Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18.04.2018 - 6 K
49/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
verpflichtet ist, bestandskräftige Schätzungsbescheide
wegen Körperschaftsteuer, Gewerbesteuermessbetrag und
Umsatzsteuer für das Jahr 2015 (Streitjahr) gemäß
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO)
i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 3 AO zu ändern, und ob auch
Bescheide wegen Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer und
Solidaritätszuschlag daran anzupassen sind.
|
|
|
2
|
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH, reichte für das Streitjahr trotz
Aufforderung beim FA zunächst keine Steuererklärungen
ein. Das FA setzte deshalb mit Bescheiden vom 8.12.2016
Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag sowie
Umsatzsteuer aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen fest.
Es erließ außerdem einen Bescheid zum
Gewerbesteuermessbetrag. Darüber hinaus setzte das FA zusammen
mit dem Körperschaftsteuerbescheid Vorauszahlungen zur
Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag fest. Mit der
auf den 13.9.2017 datierten Einspruchsentscheidung wies es die
fristgerecht erhobenen, aber nicht begründeten Einsprüche
als unbegründet zurück; Anhaltspunkte, die zu einer
Änderung der angefochtenen Bescheide führen könnten,
lägen nicht vor. Eine Fristsetzung gemäß §
364b AO war zuvor nicht erfolgt.
|
|
|
3
|
Mit drei Schreiben vom 18.10.2017, die am
selben Tag beim FA eingingen, beantragte die Klägerin, den
Körperschaftsteuerbescheid, den Gewerbesteuermessbescheid und
den Umsatzsteuerbescheid gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO zu ändern und die Körperschaftsteuer
und den Gewerbesteuermessbetrag jeweils auf 0 EUR sowie die
Umsatzsteuer auf 13.536,97 EUR herabzusetzen. Zur Begründung
ihrer Änderungsanträge führte die Klägerin aus,
dass die ausstehenden Steuererklärungen mittels DATEV
elektronisch an das FA übermittelt werden würden.
|
|
|
4
|
Dem Änderungsantrag zur
Körperschaftsteuer beigefügt war eine DATEV-Berechnung
„Körperschaftsteuer 2015“ mit Angaben zu dem zu
versteuernden Einkommen und zu den nicht abziehbaren Aufwendungen
laut Anlage A der Körperschaftsteuererklärung, ebenso
eine DATEV-Berechnung zum verbleibenden Verlustvortrag zum
31.12.2015.
|
|
|
5
|
Zugleich legte die Klägerin eine
DATEV-Berechnung zur Umsatzsteuer 2015 vor. Sie enthielt bezifferte
Angaben zu den Lieferungen und sonstigen Leistungen zu 19 %
Umsatzsteuer sowie zu anderen steuerpflichtigen Leistungen. Die
abziehbaren Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen
Unternehmern und aus innergemeinschaftlichen Erwerben von
Gegenständen wurden ebenfalls beziffert. Ferner heißt es
unter der Überschrift „Ergänzende Angaben zu
Umsätzen“ zu Abschnitt F der Anlage UR der
Umsatzsteuererklärung: „[Steuerpflichtige] Umsätze
im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 2 bis 4, 5 Buchst. b, Nr. 6 bis
9 und 11 [des Umsatzsteuergesetzes] eines im Inland ansässigen
Unternehmers, für die der Leistungsempfänger die
Umsatzsteuer schuldet: ./. 6.012 EUR“.
|
|
|
6
|
Darüber hinaus fügte die
Klägerin ihrem Antrag eine DATEV-Berechnung der Gewerbesteuer
2015 bei. Diese enthält bezifferte Angaben zum Verlust
gemäß § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sowie
zu den Hinzurechnungen für Entgelte für Schulden i.S. des
§ 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG, für Miet- und Pachtzinsen
für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens
und für Miet- und Pachtzinsen für unbewegliche
Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Nach Abzug eines
Freibetrages ergab sich eine Hinzurechnung von 0 EUR; eine
Gewerbesteuerrückstellung wurde mit ./. 9.188 EUR beziffert.
