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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen
einer GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde am 3.12.2001
eröffnet. Die GmbH hatte bis zur Eröffnung des
Insolvenzverfahrens Anzahlungen für noch nicht erbrachte
Leistungen in Höhe von 5.207.546,31 DM einschließlich
Umsatzsteuer in Höhe von 718.282,24 DM (367.251,87 EUR)
vereinnahmt. Der Kläger entschied sich nach § 103 Abs. 2
Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) für die Nichterfüllung
der den Anzahlungen zugrunde liegenden Verträge. Die
Verträge wurden „rückabgewickelt“.
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Im Anschluss an eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) davon aus, dass
Rückabwicklung und Berichtigung nach § 17 des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) dem Zeitraum vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens zuzuordnen seien. Dem entsprach die durch
den Kläger im Januar 2003 eingereichte
Umsatzsteuererklärung 2001.
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Im Rahmen einer weiteren
Umsatzsteuer-Sonderprüfung war der Kläger der Auffassung,
dass die Umsatzsteuer erst für den Zeitpunkt der
Ablehnungserklärung nach § 103 Abs. 2 InsO zu berichtigen
sei. Er reichte am 1.3.2006 unter der Steuernummer S2, die der GmbH
für die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu
erklärenden Umsätze erteilt worden war, eine berichtigte
Umsatzsteuererklärung für 2001 ein, in der er um
4.489.264 DM reduzierte Umsätze zu 16 % erklärte,
während er zugleich um denselben Betrag die unter der
Steuernummer S1, unter der die GmbH ihre Umsätze bis zur
Eröffnung des Insolvenzverfahrens versteuerte, zu erfassenden
Umsätze erhöhte und beantragte die Änderung nach
§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Das FA lehnte die
Änderung mit Bescheid vom 20.4.2006 ab. Der hiergegen
eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht
(FG) der Klage aus den in EFG 2009, 1667 = SIS 09 24 49
veröffentlichten Gründen statt. Die auf Änderung der
Umsatzsteuerfestsetzung gerichtete Klage sei zulässig, obwohl
der Kläger im Ergebnis für 2001 keine
betragsmäßige Änderung der Festsetzung begehre, da
mit der vom FA vorgenommenen Zuordnung der Besteuerungsgrundlagen
zum Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Rechtswirkungen verbunden seien, die zu einer Beschwer des
Klägers führten. Diese Beschwer folge daraus, dass diese
Zuordnung eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen
ermögliche. Die Klage sei auch begründet, da dem
Kläger ein Berichtigungsanspruch aus § 17 Abs. 2 Nr. 3
UStG zustehe.
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Mit seiner Revision macht das FA Verletzung
materiellen Rechts geltend. Die Klage sei unzulässig, da der
Kläger keine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2001
begehre. Die Vergabe der zweiten Steuernummer für das
Insolvenzverfahren erfolge nur aus
Praktikabilitätsgründen. Im Hinblick auf eine Aufrechnung
sei die Klage gleichfalls nicht zulässig, da über die
Zulässigkeit einer Aufrechnung durch gesonderten
Abrechnungsbescheid zu entscheiden sei. Darüber hinaus sei die
Klage zumindest unbegründet, da das FA zur Aufrechnung befugt
sei. Insbesondere § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehe einer
Aufrechnung nicht entgegen.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Er verteidigt die Vorentscheidung. Nach
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei eine Aufrechnung unzulässig.
Es gelte der Grundsatz, dass das Insolvenzrecht dem Steuerrecht
vorgehe.
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II. Die Revision des FA ist aus anderen als
den geltend gemachten Gründen begründet. Das Urteil des
FG ist aufzuheben und die zulässige Klage als unbegründet
abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO
- ). Dem Kläger steht kein Berichtigungsanspruch nach §
17 UStG zu, da eine Berichtigung nach dieser Vorschrift im Fall
eines bereits vereinnahmten Entgelts erst für den
Besteuerungs- oder Voranmeldungszeitraum der
Entgeltrückgewähr in Betracht kommt.
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1. Das FG geht bei seiner Entscheidung -
entgegen der Auffassung des FA - zu Recht von der Zulässigkeit
der Klage aus.
