Änderung bei widerstreitenden Steuerfestsetzungen, zeitlicher Rahmen: 1. Hat ein Steuerpflichtiger wegen unzutreffender Aufteilung des Gewinns Einspruch nur für das Vorjahr eingelegt, beantragt er damit nicht zugleich konkludent, die Einkommensteuer für das Folgejahr heraufzusetzen. - 2. § 127 AO ist auf die Korrekturvorschrift des § 174 Abs. 4 AO nicht anwendbar. - 3. Für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheides nach § 174 Abs. 4 AO reicht es (aber) aus, wenn die Voraussetzungen für die Änderung, insbesondere die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen, bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den (auf § 174 Abs. 4 AO gestützten) Änderungsbescheid vorliegen. - Urt.; BFH 24.4.2008, IV R 50/06; SIS 08 31 44
I. Streitig ist, ob der angefochtene
Änderungsbescheid rechtmäßig (geworden) ist, weil
ein das Vorjahr betreffender Einspruch zugleich als Antrag nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO)
auszulegen war oder weil nachträglich die Voraussetzungen des
§ 174 Abs. 4 AO eingetreten sind.
Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte
Eheleute. Der Kläger erzielte in den Jahren 1992 und 1993
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Den Betrieb hatten
ihm seine Eltern unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen.
Spätestens ab dem Wirtschaftsjahr 1991/92 zahlte der
Kläger die für die nießbrauchsbelasteten
Grundstücke an die Eltern zu zahlende Pacht nicht mehr,
behandelte sie jedoch weiter als Aufwand und wies in entsprechender
Höhe Verbindlichkeiten in der Bilanz aus. Aufgrund einer
Umstrukturierung des landwirtschaftlichen Betriebs zum
Gemüsebaubetrieb bestimmte der Kläger ab 1993
(Streitjahr) das Kalenderjahr zum Wirtschaftsjahr.
Nach einer Betriebsprüfung erkannte
der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die
Pacht ab dem Wirtschaftsjahr 1991/92 nicht mehr als Aufwand an.
Für das Wirtschaftsjahr 1991/92 ergab sich ein Gewinn von
894.238 DM, der zur Hälfte (447.119 DM) im Jahr 1992 angesetzt
wurde. Der Prüfer ermittelte den Gewinn aus Land- und
Forstwirtschaft im Zeitraum vom 1.7.1992 bis 31.12.1993 in der
Weise, dass er ein Wirtschaftsjahr vom 1.7.1992 bis zum 30.6.1993
und ein Rumpfwirtschaftsjahr vom 1.7.1993 bis zum 31.12.1993
bildete. Das FA erfasste den Gewinn des Wirtschaftsjahres 1992/93
(486.823 DM) jeweils zur Hälfte in den
Einkommensteuerbescheiden für 1992 und 1993 und
berücksichtigte den Verlust des Rumpfwirtschaftsjahres (./.
237.098 DM) in voller Höhe im Bescheid für das Streitjahr
(1993). Auf diese Weise ergaben sich für 1992 Einkünfte
aus Land- und Forstwirtschaft von 690.531 DM und für das
Streitjahr solche von 6.313 DM.
Das FA setzte dem entsprechend die
Einkommensteuer für das Streitjahr mit Bescheid vom 27.3.1998
auf 0 DM herab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung
auf.
Die Kläger legten gegen die
Einkommensteuerbescheide für 1991 und 1992 (ebenfalls vom
27.3.1998) Einspruch ein und machten geltend, dass der Pachtvertrag
weiterhin anzuerkennen sei. Außerdem entspreche die vom FA
vorgenommene Aufteilung des Gewinns für den Zeitraum vom
1.7.1992 bis 31.12.1993 nicht der Regelung des § 8c Abs. 2 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV). Der
Gesamtgewinn dieses Zeitraums sei danach in Höhe von 6/18 im
Kalenderjahr 1992 und in Höhe von 12/18 im Streitjahr zu
berücksichtigen.
Das FA änderte daraufhin zunächst
mit Bescheid vom 8.5.1998 die Steuerfestsetzung für das
Streitjahr zu Lasten der Kläger, indem es den Gewinn des
Zeitraums vom 1.7.1992 bis 31.12.1993 unter Einschluss des
Verlustes für den Zeitraum vom 1.7.1993 bis 31.12.1993
(saldiert 249.725 DM) nunmehr zu 12/18 (166.483 DM) im Streitjahr
(1993) berücksichtigte. Die Änderung begründete es
mit § 129 AO. Später - am 18.11.1998 - änderte das
FA auch den Einkommensteuerbescheid 1992 und berücksichtigte
den Gewinn des Zeitraums vom 1.7.1992 bis 31.12.1993 in Höhe
von 6/18 (83.242 DM) im Jahr 1992, so dass die Einkünfte unter
Einbeziehung des hälftigen Gewinns des Wirtschaftsjahres
1991/92 (447.119 DM) auf 530.361 DM sanken.