Zudem hat die Klägerin zur Begründung ihres
Änderungsantrags am 18.10.2017 noch eine DATEV-Berechnung zum
Gewerbeverlust beim FA eingereicht.
|
|
|
7
|
Die Körperschaftsteuererklärung,
Gewerbesteuererklärung sowie Umsatzsteuererklärung des
Streitjahres nebst Bilanz zum 31.12.2015 (ohne Kontennachweise)
gingen beim FA in elektronischer Form am 19.10.2017 ein.
|
|
|
8
|
Darüber hinaus beantragte die
Klägerin mit Schreiben vom 19.10.2017, das beim FA am
20.10.2017 eingegangen ist, die Vorauszahlungen zur
Körperschaftsteuer, zum Solidaritätszuschlag und zur
Gewerbesteuer, jeweils für die Jahre 2016 und 2017, anzupassen
und entsprechend den eingereichten Steuererklärungen mit Blick
auf die Verlustvorträge auf jeweils 0 EUR
herabzusetzen.
|
|
|
9
|
Mit Bescheid vom 4.12.2017 lehnte das FA
die Anträge auf Änderung der Bescheide wegen
Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag
ab. Eine „schlichte“ Änderung zugunsten des
Steuerpflichtigen komme nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
a AO nur in Betracht, wenn der Antrag vor Ablauf der
Einspruchsfrist gestellt worden sei. Diese Frist habe im Streitfall
mit Ablauf des 12.1.2017 geendet. Wegen der Ablehnung der
Änderungsanträge entfalle auch die Möglichkeit, den
Anträgen auf Anpassung der Vorauszahlungen sowie zur Anpassung
des Gewerbesteuermessbetrages für Zwecke der Vorauszahlungen
zu entsprechen.
|
|
|
10
|
Der Einspruch der Klägerin, mit dem
sie geltend machte, sie habe ihre Änderungsanträge
innerhalb der Frist durch Vorlage der DATEV-Berechnungen
hinreichend konkretisiert und die Vorlage der
Steuererklärungen sei nicht notwendiger Bestandteil eines
Änderungsantrags, blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom
31.1.2018).
|
|
|
11
|
Das Niedersächsische Finanzgericht
(FG) gab der Klage mit seinem in EFG 2018, 1426
veröffentlichten Urteil vom 18.4.2018 - 6 K 49/18 teilweise
statt. Es entschied, der Ablehnungsbescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung sei rechtswidrig, soweit das FA die
Anträge auf Änderung des
Körperschaftsteuerbescheids, des Bescheids über den
Gewerbesteuermessbetrag und des Umsatzsteuerbescheids 2015, sowie
den Antrag auf Anpassung der Vorauszahlungen zur
Körperschaftsteuer ab dem Jahr 2016 abgelehnt habe. Die
Änderungsanträge seien hinreichend konkret sowie
inhaltlich hinreichend bestimmt und damit wirksam. Die Anträge
seien auch innerhalb der Klagefrist beim FA eingegangen.
|
|
|
12
|
Allerdings könne man keine
Verpflichtung des FA zur antragsgemäßen Veranlagung
aussprechen. Die Sache sei nicht spruchreif. Das FA habe sich weder
im Verwaltungsverfahren noch im Rahmen des vorliegenden
Klageverfahrens damit auseinandergesetzt, ob den Angaben der
Klägerin in ihren Steuererklärungen inhaltlich gefolgt
werden könne.
