG Baden-Württemberg 30.3.2011, SIS 11 38 03, Praxisgebühren sind außergewöhnliche Belastungen und keine Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen): 1. Prax...
Fachaufsätze
  • LIT 02 14 15 St. Geserich, NWB 9/2011 S. 672: Aufwendungen für heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastungen - Änderung der Rechts...
Anmerkung RiBFH i.R. Dr. Dürr

 

1

I. Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für eine heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastungen.

 

 

2

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden im Streitjahr (2006) gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger leidet unter einer inoperablen organisch bedingten Sterilität (sog. Kryptozoospermie) und ist deshalb nicht in der Lage, auf natürlichem Weg selbst Kinder zu zeugen. Im Rahmen der von den Klägern zunächst erfolglos versuchten homologen künstlichen Befruchtung wurde festgestellt, dass sein Sperma auch nicht geeignet ist, im Rahmen einer künstlichen Befruchtung selbst nach ärztlicher Behandlung eingesetzt zu werden. Deshalb entschlossen sich die Kläger, die Erfüllung des beiderseitigen Wunsches nach einem gemeinsamen Kind mit Hilfe einer instrumentellen donogenen Insemination, d.h. der Übertragung von Spendersamen, zu verwirklichen, und beantragten schließlich deren Durchführung in der Praxis des Prof. Dr. R. (Fertility Center). Das Fertility Center ist entsprechend der Verfahrens- und Qualitätssicherung nach DIN EN ISO 9001 zertifiziert, das IVF-, Hormon- und Andrologielabor nach DIN EN ISO 17 025. Am 16.1.2006 und am 18.1.2006 fand eine psychosoziale Beratung durch eine Diplom-Psychologin statt. Zudem wurden die Kläger durch Prof. Dr. R. und Dr. P. (B. Samenbank) über die rechtlichen Aspekte und die möglichen Folgen der Verwendung von heterologen Samen unterrichtet.

 

 

3

Einen Tag später, am 19.1.2006, unterschrieben die Kläger einen entsprechenden Aufklärungsbogen und eine Vereinbarung mit der B. Samenbank. Prof. Dr. R. und die B. Samenbank dokumentierten die Identität des Samenspenders sowie die Verwendung der Samenspende. Es lag eine Einverständniserklärung des Samenspenders vor, seine Identität bei einem entsprechenden Auskunftsverlangen des Kindes bekannt zu geben. Gleichfalls erklärten sich die Kläger mit der Verwendung von heterologem Samen und der Dokumentation von Herkunft und Verwendung der Samenspende einverstanden und entbanden den Arzt im Rahmen eines entsprechenden Auskunftsverlangens von seiner Schweigepflicht. Verstöße gegen das Embryonenschutzgesetz wurden bei der Behandlung nicht festgestellt. Eine von der Ärztekammer Hamburg eingerichtete Kommission genehmigte die Behandlung der Kläger. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass diese auf das Krankheitsbild des Klägers abgestimmte, medizinisch indizierte Behandlungsmethode die berufsrechtlichen Voraussetzungen der im Streitfall maßgeblichen Berufsordnung der Hamburger Ärzte und Ärztinnen im Streitfall erfüllt (vgl. Anhang zu § 13a der Berufsordnung „Richtlinien zur assistierten Reproduktion“).

 

 

4

Leistungen von Krankenversicherern sind nicht erfolgt. Die Klägerin ist gesetzlich krankenversichert. Leistungsansprüche sind in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Eheleute beschränkt; es dürfen nur Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (§ 27a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Der Kläger ist privat krankenversichert. Da seine Erkrankung bei Abschluss des Versicherungsvertrags bekannt war, erfolgte ein entsprechender Leistungsausschluss für sterilitätsbedingte Behandlungsmaßnahmen.

 

 

5

Mit der Einkommensteuererklärung 2006 machten die Kläger die im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 21.345 EUR erfolglos als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) vertrat die Auffassung, Aufwendungen für eine heterologe Befruchtung dienten, anders als bei einer homologen Befruchtung, nicht zur Überwindung einer Krankheit, so dass es an der medizinischen Notwendigkeit der Behandlungskosten fehle.

 

 

6

Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) hingegen mit den in EFG 2010, 1694 = SIS 10 24 91 veröffentlichten Gründen statt.

