Mutterschutz und Steuerfreiheit von Zuschlägen für fiktive Sonntagsarbeit usw.: 1. Zuschläge für tatsächlich nicht geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, die in dem nach § 11 MuSchG gezahlten Mutterschutzlohn enthalten sind, sind nicht nach § 3 b EStG steuerfrei (Bestätigung der Rechtsprechung). - 2. § 3 b EStG führt auch nicht mittelbar zu einer Diskriminierung von Frauen und begegnet deshalb keinen verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken. - Urt.; BFH 27.5.2009, VI B 69/08; SIS 09 20 84
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen
Erfolg. Es kann offen bleiben, ob der geltend gemachte
Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in einer den
gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Weise dargelegt ist.
Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche
Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die
für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche
Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig
und in einem künftigen Revisionsverfahren
klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B.
Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.10.2007 VI B
33/07, BFH/NV 2008, 44 = SIS 08 04 67; vom 12.10.2007 VI B 161/06,
BFH/NV 2008, 45 = SIS 08 04 68; vom 24.7.2008 VI B 7/08, BFH/NV
2008, 1838 = SIS 08 38 07). Eine Rechtsfrage ist nicht
klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die
Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen
Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und
Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen
(Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz
28). Nach diesem Maßstab bedarf die Frage, ob
(Schicht-)Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder
Nachtarbeit, die aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen und
nach § 11 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen
Mutter (Mutterschutzgesetz - MuSchG - ) gezahlt werden, nach §
3b des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei sind, keiner
erneuten Klärung.
a) Nach § 3b EStG sind neben dem
Grundlohn gewährte Zuschläge nur dann steuerfrei, wenn
sie für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder
Nachtarbeit gezahlt worden sind. Durch die Steuerfreiheit soll dem
Arbeitnehmer ein finanzieller Ausgleich für die besonderen
Erschwernisse und Belastungen gewährt werden, die mit dieser
Arbeit verbunden sind (BFH-Urteil vom 26.10.1984 VI R 199/80, BFHE
142, 146, BStBl II 1985, 57 = SIS 85 02 36); § 3b EStG
begünstigt das Entgelt „für“ Arbeiten
an besonders ungünstigen Zeiten (vgl. BFH-Urteil vom
28.11.1990 VI R 90/87, BFHE 163, 73, BStBl II 1991, 293 = SIS 91 06 41). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei
§ 3b EStG um eine Ausnahmevorschrift, die das
Leistungsfähigkeitsprinzip durchbricht (z.B. BFH-Urteile vom
22.11.1968 VI R 312/66, BFHE 94, 377, BStBl II 1969, 182 = SIS 69 01 16, zu § 34a EStG; vom 7.7.2005 IX R 56/04, BFH/NV 2006, 44
= SIS 06 02 48; vom 22.9.2005 IX R 55/04, BFH/NV 2006, 712 = SIS 06 14 93; vom 21.2.2006 IX R 27/05, BFH/NV 2006, 1274 = SIS 06 25 76).
Neben dem eindeutigen, mit dem Gesetzeszweck übereinstimmenden
Wortlaut des § 3b EStG ist auch dessen Ausnahmecharakter ein
Grund dafür, dass der BFH eine über den Wortlaut
hinausgehende Auslegung der Vorschrift stets abgelehnt hat. Nach
ständiger Rechtsprechung des BFH tritt die Steuerfreiheit nur
ein, wenn Zahlungen für tatsächlich geleistete Arbeit zu
den bezeichneten begünstigten Zeiten erfolgen (vgl. z.B.
BFH-Urteile in BFHE 163, 73, BStBl II 1991, 293 = SIS 91 06 41; vom
25.5.2005 IX R 72/02, BFHE 210, 113, BStBl II 2005, 725 = SIS 05 36 37; BFH-Beschluss vom 18.11.2003 VI B 123/03, BFH/NV 2004, 335 =
SIS 04 09 60; jeweils m.w.N.). Deshalb hat sich der BFH durch den
Wortlaut des § 3b EStG auch daran gehindert gesehen, die einer
werdenden Mutter nach § 11 MuSchG vom Arbeitgeber gezahlten
Zuschläge als für tatsächlich geleistete Sonntags-,
Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt anzusehen, obwohl die
Steuerpflichtige Arbeiten der vorgenannten Art tatsächlich
nicht geleistet hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 142, 146, BStBl II
1985, 57 = SIS 85 02 36).
b) Die von den Klägern und
Beschwerdeführern aufgeworfene Rechtsfrage bedarf auch im
Hinblick auf die in der Beschwerdebegründung vorgetragenen
verfassungs- und europarechtlichen Aspekte keiner erneuten
Klärung. Dies ungeachtet dessen, dass die Beschwerde
insbesondere die erforderliche Auseinandersetzung mit
verfassungsgerichtlicher und europarechtlicher Rechtsprechung (z.B.
BFH-Beschluss vom 25.8.2006 VIII B 13/06, BFH/NV 2006, 2122 = SIS 06 42 13) vermissen lässt.