|
|
|
13
|
Auch der Antrag zu den Vorauszahlungen sei
insoweit begründet. Da auch hinsichtlich der Anpassung der
Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer keine
Ermessensreduzierung auf Null vorliege, werde das FA ebenfalls nur
verpflichtet, über den Anpassungsantrag unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
|
|
|
14
|
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a i.V.m. Satz 3 AO). Der Auffassung des FG, die Angaben in
den DATEV-Berechnungen reichten für die Wirksamkeit der
Anträge aus, könne nicht gefolgt werden. Ermöglicht
werden solle eine punktuelle Änderung, was einen Bezug zu
einem konkreten Sachverhalt voraussetze. In den DATEV-Berechnungen
würden keine konkreten Sachverhalte benannt, sondern es werde
nur ein Änderungsrahmen angegeben. Dies komme einer
Gesamtaufrollung des Verfahrens gleich, die systematisch dem
Einspruchsverfahren vorbehalten sei. Ein Antrag auf
„schlichte“ Änderung setze daher ein Mehr an
Mitwirkung und Sachverhaltsdarstellung voraus als ein Einspruch
oder eine Klage. Ob die nach Ablauf der Frist eingegangenen
Steuererklärungen den DATEV-Berechnungen entsprochen
hätten, sei ohne Bedeutung. Bei anderer Sichtweise
könnten Steuerpflichtige in Schätzungsfällen die
Einreichung von Steuererklärungen im kostenlosen Verfahren
beim FA missbräuchlich hinauszögern. Eine derartig
weitreichende Extension sei weder dem Gesetzeswortlaut noch der
Gesetzesbegründung zu entnehmen. Von der
bestandskräftigen Einspruchsentscheidung bleibe nichts
übrig, was dem Steuerpflichtigen entgegengehalten werden
könne. Er erhielte eine unangemessene Fristverlängerung
zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten.
|
|
|
15
|
Das FA beantragt sinngemäß, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
16
|
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
17
|
Sie führt aus, die
Änderungsanträge gäben nicht lediglich einen
Änderungsrahmen vor. Sie enthielten die Quintessenz der am
19.10.2017 beim FA eingegangenen Steuererklärungen. Durch den
Antrag werde ein neues Verwaltungsverfahren eingeleitet. Soweit in
der Literatur die Auffassung vertreten werde, in
Schätzungsfällen sei der Antrag durch Einreichung einer
vollständigen Steuererklärung nebst Anlagen zu
konkretisieren, ginge dies über von der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelte Grundsätze hinaus. Die
DATEV-Berechnungen seien für die nach der Rechtsprechung
erforderliche Konkretisierung ausreichend. Der Antrag auf
„schlichte“ Änderung sei formlos möglich.
Unterlagen könnten nachgereicht werden. Aus der
Gesetzesbegründung „insbesondere“ ergebe sich,
dass die Einreichung der Steuererklärung nicht ausnahmslos
Voraussetzung für einen Antrag auf „schlichte“
Änderung sei. Die Möglichkeit des § 364b AO habe das
FA nicht genutzt. Die Mehrbelastung der Finanzverwaltung sei Folge
der mit § 172 Abs. 1 Satz 3 AO bezweckten Entlastung der
Finanzgerichtsbarkeit (Hinweis auf BTDrucks 14/1514, S.
47).
|
|
|
18
|
II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme. Die Entscheidung des FG, die
Änderungsanträge vom 18.10.2017 seien hinreichend
konkret, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
|
|
|
19
|
1. Die von der Klägerin erhobene Klage
ist, wovon die Beteiligten und das FG zutreffend stillschweigend
ausgegangen sind, als Verpflichtungsklage zulässig (vgl.
allgemein z.B. BFH-Urteile vom 27.10.1993 - XI R 17/93, BFHE 172,
493, BStBl II 1994, 439 = SIS 94 04 52, unter II.2., Rz 8 ff.; vom
18.11.2008 - VIII R 24/07, BFHE 223, 398, BStBl II 2009, 518 = SIS 09 06 87, unter II.1., Rz 19).
|
|
|
20
|
2. In revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise hat das FG entschieden, dass die Anträge
der Klägerin auf „schlichte“ Änderung vom
18.10.2017 zulässig sind.
|
|
|
21
|
a) Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst.
a AO darf ein Steuerbescheid zu den hier streitigen Steuerarten,
soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert
werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der
Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des
Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist
zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die
Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft.
|
|
|
22
|
aa) Dies gilt auch dann, wenn der
Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder
geändert worden ist (§ 172 Abs. 1 Satz 2 AO).
|
|
|
23
|
bb) In den Fällen des Satzes 2 ist Satz 1
Nr. 2 Buchst. a ebenfalls anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige vor
Ablauf der Klagefrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat
(§ 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 AO). Erklärungen und
Beweismittel, die nach § 364b Abs. 2 AO in der
Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigt wurden,
dürfen hierbei nicht berücksichtigt werden (§ 172
Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AO).