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Der Kläger begehrt mit der Abgabe der
berichtigten Umsatzsteuererklärung 2001 für den Zeitraum
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Herabsetzung der
für diesen Zeitraum festgesetzten Umsatzsteuer. Durch die
Ablehnung der beantragten Änderung nach § 164 AO war der
Kläger i.S. des § 40 Abs. 2 FGO beschwert.
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a) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
berührt zwar - ebenso wie vor Inkrafttreten der InsO die
Eröffnung des Konkursverfahrens - weder die
Unternehmereigenschaft des Insolvenzschuldners (§ 2 Abs. 1
Satz 1 UStG) noch den Umstand, dass das Unternehmen
gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG die gesamte
gewerbliche und berufliche Tätigkeit des Unternehmers erfasst
(vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.6.2000 V R
87/99, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639 = SIS 00 12 59; vom
18.7.2002 V R 56/01, BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705 = SIS 02 93 31, jeweils m.w.N.). Dementsprechend bestimmt sich auch die
Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen des Gemeinschuldners
zunächst ohne Rücksicht auf die Vorschriften des
Insolvenzrechts ausschließlich nach dem
Umsatzsteuerrecht.
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b) Gleichwohl ist die Umsatzsteuer, soweit sie
vor Insolvenzeröffnung begründet ist, als
Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden und, soweit sie nach
Insolvenzeröffnung begründet ist, durch einen an den
Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid geltend zu machen und
von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639 = SIS 00 12 59,
und in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705 = SIS 02 93 31, zur
Konkursordnung; vom 18.5.2010 X R 60/08, BFHE 229, 62, BFH/NV 2010,
1685 = SIS 10 22 02, zur InsO und Einkommensteuer). Die
einheitliche Umsatzsteuerschuld ist daher ggf. - aus Sicht des FA -
in eine Insolvenzforderung und eine Masseforderung aufzuteilen.
Durch die Ablehnung der beantragten Änderung des an den
Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheides zugunsten der Masse
ist der Kläger - entgegen der Auffassung des FA - ungeachtet
dessen, dass sich die für den Besteuerungszeitraum insgesamt
vom Unternehmer geschuldete Umsatzsteuer nicht ändert, i.S.
des § 40 Abs. 2 FGO beschwert.
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2. Die Voraussetzungen für eine
Berichtigung lagen - entgegen der Auffassung des Klägers -
nicht vor, so dass eine Änderung des Steuerbescheides nicht in
Betracht kommt. Denn die Änderung der Bemessungsgrundlage nach
§ 17 Abs. 1 UStG setzt für den Fall einer bereits
erfolgten Entgeltvereinnahmung die Rückzahlung des Entgelts
voraus.
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a) Hat sich die Bemessungsgrundlage für
einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
geändert, muss der Unternehmer, der diesen Umsatz
ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in
seiner im Streitjahr 2001 anzuwendenden Fassung den dafür
geschuldeten Steuerbetrag berichtigen. Diese Berichtigung ist nach
§ 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum
vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage
eingetreten ist.
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b) Mit Urteil vom 18.9.2008 V R 56/06 (BFHE
222, 162, BStBl II 2009, 250 = SIS 08 44 49, Leitsatz) hat der
Senat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung
entschieden, dass, wenn der leistende Unternehmer und der
Leistungsempfänger die vollständige oder teilweise
Rückzahlung des bereits entrichteten Entgelts vereinbaren,
sich die Bemessungsgrundlage i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG
nur insoweit mindert, als das Entgelt tatsächlich
zurückgezahlt wird, und die Berichtigung für den
Besteuerungszeitraum der Rückgewähr vorzunehmen ist.
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Diese Rechtsprechung beruht maßgeblich
darauf, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bei einer
Besteuerung nach vereinbarten Entgelten die Solleinnahme zwar
zunächst die Bemessungsgrundlage bildet, für eine
Sollbesteuerung aber kein Raum bleibt, soweit der leistende
Unternehmer das Entgelt vereinnahmt hat. Hat der Unternehmer das
„Soll“-Entgelt bereits vereinnahmt, ändert
sich die Bemessungsgrundlage nicht schon durch (bloße)
Vereinbarung einer „Entgeltsminderung“, sondern
nur durch tatsächliche Rückzahlung des vereinnahmten
Entgelts (BFH-Urteil in BFHE 222, 162, BStBl II 2009, 250 = SIS 08 44 49, unter II.3.d).
