1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des
Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) Organträger zweier
GmbHs, die in den Streitjahren 1994 bis 1999 jeweils ein
Krankenhaus betrieben. Es handelte sich um eine Kurklinik, in der
Therapien zur Gesundheitsfürsorge und Rehabilitation, wie z.B.
Sauerstoff-, H 3-, Heilfasten-, Therma-, Thymus-, Thymo-Therma-,
Ganzheits-, Schmerz- und ATP-Therapien sowie biologisch aktive
Zellregeneration durchgeführt wurden (L-GmbH), und eine Klinik
für plastische Chirurgie, in der erektile Dysfunktion
(organische Impotenz) behandelt wurde (M-GmbH). Der Kläger
vermietete die Klinikgrundstücke an die jeweilige GmbH, die
beide über eine Konzession nach § 30 der Gewerbeordnung
verfügten. Beide Kliniken wurden nicht nach dem
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) gefördert und berechneten
ihre Leistungen nicht nach der Verordnung zur Regelung der
Krankenhauspflegesätze (BPflV), sondern nach
„Festpreisen“.
|
|
|
2
|
Der Kläger behandelte die Leistungen
der beiden Klinik-GmbHs zunächst als umsatzsteuerpflichtig,
beantragte aber mit Schreiben vom 23.12.1999 für das
Streitjahr 1994 und mit Schreiben vom 5.1.2000 für die
Streitjahre 1995 bis 1998, die durch die beiden Klinik-GmbHs
erbrachten Leistungen in vollem Umfang steuerfrei zu
behandeln.
|
|
|
3
|
Im Anschluss an eine
Umsatzsteuersonderprüfung erließ der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) für die Streitjahre
1994 bis 1998 geänderte Umsatzsteuerbescheide sowie für
das Streitjahr 1999 einen erstmaligen Umsatzsteuerbescheid, nach
denen zwar die durch die beiden Klinik-GmbHs erbrachten
ärztlichen Leistungen steuerfrei waren, jedoch der
Unterkunfts- und Verpflegungsanteil in pauschalierter Höhe der
Umsatzsteuer unterworfen wurde.
|
|
|
4
|
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch,
mit dem er weiter die vollständige Steuerfreiheit seiner
Leistungen geltend machte. Im Anschluss an eine
Außenprüfung ging das FA vom Fehlen des Nachweises aus,
dass mehr als 40 v.H. der jährlichen Pflegetage auf Patienten
entfielen, denen nur allgemeine Krankenhausleistungen berechnet
worden seien. Die fehlende Kostenübernahme durch die
gesetzlichen Krankenkassen zeige, dass es sich um Wahlleistungen
handele. Da die durch das Klinikpersonal erbrachten Leistungen und
die Weiterlieferung von Medikamenten entgegen den bisherigen
Steuerfestsetzungen dem steuerpflichtigen Leistungsbereich
zuzuordnen seien, sei der Anteil der steuerfreien ärztlichen
Leistungen bei der L-GmbH auf 32 v.H. und bei der M-GmbH auf 40
v.H. des Gesamtumsatzes zu schätzen. Das FA änderte die
bisherigen Festsetzungen für die Streitjahre 1997 bis 1999
durch die Bescheide vom 19.9.2002 und wies den Einspruch im
Übrigen mit Einspruchsentscheidung vom 31.1.2003 als
unbegründet zurück.
|
|
|
5
|
Die Klage zum Finanzgericht (FG) hatte
keinen Erfolg. Das FG stützte die Klageabweisung darauf, dass
für eine Steuerfreiheit für die in den beiden Kliniken
erbrachten Leistungen des Klägers nur § 4 Nr. 16 UStG,
nicht aber auch § 4 Nr. 14 UStG in Betracht komme. Da die
beiden Kliniken des Klägers nicht der BPflV unterlägen
und nicht nach dem KHG gefördert würden, seien die
Leistungen nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG i.V.m. §
67 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) steuerfrei. Auch die
Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG i.V.m. § 67
Abs. 2 AO lägen nicht vor. Zwar seien die streitbefangenen
Umsätze als mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundene
Umsätze anzusehen, da sie ärztliche und therapeutische
Maßnahmen beträfen. Ob es sich jedoch auch um allgemeine
Krankenhausleistungen i.S. von § 67 AO oder um für die
Berechnung der Jahrespflegetage schädliche Wahlleistungen
handele, richte sich nach § 2 BPflV, dem Katalog zu § 11
Abs. 1 BPflV und den dort in Bezug genommenen §§ 15 Abs.