|
|
|
24
|
cc) Die genannte Änderung steht zwar
grundsätzlich im Ermessen des FA (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
22.3.1988 - VII R 8/84, BFHE 152, 430, BStBl II 1988, 517 = SIS 88 11 50; vom 12.10.1994 - XI R 75/93, BFHE 176, 208, BStBl II 1995,
289 = SIS 95 07 44). Das Ermessen ist allerdings auf Null
reduziert, wenn der Tatbestand der Korrekturvorschrift erfüllt
ist (vgl. BFH-Urteil vom 11.10.2017 - IX R 2/17, BFH/NV 2018, 322 =
SIS 17 24 85, Rz 15; s.a. Steinhauff, juris PraxisReport
Steuerrecht 13/2018 Anm. 1). Eine Verpflichtung des FA zur
Änderung des Bescheids kann aber nur dann ausgesprochen
werden, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung des FG
ergeht, ein Anspruch auf die erstrebte Verpflichtung des FA besteht
(vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2018, 322 = SIS 17 24 85, Rz 20).
|
|
|
25
|
b) Wird nach Ergehen eines Steuerbescheids und
einer - den Einspruch zurückweisenden - Einspruchsentscheidung
vom Steuerpflichtigen ein formungebundener, nicht zwingend
schriftlicher (vgl. BFH-Urteile vom 10.5.2007 - III R 67/06, BFH/NV
2007, 2063 = SIS 07 35 17, unter II.2., Rz 12; vom 24.4.2008 - IV R
50/06, BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35 = SIS 08 31 44, unter
II.1.a, Rz 17; in BFHE 223, 398, BStBl II 2009, 518 = SIS 09 06 87,
unter II.1., Rz 19) Antrag auf „schlichte“
Änderung zu seinen Gunsten gestellt, muss dieser Antrag, um
wirksam zu sein, nach der Rechtsprechung des BFH innerhalb der
Klagefrist gestellt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 28.2.2007 - II B
33/06, BFH/NV 2007, 1265 = SIS 07 19 76, unter 2.a und b, Rz 4 und
5). Die Frist ist nicht verlängerbar (vgl. BFH-Urteil vom
25.9.2013 - VIII R 46/11, juris = SIS 13 35 15, Rz 28 ff.).
Außerdem ist ein bestimmter Antrag erforderlich (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439 = SIS 94 04 52,
unter II.3., Rz 12, m.w.N.; vom 21.10.1999 - I R 25/99, BFHE 190,
285, BStBl II 2000, 283 = SIS 00 06 01, unter II., Rz 7;
BFH-Beschluss vom 13.10.1994 - IV B 39/94, juris, Rz 1).
|
|
|
26
|
c) Diese Rechtsprechung hat der BFH
später dahin gehend fortentwickelt, dass sich auch das vom
Steuerpflichtigen verfolgte Änderungsbegehren seinem -
sachlichen - Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus
dem fristgerecht gestellten Antrag auf „schlichte“
Änderung selbst ergeben muss, so dass Angaben zur rein
betragsmäßigen Auswirkung der Änderung auf die
Steuerfestsetzung für die Bestimmtheit des Antrags für
sich genommen nicht ausreichend sind (grundlegend BFH-Urteil vom
20.12.2006 - X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II 2007, 503 = SIS 07 11 13, unter II.3., Rz 13, 14 ff., 23 ff.; s.a. BFH-Urteile vom
25.9.2013 - VIII R 46/11, juris = SIS 13 35 15, Rz 26; vom
18.9.2014 - VI R 80/13, BFHE 247, 111, BStBl II 2015, 115 = SIS 14 30 35, Rz 22).