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Unerheblich ist, ob das vereinbarte Entgelt
ganz oder zum Teil vereinnahmt oder die volle oder nur teilweise
Minderung vereinbart ist. Soweit das vereinbarte Entgelt
vereinnahmt worden ist, kann die Bemessungsgrundlage nicht mehr
durch (bloße) Vereinbarung, sondern nur durch
tatsächliche Rückzahlung des (teilweise) vereinnahmten
Entgelts geändert werden.
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3. Für die in § 17 Abs. 2 Nrn. 2 und
3 UStG geregelten Fälle gelten keine Besonderheiten. Auch nach
§ 17 Abs. 2 Nrn. 2 und Nr. 3 UStG setzt die Berichtigung im
Fall einer bereits erfolgten Entgeltvereinnahmung die
Rückgewähr des Entgelts voraus.
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a) Nach § 17 Abs. 2 UStG gilt Abs. 1
dieser Vorschrift sinngemäß, wenn „für
eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt
entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht
ausgeführt worden ist“ (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG)
oder wenn „eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige
Leistung oder ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb
rückgängig gemacht worden ist“ (§ 17 Abs.
2 Nr. 3 UStG).
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b) § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG setzt schon
nach seinem Wortlaut voraus, dass ein Entgelt entrichtet worden
ist. Auch für diesen Fall liegt aus den zuvor genannten
Gründen eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach §
17 Abs. 1 UStG erst aufgrund der Rückgewähr des Entgelts
vor (s. oben II.2.). An der gegenteiligen Auffassung in dem
BFH-Urteil vom 24.8.1995 V R 55/94 (BFHE 178, 485, BStBl II 1995,
808 = SIS 95 22 35, unter II.1.) hält der Senat zu § 17
Abs. 1 UStG nicht fest (vgl. bereits BFH-Urteil vom 17.5.2001 V R
38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434 = SIS 01 13 19, unter
II.2.).
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c) Nichts anderes gilt für den in §
17 Abs. 2 Nr. 3 UStG geregelten Fall. Diese Regelung erfasst den
Fall der Rückgängigmachung der steuerpflichtigen
Leistung. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut grundsätzlich
auch anwendbar, wenn eine Leistung rückgängig gemacht
wird, für die das Entgelt bereits entrichtet worden ist. Auch
in diesem Fall entsteht der Berichtigungsanspruch im Rahmen der
sinngemäßen Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG aus den
vorstehend genannten Gründen (s. oben II.3.b) erst nach
Rückgängigmachung und Rückzahlung des Entgelts, ohne
dass der Senat abschließend zu entscheiden hat, ob auf
derartige Fallgestaltungen letztlich § 17 Abs. 2 Nr. 2 oder
Nr. 3 UStG anzuwenden ist. Soweit dem BFH-Beschluss vom 20.8.1999 V
B 74/99 (BFH/NV 2000, 243 = SIS 00 51 41, unter II.2.)
Entgegenstehendes entnommen werden kann, hält der Senat nicht
daran fest.
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4. Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Dem Kläger steht im Streitjahr kein
Berichtigungsanspruch nach § 17 UStG zu. Denn im Fall eines
bereits vereinnahmten Entgelts setzt die Berichtigung sowohl nach
§ 17 Abs. 1 UStG als auch nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG wie
auch nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG die Rückgewähr des
vereinnahmten Entgelts voraus. Von einer derartigen
Rückgewähr an die Insolvenzgläubiger ist aber auf
der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nicht
auszugehen. Sie könnte unter Berücksichtigung des
über das Vermögen der GmbH erst am 3.12.2001
eröffneten Insolvenzverfahrens nur und insoweit vorliegen, als
Gläubiger der GmbH den sich aus der Erfüllungsablehnung
nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO ergebenden Anspruch auf
Rückgewähr von Anzahlungen als Insolvenzgläubiger
geltend gemacht haben und nach Ablauf des Streitjahrs
gemäß §§ 174 ff. InsO quotal befriedigt
wurden. Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor.
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