Den Einspruch gegen den
Änderungsbescheid für das Streitjahr wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 8.3.2001 zurück. Die Änderung
sei zwar nicht nach § 129 AO, hingegen aber nach § 174
Abs. 4 AO statthaft. Die Bezeichnung der falschen
Änderungsvorschrift sei unerheblich.
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA sei
gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu der
Änderung berechtigt gewesen. Denn es habe der Sache nach einem
Antrag der Kläger entsprochen. Diese hätten zwar nicht
ausdrücklich beantragt, die Festsetzung für das
Streitjahr zu ändern. Der Einspruch für die Jahre 1991
und 1992 enthalte jedoch einen konkludenten Änderungsantrag,
weil die Kläger eine abweichende Aufteilung der Einkünfte
des Zeitraums vom 1.7.1992 bis 31.12.1993 beantragt hätten.
Das ergebe sich daraus, dass eine Änderung des
Steuerbescheides für das Streitjahr im Anschluss an die
beantragte Änderung für das Jahr 1992 nach § 174
Abs. 4 AO ohnehin zulässig gewesen wäre und sich
insgesamt eine niedrigere Steuerfestsetzung ergebe. Dass in dem
Einspruchsschreiben lediglich die Jahre 1991 und 1992 angesprochen
worden seien, folge daraus, dass lediglich für diese beiden
Jahre Einspruch eingelegt worden sei, während für das
Streitjahr wegen der Steuerfestsetzung auf 0 DM ein Einspruch nicht
in Frage gekommen sei.
Überdies folge die
Änderungsbefugnis auch aus § 174 Abs. 4 AO. Zwar
könne nach dem Gesetzeswortlaut eine Änderung nur
„nachträglich“ erfolgen, sodass im Zeitpunkt des
Erlasses des Änderungsbescheides die Änderungsbefugnis
nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO noch nicht gegeben gewesen sei.
Der ursprünglich rechtswidrige Bescheid sei jedoch
nachträglich in dem Zeitpunkt rechtmäßig geworden,
ab dem die Änderungsvoraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz
1 AO erfüllt gewesen seien, nämlich ab Änderung des
Bescheides für 1992 am 18.11.1998. Das folge aus § 127
AO. Danach könne die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nicht
allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von
Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen sei, wenn
keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden
können. Auch die §§ 172 ff. AO seien als
Vorschriften über das Verfahren i.S. des § 127 AO
anzusehen. Entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung (FG
Düsseldorf, Urteil vom 13.1.1999 7 K 7/95 E, EFG 1999, 638;
Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, §
127 AO Rz 6; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 127
Rz 10) komme es im Rahmen der Voraussetzungen des § 127 AO
nicht auf den Charakter der Vorschriften an, sondern darauf, ob
eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden
können. Überdies stehe diese Ansicht bezüglich des
Merkmals „nachträglich“ in § 174 Abs. 4 Satz
1 AO im Widerspruch zu der Entscheidung des Großen Senats des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.11.1997 GrS 1/96 (BFHE 184, 1, BStBl
II 1998, 83, 85 = SIS 98 05 48), der ausdrücklich von einer
„verfahrensmäßigen Abfolge“ spreche und
damit verdeutliche, dass es sich um eine Regelung des
Verfahrensrechts handele. Zwar sei es danach unzulässig, durch
die Änderung eines Bescheides einen Widerstreit zu erzeugen,
um so die Möglichkeit für die Änderung eines
bestandskräftigen Bescheides für ein anderes Jahr zu
eröffnen. So lägen die Verhältnisse im Streitfall
jedoch nicht, weil die Änderung für 1992 wegen des
Einspruchs möglich gewesen sei.
