Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 09.02.2018 -
13 K 89/17 = SIS 19 10 76
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) erbte von ihrem
Großvater im Jahr 1942 erhebliches, in der Nähe von
X-Stadt belegenes Grundvermögen. Hierzu gehörten u.a. die
streitbefangenen Flurstücke …1, …2, …3,
die im Besitzstandsbogen für das landwirtschaftliche
Vermögen zum 01.01.1964 als landwirtschaftliche
Nutzfläche (Ackerland) gekennzeichnet und als Betrieb der
Land- und Forstwirtschaft (Stückländerei) bewertet
waren.
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Mit notariellem Vertrag vom xx.xx.2007
veräußerte die Klägerin die drei vorgenannten
Flurstücke für einen Gesamtkaufpreis in Höhe von
… EUR.
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In der Einkommensteuererklärung
für 2007 erklärte sie Einkünfte aus ihrem
Forstbetrieb sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
aus „Stückländereien,
Erbbauzins“ in Höhe von … EUR.
Steuerliche Folgen aus der Veräußerung der
Flurstücke zog sie nicht.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) veranlagte die Klägerin für 2007
erklärungsgemäß.
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Für das Streitjahr (2008) reichte sie
die Einkommensteuererklärung am 26.11.2009 beim FA ein. Das FA
veranlagte die Klägerin mit Einkommensteuerbescheid vom
12.04.2010 ebenfalls erklärungsgemäß.
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Im Anschluss an eine
Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass die von
der Klägerin veräußerten Flurstücke bis zur
Veräußerung im Jahr 2007 zum landwirtschaftlichen
Betriebsvermögen der Klägerin gehört hätten und
erfasste mit geändertem Einkommensteuerbescheid für 2007
einen Veräußerungsgewinn (bei einem gemäß
§ 55 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ermittelten Buchwert
von … EUR) in Höhe von … EUR bei den
Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft.
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Die Klägerin erhob hiergegen Einspruch
und beantragte in der Folge beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der
Vollziehung (AdV) des angefochtenen Änderungsbescheids
2007.
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Der AdV-Antrag hatte teilweise Erfolg. Das
FG entschied mit Beschluss vom 15.08.2014, dass der
Veräußerungsgewinn gemäß § 4a EStG je
zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern
sei.
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Daraufhin erließ das FA unter dem
15.09.2014 einen nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO)
geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in
dem es den streitigen Veräußerungsgewinn zur Hälfte
bei den Einkünften der Klägerin aus Land- und
Forstwirtschaft ansetzte. Anschließend - mit Bescheid vom
17.09.2014 - berichtigte es die Einkommensteuerfestsetzung für
2007 zugunsten der Klägerin entsprechend.
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Die gegen die Änderungsbescheide
für 2007 und für das Streitjahr eingelegten
Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidungen vom
18.11.2016 (für 2007) und vom 13.12.2016 (für das
Streitjahr) zurück.
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Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene
Klage wegen Einkommensteuer 2007 war erfolglos. Die dagegen
gerichtete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der
Senat als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Klage wegen Einkommensteuer für
das Streitjahr wies das FG ebenfalls ab (EFG 2019, 1255 =
SIS 19 10 76). Das FA habe die
angefochtene Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 AO
ändern dürfen. Es sei unschädlich, dass das FA
abweichend von der im Gesetz angelegten Reihenfolge den
Änderungsbescheid für das Streitjahr schon vor der
Änderung des Bescheids für 2007 erlassen habe. Denn nach
der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) reiche es aus, wenn -
wie im Streitfall - die Aufhebung oder Änderung des
Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen (hier für
2007) vor Erlass der Einspruchsentscheidung über den Einspruch
gegen den angefochtenen (auf § 174 Abs. 4 AO gestützten)
Änderungsbescheid (hier für das Streitjahr) erfolgt sei.
Der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist für das
Streitjahr mit Ablauf des Jahres 2013 stehe der Änderung des
Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr nicht entgegen.
Denn nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO sei der Ablauf der
Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgen
innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des
fehlerhaften Steuerbescheids gezogen würden. Entsprechendes
müsse gelten, wenn - wie im Streitfall - die steuerlichen
Folgerungen schon zwei Tage vor der Änderung des fehlerhaften
Steuerbescheids gezogen worden seien. Deshalb könne
dahinstehen, ob die Festsetzungsfrist im Streitfall
gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO fünf
Jahre betrage. Ebenfalls zu Recht sei das FA davon ausgegangen,
dass die Klägerin durch die Veräußerung der
streitbefangenen Flurstücke einen nach § 13 EStG
steuerbaren Gewinn erzielt habe.