|
|
|
27
|
Der Änderungsantrag setze einen Bezug zu
einem konkreten Sachverhalt voraus, der nach Ansicht des
Steuerpflichtigen in dem ursprünglichen Steuerbescheid nicht
zutreffend gewürdigt worden ist und daher nunmehr bei der
beantragten Änderung abweichend berücksichtigt werden
soll. Die betragsmäßige steuerliche Auswirkung der
Abweichung (der „Änderungsrahmen“) bilde diesen
Lebenssachverhalt lediglich reflexartig ab, ohne dabei selbst zum
Gegenstand des Änderungsantrags zu werden. Da eine § 367
Abs. 2 Satz 1 AO vergleichbare Vorschrift für das Verfahren
bei einem Antrag auf „schlichte“ Änderung fehle,
ermögliche dieser eine punktuelle Korrektur (vgl. BFH-Urteile
vom 7.7.2004 - XI R 10/03, BFHE 206, 303, BStBl II 2004, 911 = SIS 04 35 25, unter II.3.c, Rz 20; vom 4.5.2011 - I R 67/10, BFH/NV
2012, 6 = SIS 11 38 73, Rz 27). Die bloß
betragsmäßige Benennung eines Änderungsrahmens ohne
Angabe eines gegenüber den bisherigen Besteuerungsgrundlagen
abweichenden Lebenssachverhalts ermögliche der Behörde
eine nur punktuelle Korrektur indessen gerade nicht. Die
bloße Vorgabe eines betragsmäßigen
Änderungsrahmens wäre für die sachgerechte
Bearbeitung eines Antrags auf „schlichte“ Änderung
daher sinnlos. Die historische Auslegung belege, dass die für
die Bearbeitung des Antrags erforderlichen Korrekturpunkte
innerhalb der Einspruchsfrist so hinlänglich bezeichnet werden
müssen, dass der Behörde die anschließende
Bearbeitung des Änderungsantrags auch tatsächlich
möglich ist. Ein Normverständnis, das der
Finanzbehörde die Verpflichtung auferlegen würde, den
Steuerfall entweder insgesamt wieder aufzurollen oder den
Steuerpflichtigen zumindest von Amts wegen zur Mitwirkung und zur
nachträglichen sachverhaltsbezogenen Konkretisierung seines
zunächst bloß betragsmäßig fixierten
Änderungsbegehrens aufzufordern, entspreche schließlich
auch nicht dem Sinn des „schlichten“
Änderungsverfahrens. Denn dieses Verfahren sei - anders als
das Einspruchsverfahren - darauf gerichtet, zügig, einfach und
ohne strengen Formzwang zu einer punktuellen Korrektur des
Ausgangsbescheids zu gelangen. Sonst würde die
Möglichkeit eröffnet, in rechtsmissbräuchlicher
Weise die nachteiligen Rechtsfolgen einer Präklusion nach
§ 364b Abs. 2 Satz 1 AO durch Ausweichen auf das Verfahren
nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu umgehen.
|
|
|
28
|
d) Die Antwort auf die Frage, ob der Antrag
hinreichend konkretisiert ist, ist das Ergebnis einer
tatsächlichen Würdigung, die dem FG obliegt; der BFH ist
an diese Würdigung gemäß § 118 Abs. 2 FGO
gebunden, wenn sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande
gekommen und aufgrund der festgestellten Tatsachen möglich
ist, die Grundsätze der Auslegung von Willenserklärungen
beachtet und weder gegen Denkgesetze noch gegen
Erfahrungssätze verstößt (vgl. BFH-Urteil vom
25.9.2013 - VIII R 46/11, juris = SIS 13 35 15, Rz 27).
|
|
|
29
|
e) Ausgehend davon hält die angefochtene
Vorentscheidung einer revisionsrechtlichen Überprüfung
und den Angriffen der Revision stand.