1 Nr. 1, 16 Abs. 2 BPflV. Zu den allgemeinen Krankenhausleistungen,
auf deren ausschließliche Berechnung es nach § 67 Abs. 2
AO ankomme, gehörten gemäß § 2 BPflV nur die
Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der
Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art
und Schwere der Krankheit für die medizinisch
zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten
notwendig seien. § 11 Abs. 1 BPflV regele die Entgelte
für allgemeine Krankenhausleistungen durch Fallpauschalen. Mit
den Pflegesätzen würden alle für die Versorgung des
Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen
vergütet (§ 10 Abs. 2 Satz 1 BPflV). Allgemeine
Krankenhausleistungen seien gemäß §§ 2, 11
Abs. 1 BPflV für die medizinisch zweckmäßige und
ausreichende Versorgung des Patienten notwendig. Sie seien damit
zugleich für die Erreichung des therapeutischen Ziels
unentbehrlich und entsprächen somit den autonomen
gemeinschaftsrechtlichen Begriffen der Krankenhausbehandlung und
der ärztlichen Heilbehandlung, sowie der damit eng verbundenen
Umsätze i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Andere Leistungen gehörten
hierzu nur, wenn die Krankenkassen oder Beihilfeträger die
Behandlungskosten übernehmen müssten oder aufgrund ihrer
Beurteilung im Einzelfall die Kostenübernahme bewilligten. Bei
anderen als nach der BPflV vergütungsfähigen Leistungen
handele es sich aber nur ausnahmsweise um allgemeine
Krankenhausleistungen, wenn es für eine lebensbedrohliche
Erkrankung keine wissenschaftlich anerkannte Therapie gebe. Zu den
Wahlleistungen nach § 22 BPflV gehörten daher neben den
nicht ärztlichen Wahlleistungen (z.B. Ein- oder
Zweibettzimmer) auch therapeutische Leistungen, wenn sie - wie im
Streitfall die Leistungen des Klägers, die keine
Katalogleistungen i.S. des § 11 BPflV seien - nicht als
allgemeine Krankenhausleistungen anzusehen seien. Dies entspreche
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, wonach
es darauf ankomme, dass die Krankenhausbehandlung unter
vergleichbaren Bedingungen wie für öffentlich-rechtliche
Krankenanstalten durchgeführt wird. Maßgeblich sei der
Katalog der BPflV, da es die Gesundheitsfürsorge gebiete, alle
medizinisch erforderlichen Maßnahmen zu finanzieren. Die
Beschränkung der steuerbefreiten Krankenhausleistungen auf
solche des § 11 BPflV stelle die soziale Vergleichbarkeit her.
Unter Berücksichtigung der von den gesetzlichen Krankenkassen
und Beihilfestellen erteilten Auskünfte habe der Kläger
den Nachweis, dass mindestens 40 v.H. der Pflegetage in den
Kliniken auf Patienten entfallen seien, bei denen eine
Kostenübernahme durch die gesetzlichen Kassen oder die
Beihilfestelle möglich gewesen sei, nicht erbracht. Die in den
beiden Kliniken angewendeten Therapien würden auch heute noch
nicht als Kassenleistungen erfasst.
|
|
|
6
|
Das Urteil des FG ist in EFG 2008, 741 =
SIS 08 15 70 veröffentlicht.
|
|
|
7
|
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe eine
Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. a und Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG zu Unrecht verneint.