Mit der Revision wenden sich die
Kläger gegen die Auslegung ihres Einspruchs gegen den
Einkommensteuerbescheid 1992 als Antrag auf Änderung (auch)
des Einkommensteuerbescheides für das Streitjahr (1993). Schon
der Beweis des ersten Anscheins spreche dafür, dass die
Kläger mit ihren insoweit eindeutigen Anträgen für
die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 keine Änderung
für das Streitjahr begehrt haben könnten. Zudem sei zu
berücksichtigen, dass sie sich durch eine rechtskundige
Steuerberaterin hätten vertreten lassen, so dass davon
auszugehen sei, dass der Wortlaut des Antrags ihr Begehren
zutreffend wiedergegeben habe.
Die Auffassung des FG, dass es ins Belieben
der Finanzbehörde gestellt sei, in welcher zeitlichen
Reihenfolge innerhalb der Festsetzungsverjährung die
Änderungen erfolgten, soweit eine materiell richtige Regelung
getroffen werde, widerspreche der ausdrücklichen gesetzlichen
Formulierung, die nur eine nachträgliche Änderung
zulasse. Soweit eine Änderungsvorschrift nicht
einschlägig sei, könne ein Steuerbescheid nicht
geändert werden, losgelöst davon, ob durch die
Änderung eine materiell-rechtlich zutreffende
Steuerfestsetzung vorgenommen werden könne oder nicht. Fehle
es an einer Änderungsbefugnis, sei die Bestandskraft aus
Gründen der Rechtssicherheit immer vorrangig.
Die Kläger beantragen, das Urteil des
FG Köln vom 25.5.2005 14 K 2275/01 = SIS 07 01 82 und den
Einkommensteuerbescheid vom 8.5.1998 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 8.3.2001 dahingehend abzuändern,
dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von
Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von
6.313 DM auf 0 DM festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Fallgestaltungen, in denen die
Finanzrechtsprechung die Anwendung des § 174 AO verneint
hätte, lägen nicht vor. Weder sei mit einem
rechtsfehlerhaften Bescheid eine Konkurrenzlage des § 174 Abs.
4 AO geschaffen worden, um eine Berichtigung durchführen zu
können (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 184,
1, BStBl II 1998, 83 = SIS 98 05 48) noch sei bis zum Zeitpunkt des
Ergehens der Einspruchsentscheidung Festsetzungsverjährung
eingetreten (FG Düsseldorf, Urteil in EFG 1999, 638). Deshalb
sei der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzung der Vorrang
vor der verfahrensrechtlich zutreffenden Anwendung einer
Änderungsvorschrift einzuräumen. Jedenfalls aber sei eine
Änderungsmöglichkeit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a AO gegeben. Wenn bei einem einheitlichen Gesamtgewinn von
einer Änderung des Gewinnanteils eines Jahres
zwangsläufig auch der Gewinnanteil des anderen Jahres
betroffen sei, könne es nicht von der Formulierung des Antrags
abhängen, die Änderung auf ein Kalenderjahr zu
beschränken.
II. Die Revision ist nicht begründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der angefochtene
Änderungsbescheid konnte zwar weder auf § 172 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 Buchst. a AO gestützt werden (dazu unter 1.), noch ist
§ 127 AO auf die Korrekturvorschriften nach §§ 172
ff. AO anwendbar (dazu unter 2.). Die Rechtmäßigkeit
folgt jedoch aus § 174 Abs. 4 AO, weil die Voraussetzungen
für eine Änderung nach dieser Vorschrift bis zum Erlass
der Einspruchsentscheidung eingetreten sind (dazu unter 3.).
1. Der bestandskräftige
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr durfte nicht nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO geändert
werden.
a) Nach dieser Vorschrift darf ein
Steuerbescheid zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert
werden, soweit dieser zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach
entsprochen wird. Antrag bedeutet das Begehren des
Steuerpflichtigen, den Steuerbescheid aufzuheben oder in bestimmter
Weise zu ändern (von Wedelstädt in Beermann/Gosch,
a.a.O., § 172 Rz 35). Aus dem Antrag muss sich der Aufhebungs-
oder Änderungsrahmen ergeben (BFH-Urteil vom 27.10.1993 XI R
17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439 = SIS 94 04 52, unter
II.3.a der Gründe, zur Änderung zu Gunsten des
Steuerpflichtigen). Der Antrag ist nicht formgebunden (BFH-Urteil
vom 30.10.2001 VIII R 29/00, BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223 =
SIS 02 02 12, unter II.2. der Gründe); er kann auch konkludent
erklärt werden (BFH-Urteil vom 14.11.1989 VIII R 270/84,
BFH/NV 1990, 776, unter 1. der Gründe).
b) Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an
die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil
gebunden, soweit dagegen nicht zulässige und begründete
Rügen vorgebracht sind. Unter diese Bindung fallen auch
Würdigungen tatsächlicher Art (Seer in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 118 FGO Rz 64). Die Auslegung von
Willenserklärungen obliegt danach grundsätzlich dem FG
als Tatsacheninstanz. Sie ist jedoch darauf zu
überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln
(§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - )
beachtet sind und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze
verstoßen wurde (vgl. BFH-Urteile vom 3.8.2005 I R 94/03,
BFHE 210, 398, BStBl II 2006, 20 = SIS 05 45 92, und vom 20.9.2000
II R 65/98, BFH/NV 2001, 732 = SIS 01 65 26; BFH-Beschluss vom
28.11.2001 I B 71/00, BFH/NV 2002, 523 = SIS 02 58 64; Beermann in
Beermann/Gosch, FGO § 118 Rz 23; Seer in Tipke/ Kruse, a.a.O.,
§ 118 FGO Rz 69 ff.).
c) Entgegen der Auffassung des FG lagen danach
die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 172
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht vor. Denn die Kläger
haben einen Antrag, den bestandskräftigen
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu ändern,
weder ausdrücklich noch konkludent oder stillschweigend
gestellt.
aa) Einspruch hatten die Kläger wegen der
unzutreffenden Aufteilung des Gewinns nur für das Vorjahr
eingelegt, für das sich daraus eine zu hohe Einkommensteuer
ergeben hatte. Für das Streitjahr fehlte es wegen der
Einkommensteuerfestsetzung auf 0 DM an einer Beschwer. Dem
entsprechend haben die Kläger ausdrücklich
Änderungen nur für die Einkommensteuerbescheide 1991 und
1992 beantragt, wie das FG festgestellt hat. Zwar ergab sich aus
einer zutreffenden Gewinnaufteilung die Konsequenz, dass auf das
Streitjahr ein höherer Gewinn entfallen musste. Daraus
lässt sich für sich gesehen jedoch nicht darauf
schließen, die Kläger hätten mit ihrem das Vorjahr
betreffenden Einspruch konkludent zugleich eine Heraufsetzung der
Einkommensteuer für das Streitjahr (als Folgejahr) beantragt.
Denn es ist - wie die Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4
AO zeigt - grundsätzlich Sache des FA, die entsprechenden
Konsequenzen zu ziehen. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür,
dass die Kläger dem FA eine zusätzliche
Änderungsmöglichkeit einräumen wollten. Auch das FA
hat den Einspruch nicht so verstanden, wie sich aus der
Begründung des angefochtenen Bescheides mit § 129 AO
ergibt.
bb) Der Hinweis des FG, die zutreffende
Gewinnaufteilung hätte - auch unter Berücksichtigung der
höheren Einkommensteuer für das Streitjahr - insgesamt zu
einer niedrigeren Steuerbelastung geführt, rechtfertigt seine
Auslegung ebenfalls nicht. Zwar lässt dieser Gesichtspunkt die
Einspruchseinlegung für die Vorjahre auch unter
Berücksichtigung der (möglichen) Konsequenzen für
das Streitjahr als sinnvoll erscheinen. Für die weiter gehende
Annahme, dass die Kläger deshalb zugleich konkludent selbst
eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung im Streitjahr zu
ihren Lasten beantragt hätten, ergibt sich daraus jedoch
nichts.
cc) Die Auslegung des FG, die Kläger
hätten mit ihrem Einspruch für die Vorjahre zugleich
einen konkludenten Antrag auf schlichte Änderung nach §
172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO für das Streitjahr
gestellt, widerspricht danach Denkgesetzen und
Erfahrungssätzen. Der Senat ist somit nicht daran
gebunden.
2. § 127 AO ist - entgegen der Auffassung
des FG - vorliegend weder unmittelbar noch analog anwendbar.
a) Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung
eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO nichtig ist,
nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung
von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die
örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine
andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden
können. Verfahrens- und Formfehler sollen nicht Anlass zur
Aufhebung eines Verwaltungsaktes sein, wenn sie die Entscheidung in
der Sache nicht beeinflusst haben (von Wedelstädt in
Beermann/Gosch, AO § 127 Rz 2). Dem liegt die Erwägung zu
Grunde, dass der Steuerpflichtige allein durch die Verletzung
solcher Vorschriften nicht beschwert ist, wenn sich die
Entscheidung als sachlich richtig erweist; § 127 AO dient
somit der Prozessökonomie (BFH-Urteil vom 13.12.2001 III R
13/00, BFHE 197, 12, BStBl II 2002, 406 = SIS 02 04 64, unter II.2.