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Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung formellen und materiellen
Rechts.
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Sie beantragt,
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das Urteil des FG Baden-Württemberg
vom 09.02.2018 - 13 K 89/17 und die Einspruchsentscheidung des FA
vom 13.12.2016 aufzuheben sowie den
Einkommensteueränderungsbescheid für 2008 vom 15.09.2014
dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Land-
und Forstwirtschaft kein Gewinn aus der Veräußerung der
streitbefangenen Flurstücke angesetzt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Unrecht entschieden,
dass das FA zur Änderung des angefochtenen
Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr befugt war, obwohl
zum Zeitpunkt der Änderung die reguläre vierjährige
Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Die Sache ist aber nicht
entscheidungsreif. Denn das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu
Recht - keine Feststellungen dazu getroffen, ob im Streitfall von
einer gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO
verlängerten (fünfjährigen) Festsetzungsfrist
auszugehen ist. Diese Feststellungen wird das FG im zweiten
Rechtsgang nachzuholen haben.
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1. a) Ist aufgrund irriger Beurteilung eines
bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund
eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen
durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder
geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO
aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder
Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen
Folgerungen gezogen werden. Die Regelung bezweckt den Ausgleich
einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung.
Derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten
hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen. Die
Vorschrift zieht die verfahrensrechtlichen (inhaltlichen)
Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines
Steuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten.
Diese Aufhebung oder Änderung löst sodann -
„nachträglich“ - die
Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, dass ein anderer Bescheid
erlassen oder geändert werden kann (BFH-Urteil vom 24.04.2008
- IV R 50/06, BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35 = SIS 08 31 44,
m.w.N.).
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b) Ein auf § 174 Abs. 4 Satz 1 AO
gestützter Steuerbescheid, der erlassen wird, bevor der den
Widerstreit auslösende, fehlerhafte Steuerbescheid zugunsten
des Steuerpflichtigen geändert worden ist, ist angesichts des
eindeutigen Wortlauts der Regelung
(„nachträglich“)
rechtswidrig. Dies ist jedoch dann unbeachtlich, wenn der
fehlerhafte Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen
seinerseits bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den
auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid
aufgehoben oder geändert wird und damit zu diesem Zeitpunkt
die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO vorliegen
(BFH-Urteile in BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35 = SIS 08 31 44,
m.w.N.; vom 05.11.2009 - IV R 99/06, BFHE 228, 98, BStBl II 2010,
593 = SIS 10 06 53, und vom 16.04.2013
- IX R 22/11, BFHE 241, 136, BStBl II 2016, 432 = SIS 13 18 32; BFH-Beschluss vom 19.01.2012 - V B
58/11 = SIS 12 10 05; Loose in
Tipke/Kruse, § 174 AO Rz 48a; von Wedelstädt in Gosch, AO
§ 174 Rz 109; von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler,
§ 174 AO Rz 270; Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, §
174 AO Rz 145; BeckOK AO/Klomp, 20. Ed. [01.04.2022], AO § 174
Rz 195). Denn gemäß § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand
der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche
Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung
über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat
(BFH-Urteil in BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35 = SIS 08 31 44,
m.w.N.).
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c) Ist die Festsetzungsfrist für den
Steuerbescheid, für den gemäß § 174 Abs. 4
Satz 1 AO nunmehr die richtigen steuerlichen Folgen zu ziehen sind,
bereits abgelaufen, ist dessen Änderung nach § 174 Abs. 4
Satz 3 AO nur zulässig, wenn die steuerlichen Folgerungen
innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des
fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. Nach dem insoweit
ebenfalls eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sowie nach deren Sinn
und Zweck, die Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen von
einer vorherigen Änderung eines fehlerhaften Steuerbescheids
zu seinen Gunsten abhängig zu machen, beginnt die Jahresfrist
erst mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids, mit dem der
fehlerhafte Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird. Ein
vor diesem Zeitpunkt erlassener rechtswidriger Steuerbescheid kann
daher für die Einhaltung der Jahresfrist nicht herangezogen
werden. Auch insoweit gilt jedoch, dass der rechtswidrige
Steuerbescheid bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung in die
Rechtmäßigkeit hineinwachsen kann. Im Anwendungsbereich
des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO kommt dies jedoch nur in Betracht,
wenn die Einspruchsentscheidung innerhalb der Jahresfrist erlassen
wird. Nur dadurch wird sichergestellt, dass die vom Gesetz nur
binnen Jahresfrist akzeptierte Durchbrechung der Festsetzungsfrist
nicht verlängert wird.