Entscheidend sei nach § 67 AO die Höhe des nach der BPflV
berechneten Entgelts, nicht seine Berechnung. Dass die BPflV nur
für einige und nicht für alle von Krankenhäusern
erbrachten Leistungen Fallpauschalen vorsehe, könne nicht dazu
führen, die Zweckbetriebseigenschaft eines Krankenhauses, das
Leistungen erbringe, für die keine Fallpauschalen bestehen, zu
verneinen. Komme es für § 67 AO auf die konkreten
Entgelte an, die ein unter die BPflV fallendes Krankenhaus den
gesetzlichen Sozialversicherungsträgern berechne, sei die
gesetzliche Regelung verfassungswidrig, da es im Hinblick auf die
individuelle Kostenstruktur dieser Krankenhäuser für den
nicht unter die BPflV fallenden Wettbewerber nicht feststellbar
sei, wie er seine Preise zu kalkulieren habe, um nach § 67
Abs. 2 AO als Zweckbetrieb zu gelten. Zumindest ergebe sich eine
teilweise Steuerfreiheit der Leistungen aus § 4 Nr. 14 UStG
und dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, da, wenn ein
Arzt ein Krankenhaus betreibe, seine Heilbehandlungsleistungen nach
dieser Vorschrift steuerfrei seien.
|
|
|
8
|
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1994
bis 1999 vom 23.10.2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
31.1.2003 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte
Umsatzsteuer jeweils auf Null EUR herabgesetzt wird.
|
|
|
9
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 AO
seien nicht nachgewiesen. Die soziale Vergleichbarkeit beziehe sich
auf das Entgelt, die Art der Leistung, die Zweckbestimmung der
Einrichtung und ihre Stellung im Sozial- und Gesundheitssystem.
Steuerfrei seien nur die allgemeinen Krankenhausleistungen der
privat betriebenen Krankenhäuser. Derartige Leistungen
lägen mangels Kostentragung durch die gesetzlichen
Krankenkassen nicht vor. Die Klägerin habe höhere
Entgelte als die der BPflV unterliegenden Krankenhäuser
berechnet.
|
|
|
11
|
II. Die Revision des Klägers ist im
Ergebnis begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die
Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Leistungen der beiden Kliniken
sind steuerfrei, wenn mindestens 40 v.H. der jährlichen
Pflegetage auf Patienten entfallen, die keine Wahlleistungen
(Chefarztbehandlung und Zimmerbelegung) in Anspruch genommen haben
und wenn der Kläger in diesem Umfang seine Leistungsentgelte
nach Selbstkostengrundsätzen berechnet hat. Die Erbringung
medizinischer „Wahlleistungen“ ist dabei nicht
zu berücksichtigen. Die Feststellungen des FG, das von anderen
Grundsätzen ausgegangen ist, erlauben keine
abschließende Entscheidung.
|
|
|
12
|
1. Steuerfrei waren in den Streitjahren nach
§ 4 Nr. 16 Buchst. b UStG „die mit dem Betrieb der
Krankenhäuser ... eng verbundenen Umsätze, wenn ... bei
Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in §
67 Abs. 1 oder 2 der Abgabenordnung bezeichneten Voraussetzungen
erfüllt“ wurden. Die bereits vor Inkrafttreten der
Richtlinie 77/388/EWG bestehende Vorschrift mit der Bezugnahme auf
§ 67 AO und mittelbar auf die BPflV ist richtlinienkonform
(vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25.1.2006 V R
46/04, BFHE 211, 571, BStBl II 2006, 481 = SIS 06 16 47, unter
II.2.b) unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte
auszulegen.
|
|
|
13
|
§ 67 AO hatte bei seinem Inkrafttreten
zusammen mit der AO 1977 am 1.1.1977 (Art. 17 Nr. 1 des
Einführungsgesetzes zur AO 1977 vom 14.12.1976, BStBl I 1976,
694) folgenden Wortlaut:
|
|
|
14
|
„(1) Ein Krankenhaus, das in den
Anwendungsbereich der Bundespflegesatzverordnung fällt, ist
ein Zweckbetrieb, wenn mindestens 40 vom Hundert der
jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen, bei denen nur
der allgemeine Pflegesatz (§ 3 Bundespflegesatzverordnung)
oder besondere Pflegesatz (§ 4 Bundespflegesatzverordnung)
zuzüglich gesondert berechenbarer Kosten im Sinne der
§§ 5 und 7 der Bundespflegesatzverordnung berechnet wird.