 

 

7

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 33 Abs. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

 

 

8

Es beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 5.5.2010 9 K 231/07 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

9

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

 

10

II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die im Zusammenhang mit der durchgeführten heterologen künstlichen Befruchtung entstandenen Kosten als zwangsläufige Aufwendungen i.S. von § 33 EStG zu berücksichtigen sind.

 

 

11

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

 

 

12

a) In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof (BFH) davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteile vom 17.7.1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 = SIS 81 22 55; vom 13.2.1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427 = SIS 87 12 04, und vom 20.3.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596 = SIS 87 16 03; vom 2.9.2010 VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119 = SIS 10 36 90).

 

 

13

b) Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch indizierte Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Aufwendungen für Zahnersatz (vgl. FG Berlin, Urteil vom 18.12.1980 IV 51/79, EFG 1981, 293 = SIS 81 13 03, betreffend Zahnprothese), für medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne wie Brillen, Hörapparate und Rollstühle (BFH-Urteil vom 14.10.1997 III R 27/97, BFH/NV 1998, 571 = SIS 98 08 06) sowie für medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne wie Blindencomputer (Sächsisches FG, Urteil vom 7.11.2000 5 K 1777/98, EFG 2001, 440 = SIS 01 74 24) oder Treppenschräglifte (Sächsisches FG, Urteil vom 12.10.2006 2 K 1859/04, EFG 2007, 931 = SIS 07 11 83) werden regelmäßig als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl durch sie der körperliche Mangel nicht behoben, sondern ebenfalls „umgangen“ oder kompensiert wird. An der Ausnahme im BFH-Urteil vom 28.7.2005 III R 30/03 (BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495 = SIS 05 44 55) - kein Abzug von Aufwendungen für künstliche Befruchtungen einer unverheirateten Frau - hält der BFH nicht länger fest (BFH-Urteil vom 10.5.2007 III R 47/05, BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871 = SIS 07 31 16).

 

 

14

c) Auch aus der Tatsache, dass die private und die soziale Krankenversicherung für derartigen Bedarf Leistungsausschlüsse oder -beschränkungen vorsehen, ist nicht gefolgert worden, dass es an der Zwangsläufigkeit fehle; die Leistungsausschlüsse waren vielmehr Voraussetzung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für den Steuerpflichtigen, der sich ihnen bei einem Anspruch gegen den Krankenversicherer hätte entziehen können.

 

 

15

d) Gleichwohl hat der BFH mit Urteil vom 18.5.1999 III R 46/97 (BFHE 188, 566, BStBl II 1999, 761 = SIS 99 15 15) die Aufwendungen einer empfängnisfähigen verheirateten Frau für die Befruchtung mit Spermien eines Dritten nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Die organisch bedingte Sterilität eines Ehepartners sei zwar als Krankheit, d.h. objektiv als anomaler regelwidriger Körperzustand, einzuordnen. Denn die Fortpflanzungsfähigkeit sei für Ehepartner, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, eine biologisch notwendige Körperfunktion. Bei den Aufwendungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer künstlichen Befruchtung in Form der sog. heterologen Insemination, d.h. der Befruchtung von Eizellen der Ehefrau mit dem Sperma eines fremden Mannes, handele es sich aber nicht um die Kosten therapeutischer Maßnahmen im Sinne der Rechtsprechung des BFH zu § 33 EStG. Es fehle - anders als in Fällen der homologen künstlichen Befruchtung - an einer gezielten, medizinisch indizierten Behandlung zum Zwecke der Heilung oder Linderung der Krankheit des zeugungsunfähigen Ehemannes. Die künstliche Befruchtung der (gesunden) Ehefrau mit Fremdsamen bezwecke nicht die Beseitigung oder Linderung von Schmerzen oder Beschwerden als Symptomen der Unfruchtbarkeit des Ehemannes, sondern die Erfüllung des Wunsches nach einem Kind.

 

 

16

2. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat nicht länger fest. Vielmehr sind - wie das FG zutreffend ausführt - auch Aufwendungen für eine medizinisch angezeigte heterologe künstliche Befruchtung als Krankheitskosten zu beurteilen und damit als steuermindernde außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen.