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2. Das FG ist teilweise von anderen
Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher
aufzuheben. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids des
Streitjahres vom 12.04.2010 konnte - ausgehend von der
regulären vierjährigen Festsetzungsfrist - nicht auf die
vorliegend allein in Betracht kommende Änderungsvorschrift des
§ 174 Abs. 4 Sätze 1 und 3 AO gestützt werden. Denn
die steuerlichen Folgerungen aus der vorherigen Änderung des
Einkommensteuerbescheids 2007 sind nicht nachträglich
innerhalb eines Jahres nach dessen Erlass - der Bescheid datiert
vom 17.09.2014 - gezogen worden.
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a) Bereits am 17.09.2014 (die Bekanntgabe ist
vom FG nicht festgestellt) war die reguläre vierjährige
Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung des Streitjahres
abgelaufen. Sie begann mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Steuererklärung eingereicht wurde - hier 2009 - und endete
mithin mit Ablauf des Kalenderjahres 2013 (§ 169 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).
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b) Im Zeitpunkt des Erlasses des auf §
174 Abs. 4 Satz 1 AO gestützten Änderungsbescheids des
Streitjahres vom 15.09.2014 lagen die Voraussetzungen für eine
nachträgliche Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO
(noch) nicht vor. Denn der geänderte Einkommensteuerbescheid
für das Jahr 2007, der Voraussetzung für die
nachträgliche Änderung des Einkommensteuerbescheids vom
12.04.2010 ist, wurde erst unter dem 17.09.2014 erlassen. Bei
Erlass des vorliegend angefochtenen Änderungsbescheids bestand
daher noch kein Widerstreit, der Anlass für die Änderung
sein konnte.
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c) Zwar lagen bei Erlass der
Einspruchsentscheidung vom 13.12.2016 die Voraussetzungen für
die Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO vor, nachdem der
Änderungsbescheid für das Jahr 2007 vom 17.09.2014
erlassen worden war. Da die Einspruchsentscheidung aber nicht
innerhalb der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO erlassen
wurde, steht der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist einer
Änderung des Einkommensteuerbescheids des Streitjahres vom
12.04.2010 entgegen.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat
- von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen dazu
getroffen, ob die Festsetzungsfrist 2008 wegen einer
(möglichen) leichtfertigen Steuerverkürzung der
Klägerin gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3
AO fünf Jahre beträgt und der hier angefochtene
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 15.09.2014
daher noch innerhalb dieser verlängerten Festsetzungsfrist
erlassen worden ist. Dies hätte zur Folge, dass der
(zunächst) rechtswidrige Einkommensteuerbescheid vom
15.09.2014 durch den Erlass der Einspruchsentscheidung vom
13.12.2016 in die Rechtmäßigkeit hingewachsen wäre.
Unerheblich wäre in diesem Fall, dass die
Einspruchsentscheidung nicht innerhalb der Jahresfrist des §
174 Abs. 4 Satz 3 AO erlassen worden ist. Denn die
Festsetzungsfrist lief gemäß § 171 Abs. 3a AO nicht
ab, bevor über den Einspruch der Klägerin unanfechtbar
entschieden wurde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 220, 324, BStBl II 2009,
35 = SIS 08 31 44). Auf § 174 Abs. 4 Satz 3 AO käme es
daher im Streitfall nicht an. Die Sache ist daher an das FG
zurückzuverweisen, damit es die notwendigen Feststellungen
nachholen kann.
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Im Übrigen weist der Senat für den
zweiten Rechtsgang darauf hin, dass die Würdigung des FG, der
- der Höhe nach unstreitige - Gewinn aus der
Veräußerung der Flurstücke …1, …2,
…3 sei steuerbar und im Streitjahr bei den Einkünften
der Klägerin aus Land- und Forstwirtschaft zur Hälfte
anzusetzen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
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4. Nachdem die Revision bereits mit der
Sachrüge Erfolg hat, braucht der Senat über die
Verfahrensrüge der Klägerin nicht zu entscheiden. Er
hält sie zudem auch nicht für durchgreifend.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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