(2) Ein Krankenhaus, das nicht in den Anwendungsbereich der
Bundespflegesatzverordnung fällt, ist ein Zweckbetrieb, wenn
mindestens 40 vom Hundert der jährlichen Pflegetage auf
Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen
kein höheres Entgelt als nach Absatz 1 berechnet
wird.“
|
|
|
15
|
Mit Wirkung ab 1.1.1986 erhielt § 67 AO
durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 (StBereinG 1986) vom
19.12.1985 (BGBl I 1985, 2436) folgende Fassung:
|
|
|
16
|
„(1) Ein Krankenhaus, das in den
Anwendungsbereich der Bundespflegesatzverordnung fällt, ist
ein Zweckbetrieb, wenn mindestens 40 vom Hundert der
jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen, bei denen nur
Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen (§§ 5,
6 und 21 der Bundespflegesatzverordnung) berechnet werden. (2) Ein
Krankenhaus, das nicht in den Anwendungsbereich der
Bundespflegesatzverordnung fällt, ist ein Zweckbetrieb, wenn
mindestens 40 vom Hundert der jährlichen Pflegetage auf
Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen
kein höheres Entgelt als nach Absatz 1 berechnet
wird.“
|
|
|
17
|
Durch das Jahressteuergesetz 1997 vom
20.12.1996 (BStBl I 1996, 1548) wurde die Bezugnahme in § 67
Abs. 1 AO dahingehend geändert, dass die Vorschrift
hinsichtlich der Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen
nunmehr auf §§ 11, 13 und 26 BPflV 1995 verweist. Nach
§ 1b Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung
(AOEG) gilt die Neuregelung allgemein mit Rückwirkung zum
1.1.1996, bei Krankenhäusern, die bereits mit Wirkung zum
1.1.1995 Fallpauschalen und Sonderentgelte nach § 11 BPflV
1995 angewendet haben, mit Rückwirkung ab 1.1.1995.
|
|
|
18
|
2. Seit Inkrafttreten des UStG 1980
„beruht“ § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG mit der
Verweisungskette über § 67 AO auf die BPflV auf Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG. Steuerfrei sind
danach die Krankenhausbehandlung und die ärztliche
Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze,
die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter
Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese
Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von
Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung
und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten
Einrichtungen gleicher Art durchgeführt bzw. bewirkt
werden.
|
|
|
19
|
Darüber hinaus können die
Mitgliedstaaten gemäß Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a
dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG die Steuerfreiheit
nach Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie für Einrichtungen, die
keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, davon
abhängig machen, dass Preise angewendet werden, die von den
zuständigen Behörden genehmigt sind oder die genehmigten
Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die
eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise
angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der
Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für
entsprechende Tätigkeiten gefordert werden.
|
|
|
20
|
Schließlich sind nach Art. 13 Teil A
Abs. 2 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG
die in Teil A Abs. 1 Buchst. b genannten Dienstleistungen von der
Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der
Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird,
nicht unerlässlich sind.
|
|
|
21
|
3. Die Befreiung von anderen Einrichtungen als
den Einrichtungen des öffentlichen Rechts setzt nach Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG voraus, dass die
Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie
die mit ihnen eng verbundenen Umsätze unter Bedingungen
erfolgen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen
in sozialer Hinsicht vergleichbar sind. Dementsprechend sind
Krankenhaus- und Heilbehandlungsleistungen nach § 4 Nr. 16
Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 AO steuerfrei, wenn das
Krankenhaus in mindestens 40 v.H. der Jahrespflegetage keine
Wahlleistungen zur Zimmerbelegung und zur Chefarztbehandlung
erbringt und in diesem Umfang seine Leistungsentgelte nach
Selbstkostengrundsätzen berechnet. Die Erbringung sog.
medizinischer „Wahlleistungen“ ist insoweit
unerheblich.
|
|
|
22
|
a) Wie der BFH mit Urteil vom 25.11.1993 V R
64/89 (BFHE 173, 242, BStBl II 1994, 212 = SIS 94 08 26, unter
II.2.a) unter Bezugnahme auf den Bericht des Finanzausschusses zum
Entwurf einer AO (BTDrucks 7/4292) entschieden hat, bewirkt die
Verweisung in § 67 AO auf die BPflV 1973, dass nicht mehr als
60 v.H. der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen
dürfen, die sonstige gesondert berechenbare Leistungen nach
§ 6 BPflV 1973 und damit sog. Wahlleistungen hinsichtlich der
Unterkunft (Belegung eines Ein- oder Zweibettzimmers) oder der
Arztwahl (Chefarztbehandlung) in Anspruch nehmen.