|
|
|
30
|
aa) Das FG hat seine Auffassung, die
Anträge seien hinreichend konkret, in Rz 48 ff. seiner
Entscheidung damit begründet, dass in der DATEV-Berechnung
„Körperschaftsteuer 2015“ die Summe der
Einkünfte, der Gesamtbetrag der Einkünfte und das zu
versteuernde Einkommen ebenso beziffert sind wie die nicht
abziehbaren Aufwendungen und deren Ermittlung. Zudem habe die
Klägerin in ihrer DATEV-Berechnung zur Umsatzsteuer 2015 nicht
nur die für das Streitjahr festzusetzende Umsatzsteuer,
sondern auch ihre Lieferungen und sonstigen Leistungen zu 19 %, die
anderen steuerpflichtigen Leistungen, die abziehbaren
Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern und
aus innergemeinschaftlichen Erwerben erklärt sowie bezifferte
Angaben zu Abschnitt F der Anlage UR gemacht. Zur Gewerbesteuer
2015 habe die Klägerin ihren endgültigen Verlust
gemäß § 7 GewStG angegeben sowie unter der
Überschrift „Hinzurechnungen/
Finanzierungsanteile“ die Hinzurechnungen zum Gewerbeertrag
gemäß § 8 GewStG konkret bezeichnet. Die
Gewerbesteuerrückstellung betrage nach der DATEV-Berechnung
./. 9.188 EUR. Weiter heiße es in der Berechnung, dass dieser
Betrag zu aktivieren sei.
|
|
|
31
|
Eine weitere Aufschlüsselung der
Positionen in den DATEV-Berechnungen, z.B. durch Angabe, welche
Betriebseinnahmen und welche Betriebsausgaben die Klägerin bei
der Ermittlung ihres Verlustes im Streitjahr in Höhe von
42.201 EUR im Einzelnen berücksichtigt hat, sei für die
Wirksamkeit eines Antrags auf „schlichte“ Änderung
nicht erforderlich. Für die notwendige Konkretisierung eines
solchen Antrags könne nichts Anderes gelten als für die
notwendige Konkretisierung einer Klage gemäß § 65
Abs. 1 FGO (Klagebegehren). Die Vorlage vollständiger
Steuererklärungen sei daher in Schätzungsfällen
für einen hinreichend konkreten Änderungsantrag nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht erforderlich.
|
|
|
32
|
Zur Umsatzsteuer sei unerheblich, dass keine
Angaben zu steuerfreien Umsätzen, unentgeltlichen Wertabgaben
und Minderungen der Bemessungsgrundlage enthalten seien, weil auch
in den elektronisch übermittelten Steuererklärungen nicht
ausgefüllte Zeilen ebenfalls unterdrückt würden. Im
Übrigen gehe auch Ziffer 2 zu § 172 des
Anwendungserlasses zur Abgabenordnung davon aus, dass der
Steuerpflichtige nach Ablauf der Frist Argumente und Nachweise zur
Begründung eines rechtzeitig gestellten, hinreichend konkreten
Änderungsantrags i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a AO nachreichen oder ergänzen kann, soweit hierdurch
der durch den ursprünglichen Änderungsantrag festgelegte
Änderungsrahmen nicht überschritten wird. Die
Klägerin habe zur Begründung und Konkretisierung ihrer
Anträge auf „schlichte“ Änderung mit der
Vorlage der DATEV-Berechnungen jedenfalls keine willkürlichen
Angaben gegenüber dem FA gemacht, die „ins Blaue“
zielen. Vielmehr deckten sich die Angaben in den DATEV-Berechnungen
mit den Angaben der Klägerin in ihren Steuererklärungen
für das Streitjahr, die sie am 19.10.2017 elektronisch dem FA
übermittelt hat.
|
|
|
33
|
bb) Dabei ist das FG in Rz 36 ff. seines
Urteils von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen der
Rechtsprechung des BFH ausgegangen. Insbesondere genügt es
nach der unter II.2.c angeführten Rechtsprechung, dass sich
das verfolgte Änderungsbegehren seinem - sachlichen - Gehalt
nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht
gestellten Antrag auf „schlichte“ Änderung selbst
ergibt. Zwar reichen Angaben zur rein betragsmäßigen
Auswirkung der Änderung auf die Steuerfestsetzung für die
Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht aus;
umgekehrt wird jedoch nicht verlangt, dass eine vollständige
Steuererklärung eingereicht wird. Ein derart strenges
Erfordernis wäre mit der Formulierung „in groben
Zügen“ unvereinbar.