 

 

17

a) Nach dem von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), des Bundessozialgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entwickelten Krankheitsbegriff, dem sich der BFH grundsätzlich angeschlossen hat (vgl. BFH-Urteile vom 18.6.1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 = SIS 98 03 08, m.w.N.; in BFHE 188, 566, BStBl II 1999, 761 = SIS 99 15 15, und in BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871 = SIS 07 31 16), ist die organisch bedingte Sterilität eines Ehepartners - hier die beim Kläger diagnostizierte organisch bedingte erhebliche Einschränkung der Fertilität aufgrund einer Kryptozoospermie - als Krankheit, d.h. objektiv als anomaler regelwidriger Körperzustand, einzuordnen. Denn die Fortpflanzungsfähigkeit ist für Ehepartner, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, eine biologisch notwendige Körperfunktion (BFH-Urteil in BFHE 188, 566, BStBl II 1999, 761 = SIS 99 15 15; FG Düsseldorf, Urteil vom 11.8.2003 7 K 3527/02 E, EFG 2003, 1786 = SIS 03 51 33; FG München, Urteil vom 20.5.2009 10 K 2156/08, EFG 2009, 1462 = SIS 09 25 31; BVerwG-Urteil vom 27.11.2003 2 C 38.02, BVerwGE 119, 265; BGH-Urteile vom 17.12.1986 IVa ZR 78/85, BGHZ 99, 228, und vom 13.9.2006 IV ZR 133/05, NJW 2006, 3560; Verwaltungsgerichtshof - VGH - Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2005 4 S 2627/04, NVwZ - Rechtsprechung-Report - NVwZ-RR - 2006, 202; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2009 4 S 1028/07, juris; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 11.9.2007 28 A 274.05, juris). Der Krankheitswert der organisch bedingten Sterilität des Klägers ist zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht streitig.

 

 

18

b) Die In-vitro-Fertilisation - IVF - (in Kombination mit einer intracytoplasmatischen Spermieninjektion) ist eine zur Behandlung dieser Krankheit - bei Mann wie Frau - spezifisch erforderliche medizinische Leistung. Unerheblich ist, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht bezweckt ist, die Ursachen der Fertilitätsstörung zu beseitigen oder Schmerzen und Beschwerden zu lindern. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohnt gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden ist. Von der Linderung einer Krankheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn die ärztliche Tätigkeit auf die Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung oder Beseitigung von Krankheitsfolgen gerichtet ist oder eine Ersatzfunktion für ein ausgefallenes Organ bezweckt wird. Letzteres ist hier der Fall. Die intracytoplasmatische Spermieninjektion ersetzt die gestörte Fertilität der Spermien durch einen ärztlichen Eingriff, um dadurch die organisch bedingte Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden und eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Die ärztlichen Maßnahmen dienen daher in ihrer Gesamtheit dem Zweck, die durch Krankheit behinderte Körperfunktion beim Kläger zu ersetzen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.10.1993 11 S 498/93, juris; BGH-Urteil vom 3.3.2004 IV ZR 25/03, NJW 2004, 1658). Dies schließt die bei der - unstreitig gesunden - Ehefrau des Klägers durchzuführenden Behandlungsschritte, d.h. deren Hormonbehandlung mit dem Ziel der Heranreifung mehrerer Eizellen, die operative Eizellgewinnung mittels Follikelpunktion und den Embryotransfer nach Beendigung der Befruchtung, ein. Denn wegen der biologischen Zusammenhänge kann - anders als bei anderen Erkrankungen - durch eine medizinische Behandlung allein des Klägers keine Linderung der Krankheit eintreten (BGH-Urteil in NJW 2004, 1658; VGH Baden-Württemberg, Beschluss in NVwZ-RR 2006, 202; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2009 4 S 1028/07, juris; Oberverwaltungsgericht - OVG - Lüneburg, Beschluss vom 4.9.2008 5 LA 198/07, NVwZ-RR 2009, 296; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.11.2007 1 A 2537/06, juris).

 

 

19

c) Dies gilt auch, wenn die IVF mit heterologem Samen durchgeführt wird. Auch in diesem Fall liegt nach den in den Berufsordnungen der Landesärztekammern enthaltenen Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion unstreitig eine medizinisch indizierte Heilbehandlung zur Überwindung der Sterilität eines Mannes vor. Es handelt sich um eine medizinische Maßnahme, die bei schweren Formen männlicher Fertilitätsstörungen angezeigt ist. Denn der Einsatz von heterologem Samen ist medizinisch nur indiziert, wenn der Einsatz von homologem Samen nicht erfolgreich war oder nicht zum Einsatz kommen konnte. Umstritten ist in diesem Zusammenhang lediglich, ob Aufwendungen hierfür vom Leistungsumfang einer privaten Krankenversicherung gedeckt (so Landgericht Dortmund, Urteil vom 10.4.2008 2 O 11/07, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2008, 1414) und beihilfefähig sind (so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2009 4 S 1028/07, juris).