Zwar bietet Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes
(GG) Schutz auch vor faktischen Benachteiligungen (vgl. hierzu und
zum folgenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5.4.2005
1 BvR 774/02, BVerfGE 113, 1, unter B.I.1., m.w.N.). Die
Verfassungsnorm zielt auf die Angleichung der
Lebensverhältnisse von Frauen und Männern. Durch die
Anfügung von Satz 2 in Art. 3 Abs. 2 GG ist ausdrücklich
klargestellt worden, dass sich das Gleichberechtigungsgebot auf die
gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. In diesem Bereich wird
die Durchsetzung der Gleichberechtigung auch durch Regelungen
gehindert, die zwar geschlechtsneutral formuliert sind, im Ergebnis
aber aufgrund natürlicher Unterschiede oder der
gesellschaftlichen Bedingungen überwiegend Frauen betreffen.
Demnach ist es nicht entscheidend, dass eine Ungleichbehandlung
unmittelbar und ausdrücklich an das Geschlecht anknüpft.
Über eine solche unmittelbare Ungleichbehandlung hinaus
erlangen für Art. 3 Abs. 2 GG die unterschiedlichen
Auswirkungen einer Regelung für Frauen und Männer
ebenfalls Bedeutung.
Auch ist nach den Absätzen 1 und 2 des in
der Beschwerdebegründung genannten Art. 141 des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft in seiner derzeit
gültigen Fassung sicherzustellen, dass Männer und Frauen
das gleiche Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit
erhalten. Die Nichtbeachtung dieses gemeinschaftsrechtlich
geregelten Diskriminierungsverbots führt nicht nur zur
Aufhebung etwa entgegenstehender gesetzlicher Regelungen, sondern
zu einem unmittelbaren Anspruch auf dessen gerichtliche
Durchsetzung (vgl. BFH-Urteil vom 5.12.2000 VII R 18/00, BFHE 193,
234, BStBl II 2001, 263 = SIS 01 05 63, unter II.2.c, m.w.N.).
Weiterhin hat die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 -
Richtlinie 76/207/EWG - (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften Nr. L 39, 40) gemäß Art. 1 Abs. 1 das
Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der
Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des
Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs,
und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die
Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter
den in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG vorgesehenen
Bedingungen verwirklicht wird. In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie
76/207/EWG ist geregelt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung
beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung
auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den
Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf. Auch liegt nach
ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) eine mittelbare
Diskriminierung vor, wenn die Anwendung einer nationalen
Maßnahme, die zwar neutral formuliert ist, tatsächlich
wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt (vgl. z.B.
EuGH-Urteil vom 2.10.1997 Rs. C-100/95, Slg. 1997, I-5289 = SIS 98 14 08, m.w.N.).
Weder nach den genannten
verfassungsrechtlichen Maßstäben noch nach primärem
oder sekundärem Gemeinschaftsrecht ist es jedoch geboten, die
Steuerfreiheit des § 3b EStG über dessen Wortlaut hinaus
auf nach § 11 MuSchG weiter zu gewährendes Arbeitsentgelt
zu erstrecken, das zwar ursprünglich als Zuschlag für
Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit geleistet worden ist, das
aufgrund eines Beschäftigungsverbots nach § 8 MuSchG aber
nicht mehr für eine tatsächlich geleistete, nach §
3b EStG begünstigte Arbeit gezahlt wird. Denn als Ausnahme vom
Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen
Leistungsfähigkeit entfaltet § 3b EStG grundsätzlich
gleichheitswidrige Wirkung gegenüber allen Arbeitnehmern,
deren vergleichbar hoher Arbeitslohn keiner Steuerbegünstigung
unterliegt. Dies kann sachlich nur mit einem Ausgleich für
tatsächliche Arbeiten zu besonders ungünstigen Zeiten
gerechtfertigt werden. Eine unzulässige geschlechtsspezifische
Differenzierung ist (auch) der Wirkungsweise des § 3b EStG
nicht zu entnehmen. Die Norm versagt nicht nur werdenden
Müttern, die den Regelungen des Mutterschutzgesetzes
unterfallen, eine Steuerbegünstigung, sondern allen
Arbeitnehmern, die aus unterschiedlichsten, in ihrer Person oder in
der Sphäre ihres Arbeitgebers liegenden Gründen nach
§ 3b EStG begünstigte Arbeiten nicht leisten können
oder dürfen. Dabei führt die Anwendung des § 3b EStG
nicht dazu, dass Männer und Frauen ein unterschiedlich hohes
(Netto-)Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit erhalten,
denn das maßgebliche Differenzierungskriterium der Norm liegt
gerade in der Art der geleisteten Tätigkeit. Dass hierbei
faktisch gerade Frauen in besonderer Weise benachteiligt
würden, ist nicht ersichtlich, denn der Ausschluss der
Steuerfreiheit betrifft keine besonders
„frauenspezifischen“ Arbeitsbereiche und
Tätigkeiten. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass
die in der Richtlinie 76/207/EWG insbesondere in Bezug auf
Berufszugang und Arbeitsbedingungen geregelten
Diskriminierungsverbote vom Regelungsbereich des § 3b EStG
unmittelbar oder mittelbar betroffen sind.
c) Der erkennende Senat hält weiterhin
daran fest, dass § 3b EStG auch nicht gegen Art. 6 Abs. 4 GG
verstößt (BFH-Urteil in BFHE 142, 146, BStBl II 1985, 57
= SIS 85 02 36).
2. Von einer weiteren Begründung wird
gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz FGO
abgesehen.