|
|
|
34
|
cc) Zu Recht hat das FG außerdem
angenommen, dass die von der Klägerin gestellten Anträge
auf „schlichte“ Änderung sachverhaltsbezogene
Angaben enthalten (s.a. Hennigfeld, EFG 2018, 1430). Zwar handelt
es sich bei den übermittelten Informationen in den
DATEV-Berechnungen „nur“ um zahlenmäßige
Informationen zu steuerrechtlichen Begriffen. Hierdurch
unterscheidet sich der Antrag jedoch nicht von einer
Steuererklärung, die auch das FA als hinreichenden Antrag
genügen lassen möchte. Da die Anforderungen an eine
hinreichende Konkretisierung nicht höher sein können als
die an eine Steuererklärung, die der Gesetzeber zur
Konkretisierung genügen lassen wollte (BTDrucks 14/1514, S.
47), genügt dies auch hier. Im Übrigen sind nach der
Rechtsprechung des BFH zu § 173 AO auch durch komplexe
Begriffe bezeichnete Gegebenheiten Tatsachen (vgl. BFH-Urteil vom
25.1.2017 - I R 70/15, BFHE 257, 66, BStBl II 2017, 780 = SIS 17 08 55, Rz 11). Schätzungsgrundlagen wie der (Jahres-)Umsatz sind
ebenfalls Tatsachen i.S. des § 173 AO (vgl. BFH-Urteil vom
5.8.2004 - VI R 90/02, BFH/NV 2005, 501 = SIS 05 15 64, unter
II.1., Rz 13 und 14), ebenso die Höhe bestimmter, der
Besteuerung zugrunde zu legender Einnahmen (vgl. BFH-Urteil vom
23.4.1991 - VIII R 87/87, BFH/NV 1992, 75). Auch der Gewinn ist
eine Tatsache, die zu einer niedrigeren Steuer führt, wenn
sich aus der Gesamtwürdigung der Tatsachen eine niedrigere
Steuer ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 28.3.1985 - IV R 159/82, BFHE
144, 521, BStBl II 1986, 120 = SIS 86 04 56, unter 1., Rz 9 und
10).
|
|
|
35
|
dd) Ebenfalls zu Recht hat das FG in Bezug auf
die Anforderungen an die Konkretisierung des Änderungsantrags
die Vorschrift des § 65 FGO mit in den Blick genommen (vgl.
auch Weinschütz, EFG 2017, 608, 610; Hennigfeld, EFG 2018,
1430): Würde man - mit dem FA - davon ausgehen, dass die
Schreiben vom 18.10.2017 keine zulässigen Anträge auf
„schlichte“ Änderung enthalten,
müssten das FA, das FG und der erkennende Senat prüfen,
ob im Wege rechtsschutzgewährender Auslegung davon auszugehen
sein könnte, dass die Klägerin mit diesen Schreiben
(zulässige) Klagen gegen die in den Schreiben genannten
Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhoben hat, die
gemäß § 47 Abs. 2 FGO auch beim FA angebracht
werden können (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 29.10.1998 - XI R
25/98, BFH/NV 1999, 633 = SIS 98 55 18, unter II.1., Rz 16 und 17,
bei Unzulässigkeit eines Änderungsantrags; BFH-Beschluss
vom 5.5.2003 - II B 1/03, BFH/NV 2003, 1142 = SIS 03 36 75, unter
II.2., Rz 14 f.: Auslegung als Einspruch bei unzulässigem
Änderungsantrag). Denn diese Schreiben lassen zweifelsfrei
erkennen, dass die Klägerin mit genau benannten
Steuerbescheiden des FA inhaltlich nicht einverstanden ist; es wird
ausdrücklich deren Änderung zu ihren Gunsten auf von ihr
genau bezifferte Beträge beantragt und die Schreiben weisen
mit genau bezifferten Angaben zu konkret zu ändernden
Besteuerungsgrundlagen den für eine Bezeichnung des
Gegenstands des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 FGO) in
Schätzungsfällen notwendigen Mindestinhalt (vgl. dazu
BFH-Beschlüsse vom 15.5.2007 - V B 153/05, juris, Rz 12; vom
15.1.2015 - I B 45/14, BFH/NV 2015, 696 = SIS 15 07 93, Rz 3; vom
23.6.2017 - X B 11/17, BFH/NV 2017, 1440 = SIS 17 18 70, Rz 13 ff.;
Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 65 FGO Rz 13; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
§ 65 FGO Rz 76) auf. Und Willenserklärungen sind im
Zweifel so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was nach den
Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der
recht verstandenen Interessenlage des Erklärenden - hier: der
beantragten Festsetzung niedrigerer Steuern - entspricht (vgl.