 

 

20

Die künstliche Befruchtung der (gesunden) Ehefrau mit Fremdsamen bezweckt damit nach Auffassung des erkennenden Senats zwar nicht die Beseitigung oder Linderung von Schmerzen oder Beschwerden als Symptomen der Unfruchtbarkeit des Ehemannes. Sie zielt aber - wie auch eine homologe künstliche Befruchtung wegen der Sterilität des Mannes - auf die Beseitigung der Kinderlosigkeit eines Paares. Dieser kommt zwar nicht selbst Krankheitswert zu (BGH-Urteil in BGHZ 99, 228). Sie ist aber vorliegend unmittelbare Folge der Erkrankung des Klägers. Damit wird auch bei einer heterologen Insemination die durch Krankheit behinderte Körperfunktion beim Kläger - die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Wege -, entgegen der Auffassung im BFH-Urteil in BFHE 188, 566, BStBl II 1999, 761 = SIS 99 15 15, durch eine medizinische Maßnahme ersetzt.

 

 

21

Da die streitige Heilbehandlung im Streitfall von einer zur Ausübung der Heilkunde zugelassenen Person (vgl. BFH-Urteil in BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119 = SIS 10 36 90) - unstreitig - entsprechend den Richtlinien der Berufsordnung der zuständigen Ärztekammer durchgeführt worden ist, hat das FG zu Recht die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für die heterologe künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt.

 

 

22

3. Ausweislich der bindenden Feststellungen des FG haben die Kläger von ihren Krankenversicherungen keine Erstattung der streitigen Kosten zu erwarten. Damit kommt es auf die Frage, ob Aufwendungen nicht zwangsläufig erwachsen, wenn sie durch die zumutbare Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten hätten abgewendet werden können (BFH-Urteile vom 20.9.1991 III R 91/89, BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137 = SIS 92 02 05; in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 = SIS 98 03 08; vom 14.8.1997 III R 67/96, BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732 = SIS 97 22 05, und vom 21.2.2008 III R 30/07, BFH/NV 2008, 1309 = SIS 08 28 05), nicht an.

 

 

 

Anmerkung RiBFH i.R. Dr. Dürr

Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass die Behandlung von einer zur Ausübung der Heilkunde zugelassenen Person ausgeführt wird und dass sie entsprechend den Richtlinien der Berufsordnung der zuständigen Ärztekammer durchgeführt wird. Etwaige Erstattungen von dritter Seite sind gegenzurechnen. Die gesetzliche Krankenversicherung leistet für eine heterologe Insemination keinen Ersatz. Ob die Aufwendungen für eine heterologische Insemination von der privaten Krankenversicherung gedeckt und beihilfefähig sind, ist umstritten. Wenn insoweit keine Erstattungen zu erwarten sind, kann den Steuerpflichtigen jedoch nicht vorgeworfen werden, sie hätten ihre Aufwendungen (teilweise) vermeiden können.

Der Streitfall betraf ein Ehepaar mit Kinderwunsch. Entsprechendes müsste – wie für die vom BFH schon anerkannte Insemination mit dem Samen des Partners (BFH-Urteil vom 10.5.2007 III R 47/05, BStBl 2007 II S. 871 = SIS 07 31 16, und vom 21.2.2008 III R 30/07, BFH/NV 2008 S. 1309 = SIS 08 28 05) – für Unverheiratete in fester Partnerbeziehung gelten. Aufwendungen für die Adoption eines Kindes (BFH-Urteil vom 20.3.1987 III R 150/86, BStBl 1987 II S. 596 = SIS 87 16 03) oder für Leihmutterschaft (FG Düsseldorf, Urteil vom 9.5.2003 18 K 7932/00 E, EFG 2003 S. 1548 = SIS 03 48 19; FG München, Beschluss vom 21.2.2000 16 V 1588/99, EFG 2000 S. 496 = SIS 01 56 17) sind nicht auf das Krankheitsbild der Betroffenen abgestimmt und daher vom Abzug ausgeschlossen.