der Gründe).
b) Nach allgemeiner Ansicht ist § 127 AO
auf die Verfahrensvorschriften zur Korrektur von Verwaltungsakten
(§§ 130 f., §§ 172 ff. AO) nicht anwendbar
(Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 127 AO Rz 6; Frotscher in
Schwarz, AO, § 127 Rz 4; von Wedelstädt in
Beermann/Gosch, AO § 127 Rz 10; Pahlke/Koenig/ Pahlke,
Abgabenordnung § 127 Rz 12). Denn diese Vorschriften regeln
nicht, wie beim Erlass eines Verwaltungsaktes zu verfahren ist,
sondern ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsakt
erlassen oder geändert werden kann. Wird ein Steuerbescheid
erlassen, obwohl die Voraussetzungen nicht erfüllt sind,
hätte eine andere Entscheidung ergehen können und
müssen (Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 127 Rz 4).
Soweit sich das FG zur Stützung seiner
Auffassung darauf beruft, dass der Große Senat des BFH im
Beschluss in BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83 = SIS 98 05 48 die
Formulierung einer „verfahrensmäßigen
Abfolge“ verwendet hat, erlaubt dies wegen des anderen
Regelungszusammenhangs nicht den Rückschluss, es handele sich
insoweit um Verfahrensvorschriften i.S. des § 127 AO. Denn es
geht dabei erkennbar um die inhaltlichen Voraussetzungen einer
Änderung nach § 174 Abs. 4 AO, nicht um bloße
Formvorschriften.
§ 127 AO kann somit nicht schon für
sich gesehen den Erlass eines Änderungsbescheides nach §
174 Abs. 4 AO rechtfertigen, wenn es aufgrund eines Rechtsbehelfs
oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen noch nicht zur
Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zu seinen
Gunsten gekommen ist, auch wenn diese Voraussetzung später
eingetreten ist.
c) Eine analoge Anwendung des § 127 AO
auf die §§ 172 ff. AO kommt nicht in Betracht (Rozek in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, - HHSp -, § 127 AO Rz 13; vgl.
auch Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 127 Rz 1). Zum einen ist
§ 127 AO eine Ausnahmevorschrift, weil danach der Betroffene
die Aufhebung eines Verwaltungsaktes trotz dessen Rechtswidrigkeit
nicht verlangen kann.
Zum anderen betreffen die
Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO die
Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Bestandskraft. Es
handelt sich daher ebenfalls um Vorschriften, für die ihrer
Zielrichtung entsprechend eine erweiternde Auslegung durch analoge
Anwendung des § 127 AO nicht in Betracht kommt (von Groll in
HHSp, § 172 AO Rz 186 f.; vgl. zur Anwendung des § 127 AO
bei der Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169
Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO das BFH-Urteil in BFHE 197, 12, BStBl II
2002, 406 = SIS 02 04 64). Denn es ist gerade Zweck dieser
Vorschriften, das Spannungsverhältnis zwischen der materiellen
Richtigkeit der Steuerfestsetzung auf der einen Seite und den
Prinzipien des Vertrauensschutzes sowie der Rechtssicherheit auf
der anderen Seite zu regeln (vgl. von Groll in HHSp, Vor
§§ 172 bis 177 AO Rz 1 ff.; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O.,
Vor § 172 AO Rz 2 ff.). Damit lässt es sich - entgegen
der Auffassung des FA - nicht vereinbaren, der materiellen
Richtigkeit der Steuerfestsetzung über den gesetzlich
geregelten Rahmen hinaus den Vorrang vor der verfahrensrechtlich
zutreffenden Anwendung einer Änderungsvorschrift
einzuräumen.
3. Die Befugnis zum Erlass des angefochtenen
Änderungsbescheides ergab sich jedoch aus § 174 Abs. 4
AO.