BFH-Urteil vom 1.4.2009 - IX R 5/08, BFH/NV 2009, 1081 = SIS 09 18 83, unter II.1.a, Rz 12 und 13).
|
|
|
36
|
Eine inhaltliche Überprüfung der
Bescheide wäre auch mit der Klage verbunden. Materielle
Bestandskraft der Bescheide wäre daher ohnehin nicht
eingetreten. Ihre außergerichtlichen Kosten hätte die
Klägerin ohnehin (nach § 137 FGO bzw. gemäß
dem BFH-Beschluss vom 23.7.1996 -VII B 42/96, BFHE 180, 529, BStBl
II 1996, 501 = SIS 96 20 90) selbst zu tragen.
|
|
|
37
|
Dies schließt es angesichts des Zwecks
des § 172 Abs. 1 Satz 3 AO, die Finanzgerichtsbarkeit zu
entlasten (BTDrucks 14/1514, S. 47), aus, an die erforderliche
Konkretisierung des Antrags auf „schlichte“
Änderung strengere Anforderungen zu stellen als an die
Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens in
Schätzungsfällen; denn dieser Zweck würde verfehlt,
wenn wegen fehlender Konkretisierung unzulässige
Änderungsanträge im Wege rechtsschutzgewährender
Auslegung als zulässige Klagen ausgelegt werden müssten.
Die vom FA im Ergebnis für solche Fälle befürwortete
Verlagerung der Überprüfung von Schätzungsbescheiden
auf das gerichtliche Verfahren wollte der Gesetzgeber mit der
Vorschrift gerade verhindern. Die vom FG vertretene, an § 65
FGO anknüpfende Auslegung entspricht daher sowohl dem Zweck
der Vorschrift als auch dem Willen des historischen Gesetzgebers.
Die Gefahr der Aushöhlung des § 364b AO wird dabei durch
§ 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AO verhindert; allerdings hat
das FA im Streitfall von der Möglichkeit des § 364b AO
keinen Gebrauch gemacht.
|
|
|
38
|
ee) Die von zutreffenden
Rechtsgrundsätzen ausgehende tatsächliche Würdigung
des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist
verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen, auf Basis der
tatsächlichen Feststellungen möglich, verstößt
nicht gegen die Grundsätze der Auslegung von
Willenserklärungen, Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie
bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO).
|
|
|
39
|
3. Auf die Rechtsfrage, ob eine
„schlichte“ Änderung nach Ergehen einer
Einspruchsentscheidung nur dann erfolgen darf, wenn mit dem
Änderungsantrag nicht erneut Tatsachen und Rechtsfragen
geltend gemacht werden, über die in der Einspruchsentscheidung
bereits entschieden wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 5.2.2010 - VIII B
139/08, BFH/NV 2010, 831 = SIS 10 11 66, Rz 9; offen lassend
BFH-Beschluss vom 30.11.2010 - VIII B 3/10, BFH/NV 2010, 2001 = SIS 11 04 90, Rz 2; s. dazu auch Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
22.6.2017 - 5 K 11174/15, EFG 2017, 1404 = SIS 17 15 20, Revision
eingelegt, Az. des BFH: VIII R 30/17), kommt es im Streitfall nicht
an, da in der Einspruchsentscheidung vom 13.9.2017 über solche
nicht bereits entschieden wurde.
|
|
|
40
|
4. Sonstige Rechtsfehler der angefochtenen
Vorentscheidung, insbesondere in Bezug auf die vom FG
ausgesprochene Verpflichtung zur Neubescheidung sowie zu der
Änderung der Bescheide wegen Vorauszahlungen, sind nicht
ersichtlich.
|
|
|
41
|
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
|