|
|
|
23
|
Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass
Krankenhäuser in privater Trägerschaft nur dann unter
sozial vergleichbaren Bedingungen wie öffentlich-rechtlich
organisierte Krankenanstalten tätig sind, wenn sie diese
Wahlleistungen nur in beschränktem Umfang erbringen. Denn die
Wahlleistungen Unterkunft und Chefarztbehandlung können nicht
von allen Krankenhauspatienten, sondern nur von denjenigen in
Anspruch genommen werden, die die hierfür erforderlichen
Zusatzkosten aufbringen können und wollen.
|
|
|
24
|
Hieran ist auch unter der Geltung der
geänderten Verweisungen des § 67 AO auf §§ 5, 6
und 21 BPflV 1986 und auf §§ 11, 13 und 26 BPflV 1995
festzuhalten. Daher kommt es auch in den Streitjahren darauf an, in
welchem Umfang der Krankenhausträger Wahlleistungen (§ 7
BPflV 1986 und § 22 BPflV 1995) erbringt.
|
|
|
25
|
b) Allerdings entspricht der Begriff der
Wahlleistungen in den Streitjahren nicht mehr dem der BPflV 1973,
der der bisherigen Rechtsprechung des Senats zugrunde lag.
|
|
|
26
|
aa) Während sich Wahlleistungen unter der
Geltung der BPflV 1973 vorrangig auf die Art der Unterbringung oder
die Behandlung durch besondere Ärzte bezogen (BFH-Urteil in
BFHE 173, 242, BStBl II 1994, 212 = SIS 94 08 26, unter II.2.a),
sind nunmehr aufgrund von Maßnahmen
zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen zunehmend sog.
medizinische „Wahlleistungen“
verbreitet.
|
|
|
27
|
Bei den
medizinischen Wahlleistungen kann es sich handeln um Leistungen bei
fehlender medizinischer Indikation (z.B.
„Schönheitsoperationen“), um Leistungen
anlässlich einer medizinisch indizierten Krankenhausbehandlung
(z.B. erweiterte Labordiagnostik, die bei einer Erkrankung erfolgt,
für deren Behandlung aber nicht notwendig ist), um
medizinische Alternativbehandlungen (Fälle, in denen bei einer
medizinisch notwendigen Behandlung - ggf. innovative -
Alternativbehandlungsmethoden zur Verfügung stehen, deren
Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen - ggf. noch - nicht
getragen werden) oder um Leistungen im Rahmen einer ambulanten
Behandlung (Behandlung durch ein zur ambulanten Behandlung von
Kassenpatienten nicht zugelassenes Krankenhaus; vgl. hierzu
allgemein Informationspapier der
Deutschen Krankenhausgesellschaft zum Angebot medizinischer
Wahlleistungen durch Krankenhäuser, KH - Das Krankenhaus -
2005, 401).
|
|
|
28
|
Zwar sind nicht alle medizinischen
Wahlleistungen als Krankenhaus- oder Heilbehandlung oder eng
hiermit verbundener Umsatz steuerfrei (vgl. zur
Schönheitsoperation: BFH-Urteil vom 15.7.2004 V R 27/03, BFHE
206, 471, BStBl II 2004, 862 = SIS 04 35 29). Insbesondere bei
medizinischen Wahlleistungen, bei denen es sich um eine
medizinische Alternativbehandlung handelt, kann jedoch eine
steuerfreie Krankenhaus- oder Heilbehandlung vorliegen.
|
|
|
29
|
bb) Bei richtlinienkonformer Auslegung
entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie
77/388/EWG sind im Rahmen der Verweisung durch § 4 Nr. 16
Buchst. b UStG i.V.m. § 67 AO auf die BPflV 1986 und die BPflV
1995 medizinische Wahlleistungen bei der Bestimmung der
Zweckbetriebseigenschaft nicht zu berücksichtigen. Denn die
Verweisung in § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG auf § 67 AO dient
bei Auslegung entsprechend Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 77/388/EWG nur dazu, die Steuerfreiheit der durch
private Krankenhäuser erbrachten Leistungen auf Leistungen der
Krankenhäuser zu beschränken, die unter sozial
vergleichbaren Bedingungen wie öffentlich-rechtliche
Krankenhäuser tätig sind. Hierfür sind
Zimmerbelegung und Chefarztbehandlung von Bedeutung, nicht aber
auch medizinische Leistungen, bei denen nach nationalem
Pflegesatzrecht eine Kostentragung durch die gesetzlichen
Krankenkassen unterbleibt.