a) Ist aufgrund irriger Beurteilung eines
bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund
eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu
seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können
nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt
nachträglich durch Erlass oder Änderung eines
Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen
werden. Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zugunsten des
Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung; derjenige, der
erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch
die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (BFH-Urteil vom 10.3.1999
XI R 28/98, BFHE 188, 409, BStBl II 1999, 475 = SIS 99 13 47, unter
II.2. der Gründe; Anwendungserlass zur Abgabenordnung - AEAO -
zu § 174 AO Nr. 5). Wie der Große Senat des BFH
entschieden hat, regelt die Vorschrift die verfahrensrechtlichen
(inhaltlichen) Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder
Änderung eines Steuerbescheides auf Antrag des
Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten. Diese Aufhebung oder
Änderung löst sodann -
„nachträglich“ - die Rechtsfolge des §
174 Abs. 4 AO aus, dass ein anderer Bescheid erlassen oder
geändert werden kann. Die Vorschrift zieht somit die
verfahrensrechtliche Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid
nunmehr eine „widerstreitende Steuerfestsetzung“
enthält, wie sie das Gesetz nach seiner amtlichen
Überschrift zu § 174 AO voraussetzt (Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83 = SIS 98 05 48, unter C.II.1. der Gründe; im Ergebnis gl.A. Urteile
des FG Düsseldorf in EFG 1999, 638; vom 30.10.2003 15 K
7289/00 F, EFG 2004, 160 = SIS 04 06 78; Loose in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 174 AO Rz 48).
b) Die Voraussetzungen für eine
Änderung nach § 174 Abs. 4 AO lagen danach zwar zu dem
Zeitpunkt noch nicht vor, als der vorliegend angefochtene
Änderungsbescheid erlassen wurde. Denn den (anderen)
Änderungsbescheid, mit dem das FA dem dagegen erhobenen
Einspruch (teilweise) abgeholfen hat, erließ es erst mehr als
ein halbes Jahr später. Bei Erlass des vorliegend
angefochtenen Änderungsbescheides bestand daher noch kein
Widerstreit, der Anlass für die Änderung sein konnte.
c) Die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Änderungsbescheides ergibt sich jedoch daraus,
dass die (hier maßgebende) Einspruchsentscheidung zu einem
Zeitpunkt ergangen ist, zu dem die Voraussetzungen für eine
Änderung nach § 174 Abs. 4 AO vorgelegen hätten
(ebenso BFH-Urteil vom 12.12.2000 VIII R 12/00, BFHE 193, 505,
BStBl II 2001, 218 = SIS 01 05 79, zu § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO).
aa) Der angefochtene Bescheid wurde vorliegend
- anders als in den vom FG Düsseldorf in EFG 1999, 638 und in
EFG 2004, 160 = SIS 04 06 78 entschiedenen Fällen - innerhalb
der Festsetzungsfrist erlassen. Die Steuererklärung für
das Streitjahr reichten die Kläger im Jahr 1994 ein. Die
vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr.
2 AO endete daher mit Ablauf des Jahres 1998 (§ 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO). Der angefochtene Änderungsbescheid erging am
8.5.1998. Da die Kläger dagegen Einspruch eingelegt haben,
wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3a AO
gehemmt. Die Einspruchsentscheidung ist daher ebenfalls vor Ablauf
der Festsetzungsfrist ergangen.
bb) Bei Erlass der Einspruchsentscheidung am
8.3.2001 lagen die Voraussetzungen für die Änderung nach
§ 174 Abs. 4 AO vor, nachdem der Änderungsbescheid
für das Vorjahr auf Grund des dagegen gerichteten Einspruchs
am 18.11.1998 ergangen war. Dass bis zum 8.3.2001 die reguläre
Festsetzungsfrist und die Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3
AO abgelaufen gewesen wären, ist unbeachtlich, wie sich aus
dem Zweck der Festsetzungsverjährung ergibt (vgl. dazu
BFH-Urteil in BFHE 193, 505, BStBl II 2001, 218 = SIS 01 05 79,
unter 2.b bb der Gründe).
cc) Der Mangel des ursprünglichen
Änderungsbescheides (vom 8.5.1998) konnte danach durch die
Einspruchsentscheidung geheilt werden. Denn für die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist grundsätzlich auf den
Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, vorliegend also
der Einspruchsentscheidung abzustellen (vgl. Lange in HHSp, §
100 FGO Rz 39, m.w.N.; Eyermann/Schmidt,
Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., § 113 Rz 45; Tipke in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 100 FGO Rz 6 ff.). Das folgt aus §
367 Abs. 2 Satz 1 AO; danach hat die Finanzbehörde, die
über den Einspruch entscheidet, die Sache in vollem Umfang neu
zu prüfen. Dem entsprechend ist gemäß § 44
Abs. 2 FGO Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch
die Entscheidung über den außergerichtlichen
Rechtsbehelf gefunden hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 193, 505, BStBl
II 2001, 218 = SIS 01 05 79, unter 2.b bb der Gründe).
Entsprechendes muss daher auch für die Frage gelten, ob die
Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 Abs. 4
AO vorliegen.