|
|
|
30
|
c) Wie der BFH bereits zu § 67 Abs. 2
i.V.m. § 1 AO i.d.F. des StBereinG 1986 in Verbindung mit der
BPflV 1985 entschieden hat, ist weiter Voraussetzung für die
Anwendung des § 67 Abs. 2 AO eine Vorauskalkulation der
eigenen Selbstkosten (BFH-Urteil vom 2.10.2003 IV R 48/01, BFHE
204, 80, BStBl II 2004, 363 = SIS 04 04 35, unter II.1.c), für
die - soweit möglich - die Bestimmungen der BPflV zur
Kostenkalkulation zu berücksichtigen sind.
|
|
|
31
|
Vor den Streitjahren folgte das Erfordernis
einer Vorauskalkulation aus der Verweisung in § 4 Nr. 16
Buchst. b UStG i.V.m. § 67 AO auf die BPflV 1973 - den
allgemeinen und den besonderen Pflegesatz nach §§ 3, 4
BPflV 1973 - bereits daraus, dass diese Pflegesätze nach
§ 16 BPflV 1973 auf der Grundlage der Selbstkosten
festzusetzen waren.
|
|
|
32
|
Hieran hat sich durch die späteren
Änderungen durch die BPflV 1986 und BPflV 1995 dem Grundsatz
nach nichts geändert. So erfolgte z.B. die Vergütung nach
§ 6 BPflV 1986 auf der Grundlage vorauskalkulierter
Selbstkosten. Weitere Änderungen der BPflV dienten der
Kostendämpfung im Gesundheitswesen und damit der Begrenzung
der „Selbstkosten“, wie sich für die BPflV
1995 z.B. aus der Budgetierung in einem zweistufigen Verfahren
ergibt, bei dem zunächst das medizinisch leistungsgerechte
Budget unter Berücksichtigung von Leistungsgerechtigkeit und
wirtschaftlicher Sicherung des Krankenhauses zu ermitteln ist und
dieses Budget in einem zweiten Schritt einer Erlösobergrenze
gegenübergestellt wird, bei der es sich im Rahmen einer sog.
Deckelung der Krankenhausausgaben um eine Kappungsgrenze handelt
(Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8.9.2005 3 C 41/04,
BVerwGE 124, 209, unter 4.).
|
|
|
33
|
d) Ob und inwieweit Patienten als Wahlleistung
die Überlassung von Telefonen und Fernsehgeräten in
Anspruch genommen haben, ist für die Berechnung der
Jahrespflegetagegrenze unerheblich, da diese Leistungen nicht zu
den nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG
steuerfreien Leistungen gehören (Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Union - EuGH - vom 1.12.2005 C-394/04, Ygeia,
Slg. 2005, I-10373), zumal der Erbringung dieser Leistungen im
Hinblick auf ihre Verbreitung auch in öffentlich-rechtlichen
Krankenhäusern keine Bedeutung für die soziale
Vergleichbarkeit der Leistungstätigkeiten zukommt.
|
|
|
34
|
e) Aus der Verweisung in § 4 Nr. 16
Buchst. b UStG i.V.m. § 67 AO auf die BPflV - mit Ausnahme der
Verweisung auf Fallpauschalen nach § 11 Abs. 1 BPflV 1995 -
folgt im Übrigen nicht, dass für die Leistung von den
zuständigen Behörden genehmigte Preise anzuwenden sind.
Denn bei den Pflegesatzvereinbarungen nach §§ 5, 6 und 21
BPflV 1986 oder den nicht auf Fallpauschalen bezogenen
Preisvereinbarungen nach §§ 11, 13 und 26 BPflV 1995
handelt es sich nicht um Preisgenehmigungen i.S. von Art. 13 Teil A
Abs. 2 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG,
sondern um Preisvereinbarungen für einzelne
Krankenhäuser, die unter Berücksichtigung der jeweils
individuellen Situation des jeweiligen Krankenhauses getroffen
werden. Allgemein genehmigte Preise (vgl. BFH-Urteil vom 17.2.2009
XI R 67/06, BFHE 224, 183, BFH/NV 2009, 869 = SIS 09 10 06), die
auch für die der BPflV nicht unterliegenden Krankenhäuser
beachtlich wären, liegen daher nicht vor.
|
|
|
35
|
4. Entgegen der Auffassung des FG rechtfertigt
Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b erster Gedankenstrich der
Richtlinie 77/388/EWG, wonach Lieferungen und Dienstleistungen von
der Steuerfreiheit ausgeschlossen sind, wenn sie zur Ausübung
der Tätigkeiten, für die die Steuerfreiheit gewährt
wird, nicht unerlässlich sind, keine Eingrenzung der
steuerfreien Krankenhaus- und Heilbehandlung auf solche Leistungen,
die nach der BPflV von den gesetzlichen Krankenkassen vergütet
werden. Denn dies würde letztlich dazu führen, dass die
Begriffe der „Krankenhausbehandlung und der
ärztlichen Heilbehandlung“ nach nationalem Recht und
nicht - wie erforderlich - autonom nach der Richtlinie 77/388/EWG
ausgelegt werden (vgl. hierzu EuGH-Urteil vom 10.6.2010 C-262/08,
CopyGene, BFH/NV 2010, 1589 = SIS 10 26 08 Rdnr. 24). Der fehlende
Heilbehandlungscharakter darf daher nicht allein daraus abgeleitet
werden, dass die Leistungen des Klägers nicht in der BPflV
aufgeführt waren. Daher kann ein Krankenhaus, das
ausschließlich medizinische Wahlleistungen erbringt, bei
denen es sich aber umsatzsteuerrechtlich um Krankenhaus- oder
Heilbehandlungsleistungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b
der Richtlinie 77/388/EWG handelt, grundsätzlich die
Steuerfreiheit seiner Umsätze nach § 4 Nr. 16 Buchst. b
UStG i.V.m. § 67 AO beanspruchen, wenn es die Wahlleistungen
Unterkunft und Chefarztbehandlung in nicht mehr als 60 v.H. der
jährlichen Pflegetage erbringt und darüber hinaus die
unter II.3.c genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
|
|
|
36
|
5. Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen; sein Urteil war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht
spruchreif.
|
|
|
37
|
a) Bei richtlinienkonformer Auslegung dienen
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin der Diagnose,
Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten
oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen
therapeutischen Zweck haben. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der
Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und
ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit
oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum
Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder
Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden
(BFH-Urteil vom 30.4.2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009,
679 = SIS 09 20 83, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH).
Leistungen, die lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand
verbessern sollen, sind keine Heilbehandlungen nach Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (BFH-Urteil in BFHE 225,
248, BStBl II 2009, 679 = SIS 09 20 83, unter II.2.b). Gleiches
gilt für Buchst. b dieser Bestimmung (vgl. EuGH-Urteil
CopyGene in BFH/NV 2010, 1589 = SIS 10 26 08 Rdnr. 28). Das FG hat
hierzu - insbesondere hinsichtlich der Kurklinik - keine
ausreichenden Feststellungen getroffen.
|
|
|
38
|
b) Sollte im zweiten Rechtsgang davon
auszugehen sein, dass es sich bei den Leistungen der beiden
Kliniken um Krankenhaus- und Heilbehandlungsleistungen handelt, ist
weiter zu prüfen, ob in den beiden Kliniken zumindest in 40
v.H. der Jahrespflegetage die Wahlleistungen Unterkunft und
Chefarztbehandlung nicht erbracht wurden.
|
|
|
39
|
c) Den Feststellungen des FG lässt sich
auch nicht entnehmen, ob die beiden Kliniken ihre Umsätze -
mangels Vorliegen von Fallpauschalen für die von ihnen
erbrachten Leistungen - in dem nach § 67 AO erforderlichen
Umfang nach Selbstkostengrundsätzen berechnet haben (s. oben
II.3.c).
|
|
|
40
|
d) Im Übrigen hat das FG zu Recht
entschieden, dass Leistungen eines Krankenhauses in privater
Trägerschaft nur nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG und nicht
nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sein können (BFH-Urteil
vom 18.3.2004 V R 53/00, BFHE 204, 503, BStBl II 2004, 677 = SIS 04 21 99, Leitsatz).
|
|
|
|
|